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XIII

Und wirklich, es kam ein Sturm, wie Ottesen prophezeit hatte, und es war klug von den Schiffern, daß sie seinem Rat gefolgt waren und ihre Boote besser vertäut hatten. Der einzige, der nicht klug genug war, war ja leider Ottesen selbst: er kam gut und heil zu seinem Netzboot hinaus und erledigte dort, was er zu erledigen hatte, später aber wollte er dann in seinem Übermut einem anhaltenden Unwetter trotzen und aus irgendeinem Grunde zur Dampferhaltestelle hinaussegeln, – und von dort kehrte er nicht mehr zurück. Nein, von dort kehrte Ottesen nicht mehr zurück. Sein Boot wurde weit draußen außerhalb von Reine auf dem Lofot gefunden, es war leer und übel zugerichtet, ein Wrack. Joakim las die Nachricht darüber in seiner Zeitung.

Das war ein sehr großer und wichtiger Weggang von der Bucht und dieser Welt, ein Zufall, ein umgeworfenes Spiel, für August aber war es eine seltsam günstige Fügung: es waren doch die fünftausend Kronen auf die Bank einbezahlt worden, – und dabei hatte er nun sein Grundstück gar nicht verloren, da es ja jetzt wieder an ihn zurückfiel! Das war einmal ein Glück, das verschlug. Eine Art Bosheit von Ottesens Unglück, hinzugehen und einem anderen zum Guten auszuschlagen!

Trotzdem sollte doch nicht alles nach Augusts Berechnung gehen: er bekam nicht mehr als diese Fünftausend für die Fabrik herein, die Leute zogen sich zurück. Natürlich war Ottesen zu seinen Lebzeiten ein kluger Mann gewesen, sie hatten Vertrauen zu ihm gehabt, aber jetzt war er trotz seiner Klugheit umgekommen, sie konnten ihm nicht durch dick und dünn folgen.

Na, wir haben jedenfalls Fünftausend! sagte August und bestellte telegraphisch eine große Menge Zement.

Wie hoch kommt der Zement zu stehen? fragte Pauline.

Das weiß ich nicht, antwortete August, einige Tausend.

Pauline runzelte die Stirn und sagte: Du willst die Bank ausleeren. Aber das soll nicht geschehen!

August redete gut zu: Liebe gute Pauline, diese Fünftausend sind kein Geld, das der Bank gehört, es ist das Geld der Fabrik. Wir wollen eine Heringsmehlfabrik damit bauen.

Pauline war störrisch: Das Geld liegt aber doch auf der Bank, sagte sie.

August fuhr fort: Ah, jetzt soll es losgehen! Du hast in deinem Leben noch nicht soviel Zement gesehen, wie jetzt kommen wird, vielleicht tausend Tonnen, – oder, um nicht zu übertreiben, jedenfalls zweihundert Tonnen. Das wird ein Leben und ein Betrieb hier in der Stadt werden.

Pauline hat kein Interesse für seine Pläne, sie ist mit etwas anderem beschäftigt: Kaplan Tveito soll heute die Schule in der Bucht inspizieren und examinieren, und Pauline will ihn zum Mittagessen einladen, will ihm alles bieten, was das Haus vermag.

Du könntest mir helfen Hühner rupfen, sagte sie zu August.

August stand aus irgendeinem Grund da und rauchte seine Meerschaumpfeife, er hatte sich auch sonst auffallend herausstaffiert, so hatte er zum Beispiel aus seinem Koffer einen Spazierstock mit einem Stilett darin hervorgeholt, er zog die Waffe heraus und erzählte prahlend davon, daß sie ihm einmal das Leben gerettet habe, im übrigen habe der Stock einem Kaiser gehört, der Napoleon geheißen habe.

Hühner rupfen? sagte er. Es kommt darauf an, was du dafür gibst.

So hatten sie als Kinder immer gesagt, wenn eins das andere küssen wollte.

Pauline steif und gleichgültig: Aber du kannst wohl gar keine Hühner rupfen?

August: Ich, nicht können? Nenne mir eine Sache, die ich nicht könnte!

Pauline lächelt schief.

Ich, der auf den Bermudainseln eine Fabrik gebaut und der mit Aussätzigen in einem Lager gelegen hat.

Pauline lacht und sagt: Ach, deine Geschichten alle!

Glaubst du mir nicht? fragt er. Jetzt will ich dir erst recht beweisen, daß ich auch heute noch eine Fabrik bauen kann! Er legt von neuem los, spricht von Telephon, elektrischem Licht, Maschinen, mit denen man fliegen kann: man setzt sich nur in einen Stuhl und fliegt damit durch die Luft. Ja. Aber zu so etwas braucht man Geld, deshalb müßten sie eine Bank und eine Heringsmehlfabrik und Industrie und Verdienst haben, viel Geld. Oh, er würde bald allerhand Reichtum zusammengekratzt haben, um die Bucht in die Höhe zu bringen, der Tag sollte noch kommen, an dem die Menschen ihm Ehre erweisen würden, an dem der Amtmann mit vier Pferden vor dem Wagen bei ihm angefahren käme –

August ragte empor, er stand wie allein da, aufrecht und gerade, sein Hintergrund war die Welt.

Pauline aber war, offen gestanden, seiner müde geworden, seine Prahlereien fingen an, sie zu langweilen. Ich habe schon so viel Lügen von dir gehört! sagte sie mit einer verächtlichen Gebärde, als seien dies jedenfalls keine Lügen für Fortgeschrittene.

August wurde zahmer und fragte: Hast du nicht vorhin etwas von Hühnern gesagt?

Ja. Aber du bist ja auch viel zu fein angezogen. Du wirst voller Federn.

Es war richtig, er stand hier in seinem Staat und war feiner als gewöhnlich. Ich bin zum Freien angezogen, sagte er plötzlich.

So. Und wo willst du hin?

Hierher. Ich will nicht weiter.

Pauline sah ihn verständnislos an.

Was meinst du dazu, Pauline?

Mein Gott, was für ein verrückter Kerl, was für ein loser und schändlicher Vogel; stand er heute nicht ganz anders da als sonst, wo er runzlig und grau und kahl war? Heute hielt er sich straff, warf sich in die Brust wie ein Husar. Er fing an, sich zu erklären: Hm. Es ist wahrhaftig nicht – der Teufel hol mich –, wahrhaftig nicht so leicht. Kurz und gut, ich will hierher, ich will nicht weiter.

Pauline war kein Fohlen, nein, sie wieherte nicht, sie rief: Um alles in der Welt, was faselst du denn?

August: Ich habe nichts Geringeres gedacht, als daß ich dich fragen wollte.

Mich? rief sie. Dann lachte sie ihm mitten ins Gesicht und machte sich daran, ihre Wandfächer zu ordnen.

Um Eindruck zu machen, erwähnte er, daß er schließlich doch schon öfters verlobt gewesen sei, daran fehle es nicht, aber er habe immer wieder Schluß gemacht –

Das war wohl die unglücklichste Bemerkung, die er machen konnte, und Pauline griff zu: Ja, du bist eine feine Nummer!

August: Wieso, – ist es nicht leicht, es für einen Augenblick zu vergessen und eine andere lieber zu haben?

Schweig still jetzt!

Ich habe immer viel Wind in den Segeln gehabt, will ich dir sagen, aber weißt du, wie das ist, Pauline? Versuch du einmal, ein ganzes Jahr lang an ein und dieselbe gebunden zu sein, und schau, ob du sie nicht vergißt. Das wird mit jedem Monat immer leichter –

Es wurde nichts daraus, er gewann keinen Boden. Ich habe gehört, daß der Kaplan heute herkommt, sagte er. Mir scheint also doch, daß du an ihn denkst?

Pauline, mit rotem Kopf: Und wenn auch? Was geht dich das an?

Nein nein, sagte er und gab es auf. Aber es hätte nun doch sein können, daß ich mir ernsthaft etwas aus dir gemacht hätte, Paulinchen. Und nun habe ich mir vorgenommen, mich niederzulassen.

Hahaha! lachte Pauline hell auf.

Und das wäre nun doch noch nicht das Schlimmste, was dir widerfahren könnte.

Stille. Pauline arbeitete fleißig, pustete und blies den Staub aus den Regalen. Du redest eben, wie du es verstehst! murmelte sie.

Wiederum Stille. August fühlte sich wohl allmählich gekränkt und fragte: Wie ich es verstehe, sagst du? Sollte es mir etwa an Verstand fehlen? Das habe ich noch nie gehört. Ich habe ja geradezu Verstand übrig!

Dann solltest du ihn gebrauchen! beendet sie das Gespräch.

Nein, es kam zu nichts. Und wer weiß, ob er es überhaupt ernst gemeint hatte mit seiner Freierei, der lose Vogel. Das war nicht wahrscheinlich.

 

Sie konnte die beiden Hühner selber rupfen. Alles konnte sie selber tun. Ihre Hand war hart und tüchtig, sie brachte die Arbeit hinter sich, eine gute halbe Stunde später lagen die Hühner abgesengt und nackt im Topf. Sie richtete sich selber her, ordnete das Haar, mit Locken und Netz, nähte einen frischen gestärkten Streifen an den Kragen des Kleides, machte sich dann ans Tischdecken in der Stube, schaute nach dem Braten, lief herum, hatte es eilig –

Er würde in den Laden kommen und Tabak oder Zündhölzer kaufen, er kam vielleicht auf den Gedanken, ins Kontor hereinschauen zu wollen, wo der stattliche Geldschrank breit und mächtig dastand, Pauline räumte dort auf, stellte einen Stuhl an seinen Platz, staubte ab. Sämtliche Protokolle lagen auf dem Tisch, sowohl die des Ladens als auch die der Bank, der Post und der Versicherung, sie holte das Gesangbuch und Linroths Postille aus der Wohnstube herüber und legte sie obenauf. Und in der Tischlade stand ihr Nähkästchen mit dem Herzen Jesu. Alles in allem ein religiöser Schreibtisch und ein gläubiges Nähkästchen. Sie würde sicher Gelegenheit haben, etwas aus der Schublade zu holen und das Kästchen herauszunehmen, während er zusah –

Er kam während einer Freistunde und wollte Federn haben.

Hier bitte! Und weil sie daran dachte, daß sie für ihn Hühner im Topf hatte, konnte sie sich eine schüchterne Freiheit erlauben: Und eine kleine Rolle Tabak? fragte sie.

Nein, danke! Übrigens doch, ja, geben Sie mir immerhin eine, – es ist immer gut, Vorrat zu haben. Wieviel macht das?

Nein nein, – das macht nichts!

Und nun hätte sie ihn ja gleich zum Mittagessen einladen können, aber da kam ausgerechnet Teodor zur Tür herein, und so schwieg sie. Es brauchte nicht die ganze Umgebung von dieser Mahlzeit für den Pfarrer zu erfahren.

Er wollte wiederum bezahlen. Bei den Kaufleuten in der Inneren Gemeinde bekomme ich nichts umsonst, sagte er.

Es ist ja nicht der Rede wert, ein paar Federn und ein Stückchen Kautabak. Was ich sagen wollte, habt Ihr nicht Lust, das Kontor anzuschauen, – den Geldschrank, und überhaupt zu sehen, wie ich es dort habe?

Dämmerte ihm ein Gedanke und ahnte er Unrat? Ich weiß nicht, ob ich Zeit habe, sagte er und griff nach der Uhr. Wie gesagt, ich bekomme nichts umsonst. Und das werde ich auch dort nicht bekommen, wo ich jetzt hin muß. Ich muß jetzt in die Finmark hinauf.

Ihr kommt in die Finmark hinauf? fragt Teodor augenblicklich.

Der Pfarrer nickt.

Teodor fängt zu reden an, er ist bekannt in Nufsfjord, in Berlevaag und nahezu allen Orten. Wo im Lande Norwegen wäre er nicht schon gewesen?

Es kann gut sein, daß Kaplan Tveito ein Gedanke gedämmert ist und daß er als rechtschaffener Mann handeln möchte. Ja, ich habe ein kleines Pfarramt in der Finmark bekommen, sagt er zu Pauline gewendet. Und dorthin fahre ich jetzt.

Wie bald? fragt Teodor.

Wenn ich meine Angelegenheiten in Ordnung gebracht habe, sagt der Pfarrer immer noch zu Pauline. Ich will erst noch heim nach Helgeland und heiraten.

Nun machte er reinen Tisch!

Teodor schnappte wie ein Fisch nach Luft und fragte: Ach, Ihr wollt heiraten? Jetzt hatte er wieder eine Neuigkeit, mit der er in der Gegend herumlaufen konnte. Wen denn? fragte er.

Der Pfarrer gab ihm keine Antwort, er wendete sich mit seinen Worten ausschließlich an Pauline: Meine arme Verlobte wartet nun schon allzulange, sie hat getreulich auf mich gewartet, bis ich fertig war und etwas erreicht hatte, jetzt soll sie den Lohn dafür bekommen.

Teodor: So, da wollt Ihr also heiraten.

Pauline läßt die beiden reden. Der Pfarrer erzählt ihr von seiner Verlobung: anfangs ein kleiner, hellgrüner Schößling, ein graziöses Vergißmeinnicht und eine Kinderliebe, eine Blüte im Garten! Wie seltsam war es doch, während all seiner Studienjahre hatte es in ihm gesteckt und hatte ihn überallhin begleitet. Sie an seiner Seite hatte ihn stark gemacht, um auszuhalten. Es waren harte Jahre, zuerst auf dem Seminar, dann auf der Universität, viel Studium, viele Sprachen, aber sie hatte in ihrem Glauben an seine Fähigkeiten nicht gewankt. Eine seltene Frau –

Pauline hörte nicht genau zu und gab keine Antwort, räumte nur in den Regalen auf, wischte Staub und schwieg. Das letzte, was sie hörte, war, daß Teodor den Pfarrer hinausbegleitete und wissen wollte, in welche Gegend der Finmark er hinkäme, denn er kannte sich doch überall aus.

Pauline wischte noch lange Staub, nachdem sie nun einmal damit angefangen hatte, schlimmer stand es nicht um sie. Geruch nach Verbranntem drang zu ihr herein, und sie lief schleunigst in die Küche, um von den Hühnern zu retten, was noch zu retten war. Als dies geschehen war, räumte sie allen unnötigen Staat von dem gedeckten Tisch in der Stube weg, holte die frommen Bücher aus dem Kontor zurück und verwischte ihre Spuren.

Oh, sie war verständig und hatte sicher keine großen Hoffnungen für ihr Herz gehabt, sie hatte vielleicht nur dastehen und sich ein wenig an diesem Mann Gottes laben und mit ihm sympathisieren wollen. Es dauerte denn auch nicht lange, so war sie wieder die alte Pauline mit dem Kramladen und all den übrigen täglichen Pflichten.

Da sie ihren Hühnerbraten nicht geheimhalten konnte, ging sie geradeswegs zu Joakim und gestand ihm alles ein: sie hätte dem Kaplan gern ein oder zwei Stückchen Huhn zum Mittagessen gegeben, aber es fügte sich nicht so.

Joakim nahm die Sache schön auf: Warum, – war er denn anderswo eingeladen?

Das wußte sie nicht, aber er hatte ein Pfarramt in der Finmark bekommen und wollte bald von hier fortreisen. Da mochte sie ihn erst gar nicht mehr einladen.

Nein, da hast du ganz recht gehabt! sagte Joakim.

Pauline erleichtert: Wir können unsere Hühner selber essen. Nun mußt du sehen, daß du den Edevart auftreibst.

Joakim: Wieviel Hühner sind es?

Zwei.

Nein, dann reicht es ja gerade nur für mich, sagt Joakim, der Schelm, und wirft zornig den Kopf zurück.

Trau dich und hol mir nicht den Edevart! droht Pauline und verläßt ihn ...

Gebratene Hühner für die ganze Familie, die drei Geschwister und August. Hosea auf der Neusiedlung hätte auch mitkommen sollen, aber Pauline erklärt, daß sie ihr eine halbe Brust aufgehoben habe, und darüber wird Joakim wieder böse, weil nun nicht genug für ihn übrig ist.

Oh, wäre Joakim nicht gewesen, so wäre dies vielleicht ein peinliches Mittagessen geworden, er schwätzte und redete in bester Laune daher, obgleich es etwas schwierig für ihn war, darüber hinwegzukommen, daß sie mitten in der Woche vor gebratenen Hühnern saßen. Offen gestanden, hätte ich lieber ein gutes Gericht Fische gehabt als das hier, sagte er.

Das wäre mir auch lieber, antwortete die Schwester und machte die Hühner gering und unwichtig.

Aber es ist nun einmal so, daß alte Hühner rechtzeitig gegessen werden müssen, sonst gehen sie am Ende von selber ein. Was zum Teufel, du ißt auch die Knochen, August? Ja, hier gibt es ja sonst nichts. Willst du wegfahren?

Ja, antwortete August kurz. Warum?

Nein, ich sehe nur, daß du dich so fein gemacht hast.

Edevart war schweigsam wie gewöhnlich. Ein seltsamer alter Bursche, nichts ist an ihm, er ist niedergezwungen und gleichgültig, ein Gaul. Nach dem Mittagessen zog Pauline ihn beiseite und legte ihm ans Herz, sein Geld zu retten.

Geld –?

Die Fünftausend in Bankaktien. Pauline wollte keine Verantwortung mehr für die Summe tragen.

So. Jawohl, er wollte es sich überlegen.

Nein, er sollte sie sofort herausnehmen! Es würde demnächst eine ungeheure Ladung Zement kommen, und dabei ginge dann das Geld drauf.

Edevart ist sehr verlegen und ärgerlich, die Aktien gehörten nicht ihm, und man hatte ihm auferlegt, den Mund zu halten. Er mußte mit August reden. Vorläufig sagt er: Aber es sind ja Aktien, Pauline, du kannst mir nicht Geld dafür aus der Bank geben.

Pauline verächtlich: Glaubst du? Ich sollte mit ansehen, wie du ruiniert wirst, ich sollte nicht meinen eigenen Bruder retten können!

Steht es schlecht um die Bank? fragte er.

Jammervoll, ganz am Ende! Ein paar Hypotheken auf Höfe und Häuser, aber keine ordentlichen Bürgen, und dazu das Schlimmste von allem, daß wir eines Tages kein Geld mehr haben werden.

Das ist ja nicht möglich!

Ich muß es doch wohl wissen!

Warte bis heute nachmittag, sagte Edevart und ging.

Er mußte mit August sprechen. Dieser August war nicht aufzufinden, und Edevart wurde noch ärgerlicher. Wo war August? Er war vom Mittagessen fort seiner Wege gegangen und war jetzt weder auf der Erde noch in der Luft aufzutreiben. Er war im Lauf des Jahres öfters zum Doktor in der Inneren Gemeinde gegangen, vielleicht war er auch heute wieder dort?

Edevart wollte am liebsten aus diesem falschen Geldverhältnis herauskommen und nicht mehr für einen reichen Mann und Besitzer von fünftausend Kronen gelten, daraus entstand nur Unruhe in seinem trägen Gemüt, es verursachte ihm Scherereien.

Am Abend ging er zu Pauline und legte ein volles Geständnis ab. Bitte schön, es sind Augusts Aktien und Augusts Kronen!

Pauline stumm. So war das also nicht der Reichtum des großen Bruders, der große Bruder war wieder arm und kläglich dran! Sie hätte ihm mit Freuden ihre eigenen zehn Aktien gegeben, aber das verschlug ja nicht, damit würde sie auch nicht einen Schimmer von der Achtung und Ehre retten, die die Bucht ihm in den letzten Monaten erwiesen hatte. Das war ein schwerer Schlag, sie hätte am liebsten laut gejammert –

Was fällt dir ein! sagte der große Bruder und hielt sich eigentlich recht gut, ich habe viele hundert Kronen in der Tasche.

Als ob Hunderte etwas wären! Er hatte sich durch ein zwanzigjähriges Herumziehen als Tagelöhner daran gewöhnt, von der Hand in den Mund zu leben, und war es zufrieden, Pauline bedauerte ihn, was war aus dem großen Bruder geworden! In seiner Jugend war er der erste von allen gewesen, hatte Ehrgeiz und Pläne gehabt, hatte gut ausgesehen, die Mädchen waren hinter ihm her, er war stolz, – oh, was war aus dem großen Bruder geworden! Um ihm nicht den Mut zu nehmen, redete sie ihm zu und zeigte ihm ihr Vertrauen: er würde schon zurechtkommen, du meine Güte, er konnte ja jeden Tag den Kramladen übernehmen und mit Fischfahrzeugen Handel treiben und in wenigen Jahren reich werden. Sie wollte ihm zur Seite stehen –

Ich weiß nicht, wovon du redest, sagte Edevart.

 

Sie sah August nun mit anderen Augen an als früher, er war doch ein Teufelskerl, ein vollkommenes Rätsel, aus dem keiner klug werden konnte. Was bedeutete es, daß er so selbstlos fünftausend Kronen auf einen anderen Namen gehen ließ? Die Steuer? Er war nicht nur ein Prahlhans und Erfinder, sie wollte einmal ernsthaft mit ihm reden und ihm sagen, daß sie bereit sei, auch sein Geld zu retten. Warum sollte er sich in der Bucht zuschanden arbeiten und dennoch ein armer Kerl dabei werden!

Sie stand mit ihren beiden Füßen auf der Erde und nahm ihren Verstand zusammen. Ihr Tätigkeitstrieb war außerordentlich. Es kränkte und ärgerte sie, die Bank so schlecht verwaltet zu sehen, die verdiente nicht einmal das Salz zur Suppe, sie setzte ihr Kapital der Gefahr aus. Die schlechten Kredite ließen ihr keine Ruhe, sie war die einzige in der Leitung, die sich das zu Herzen nahm. Karolus, was war er? Ein alter Tölpel ohne Kopf; der Kopf war bei August, aber der war wirr. Rolandsen? Es schauderte sie fast, wenn sie seine verkümmerten Nägel sah, sie waren wie Schorf an einer Wunde. Seitdem er Chef geworden war, sah man ihn nie mehr in Alltagskleidern. Er rührte keinen Finger mehr zur Arbeit, seine Bargeldschulden auf der Bank stiegen, und wenn sie ihm die Summe zeigte, so tat er großartig und lächelte. Was bildete er sich ein, sollte die Bank ihn ernähren? Wenn eine Angelegenheit entschieden werden sollte, saß er nur da, spielte mit seiner goldenen Kette auf der Brust und war gleichgültig, oh, er hatte so vornehme und adelige Gewohnheiten angenommen, er konnte dasitzen und einen Bleistift mit seinem Federmesser spitzen und überhaupt nicht mehr fertig werden damit.

Ich habe keine Zeit mehr, noch länger hier zu sitzen, brach Pauline dann oft aus.

Wir sind fertig, antwortet dann Karolus.

Fertig? fragt sie. Ich warte darauf, daß Rolandsen wieder einige Kronen geliehen haben will.

Der adelige Rolandsen lächelt nur ruhig und erwidert: Ich weiß es nicht besser, als daß ich dafür doch gutstehe.

Ich weiß das auch nicht besser, sagt Pauline, aber Ihr könntet doch ein für allemal eine Obligation nehmen und sie nach und nach abbezahlen, so wie die anderen es auch machen müssen.

Nein, dagegen wehrt Rolandsen sich, er ist kein gewöhnlicher Schuldner, keineswegs, er will keine Anleihe bei der Bank machen, er möchte nur, daß ihm eine Zeitlang, bis die Heringsschwärme kommen, mit Bargeld ausgeholfen wird, er hat ja Netzanteile.

Das kann jeder sagen, wendet Pauline störrisch ein.

Rolandsen wird allmählich ärgerlich: Es sollte doch noch ein Unterschied sein zwischen mir und anderen, ich bin kein Ausreißer, ich sitze doch jeden Tag hier in der Bank, sagt er. Hat man schon so etwas gehört! Es ist nur gut, daß ihr mich nicht auf den Lofotfischfang schickt! sagt er.

Pauline: Dazu sollte keiner zu gut sein!

Für mich paßt das nun einmal nicht. Das ist eine Arbeit, die ich noch nie gemacht habe.

Dann ist es an der Zeit, daß Ihr sie lernt!

Karolus versucht gutmütig zu vermitteln: Wenn also der Rolandsen Geld haben möchte, so kannst du es auf mein Konto schreiben, Pauline, ich habe keine Angst, einem solchen Mann Geld zu leihen ...

Lofotfischfang? Ach, das hatte für die Bewohner der Bucht beinahe aufgehört, sie hatten damit Schluß gemacht, das war nicht fein genug. Die Bewohner der Bucht lagen nun die meiste Zeit des Jahres mit dem Großnetz draußen, und wenn die stillen Monate kamen, blieben sie an Land, trieben sich in der Gegend herum und warteten nur auf eine neue Heringszeit. Es waren Anzeichen da, die darauf schließen ließen, daß die Sache einmal schiefgehen würde, aber die Zeit verging, und es trat keine Veränderung ein.

Freilich ging es schief. Joakim war einer von den wenigen, die das erfaßt und längst vorausgesehen hatten. Mit der Bankkomödie hatte er nichts zu schaffen, nur fünf schäbige Aktien, deren Verlust ihm gleichgültig war, es gab schlimmere Dinge: die Bucht hatte sich ganz verändert, das war Ernst.

Wo waren jetzt die Äcker und Wiesen? Die ganze fruchtbare Erde als Stadt verbaut. Wo waren die Herden? Aufgegessen, es gab kein Futter mehr für sie, sie waren geschlachtet worden. Die Ställe standen eine Zeitlang leer, dann wurden sie niedergerissen, dann lagen die Balken Wind und Wetter ausgesetzt und wurden morsch, dann wurden sie als Brennholz verwendet –

Mehl und Grütze mußten aus dem Süden bezogen werden; wenn das Postboot kam, war es jedesmal mit Mehlsäcken aus dem Süden und aus den Städten beladen, Pauline trieb einen großen Handel mit Mehl in der ganzen Bucht.

Es hatte ja keine Gefahr, solange es in der Äußeren Bucht Heringe gab und damit Verdienst, aber allerlei Anzeichen deuteten darauf hin, daß die Heringsschwärme einen anderen Weg eingeschlagen hatten, man sah nicht mehr dieses Meer von Vögeln am ganzen Himmel, keine Fischschwärme mehr im Wasser, keine Rede mehr von den ungeheuren Heringsmengen draußen wie früher, nur magere Angelfischerei, bei der kein Geld herauskam.

Die Leute fingen an unruhig auszusehen. Da hatte nun auch Pauline zwei Kronen auf den Sack aufgeschlagen; was sollte das bedeuten? Wollte sie denn so ganz und gar herzlos sein und die Menschen auspressen, ausgerechnet in der schlimmsten Zeit, während alles sehnlichst auf den Heringsschwarm wartete? Alles jammerte und nannte das ein unchristliches Benehmen.

Pauline zeigte die Rechnung her: soundso viel für das Mehl, soundso viel für die Emballage –

Was ist das?

Der Sack.

Was für Zeug, – verlangen die auch noch etwas für den Sack?

Wenn ihr in die Stadt gehen und das Mehl mit den Fingern heimtragen wollt, dann spart ihr euch den Sack.

Was hast du gesagt, daß er kostet?

Zwei Kronen.

Da haben wir es, das sind die zwei Kronen!

Pauline fährt fort: Soundso viel für Fracht, soundso viel für sie selber, – ein herzlich geringer Verdienst, wenn sie das Herschaffen von der Haltestelle berechnete, die Zinsen für die Vorausbezahlung der ganzen Lieferung, Speichermiete, die Zeit für den Hin- und Herweg und dafür, bis das Mehl im kleinen verkauft war –

Ja, das gab den Leuten zu denken. Aber warum mußte das Mehl auch bei dem Kaufmann in der Stadt plötzlich so teuer werden?

Joakim kam hinzu. Er war Bürgermeister und ein gescheiter Kopf, er las seine Zeitung gründlich und mit Überlegung. In Rußland sei Mißernte gewesen, erklärte er, die Äcker seien im ganzen Donkosakenland durch eine vier Monate lang herrschende Dürre versengt. Ungarn sei ungefähr das einzige Land, das noch Getreide liefern könne, und deshalb schraube es den Preis in die Höhe. Es gäbe noch eine Hoffnung, daß Kanada und die Staaten einen Teil ihrer Weizenernte zu einem annehmbaren Preis abtreten würden, aber im allgemeinen hätten die Leute in der Gegend dort nicht die Gewohnheit, die Welt mit Preissteigerungen zu verschonen. Außerdem habe man noch Indien und Australien, und es handle sich darum, ob England von dort so viel bekommen könne, daß es imstande sei, auch anderen Ländern aus der Verlegenheit zu helfen. Das wäre möglich. So stünden die Dinge. In Südamerika, in Argentinien hätten sie im großen Stil mit Ackerbau angefangen, aber dort seien sie noch nicht sehr weit gelangt –

Ach, es war nutzlos und albern von Joakim, eine so hochtrabende und überseeische Darstellung der Lage zu geben, hier in der Bucht nahm man nicht Weizen als Brotgetreide, hier nahm man Gerste für die Grütze und Gerste fürs Fladenbrot, höchstens mit ein wenig Roggen vermischt, anderes Brot kannten sie nur dem Namen nach, allerdings ging die Sage, daß einige von den ganz Vornehmen, wie Großnetzbesitzer Gabrielsen und Bankchef Rolandsen, einen Sack Weizenmehl von der Dampferhaltestelle heimgeholt hatten, aber diese Herren waren ja Zugereiste, und die echten Bewohner der Bucht gestatteten sich ein leises Lächeln über diese Großtuerei.

Aber der Preis für das Mehl stieg weiterhin, und als Pauline die letzte Sendung erhielt, wollte sie sie nicht annehmen. Es war Roggen. Sie weigerte sich, ihn von der Haltestelle abholen zu lassen, sie telegraphierte und schrieb, es sei unmöglich, so teures Mehl loszuwerden. Der Kaufmann antwortete und riet ihr, das Mehl zu behalten und dankbar zu sein, allen Anzeichen nach würde das Mehl weiterhin steigen, es hätte sich etwas gebildet, was in Amerika Corner heiße. Joakim riet ihr ebenfalls, das Mehl anzunehmen. Sie hätte gern noch August gefragt, er war doch immerhin ein merkwürdiger Bursche mit den unglaublichsten Erfahrungen, aber August war fort.

August war fort, man erzählte sich, daß er den Landweg zur Dampferhaltestelle gegangen sei und ein südwärts gehendes Routenschiff genommen habe.

Weiß Gott, er hinterließ eine Lücke, Pauline wollte mit ihm sprechen, die Leute in der Gegend wollten ihn um Rat fragen: ob es wirklich so ganz und gar zu spät im Jahr sei, noch etwas anzusäen und reif werden zu lassen, ehe der Schnee kam? Sie hatten beinahe alle noch einige Fuß Land beim Haus, sie konnten vielleicht immer noch irgend etwas Nahrhaftes dort anpflanzen, August hatte von frühen und späten Ernten gesprochen, – war das nicht in Japan? Er kannte die Samenarten der ganzen Welt. Sie fragten Edevart. Nein, er wußte nur etwas über Weizen und Mais aus der Prärie, Kornarten, die die Wärme von hundert Tagen brauchten.


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