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XIX

Mehr Glück als erwartet, ja vielleicht mehr als verdient: die Netzmannschaft machte auf dem Heimweg von Senjen einen Fang. Keinen großen Fang, aber den Verhältnissen entsprechend einen ganz ordentlichen Fang, – ein Glückszufall. Sie fuhren gerade um die Vogelinsel herum und hatten die Richtung auf die Bucht, als es geschah. Es kam hinter ihnen her, sie wurden gleichsam zurückgerufen von einer Möwenschar, die laut schrie und sich in der Luft auf und nieder warf.

So unerwartet kam das Glück.

Die frohe Nachricht erreichte die Bucht bereits am Abend und brachte Leben und Lustigkeit in die Hütten, in den darauffolgenden Tagen verschwand der Ernst immer mehr und mehr, die Bedrängnis war ja vorüber, und die große Zeit des Aufstiegs kehrte zurück. Ein neuer Fang, – Heringe und Geld! Selbst Teodors Ragna gab viel von ihrer Religiosität auf und fing wieder an, mit ihrem Mantel zu gehen, obgleich es warm war und der Frühling schon bald kam. Ach, aber die arme Ragna, sie ging wohl im Mantel, um zu verstecken, wie zerfetzt ihre Kleider waren.

August blähte sich auf: Was habe ich gesagt, gibt es Heringe im Meer oder nicht? Er telegraphierte nach allen Seiten und zeigte den Fang an, eine Zeitlang beschäftigte er sich mit einem großen Plan, Heringe nach fremden Ländern zu verschiffen, in denen er bekannt war. Als er Bescheid bekam, wie klein der Fang war und daß man wirklich kein Aufhebens davon machen konnte, verlor er den Humor noch lange nicht: es sei gerade gut, daß es sich nicht um eine solche Masse handle, ein großer Fischzug hätte das Netzboot für längere Zeit ferngehalten und dadurch den Fabrikbau verspätet. Gerade weil er nicht nur eine, sondern viele Ideen auf einmal hatte, konnte er eine undurchführbare mit einer durchführbaren ersetzen.

Es gab einige Schwierigkeiten mit den herbeigekommenen Kauffahrzeugen: Joakim wollte keine Fische verkaufen. Joakim war nicht nur Netzbaas, sondern auch Bürgermeister, er hatte den Kopf noch nicht verloren durch sein Glück, sondern trug eine gewisse Nahrungsnot daheim, gewisse Gewalttaten noch in frischer Erinnerung, er wollte den Fischfang für seine eigene Gemeinde und Stadt behalten. Dagegen war nichts zu sagen, aber die Käufer, die durch Augusts Telegramme herbeigerufen worden waren, sahen sich nun betrogen.

Du hättest nicht telegraphieren sollen. Jetzt habe ich Schwierigkeiten mit diesen Burschen, sagte Joakim.

August wollte selber die Verhandlungen mit ihnen übernehmen. Schick sie zu mir! sagte er.

Sie kamen. Es waren alte Bekannte und Aktionäre der Bank: Großnetzbesitzer Iversen, der mit seinem Netzgerät ausgefahren war, jedoch keinen Fang gemacht hatte und jetzt kaufen wollte, ein anderer alter Bekannter war Lyder Milde von der Jacht »Rosa«, die mit lauter leeren Tonnen zum Einsalzen gekommen war. Diesen beiden hatte sich Großnetzbesitzer Gabrielsen im feinsten Haus der Bucht ohne besonderen Anlaß angeschlossen, die ersten kamen jedoch, um zu klagen, sie seien betrogen worden, wie könne August von einem großen Fischfang telegraphieren, wenn es sich doch nur um eine Menge handelte, die für die nächsten Tage ausreichte?

Ja, sagte August, an seinem guten Willen liege es nicht, daß sie keine Heringe bekämen. Ach, du guter Gott, er sei viel zu tief im finstern Tal des Todes gewesen, als daß er jetzt nichts anderes zu tun wüßte, als sich Spitzbubenstreiche gegen seine guten Freunde und Bekannten auszudenken. Sie sollten nur wissen, was er alles durchgemacht habe, er sei geradezu fromm dadurch geworden.

Aber Iversen fragte hitzig, zum Teufel, wie er denn dazu käme, von einem großen Fischfang zu telegraphieren?

Das käme gerade daher, daß er fromm geworden sei. Er pflege nicht zu übertreiben und zuviel zu sagen, von diesem Laster sei er frei, aber ob sie denn nicht selber fänden, daß Gottes Gnade groß sei, wenn man bedenke, wie er die Bucht gerettet habe? Gottes Herzensgüte sei so groß gewesen, nicht der Fischfang. Und genau so habe er es auch gemeint.

Geschwätz! sagte Iversen und war böse.

Natürlich war es Geschwätz, und August begriff selber, daß er dumm geredet hatte. Er schwieg. Er hatte keine Übung im Lügen mit niedergeschlagenen Augen.

Iversen draufgängerisch: Ja, wie stellt Ihr Euch das nun vor, wollt Ihr uns etwas bezahlen?

Lyder Milde trat hinzu und sprach besonnen: Die Sache sei so, daß es doch keine Kleinigkeit für sie bedeute, diese meilenweite Reise, die mit großen Ausgaben verbunden war, aufs ungewisse hin zu machen, – ob nicht August der Ansicht sei, daß er eine kleine Entschädigung dafür geben müsse?

Doch, sagte August wie ein großer Chef.

Iversen, immer noch heiß: Ja, denn darüber kann doch kein Zweifel sein, daß wir mit dem Telegramm in der Hand –

Milde: Übertreib jetzt nicht, Iversen! Du hörst doch, daß er mit sich reden läßt.

August ist willig; er verläßt Gottes Gnade und Herzensgüte und steht wieder auf der Erde, wo er sich heimisch und sicher fühlt: Bring mir meine Brieftasche, Edevart! Er zeigt ihnen vielerlei Papiere und Prospekte mit Farben und Stempeln und hohen Ziffern.

Was sollen wir damit? fragten sie.

Ja, was sie damit sollen! gab August zu. Sie verstanden nichts von ausländischen Wertpapieren. Er bat um eine Frist, bis er wieder ganz gesund sei, er müsse nach Drontheim hinunter, auf die Bank von Norwegen und wechseln –

Sie machten einen Überschlag und rechneten aus, was als eine angemessene Entschädigung für diese Fopperei anzusehen sei. August ging auf alles ein, schwätzte, schwätzte. Sie errechneten einhundert Kronen für jeden, er wollte das Geld senden, wenn er gewechselt hatte, damit fanden sie sich widerwillig ab.

Aber da sie nun schon einmal hier seien, sagte Großnetzbesitzer Iversen, so wollten sie doch auch ein wenig Nachschau halten, wie es mit der Bank stehe, an der sie beteiligt seien –

Mit der Bank, – ho! August hatte nie von einem besseren Geschäft gehört, es war mit nichts anderem zu vergleichen. Er sprach von großen Viehherden, von Silberminen, von einer gewissen Höhle in einem Land, das Bolivien genannt wurde, – nun, Ihr kennt doch sicher das Land, Kapitän Milde?

Nein, Jachtschiffer Lyder Milde war noch nirgends gewesen als nur hier nördlich im Westfjord. Er war ja auch noch ein ganz junger Kerl.

Na, aber also eine Höhle in Bolivien. Und dort hatte der Präsident seine Bank. Zu dumm, daß sie keine ausländischen Sprachen verschiedener Art verstanden, er hätte ihnen etwas vorlesen können. Aber das wollte er sagen, daß die Bank – die Sparbank der Bucht – wie eine Silbermine florierte und so sicher war wie nur irgendeine Bank in einer Höhle. Liebe gute Leute, es gehört ihr ja bald die ganze Stadt. Nun ja, er wollte natürlich nicht von einem solchen reichen Herrn und reichen Mann sprechen wie Gabrielsen, der das feinste Haus nördlich von Bodo hatte. Ob sie übrigens schon einmal bei ihm im Gang gewesen wären und durch die bunten Scheiben aus Indien geschaut hätten? Das sollten sie ja nicht versäumen.

Gabrielsen, der bisher geschwiegen hat, fragt: Ja, aber sollten wir nun nicht einen kleinen Gewinn von unseren Aktien haben, eine kleine »Ausbeute«, wie es auf deutsch heißt?

Richtig! August ist der gleichen Meinung. Wir haben kürzlich in der Bank darüber gesprochen.

Soll nicht eine Versammlung von uns allen einberufen werden?

Wiederum richtig! Aber er war ja für Wochen und Monate aufs Krankenlager geworfen worden, und dadurch hatte nichts geschehen können. Er hatte nicht einmal seine eigenen großen ausländischen Geschäfte wahrnehmen können, hatte Zehntausende daran verloren. Aber man konnte ja froh sein, wenn man mit dem Leben davonkam.

Wieviel Prozent August glaube, daß sie bekommen könnten? fragte Gabrielsen.

August prompt und sachlich: Sie könnten ja selbst einen Überschlag machen, wieviel eine Bank in einer neuen Stadt wie die Bucht im ersten Jahr verdienen könne. Sie könne zwar reich an Häusern und unbeweglichem Besitz werden, aber Geld –? Wer hatte Geld? Einige wenige, wie Gabrielsen selber und der alte Karolus, und im übrigen auch noch Pauline und ähnliche. Aber Geld bei den Leuten im allgemeinen? Nennenswertes Geld würde es hier nicht eher geben, als bis die Fabrik gebaut und in Betrieb genommen sei. Dann aber sollten sie ihre Wunder erleben! Weil sie gerade davon sprächen: sie wollten doch sicher gern einige Aktien für die Heringsmehlfabrik haben?

Hm. Ach nein, sie hatten leider nicht die Mittel dazu.

Mittel, – sie? August mußte lachen bei diesem Gedanken! Alle drei reiche Leute, Haus und Hof, Fahrzeuge, Netzgeräte, Bankaktien, – nein, so etwas!

Was soll das für eine Fabrik werden? fragte Lyder Milde, der jung und neugierig war.

Nun, eine Heringsmehlfabrik, Industrie in der Bucht. Nur die Industrie einzig und allein kann Geld schaffen. Der verstorbene Ottesen hat auf das erste Wort hin für fünfzehntausend Kronen Aktien genommen –

Für fünfzehntausend Kronen? ruft Großnetzbesitzer Iversen.

Ja, waren es nicht fünfzehntausend? Es haben so viele gezeichnet, ich erinnere mich nicht mehr genau. Aber ihr wißt doch, daß Ottesen ein ungeheuer kluger und auf allen Gebieten wohlerfahrener Großnetzbesitzer war, und wenn der bei einer Sache mittat –

Sie wollten es sich jedenfalls überlegen, sagten sie und wichen aus.

Tut das! Und laßt mich so bald wie möglich wissen, wieviel Aktien ihr haben wollt! Edevart, magst du Pauline bitten, schnell zu mir heraufzukommen?

Pauline kam.

Ohne die Augen niederzuschlagen, sagte August: Ich wollte dich fragen, ob du zweihundert Kronen in norwegischem Geld holen willst, die ich diesen Herren schuldig bin.

Pauline braute in Gedanken eine recht freche Absage zusammen, unterdessen aber warf Lyder Milde ein: Nein, es eile doch nicht so mit dem Geld –

Das weiß ich wohl, sagte August. Aber ich liebe es nicht, diese norwegischen Kronen und Öre schuldig zu bleiben, um so mehr, als ich doch bei der Vogelinsel ein Netzboot liegen habe, das einen Heringsschwarm eingeschlossen hat. Das macht wohl immerhin alles miteinander einige Tausend aus.

Das konnte Pauline nun einstecken! Sie ging fort und kam mit dem Geld zurück, wahrhaftig, sie kam damit zurück.

Ich danke dir, Pauline, sagte August und war ein Chef und ein Mann der Formen. Er wandte sich an die Männer: Ich bin an Händen und Füßen gebunden, bis ich wieder gesund bin und zur Bank von Norwegen gehen kann. Aber bis dahin habe ich doch wenigstens bei Pauline Kredit auf norwegisches Geld.

So, meinst du? fauchte Pauline zähneknirschend und fügte hinzu: Davon weiß ich nichts.

August blinzelte den Männern zu. Sie mußten doch dieses Wortgefecht als puren Spaß zwischen ihnen beiden auffassen, und sie brummten und lachten dazu. Pauline verließ den Raum im Zorn.

Die Männer saßen nun da, jeder mit seinem großen roten Geldschein, und waren etwas verlegen, etwas flau: Es hätte nicht so geeilt mit dem Geld, keineswegs. Aber das mußten sie sagen, so eine anständige und bare Ausbezahlung hätten sie noch nicht erlebt! Keine Spur von Feilschen! Hast du gehört, Iversen, daß er auch nur zehn Kronen abgehandelt hätte?

Iversen war fast der eifrigste im Loben: Ich habe nur gehört, daß er einfach die Anweisung zur Auszahlung gegeben hat!

Geschäft ist Geschäft, sagte August und machte sich bereitwillig daran, die drei Männer, die er einfangen wollte, zu unterweisen, ja, als sei er ein Freund der Familien. Er schwebte nicht, er hatte seine »Erdkruste« unter den Füßen, saß da auf der Lauer und voll guten Glaubens und tischte ihnen eine Geschäftslüge nach der anderen auf, tischte Zahlen und Berechnungen, Hundekünste, Perlen von Schwindel auf, und bei all dem war er unschuldig in seinen Absichten. Er war unschuldig, er glaubte an seine Mission und log ehrlich und redlich zu deren Vorteil. Er saß da in seinem Stuhl, krank und verlogen, und war ein Ausdruck der Zeit und der Entwicklung.

Die Fabrik kann jeden Tag und jede Stunde ins Leben gerufen werden, sagte er. Der Zement liegt bereits an der Haltestelle, gekauft und bezahlt, es handelt sich nur noch ums Abholen. Der Bauplatz kostet nichts, wir errichten die Fabrik ganz nahe am Meer und strecken sie von dort aus bis an den Steilhang und ans tiefe Wasser, so daß die Fahrzeuge unmittelbar daran anlegen können. Wenn wir die Wände aufgeführt haben, bekommen wir die Maschinen nach Maß. Ich bin nicht unerfahren darin, ich habe schon früher Fabriken und Mühlen gebaut, und Edevart hat, wie er dort sitzt, in Amerika Kirchen und große Schiffskaie aus Zement gebaut.

Edevart steht auf, geht mit schweren Schritten in sein eigenes Zimmer hinüber und schaut dort zum Fenster hinaus. Sein Rücken ist gebeugt; wenn er den Kopf neigt, kann er gerade noch durch die oberste Fensterscheibe hinausschauen. So lang ist Edevart Andreassen, der große Bruder.

Nebenan reden sie weiter. August ist schon ganz verwachsen mit der Fabrik, die ersten, die Aktien zeichnen, werden auch die ersten bei der Verteilung der Freiaktien sein. Mit der Einbezahlung war es nicht so gefährlich, zehn Prozent sofort, der Rest, je nachdem das Geld gebraucht wurde. Es war haarscharf ausgerechnet worden, daß die Fabrik mit sechsundneunzig Prozent Verdienst arbeiten würde.

Sechsundneunzig Prozent? ruft Iversen.

Vorausgesetzt, daß Heringe da sind! sagt Gabrielsen. Die sind doch gänzlich aus der Bucht verschwunden.

August lächelt: Verschwunden? Im Meer draußen gibt es Heringe genug, schaut zur Vogelinsel hinaus! Ich habe zu den Männern gesagt: Fahrt hinaus und schließt einen Schwarm ein, klein oder groß! Und das haben sie getan.

Lyder Milde: Wenn die Sache etwas Richtiges sein soll, so müßten da doch für mehrere Tausend Aktien gezeichnet werden, und ich habe, wie ich hier sitze, nicht einmal genug zur ersten Anzahlung. Wie sieht es bei dir aus, Iversen?

Ich auch nicht! sagt Iversen nur.

Auch für diese erste Anzahlung weiß August einen Rat, er will ihnen behilflich sein, und er tut so, als erwiesen sie ihm damit gleichzeitig selber einen Dienst: Diese Fabrik läge ihm nun einmal am Herzen, und er sehne sich danach, anfangen zu können. Ob die beiden nicht zur Haltestelle fahren und den Zement holen könnten, der eine mit der Jacht, der andere mit seinem großen Netzboot, und so die ganze Sendung auf einmal herschaffen? Das würde schon wieder hundert Kronen für jeden von ihnen ausmachen.

Sie schlugen augenblicklich ein. Das war ja nur eine kleine Fahrt, sie versäumten nichts dabei und verdienten obendrein noch Geld. August war doch ein seltsamer Mann, wie er auch hier einen Ausweg wußte.

Er holte zum letzten Schlag aus: Nein, er hätte wahrhaftig nicht solche Eile gehabt, ihnen zu dieser Sache zuzureden, wenn nicht die Stadtgemeinde und das Nordland-Amt bereits auf Aktien lauerten. Sobald diese großen Aktionäre ihnen vorauskämen, beständen doch für den gewöhnlichen Mann geringe Aussichten auf Freiaktien. Und das hätte doch nicht wenig zu sagen.

Freiaktien, – wieso?

Aktien, die geschenkt werden, ein Geschenk auf die flache Hand. Überlegt euch das!

Der Erfolg war, daß sie sofort zeichneten, daß alle drei sich auf der Stelle eintrugen. Ja, das war nicht zu vermeiden. Da waren die beiden gekommen, um eine Entschädigung zu verlangen, endgültig aber schuldeten sie nun eine große Summe. Sie waren von Vesteraalen, und jeder besaß einen kleinen Hof mit vier Kühen und einem Pferd. Der dritte, Gabrielsen, vom Handelsstand, zeichnete als zugezogener Buchtbewohner. Er besaß sein vornehmes Haus und ein Netzgerät, und zum Unterschied von Bankchef Rolandsen zum Beispiel hatte er keine Bargeldschulden auf der Bank. Dagegen schuldete er nicht wenig im Kramladen bei Pauline. Als er ging, sagte er sorglos lachend: Ich war eigentlich gekommen, um Pauline meine Schulden zu bezahlen, aber jetzt ist das Geld wieder dahin!

Es gibt noch mehr dort, wo es hergekommen ist! antwortete August und tat ihm schön.

Und jetzt atmete August auf. Es war kein großer Coup, den er da vollbracht hatte, aber es war immerhin eine Affäre von weiteren Sechstausend für die Fabrik, und er war zufrieden mit sich selber.

Von dir hat man ja nicht gerade viel Hilfe, sagte er zu Edevart. Kaum, daß du einmal genickt hast. Oder wie war es, hast du vielleicht genickt?

Edevart schwieg.

Ich merke schon, dir paßt etwas nicht. Ich habe wohl für einen so gottesfürchtigen Windhund und Kindsvater in allen Gemeinden, wie du einer bist, nicht aufrichtig genug gesprochen! Möchtest du mir vielleicht einmal eine Antwort geben?

Edevart schwieg.

August hatte wohl Anerkennung erwartet, hatte ein wenig Lob erwartet, aber er blieb allein mit seiner Zufriedenheit, und so sagte er wütend: Willst du mir vielleicht sagen, was ich Schlimmes getan habe? Mußte ich ihnen nicht alles erklären, um sie dazu zu bringen? Du meinst wohl, ich hätte selber alles geglaubt, was ich sagte? Aber diese Sünde habe ich jedenfalls nicht begangen, und Gott sieht auf das Herz und sieht, daß ich nicht so verhärtet bin. Aber gleichviel, jedenfalls haben wir jetzt Geld, um mit dem Bau der Fabrik anzufangen.

August gab seinen Kameraden auf, wandte sich von ihm ab und schwieg.

Jetzt aber spricht Edevart diese Worte aus, die wie zusammengespart waren: Ja, du hast wirklich guten Lebensmut, August!

 

Gewiß, Augusts Lebensmut war unbeschädigt. Er wurde zusehends gesünder, und eines Tages zog er zwei Joppen an und ging wieder in die Welt hinaus, Pauline schielte zu ihm hinüber, als er vorbeikam.

Die Erde war noch kaum aufgetaut, als er schon Menschen und Pferde anstellte, die Sand und Steine zum Zementieren herbeischaffen mußten, ungeheure Mengen von Sand und Steinen, so daß die Leute sich wunderten. Er zimmerte ein Floß, vermaß den Bauplatz, rechnete, überschlug, goß Betonblöcke, die er trocknen und schließlich als Grundmauern ins Meer versenken ließ. Es war sehenswert, wie rasch alles ging, aber es waren auch viele Männer bei der Arbeit, Edevart als Vorarbeiter und Roderik, der Postbote, als seine rechte Hand. Der Leiter des Ganzen aber war August selber, obgleich er der fleißigste Arbeiter war und immer der erste, wenn es galt, ins Wasser zu springen, um einen Betonblock an seinen Platz zu schaffen. Jetzt war er in seinem Element.

Auf diese Weise vergingen ein paar Wochen, samstags hielt August Lohnauszahlung für Menschen und Pferde, er bezahlte willig, solange er Geld hatte, und als die Netzmannschaft von der Vogelinsel heimkam, erhielt er aus der Gemeindekasse eine schone Summe Bargeld für den Fischfang. Alles, was er nur zusammenkratzen konnte, wurde zur Lohnauszahlung verwendet.

Dagegen ging es sehr zähe mit der Einzahlung der Kaufsumme für das Netzgerät. Karolus hatte seinen Anteil bezahlt und ebenso Bürgermeister Joakim, aber alle übrigen aus der Mannschaft versagten. Was war da zu machen? August brauchte allmählich Geld, er war nun mit dem Bau ziemlich weit gekommen, die Grundmauer reichte jetzt sogar schon bei Flut über die Wasserlinie hinaus, aber der Boden sollte schwere Stahlschienen bekommen, und zwischen diesen sollten als Verbindung dreiachtel Zoll starke Rundeisen dicht an dicht verwendet werden, – all dieses teure Stahl- und Eisenmaterial war nun gekommen, jedoch nicht bezahlt. August ging in seiner Not zu Karolus.

Er ging auch nicht umsonst, Karolus als der Ehrengreis und Matador, der er war, versprach alle unbezahlten Anteile an dem Netzgerät einzulösen, es würde doch nicht gut aussehen, wenn er, der Mittel im Überfluß besaß, sich weigern wollte. Komm gleich mit mir, sagte er, dann gehen wir zu Pauline hinüber!

Sie mußten Pauline gut zureden. Sie war von vornherein gegen die Fabrik eingenommen und sagte: Ich wäre froh, wenn solch ein Mann wie Ihr, Karolus, das Geld zu etwas Besserem verwenden wollte!

Wieso? fragte Karolus.

Ja, das sage ich offen heraus!

August braucht das Geld für seinen Bau, es ist ja sein eigenes Geld für das Netzgerät, ist dagegen etwas einzuwenden?

Pauline meinte erbittert: Seht Ihr denn nicht, daß er sich noch zu Tode baut? Mitten am Tag springt er ins Wasser und legt Steine auf seine großartige Mauer, dann setzt er sich triefend zum Abendessen, das Wasser rinnt nur so von ihm ab, unter seinen Füßen ist ein See, wenn er am Tisch sitzt.

Bist du so töricht, August? fragt Karolus väterlich.

Ja, so ein kerngesunder Kerl und ein Juwel ist er!

August zahm: ja, aber jetzt sind wir über der Wasserlinie, und es wird keiner mehr von uns naß. Das darfst du glauben.

So hör doch nur, Karolus, wie er redet. Er meint also, daß er jetzt kein Schauspiel und keine Hanswurstiade mehr aufführen wird! Nein, das beste wäre, Ihr könntet ihm aus dem Land helfen, denn hier richtet er sich noch zugrunde. Tropfnaß den ganzen Tag, gerade als ob das eine notwendige und heilige Mauer für den Tempel Salomons wäre. Eigentlich geht es mich ja nicht das mindeste an, aber es ärgert einen doch, es mit anzusehen.

Karolus gibt ihr recht und sagt: Du mußt mir versprechen, in Zukunft trocken zu bleiben, August, hörst du?

Ja, gibt August zur Antwort und fügt sich, denn er braucht das Geld.

Aber nicht genug damit, fährt Pauline fort, er verbaut auch noch alles, was er besitzt. Eigenes Geld, sagt Ihr? Ja, wenn es wenigstens nicht das wäre! Er verdient da und er verdient dort, und alles miteinander steckt er in diese Mauer hinein. Es ist ein wahres Blutgeld, das er aus sich selber heraussaugt, und er behält nicht einmal soviel zurück, daß er sich ein Hemd dafür kaufen könnte.

Bist du so töricht? fragt Karolus wieder.

Lauter Geschwätz! antwortet August und zieht die Brieftasche heraus. Pauline begreift nicht, daß ich mit diesen Wertpapieren auf die Bank von Norwegen muß.

Das sind ja lauter Lügen! schreit sie.

Laß mich sehen! sagt Karolus und studiert die Papiere mit den vielen Stempeln und Ziffern. Karolus gibt sich geschlagen, die großen Zahlen überzeugen ihn, und er sagt: Ja, Pauline, nun mußt du vernünftig sein! Ich verstehe nicht einen einzigen von diesen Scheinen, er muß also wirklich damit zur Bank von Norwegen in Drontheim. Denn ich kann mir nicht denken, daß man in Bodo sich trauen wird, solche Scheine einzulösen.

Ja, erwidert Pauline, dann soll er doch endlich einmal zu der Bank von Norwegen fahren und mit der Sache fertig werden.

August: Wenn ich nur Zeit hätte, ich wollte heute noch fahren.

Dazu hat er keine Zeit, gibt Karolus vermittelnd zu und schüttelt den Kopf. So, Pauline, jetzt mußt du mit dir reden lassen, gib mir das Geld heraus, das August bekommen soll. Darüber ist nichts mehr zu sagen! Denn ich will nicht in einer Netzmannschaft sein mit Leuten, die nicht recht an ihm handeln ...

Mit diesem Geld konnte August die Rechnung für das Stahl- und Eisenmaterial bezahlen und gleichzeitig den Auftrag auf Wellblech für das große Dach erteilen. Aber für die wöchentlichen Lohntage blieb zu wenig übrig. Er drängte den Großnetzbesitzer Gabrielsen wegen einer neuen Einzahlung auf die Aktien, Gabrielsen mußte sich an seine Familie aus dem Handelsstand wenden und bekam von dort auch einige hundert Kronen, die er August brachte. Danke, sagte dieser, es ist nur eine vorübergehende Geldverlegenheit! Er sah es kommen, daß er in kurzer Zeit wiederum mittellos dastehen würde, und telegraphierte jetzt an die Aktionäre in Vesteraalen, Lyder Milde und Großnetzbesitzer Iversen. Keine Antwort. Telegraphierte wiederum, – endlich ein gemeinschaftlicher Brief von beiden, daß sie kein Geld hätten.

August kratzte sich hinterm Ohr und telegraphierte zum drittenmal, und diesmal in drohendem Ton, erhielt Antwort, daß sie jetzt im Sommer unmöglich ihre Kühe verkaufen könnten, da die Tiere sich selber auf der Weide ernährten und man mit der Erzeugung von Butter und Käse gerechnet habe. Das waren Zustände, – was gingen August Kühe und Butter und Käse an? Geld, Geld –

Er ging zu Pauline und verlangte, daß sie ihm die fünftausend Kronen von Großnetzbesitzer Ottesen aushändige, die ausdrücklich für den Bau der Fabrik eingezahlt worden seien. Pauline antwortete ihm, indem sie eine Art Versammlung von hartherzigen und entsetzlichen Menschen einberief, die über die Angelegenheit beraten sollten. Da saßen Bankchef Rolandsen, Karolus, Pauline und endlich August selber, Rolandsen schlug in einem Protokoll nach und wies darauf hin, daß Ottesens Fünftausend und vielleicht noch mehr dazu nötig seien, die vielen Bürgschaften von August zu decken. An und für sich nahm August es sich nicht zu Herzen, dieses Geld so hinausgeworfen zu haben, wenn er nur statt dessen anderes Geld bekam, aber jetzt saß er fest. Pauline war störrisch, und der jämmerliche Rolandsen mit seinen verkrüppelten Nägeln gab ihr in allem recht, weil er ihr im Laden und auf der Bank Geld schuldig war. Kleinliche Wirtschaft, klägliche Verhältnisse, in Mexiko und auf Sumatra betrachteten die Menschen die Dinge viel großzügiger –

Wieviel brauchst du? fragte Karolus.

Etwa sechshundert Kronen, erwiderte August, ich bin ja nur gegenwärtig in Verlegenheit, bis ich gewechselt habe.

Sechshundert war nicht viel, es war nichts, aber er wagte nicht, eine größere Summe zu nennen. Und trotzdem gelang es Pauline, noch die Hälfte herunterzuhandeln, August verließ die Bank nur mit einem kümmerlichen Wochenlohn.

Er wandte sich an andere Stellen, er lieh sich Edevarts Geld, und als dieses verbraucht war, vertröstete er die Leute auf später. So kämpfte er sich Woche für Woche durch und baute die Fabrik, die vier Wände schossen in die Höhe und zeugten von getreulichem Streben.

Im übrigen kam jetzt eine Zeit der Niederschläge, der Frühjahrsregen setzte ein, und die Arbeit mußte eingestellt werden. August kratzte sich hinter den Ohren vor Ärger über diesen Aufenthalt. Es dauerte eine ganze endlose Woche, dann kamen wieder Sonne und Ostwind, und August rief die Arbeiter wieder herbei. Neue Prüfungen, die Leute erschienen, waren jedoch faul geworden von dem Müßiggang und ließen sich jetzt mit dem Lohn nicht mehr auf später vertrösten Habt ihr denn eine andere Arbeit? fragte August. Nein, aber sie seien nicht in der Lage, auf den Tagelohn warten zu können. Seid ihr vielleicht in der Lage, müßig herumzugehen? fragte August.

Sie waren nur noch zu zweit auf dem Bau: er selber und Edevart. Wenn Roderik daheim war, beteiligte er sich ebenfalls. Dann waren sie zu dritt. Zoll für Zoll kämpften sie sich die Wände hinauf, sie kamen bis zum Trockenspeicher, wo wiederum Stahlschienen gelegt und ein Zementboden gegossen werden sollten, aber es gab wieder Regen, und August mußte müßiggehen.

In dieser Zeit machte er viel durch, er wanderte umher, grübelte, redete mit sich selber und landete häufig im Kramladen. Pauline meinte stichelnd, jetzt könnte er doch die günstige Gelegenheit ausnützen und zur Bank von Norwegen reisen. August tat so, als überlege er das, schüttelte jedoch den Kopf, er wage jetzt den Bau in diesem Zustand nicht zu verlassen. So, du hast wohl Angst, daß wir dir während deiner Abwesenheit deine Fabrik stehlen? fragte sie. Er wandte sich ab und schwieg. Wie, – weinte er? Pauline wurde plötzlich etwas anders, wurde gar nicht so wenig anders, sie griff sich ans Herz. War es möglich, daß er dastand und weinte? Er befand sich sicher in einer schweren Verlegenheit, hatte vielleicht nicht einmal das Reisegeld nach Drontheim –

Ich kann dir das Reisegeld leihen, sagte sie.

Ja, erwiderte er, ohne aufzusehen, du kannst mir die dreihundert Kronen geben, um die du mich neulich bei Karolus betrogen hast.

Na, der arme Kerl zog wohl diese Form als weniger demütigend vor. Sie öffnete den großen Geldschrank, holte die Scheine heraus und legte sie auf den Tisch. Da lagen sie nun.

Plötzlich drehte August sich um, nahm das Geld an sich und sagte: Ich danke dir, Pauline, ich wußte ja, daß du so gescheit sein würdest. Ich stecke jetzt eben gerade in einer Verlegenheit. Drei Mann allein können nicht die schweren Bodenschienen legen, wir müssen zu sechst sein.

Und schon war er zur Tür hinaus. Nichts ließ darauf schließen, daß er geweint hatte.

Noch am gleichen Nachmittag sah Pauline sechs Leute auf dem Bau, sie waren damit beschäftigt, etliche ungeheure Stahlschienen in die Höhe zu schieben und sie im ersten Stock als Bodenschienen aufzulegen. Regen und Sturm hinderten sie nicht.

Am Abend sagte Pauline zu August: Du willst also das Reisegeld für den Bau verwenden?

Nein, wo denkst du hin! antwortete er. Die Sache ist nur die, daß diese Schienen unbedingt gelegt werden mußten, und das können wir ja ebensogut bei Regen wie bei Sonnenschein machen. Nein, Pauline, da irrst du dich, mir bleibt noch mehr als genug für die Reise.

Aber die Sache mit den Schienen und mit den Hunderten von Rundeisen und mit der Verschalung für den Boden und zweihundert Kleinigkeiten dauerte so lange, – so lange dauerte das, daß das schlechte Wetter inzwischen aufhörte und die Sonne wieder schien. Was konnte man da anderes tun, als die Reise zur Bank von Norwegen verschieben und mit sechs Mann weiterbauen, solange das Geld reichte!


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