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XVI

Es wurde sehr schlimm in der Bucht, nichts zu essen, keine Hilfe, Verzweiflung breitete sich aus, und niemand lächelte mehr. Nein, niemand lächelte mehr. Die Leute begegneten einander und sahen zu Boden.

Allerdings tauchten dann und wann Gerüchte von Heringsschwärmen draußen auf, aber es blieb jedesmal nur bei der losen Hoffnung. Jetzt war es Ende März, der Lofotfischfang war ein Mißerfolg gewesen, – für jene Bewohner aus der Nordgemeinde, die noch auf den Fischfang auszogen; die von den Behörden in Aussicht gestellte Hilfe blieb aus. Die Behörden, was war das? Ein Departement, das dasaß und den Finger an die Nase legte. Es war so weit gekommen, daß die Bucht vielleicht sogar ihr eigenes Postamt aufgeben mußte, da Teodor und Roderik keine Kräfte mehr hatten, mit dem Boot an die Haltestelle zu rudern.

Es kam vor, daß die Leute anfingen, nach August zu fragen. Es war ein schwarzes Unglück, daß er ausgerechnet jetzt auf den Tod krank sein mußte. Schaut, da war nun wirklich auch der Zement gekommen, eine ungeheure Ladung, die an der Haltestelle gelöscht wurde, – ja, und dort liegenblieb, weil niemand die Kräfte hatte, sie mit dem Boot zu holen. Aber Zement war doch nichts Eßbares? Nein, natürlich nicht, schwätzt nicht solchen Unsinn, Zement war Zement und nichts anderes, Zement für eine Fabrik. Aber der Mann, der nur ein Wort zu sagen brauchte, und schon kam der Zement tonnenweise herbei, – der Mann hätte vielleicht auch in der tiefen Not der Menschen einen Rat gewußt. Das war leicht möglich. Wann hätte man es je erlebt, daß August gänzlich ratlos gewesen wäre? Joakim, der Bürgermeister und Anführer sein sollte, – nun ja, in seiner Art war er ja ganz gut, das mußte man ihm lassen. Jetzt aber erwies er sich doch jedenfalls als machtlos. Er heftete an der Wand ein Telegramm an, und weiter unternahm er nichts. Was hätte August getan? Er wäre nach dem Süden gereist und hätte vor dem König auf den Tisch geschlagen. Glaubt ihr nicht?

Ja, das glaubten alle.

Sie gingen ins Café und riefen über die Treppe in den ersten Stock hinauf leise nach Edevart. Edevart kam. Sie erkundigten sich nach dem Kranken, wie es denn um ihn stünde, und ob er irre rede und niemand kenne? Sie baten Edevart, ihn recht herzlich zu grüßen, und der liebe Gott gebe, daß er bald wieder gesund werde –

Was wollten sie von dir? fragte August.

Sie wollten sich erkundigen, wie es dir geht.

So, sagt August gleichgültig.

Sie baten mich, dich recht herzlich zu grüßen.

So.

Nein, er kümmert sich nicht darum, es hat keine Bedeutung für ihn, er ist sehr krank und geschwächt, er ist zu nichts nutze und muß sterben. Bisweilen sieht er Edevart erschrocken an und greift nach dessen Hand, er fürchtet den Tod und weint und ist niedergedrückt. Der Tod macht ihn dumm vor Entsetzen, es ist ganz unmöglich, damit zurechtzukommen, er heult ihm entgegen und weiß nicht, was er anfangen soll. Er fragt Edevart: Hat der Doktor gesagt, daß es gefährlich ist? Ja, sagt Edevart. Hu, da hörst du's, ich muß sterben! Nun sei doch so gut und gib mir wieder Tropfen. Nein, sagt Edevart, du hast vorhin erst bekommen.

Der Kranke schließt die Augen, es röchelt in seiner Brust, das Atmen fällt ihm schwer. So, es ist gefährlich, sagt er. Edevart, du mußt dem Doktor sagen, daß er mir helfen muß, es ist mir ganz gleich, was es kostet. Er hat mir befohlen, noch sechs Monate zu warten, – ja, sechs Monate zu warten. Aber jetzt mußt du ihm von mir sagen, daß ich sechs Jahre warten will, ich will mein ganzes Leben lang warten, das mußt du ihm unbedingt sagen.

Ja, gibt Edevart zur Antwort.

So, es ist gefährlich, ja ja, es ist alles gefährlich. Aber die Ärzte sagen schließlich so viel. Was glaubst du selber, Edevart?

Ich weiß nicht.

Nun, du weißt nichts und du redest nichts, feixt August. Aber was hast du den Leuten gesagt, die sich nach mir erkundigten?

Ich sagte, daß es dir wohl etwas besser ginge. Daß du nicht mehr so viel jammerst und daß du mich erkennst.

Na, dann geht es mir wohl besser. Im übrigen meine ich aber, wenn hier eine Apotheke wäre und ich genug gute Tropfen bekommen könnte, würde ich mich erholen. Wie denkst du darüber?

Wieso? fragt Edevart. Ich gebe dir doch genug Tropfen nach dem Rezept.

August: Ich hätte für eine Apotheke hier in der Bucht sorgen sollen. Ich habe schon lange daran gedacht. Ach, es gibt so vieles, was ich noch hätte tun sollen! Und vor allem hätte ich etwas auf meinem Acker anpflanzen wollen, wenn ich das Frühjahr erlebt hätte. Aber ich werde bis dahin wohl nicht mehr leben, das ist wohl nicht wahrscheinlich. Was meinst du?

Der Doktor hat aber gar nicht gesagt, daß das schon der Tod ist.

Etwas anderes kann es wohl nicht sein, sagt August. Ich bin ein großer Sünder, Edevart; wenn ich so daliege und darüber nachdenke, dann gibt es keinen Zweifel, daß ich schlimmer bin als du, obgleich du überall in der Welt ledige Kinder hast; ich habe es nie soweit gebracht, bei mir kam immer etwas dazwischen. Aber siehst du, das hilft mir ja nichts, nachdem ich doch in Gedanken und Worten gesündigt habe. Und weißt du, daß ich meine vorigen Zähne, die Goldzähne, nicht bezahlt habe, war ja schlimm genug; aber die hier habe ich auch nicht bezahlt. Nein. Es hat sich nicht so gegeben. Das war eine große Sünde. Jetzt mußt du mir einen Eßlöffel voll Wasser geben –

Danach fährt August fort: Aber ich habe doch nie zu den Leuten gehört, die mit kaltem Blut Menschen umgebracht haben.

Nein, sagt Edevart.

Weder einen weißen Mann noch einen Wilden. Diese Sünde liegt nicht auf mir.

Nein.

Nein, sagst du? Woher kannst du das so sicher wissen? fragt August gereizt. Ich sage dir, ich war ein Draufgänger im Ausland, und mit Revolver und Messer konnte ich genau so gut umgehen wie irgendein anderer. Du für deinen Teil hast wohl überhaupt nie einen Revolver besessen?

Nein, gesteht Edevart. Oh, was weiter? Er kennt wohl seinen alten Kameraden und weiß, wie wenig ernst man ihn nehmen darf, wie wenig man sich auf seine Worte verlassen kann. Vielleicht hatte er überhaupt niemand kalten Blutes getötet und nicht einmal einen Schuß aus einem Revolver abgefeuert. Vielleicht aber lag er nun hier und log vor Gott und machte sich unschuldiger, als er war. Es war ihm alles zuzutrauen.

Aber ich habe viele andere schlimme Sachen getan, fährt August fort. Einmal nahm ich ein Boot auf der einen Seite des Flusses und verkaufte es auf der anderen Seite. Das bereue ich. Obwohl ich ja in der Nacht darauf zurückgehen und noch ein Boot hätte nehmen können, aber das tat ich nicht, um mir das Stehlen nicht anzugewöhnen.

Wie wäre es, wenn du nun versuchtest, ein wenig zu schlafen? meint Edevart.

August plötzlich: Welches Datum haben wir?

Edevart zählt und rechnet nach und meint, es müsse Ende März sein, etwa der achtundzwanzigste März.

So! sagt August erleichtert, also nicht gerade der Achtzehnte, ich bekam solch einen Schrecken. Ich will dir nämlich sagen, daß ich einmal mit dem Achtzehnten einen dummen Scherz gemacht und behauptet habe, es würde an dem Tag etwas Ernsthaftes geschehen. Das war nur Lüge. Seitdem fürchte ich mich zu Tode vor diesem Datum, das ist schließlich kein Wunder, ich habe Angst, der Leibhaftige könnte am Achtzehnten kommen und mich holen.

Edevart: Bis zum nächsten Achtzehnten sind noch drei Wochen, und bis dahin bist du wieder gesund!

Ich wollte, du hättest recht! Aber wir sind alle große Sünder, Edevart, darüber dürftest du auch gern etwas nachdenken und nicht nur dasitzen und gähnen.

Ich bin müde, sagt Edevart, ich habe jetzt Tag und Nacht bei dir gewacht.

Wir sind alle große Sünder, wiederholt August, und darum kommt es darauf an, wie es uns zum Schluß ergeht. Eine Stunde, – ja, das auszuhalten wäre keine Sache, eine gewöhnliche Stunde, aber eine ganze Ewigkeit, weißt du, und noch ein Jahr darüber.

Edevart schüttelt schwer den Kopf.

Ja, da siehst du's! Und weißt du, daß es siebenmal so heiß ist als im Feuer?

Wer hat das gesagt?

Siebenmal so heiß, denk daran!

Edevart steht auf: Nun sollst du aber nicht mehr reden. In einer Stunde bekommst du deine Tropfen wieder. Ich gehe jetzt hinüber und lege mich einen Augenblick hin.

 

Mit Augusts Zustand ging es auf und nieder, hatte er eine gute Nacht gehabt, fühlte er sich am Morgen meistens besser, aber die Besserung war nur von kurzer Dauer. Er hatte immer noch Anfälle von Grauen vor dem Tod, hu! Dem konnte man nicht ausweichen und den konnte man nicht aufhalten, er war unbegreiflich und entsetzenerregend. Und wie unendlich vieles August noch hätte ausrichten sollen! Wie alle Sterbenden hatte er wirklich keine Zeit, sein Leben und seine Tätigkeit zu verlassen, es strömte nur so auf ihn ein, was er noch alles hätte tun sollen. Edevart erzählte ihm von dem Zement, der eingetroffen war. Jawohl, das war gut; wenn er auf gewesen wäre, hätte er jetzt sofort mit Sand und Verschalungsmaterial und Schaufeln angefangen. Aber eine Hauptsache war der Zement ja nicht, die Apotheke war jetzt das Allernotwendigste. Er malte sich die segensreichen Folgen einer Apotheke in der Bucht aus, bei der die Leute so viele Medikamente für jede Krankheit bekommen und schließlich gesund werden konnten. Es war ein ungeheurer Unterschied zwischen einer Apotheke und einem kleinen Medizinschrank beim Doktor, Mixturen im Überfluß, die teuersten und glänzendsten Pillen, – Gott steh mir bei, Edevart, es wäre eine Lust, auf diese Art krank zu liegen, er wußte das vom Ausland her, herrliche Tage, ja, ein Leben im großen Stil, ein Millionär lag damals im Zimmer nebenan –

Es ging abwärts mit ihm, die Eßlust war nicht groß, auch stand es nicht gut um das Essen. Es kam ihm zugute, daß er sein ganzes Leben lang genügsam gewesen war, ausgenommen wenn er in jüngeren Tagen auf Landurlaub gegangen war und hatte glänzen wollen, da war ihm das Teuerste noch nicht teuer genug gewesen. Er äußerte Sehnsucht nach seiner gewöhnlichen Kost in der Kindheit: Milch und gekochte Kartoffeln, – lauf hinunter, Edevart, und bitte Pauline darum! Es dauerte endlos, bis er es bekam, in Wirklichkeit nicht länger als eine halbe Stunde, aber ach, wie lang war diese halbe Stunde! Lauf hinunter, Edevart, und frag, ob es nicht bald fertig ist, ich kann doch nicht daliegen und warten, wer weiß, ob ich noch so lange Zeit zu leben habe –

Dann kam Pauline mit dem Brett.

August runzelte die Stirn, sein Wille war es nicht, daß Pauline kam, er schämte sich vor ihr und drehte sein abgezehrtes Gesicht weg.

Wie geht es dir? fragte sie.

Besser, antwortete er kurz. Edevart hätte doch wohl das Essen holen können.

Ich mußte ohnedies heraufkommen, hier ist ein Brief an dich.

So. Vom Ausland, scheint mir. Geschäfte. Leg ihn dort hin.

Wie hast du geschlafen?

Keine Antwort. Nein, sie bekam kein Wort mehr aus ihm heraus und ging schließlich fort.

Nach dem Essen und einem kurzen Schlummer fing er wieder an: Und Kleider und Schuhe habe ich mehr als einmal genommen. Man bekam so leicht Lust auf sie, sie hingen in den Städten auf der Straße draußen, und ich ging hin und drehte und wendete sie und sah nach dem Preis. Du hast wohl nie auf diese Weise ein Kleidungsstück auf der Straße genommen?

Edevart dachte lange nach und antwortete: Nein, nicht daß ich wüßte.

Na. Nein, du bist ja auch nicht sonderlich helle. Und außerdem ist es auch so, wie ich sage, ich bin ein viel schlimmerer Sünder als du, viel schlimmer. Du kannst meine Düffeljacke dort bekommen. Sie ist fast nicht getragen.

Ich will sie dir nicht wegnehmen.

Was soll ich denn damit, wenn ich sterbe? Nimm sie nur, sie kostete mich nichts.

Hast du sie auch genommen?

Ich weiß es nicht mehr. Jedenfalls könnte ich sie nicht wieder zurücktragen. Gib mir jetzt die Tropfen, ich fühle es an mir, daß es Zeit ist.

Er nahm wiederum etwas Kartoffeln und Milch zu sich und fragte: Wie steht es nun mit mir, Edevart, fang ich wieder an, die Besinnung zu verlieren?

Jetzt? Nein. Warum fragst du?

Mir ist so, als hörte ich Gesang.

Ja, sagte Edevart, draußen singen ein paar Frauen.

Draußen, – die singen draußen?

Ja, beim Bach.

Ach Gott, und mir wurde so angst, ich glaubte, sie singen eine Leiche hinaus. Wenn ich doch nur gesund wäre, wahrhaftig, denen wollte ich etwas vorsingen! Weißt du noch, wie ich das Lied von dem Mädchen von Barcelona sang? Da hat doch alles geweint. Was singen denn die Frauen?

Sie singen ein Lied aus dem Gesangbuch.

Am Bach? fragt August. Sind sie verrückt geworden?

Ich weiß nicht. Sie sind erweckt.

August versinkt in Gedanken. Nach einer Weile fragt er: Erweckt, – wieso? Beten sie denn zu Gott und solches Zeug?

Ja.

Na. Edevart, jetzt brauch ich wohl wieder Tropfen.

Ja bald, antwortet Edevart geduldig.

Erweckt, – nein, das hat keinen Sinn, sagt August. Erweckt mußt du dein ganzes Leben sein, das nimmt ja kein Ende, du kannst dich nicht umdrehen und niesen, ohne daß es eine Sünde ist, und dann mußt du herumgehen und ewig bereuen und erweckt sein.

Ja, antwortet Edevart uninteressiert.

So, sie sind erweckt. Wer ist es denn?

Alle miteinander. Ragna ist eine von den Eifrigsten.

Teodors Ragna? fragt August und versinkt wieder in Gedanken. Ja, ich bin ein großer Sünder, sagt er. Weißt du, worüber ich mich freue, während ich so daliege? Wenn es wirklich wahr ist, daß ich sterben muß, so freue ich mich darüber, daß wir an dem Weg zur Kirche Bäume angepflanzt haben. Das war doch wohl wirklich ein gutes Werk in Gottes Augen?

Ja.

Aber im übrigen ist nichts als Weltlichkeit in mir gewesen, und jetzt will ich mich mehr und mehr von dem Tand und der Eitelkeit dieser Welt abwenden. So kannst du zum Beispiel meinen Spazierstock haben, der an der Wand dort lehnt.

Edevart schüttelt den Kopf.

Der und dann noch meine Meerschaumpfeife würden gut zu dir passen, wenn du am Sonntag, im Sonntagsanzug, zu den Nachbarn gehst und den Mädchen den Hof machst.

Nein, ich danke dir schön!

Warum war es August so darum zu tun, sich von seinen Besitztümern zu trennen? Vielleicht, um nicht allein zu sein mit seinem Diebesgut, es linderte, wenn man einen Kameraden hatte, der einen Teil seiner Sünden übernahm, man bekam dadurch Gesellschaft. Edevarts Weigerung regt ihn auf, und er führt ihn mit dem Koffer in Versuchung: Du sagst zu allem nein, du glaubst doch wohl nicht, daß ich den Stock gestohlen habe? Aber jedenfalls habe ich wenigstens den Koffer gekauft und bezahlt.

Ja, das ist wirklich wahr!

Du hast bei mir gewacht und mich die ganze Zeit gepflegt und bist mir eine große Hilfe gewesen, ich sage es, wie es ist. Du sollst den Koffer bekommen.

Ja, aber du wirst ihn selber noch brauchen, sagt Edevart aufmunternd. Wart es nur ab!

So, glaubst du? stimmt August ein und beruhigt sich für einen Augenblick. Er bekommt wieder einen Eßlöffel voll Wasser und wird belebter, dreht sich herum, ist mit irgend etwas beschäftigt und schwätzt mehr: Erweckt, – nein, so ein Blödsinn, Gott verzeih mir meine Sünden! Ich liege hier und denke darüber nach, daß man das viel schneller haben kann. Was machen denn zum Beispiel die Katholiken? Die gehen doch auch nicht ihr ganzes Leben erweckt herum. Wenn die sündigen, so gewährt ihnen der Pfarrer Vergebung, und dann ist es genau so, als hätten sie nicht gesündigt.

Ein leeres Hm! von Edevart.

Und die Katholiken sind doch auch Menschen, man sieht keinen Unterschied zwischen denen und uns, ich habe mit vielen von ihnen verkehrt. Einmal, als wir in Belfast lagen und Ladung einnahmen, kam ein eiserner Block aus der Takelage heruntergesaust und traf solch einen Katholiken auf dem Deck. Wir glaubten alle, es wäre vorbei mit ihm, und er bekam den Doktor und Pflaster und Tropfen, soviel er nur aushalten konnte. Die erste Nacht verging. Den Pfarrer! sagte er, und da sah es so aus, als ginge es mit ihm zu Ende. Aber Verzeihung, der Pfarrer kam, natürlich auch Katholik, verstehst du, und als man die beiden eine Zeitlang allein gelassen hatte, schien es wie ein Wunder, es ging dem Mann besser, er war erleichtert und froh und zufrieden damit, daß er sterben mußte, und alles miteinander. Das kam daher, daß er all das Unrecht eingestanden hatte, das er im Leben begangen hatte, und der Pfarrer hatte alle seine Sünden auf sich genommen und die Vergebung im Namen Gottes selber gewährt. Dazu haben die katholischen Pfarrer die Macht, – ist das nicht eine ungeheure Macht? Das ist etwas anderes als bei unseren Pfarrern; wozu haben die eine Macht? Ich habe keinen Funken Achtung vor ihnen, vor keinem einzigen von ihnen. Sollen wir unser ganzes Leben herumlaufen und erweckt sein? Hier ist es in einer halben Stunde geschehen.

Wurde der Mann wieder gesund? fragt Edevart.

Nein, er ist natürlich gestorben, das ist er, denn er war zuschanden geschlagen. Aber er war heiteren Gemütes, seitdem er sündenfrei war und selig werden sollte. Das ist doch eine großartige Macht, die die katholischen Pfarrer haben! In Senjen drüben sollen einige Katholiken sein, hast du davon gehört?

Ja, sagt Edevart, du erinnerst dich doch, wir trafen sie in unserer Jugend, als wir hausieren gingen.

August: Daran will ich nicht erinnert werden, das war eine sündige Zeit, ich will sie nicht in den Mund nehmen. Jedenfalls sind in Tromsö Katholiken, das weiß ich. Aber es ist wohl nicht daran zu denken, daß man deren Pfarrer hierherkommen lassen könnte.

Nein, das kann man wohl nicht, meint Edevart auch.

Erinnerst du dich, wie du einmal nach Tromsö gingst und mit ihm geredet hast?

Edevart schweigt.

Es ist mir ganz gleich, was es kostet.

Edevart: Ja, das weiß ich wohl. Aber warten wir noch ein Weilchen damit, du bist heute so viel frischer, finde ich.

Ist das wahr? Wieso frischer?

Ja, deine Augen und die Gesichtsfarbe.

Wollte Gott, es wäre so! wünscht August. Edevart, zünde doch einmal das Licht an und halte es gegen meine Hand, damit du siehst, ob noch Lebensblut in den Fingern ist.

Edevart versteht diesen Befehl nicht und schaut dumm.

Denn wenn kein Lebensblut mehr in meinen Fingern ist, dann ist es traurig weit mit mir gekommen.

Ach Unsinn, sagt Edevart, ich kann doch deine Hände nicht durchleuchten, ehe du tot bist.

Doch, das könntest du gut, das schadet nichts. Aber du magst dir keine Mühe machen, sagt August gekränkt. Und jetzt kannst du machen, was du willst, ich werde dich nicht mehr bitten. Du willst mir wohl auch keine Tropfen geben?

Doch, bald.

Bald, die ganze Zeit bald! Im übrigen möchte ich jetzt schlafen, und du sollst mich nicht mit den Tropfen wecken. Kannst sie meinetwegen selber schlucken! August wird immer aufgeregter: Nein, ich sollte keinen so heiligen und gottesfürchtigen Mann haben wie dich, um mir die Tropfen zu geben. Wenn du nun auf einem Bootskiel säßest, du würdest wohl nicht einmal deinen Kameraden ins Wasser hinunterstoßen. Nein, sicher nicht! Aber wie würde es dann dir ergehen, wäre es da nicht besser, wenn du dein eigenes Leben rettetest und noch Zeit bekämst, dich zu bekehren? Ich bin ein großer Sünder vor Gott dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, ich muß eine Frist haben, ehe ich sterbe. Und genau so, wenn es sich um ein Negermädchen handelte, das von vier Matrosen überfallen wird, – du hättest sie gerettet und wärst nicht so mit ihr umgegangen wie die andern. Ja ja, es wäre gut, wenn alle so dächten wie du, ich mache dir deswegen keine Vorwürfe. Im übrigen aber bist du wohl auch nicht nur heilig und gottesfürchtig; weißt du noch, wie du in jener Nacht auf dem Friedhof warst und wir in einem Grab wühlten, um einen goldenen Ring zu finden?

Ja, antwortet Edevart.

Wir schändeten geweihte Erde, darüber darfst du nicht im Zweifel sein. Und daß wir den Grabesfrieden störten, das wirst du wohl auch nicht leugnen wollen. Es war ja schließlich nicht so merkwürdig, daß ich mittat, denn es handelte sich doch um meinen goldenen Ring, den ich wiederhaben wollte. Ich glaube also schon, daß Gott das versteht.

Wir waren wohl zu zweit bei dieser Sache, wendet Edevart ein, und außerdem hast doch du den Gedanken dazu ausgeheckt.

Ich habe keine Lust, dir zu antworten, schließt August das Gespräch. Aber es schien ihn zu ärgern, daß er Edevart nicht ein wenig zu sich herabziehen konnte. Wie wäre es, wenn du zu Pauline hinunterliefest und dir ihr Gesangbuch für mich geben ließest? sagt er.

Was willst du denn damit?

Nun, ich bitte dich ja nicht darum, mit der ganzen Postille anzurücken, das wäre zuviel Mühe für dich. Und ich werde nicht daliegen und Gesangbuchlieder singen, ich werde auch das Buch nicht vom ersten bis zum letzten Blatt lesen und nicht fertig werden damit. Aber ich könnte doch zum Beispiel irgendeinen Vers aufschlagen und sehen, was da steht. Das könnte ein Wink sein.

Edevart sitzt faul da.

Ein Wink von Gott. Das ist nicht unmöglich. Aber dich dazu zu bringen, irgend etwas einzusehen, das ist unmöglich! ruft August verärgert. Du bist ja nie sehr helle gewesen, aber, Gott verzeih mir meine Sünden, jetzt bist du überhaupt nur noch ein halber Mensch, und das nicht einmal. Weißt du nicht mehr, wie du in unserer Jugend ganz verrückt auf die Weiber warst? Und die Weiber ebenso auf dich. Du brauchtest nur zu wählen. Ich hätte an deiner Stelle sein müssen! wünschte August unvorsichtig lebhaft. Im übrigen habe ich den Weibern abgeschworen und nehme sie nie mehr in den Mund. Bei dir ist das etwas anderes, du bist ja gesund. Und trotzdem ist es gerade, als wärst du mehr tot als ich, nimm mir's nicht übel, daß ich das sage!

Edevart: Ich werde das Gesangbuch mitnehmen, wenn ich einmal unten bin.

Nein, dann kannst du's bleiben lassen! sagt August bitter.

Edevart ist unwandelbar gleichgültig, sein Jähzorn aus jüngeren Jahren ist verschwunden, er bringt es kaum mehr fertig, rot oder blaß zu werden. Er sitzt da auf dem Stuhl und ist getreu gegen seinen Kameraden, weil dies ein ruhiges Leben ist.

Aber doch, August ist ohne jeden Zweifel frischer geworden, er ist jetzt mißgelaunt und unduldsam, und man kann ihm nicht mehr leicht etwas recht machen. Kartoffeln und Milch waren der größte Segen für diesen alten Buchtbewohner, er erholte sich, er kehrte zum Leben zurück. Was für ein Wind geht heute? konnte er fragen. Ist auf dem Meer draußen Sturm?

Edevart konnte ihn oft lange Zeit allein lassen und fand ihn zu neuem Gespräch aufgelegt, wenn er zurückkam.


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