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XXV

Noch stand es nicht ganz schlimm mit den Buchtbewohnern, sie zehrten von den Nahrungsmitteln, die aus dem Süden gekommen waren, und von den Heringen von Senjen und der Vogelinsel, auf die Weise verging ein Tag nach dem andern, und die Menschen überstanden die Zeit. Aber sie warteten auf den Heringsschwarm, das taten sie wirklich, es kam zu keinem richtigen Leben ohne neuen Fang.

Joakim war mit dem Netzgerät draußen gewesen, hatte jedoch der Heuernte wegen um Johanni wieder heimkehren müssen, und von Heringsschwärmen war nichts zu sehen gewesen. Ein paar Boote in der Äußeren Bucht hatten mit kleinen Netzen den Versuch gemacht, aber nicht einen Schwanz erwischt. Im Meer draußen sind plenty Heringe, sagte August. Wenn ich nur Zeit hätte, mit euch hinauszukommen!

Jawohl, Heringe im Meer, aber in Joakims Zeitung stand ja leider nicht, wo sie zu finden waren. Sogar an der Küste von Haugesund und Westnorwegen waren sie verschwunden. Es sah wenig trostreich aus, Pauline machte schlechte Geschäfte, und die Bank war so gut wie geschlossen. Karolus kam dann und wann in seinen Galoschen angestapft, sich zu erkundigen, ob nicht eine Bankversammlung stattfinden würde, da jedoch weder Bankchef Rolandsen noch August erschienen, wurde nichts daraus. August war von früh bis spät mit seinem geheimnisvollen Ackerbau beschäftigt, und Rolandsen war zu Verwandten gereist, eine Unterstützung zu erbitten. Das Ganze ging rückwärts, Karolus stapfte in seiner Einfalt und Gebrechlichkeit herum und begriff nichts, es war ja noch nicht lange her, daß er Matador und ein reicher Mann gewesen war; wo war denn sein Reichtum hingekommen? Er ging nicht mehr mit Geldscheinen herum, und da er ein ehrlicher Mann war, stopfte er auch nicht das Papier der Tabakspackungen in die Brieftasche, um sie geschwollener zu machen. Auf solche Schliche kam er gar nicht einmal, er war sehr bedrückt.

Trotzdem war es für Karolus noch einigermaßen möglich, ungeschoren in der Bucht zu leben, die Leute achteten ihn zwar bei weitem nicht mehr so wie früher, aber es war doch auch keiner böse gegen ihn. Ane Maria dagegen wurde nicht geschont. Oh, welch ein Unterschied zwischen früher und jetzt! War sie nicht früher in den Kramladen gekommen und hatte ein ganzes Pfund Kaffee verlangt und sogar daran gerochen, wie um den Jahrgang zu beurteilen, – und jetzt: ein Viertelpfund Kaffee und vielen Dank! Und trotzdem hatte Ane Maria immer noch diese ärgerniserregende Art, daß sie sich keineswegs duckte und zu Boden sah, sondern sich von jedem, der wollte, ins Gesicht starren ließ, – bitte schön! Es hätte sich geziemt, daß sie die erste gewesen wäre, die den Rücken beugte, daß sie sich allen anderen laut weinend an die Spitze gestellt hätte und untröstlich gewesen wäre. Seht, das hätte ihr vielleicht sogar gut gestanden, ihre Gestalt und ihr Gesicht waren immer noch gut und hätten durch die richtige Trauermiene süß und sympathisch wirken können. Aber Ane Maria verstand sich nicht auf ihren eigenen Vorteil und trat selbstsicher auf wie früher. Mochte sie sich dadurch Achtung und die Seligkeit des Himmels verdienen!

Da hatte sie nun doch die beiden Pflegesöhne aus der Inneren Gemeinde zu sich genommen, sie eingekleidet und gut ernährt und Prinzen aus ihnen gemacht, gerade als hätte sie königliche Mittel dazu, aber Hochmut kommt vor dem Fall. Ging es denn eigentlich an, zwei unschuldige Kinder in die Arme einer Frau zu legen, die einen Schiffer umgebracht und dafür im Gefängnis gesessen hatte? Pfarrer und Behörden würden in dieser Sache vielleicht noch einmal ein Wort mitreden. Eine entartete Frau und ein Ungeziefer, – Gott bewahre meine Zunge. Man würde sich in Zukunft hüten, ihr Platz zu machen und Ihr zu ihr zu sagen, davor würde man sich schönstens hüten! Natürlich immer großartig: Nummer eins über der Haustür, dann Bäume ringsum, Vorhänge an den Fenstern, ein Polsterstuhl in der Stube, man konnte gar nicht alles aufzählen! Trotzdem gab es wohl nicht viele, denen es jetzt wesentlich schlechter ging als ihr: ein Hof ohne Grund und Boden, ohne Vieh und ohne Pferd, ohne eine Ziege, die ein wenig Milch für den Kaffee lieferte, – sie besaß nur noch als traurigen Rest von allem ein kleines Stück Weideland, das noch nicht verschwendet worden war. Und was sollte sie mit diesem Stückchen Weideland anfangen? Sie hatte ja nicht ein einziges Tier, das dort hätte grasen können –

Pauline steht hinter ihrem Ladentisch und hört zu. Sie hat nicht die geringste persönliche Zuneigung zu dem Ehepaar Karolus, aber ihre Erziehung und die Religion ihrer Kindheit schreiben ihr vor, Gerechtigkeit walten zu lassen: Es sind ordentliche Leute, sagt sie gerecht. Das könnt ihr mit allen euren Reden nicht ableugnen.

Na, sagten die anderen und wagten ihr nicht direkt zu widersprechen, ihrem Kaufmann und Gläubiger zu widersprechen, aber sie muckten auf: Nun ja, der Karolus meinetwegen, sagten sie. Aber die Ane Maria –!

Pauline war eine heiße Röte in die Wangen gestiegen: Es hätte nichts geschadet, wenn wir alle so gut gegen andere gewesen wären wie diese beiden Leute. In meinem Leben habe ich noch keinen so schlecht über andere reden hören, wie ihr es tut, ihr speit ja lauter Gift und Galle!

Liebe gute Pauline, wir sind ja nur ein paar arme ungebildete und ehrliche Menschen, die unter Gottes Schutz auf der Erde herumkriechen –

Geschwätz! unterbricht Pauline sie. Wer ist denn gekommen und hat euch Heringe von Senjen mitgebracht, zuerst ein Boot voll und dann noch einmal ein ganzes Boot voll? Er hat bei dieser Gelegenheit seine letzten Schillinge von der Bank abgehoben.

Sie muckten wieder auf: Ja, wir sagen es ja gerade, an dem Karolus ist nichts auszusetzen. Aber die Ane Maria –!

Was hat sie euch denn getan?

Uns getan? Nichts. Aber habt Ihr vergessen, wie sie in ihrem Küchenhaus stand, wie die Obrigkeit selber, und Ezras viele Wagenladungen mit Kartoffeln und Nahrung an uns verteilte? Und als es auf Weihnachten ging, stand sie genau so da und verteilte Eure eigenen zahllosen Wagenladungen und großen Wohltaten aus Euerm Laden. Wißt Ihr, Pauline, wie es bei dieser Verteilung zugegangen ist? Wir haben verschiedenes darüber gehört.

Hört auf mit eurem Gewäsch! Es ist nicht ein Kringel und nicht eine Rosine zu Unrecht bei Karolus und Ane Maria ins Haus gekommen.

Stille.

Sie fingen wieder an untereinander zu murmeln: Weißt du noch, wie sie im Küchenhaus stand und auf dem Boden eines Fasses schrieb und wie ein vornehmer Buchhalter tat? Daß sie sich nur nicht geschämt hat!

Habt ihr jetzt alles, was ihr braucht? sagte Pauline, dann möchte ich den Laden schließen. Ich muß jetzt in den Stall hinüber.

Ein Mann kam näher heran, beugte sich vor, scheue Blicke, den Kopf schief, Sklavenwesen. Was möchtest du?

Ein halbes Pfund Margarine, Pauline! Nein freilich, Geld habe ich keines mit. Ja, ich weiß, daß ich Euch schon verschiedenes schulde, aber ich hoffe doch, daß ich Euch soweit bekannt bin.

Nein.

Wir haben gar nichts mehr aufs Brot zu streichen –

Pauline: Wärst du zu Ane Maria gegangen und hättest sie gebeten, sie hätte dir nach besten Kräften geholfen. Sie ist nun einmal so. Aber ich bin nicht so.

Ein Viertelpfund –!

Nein, sagte Pauline und sperrte die Kunden hinaus.

Oh, es war nicht ganz nutzlos, daß Pauline vom Kramladen das Ehepaar Karolus beschützte, wahrhaftig, es wäre sonst noch schlimmer gewesen. Ein ehrenwerter Zug an ihr. Es war wiederum nichts anderes als ihr Ordnungssinn, der sich hier äußerte, ihr tief langweiliger und gesegneter Gerechtigkeitssinn: Der Mann sollte büßen für seine bösartigen Reden und sollte das Viertelpfund Margarine nicht bekommen.

Sie mußte nicht in den Stall hinüber, sie setzte sich wieder mit den Papieren und den Abrechnungen der Bank hin und wollte alles klarstellen. Natürlich war die Sparbank der Bucht eingegangen, man konnte jetzt auf keine Geschäfte und keine Einzahlungen mehr rechnen. Sie hatte sich mit Bruder Joakim beraten und sich mit ihm dahin geeinigt, die Sache aufzulösen.

Nie war eine Bankabrechnung einfacher und rechtschaffener als die ihre: für jede zweifelhafte Anleihe, die August bei Karolus durchgesetzt hatte, hatte sie sich ohne weiteres aus deren Aktien und Einzahlungen bezahlt gemacht. So ist es ganz leicht und einfach, sagte sie maliziös, auf diese Weise habt ihr selber die ganze Sicherheit, die die Bank auf verkrachte Höfe und Neubauten bekommen sollte! Die Bank war im Grunde geschwollen von Geld; und ob sie das war! Pauline durfte stolz sein auf ihre wachsame Verwaltung. Sie hatte keine Bücher mit verwickelten Posten geführt, es gab keine Renten, keinen Diskont, kein Diverses, keine Gehälter, – nur zum Schluß jetzt eine Abschreibung auf jede Aktie für einen gewissen Geldschrank, – »der bis auf weiteres in meinem Kontor steht«.

Und jetzt war sie damit beschäftigt, große und kleine Geldbriefe für die Aktionäre auszufertigen von dem Rest, der aus deren Aktien verblieben war. Sie waren sicher alle miteinander zufrieden, ihr Geld so unerwartet wenig reduziert zurückzuerhalten. Bankchef Rolandsen erging es schlimm, er war zu vornehm gewesen und hatte nichts tun wollen, und wenn nun seine baren Anleihen in der Bank und seine Schuld im Kramladen abgezogen waren, blieb von seinen dreißig Aktien nichts mehr übrig. Großnetzbesitzer Gabrielsen stand sich besser, denn er hatte von seinen Verwandten aus dem Handelsstand Zuschuß bekommen. Im übrigen hatte ja jeder von diesen beiden Herren noch sein stattliches Wohnhaus, das immer noch eine Sehenswürdigkeit war, – obwohl Gott wissen mochte, ob zum Beispiel Rolandsen sein Haus noch wirklich besaß. Nach dem, was Pauline aus den Briefen bei der Post hatte herausschnuppern können, war das Haus sicherlich schon gegen eine Anleihe in Bodo verpfändet.

Alles hatte Pauline im Kopf. Sie rechnete auch auf Krone und Öre aus, wie groß der Anteil an dem Geldschrank war, der auf sie und Bruder Joakim traf, erst dann wurde der Rest von ihren zehn und fünf Aktien aus der Bank genommen. Es war ja viel Geld, was man da wiederbekam. Was aber Pauline, dieses verdorrte Menschenkind, mit ihrer lächerlichen Genauigkeit bei allem am meisten freute, war, daß sie den beiden Vesteraalern, Großnetzbesitzer Iversen und Lyder Milde, noch eine ganz schöne Summe Geldes zurückschicken konnte; bei dem einen freute sie sich, weil er es sicherlich notwendig brauchte, und bei dem anderen, weil er wirklich so jung und hübsch und flott ausstaffiert war. Oh, diese Pauline, – und keiner versteht einen Menschen bis ins Letzte, das soll nur ja niemand glauben! Nicht etwa, daß sie für all ihre Arbeit mit der Bank etwas berechnet hätte, aber auch bei den beiden Vesteraalern machte sie einen genauen Abzug für Porto, Briefumschläge, Siegellack und Rechnung. Das blieb ihnen nicht erspart. Außerdem, – außerdem hatte ja Pauline die Hoffnung, daß sie, wenn es so weit wäre, einen gewissen Geldschrank für billiges Geld bekommen würde.

In der Nacht zum Sonntag hatte sich etwas zugetragen: es waren Leute in Augusts Plantage eingedrungen und hatten die Pflanzen ausgegraben, umgeworfen, herausgerissen und ganz zerstört. Wer konnte denn nur Vergnügen an diesem Vernichtungswerk gehabt haben? August sah es erst im Lauf des Tages, er warf beide Arme in die Luft und ließ sie wieder fallen, war geschlagen, sprachlos.

Kein anderer als Teodor konnte hier gehaust haben: er hatte wohl in seiner Dummheit nach Kartoffeln gesucht. August zieht seinen Speer aus dem Stock, betrachtet ihn und steckt ihn wieder zurück, August weiß weder aus noch ein. Ach, er hätte nachts hier liegen und aufpassen sollen, er hatte zu fest auf die sechsfache Reihe Stacheldraht vertraut. Auf Portorico hätte eine einzige Reihe genügt, aber wer hatte denn Sinn und Verstand in der Bucht? Hatten die Buchtbewohner ein Gewissen und ein anständiges Benehmen? Scherte sich das Gesindel nicht den Teufel um alle Verantwortung?

Allerdings, wenn er genau darüber nachdachte, konnte es Teodor kaum gewesen sein. Er hätte ein paar Pflanzen ausgegraben, und wenn er dann keine Kartoffeln gefunden hätte, wäre er enttäuscht gewesen und seiner Wege gegangen. Hier war nicht nur gegraben, sondern auch zerstört worden, hier war getanzt und vernichtet worden, die grüne Blätterdecke niedergetrampelt. Konnten Tiere durch das Gitter eingedrungen sein? Unmöglich. Doch, ein Tier! August holt Atem, es scheint ihm ein Licht aufzugehen, ein Blitz –

Er zieht wieder seinen Speer aus dem Stock, betrachtet ihn und befühlt die Spitze. Es ist eine gute Waffe, dreieckig und gefährlich, ein Bajonett. Ein gehöriger Stich damit bedeutet den Tod, ein weniger guter Stich hinterläßt jedenfalls eine Wunde, die nur schwer verheilt. August grübelt, er steckt den Speer wieder ein, aber dies tut er nicht etwa, weil er sich beruhigt hat, nein, keineswegs. Dort drüben hat sich ein Mann versteckt und schaut hinter einem der kleinen Häuser auf dem Weg zum Meer hinunter zu ihm her, und er will diesen Mann in Sicherheit wiegen.

Er geht heim. Er hat das Bedürfnis, mit Edevart zu sprechen, findet ihn jedoch nicht, niemand ist daheim, das Haus ist sonntags leer: Pauline in der Kirche, Joakim auf der Neusiedlung draußen und Edevart bei den fünf Espen auf dem Weideland. August sah nach den wenigen Blättern, die er von seiner Plantage geerntet hat und die jetzt in der Presse liegen, sie versprachen gut zu werden, aber sie waren ohne Samen.

Im Grunde hat er sich redlich auf seinem Stück Land geplagt und sich liebevoll um die Pflanzen bemüht, oh, jeden Tag, jeden kurzen Augenblick, es war nur schlimm, daß er nicht auch des Nachts dort geblieben war. Gerade jetzt hat er gespannt darauf gewartet, daß die Samenkapseln ein paar schöne Sonnentage bekämen, damit sie sich dann öffnen konnten, – dann hätte er Samen zum nächsten Frühjahr gehabt und die Sache in größerem Maßstab betreiben können. Aber jetzt war alles vernichtet. Er konnte wieder mit gutem Grund davon sprechen, daß sich ihm etwas in die Quere gestellt hatte.

Es war keine Ruhe in ihm, er ging wieder zu der Plantage, stellte sich an den Zaun und betrachtete die Sache. Er tat so, als habe er keinen Blick für anderes als für die Zerstörung dort, aber o nein, mit tief gesenktem Kopf lugte er zur Straße hinunter: der gleiche Mann, der vorher dort gestanden und von seiner Hausecke zu ihm hergeschaut hat, ist jetzt wieder da. Es mußte ihm wohl Freude bereiten, einen andern in Not zu sehen.

August geht heim. Er ist rastlos, geht zwischen den Häusern auf und ab, geht und bleibt wieder stehen, nimmt sich zusammen und geht weiter. An ihm war ein schändliches Unrecht begangen worden, und dies würde noch ein Nachspiel haben,– nur keine Angst! Er geht zum drittenmal zur Plantage und ist wild und gefährlich. Ja, der Mann steht auf seinem Ausguck, nur sein Kopf ist zu sehen. August tut, als gehe er heim, macht in Wirklichkeit jedoch einen großen Bogen ...

Einige Zeit darauf ist er auf dem Heimweg; da hat er es getan, er hat den Mann gestochen. Seine Wut ließ ihn das erstemal falsch zielen, und so stach er noch einmal zu, dann hörte er einen Schrei, danach wusch er seinen Speer am Bach und trocknete ihn am Ärmel ab. Inzwischen war es Zeit zum Mittagessen, aus dem Schornstein stieg der Rauch auf, Pauline war heimgekommen und richtete das Essen her.

Als er hereinkam, saßen alle am Tisch. Sie waren von einer großen Neuigkeit aus der Kirche erfüllt, einer gewaltigen Neuigkeit: der Junggeselle Doktor Karsten aus Lund und die Jungfrau Ester Teodorstochter aus der Bucht waren zur Ehe aufgeboten worden.

Wie? fragte August. Jetzt schon?

Es war totenstill in der Kirche, schilderte Pauline. Und das war ja kein Wunder.

Heute nacht ist jemand in meiner Plantage gewesen und hat alles ausgerissen, sagte August.

Ausgerissen?

Sämtliche Pflanzen. Es ist nicht ein ganzes Blatt mehr da.

Um alles in der Welt! Ist ein Tier hineingeraten? August: Ja, ein Mensch.

Aber die Neuigkeit aus der Kirche war zu überwältigend, August tat ihnen wohl leid, aber ihr Interesse galt anderen Dingen, die Neuigkeit verbreitete sich jetzt wohl wie eine Lawine in der Gemeinde. Denkt euch, Teodors Ester soll einen Doktor bekommen! Hier war sie aufgewachsen zwischen diesen Häusern, war zerlumpt und elend, aber schön, mit wunderbaren Augen, tüchtig im Lesen, von ihrer Mutter her –

Sie ist schön wie eine Hexe, sagte August.

Darüber waren die andern mit ihm einig, nicht nur schön, sondern auch tüchtig, daran fehlte es nicht. Man erzählte sich zwar, daß sie Kohlen kaue, aber dies schien nicht wahrscheinlich. Der Doktor war auch ein prächtiger Mensch, aber er war doch wohl sicher an die zehn Jahre älter als Ester. Und was für sauere Gesichter sie jetzt machten, die feinen Fräuleins in der Inneren Gemeinde, sagte Pauline, die Lehrerin beim Pfarrer und die Tochter vom Kaufmann. Sie waren alle beide in der Kirche und mußten es mit anhören.

Sie besprachen das Ereignis genau, und August half gut mit: Für mich war es keine Neuigkeit, daß es so gekommen ist, der Doktor konnte der Ester nicht anders beikommen, als daß er sie heiratete, sie hat gehörig um sich gebissen.

Woher weißt du das? fragte Pauline verärgert.

Das hat er mir selber erzählt.

Das machst du uns nicht weis!

August: Und außerdem habe ich es ihnen beiden angemerkt. Ich kenne sie ja gut, der Doktor ist mir immer noch fünfhundert Kronen auf eine Aktie schuldig.

Pauline stand auf, räumte den Tisch ab und machte sich in der Küche ans Geschirrspülen. Die drei Männer blieben in der Stube zurück, und August redete von seiner Plantage: vollständige Vernichtung einer schönen Jahresernte, große Werte, Tausende –

Joakim fragte: Was hast du denn in dem Acker gehabt?

August: Jetzt kann ich es ja sagen, denn es ist ja doch alles vorbei: es war Tabak.

Joakim blieb der Mund offen stehen: Tabak? Richtiger Tabak?

August lächelte schwermütig und wiegte den Kopf: Mein lieber Freund: Virginia von der feinsten Sorte, Sumatra, echter Havannatabak und was du dir nur denken kannst. Und alles miteinander vernichtet durch ein Untier, das es heute nacht niedergetrampelt hat.

Der schwerfällige und duldsame Edevart fragte plötzlich: Weißt du, wer es ist?

Ja, antwortete August.

Ich könnte zu ihm hingehen, sagte Edevart.

Nein. Ich bin selber bei ihm gewesen.

Tabak? sagt Joakim wahrhaftig noch einmal und denkt nach. Er hat ja diese fremden Pflanzen auf dem Acker gesehen und nicht begriffen, was es war, und hatte nicht fragen wollen, es konnte gut sein, daß es wirklich Tabak war. Kann denn Tabak hier wachsen? fragte er.

August: Das habe ich nun ausprobiert, und niemand soll mir daran zweifeln, ich habe einige Blätter von dem Acker in der Presse liegen, sollte jemand kommen und Dokumente verlangen, so habe ich sie. Mich kann keiner etwas lehren in der Tabakindustrie, denn ich kenne mich gut aus in dieser Wissenschaft, in Westindien war ich einmal Vorgesetzter in einem Distrikt, wo ich keinen Schritt gehen konnte, ohne auf Tabak zu treten. Ich hatte siebentausend Mann unter mir. Aber hier habe ich meinen Acker nicht in Frieden haben dürfen!

Edevart: Es ist am besten, ich gehe zu ihm.

Nein, entgegnet August wiederum, ich habe es selbst getan.

Joakim hört nicht mehr zu, er horcht zur Küche hinaus und sagt erstaunt: Was gibt es denn da draußen, – weint jemand? –

Sie horchen alle drei.

Es weint jemand, sagt August und steht auf, um nachzusehen.

In diesem Augenblick reißt Pauline die Tür auf und fragt: Hast du den Kristofer gestochen?

August gibt keine Antwort.

Dich frage ich, August!

Ja, das habe ich, antwortet er. Ich habe ihn gestochen.

Pauline schlägt die Hände zusammen: Dann möge Gott dir gnädig sein, August!

Kristofers Frau zeigt sich in der Tür, barhaupt und verstört, sie kommt mit zehn gespreizten Fingern auf ihn zu und heult auf: Ja, du bist ein schöner Mörder und Messerstecher, aber ich fürchte dich nicht ein bißchen, und jetzt gehe ich hin und zeige dich an, und du sollst deinen Kopf auf dem Block verlieren, so wahr ich hier als eine Sünderin vor Gott stehe!

Unsinn! sagt August.

Unsinn? Sie wendet sich an die anderen: Zweimal hat er mit einem langen Messer nach ihm gestochen. Und ohne daß überhaupt eine Rauferei gewesen wäre, hat er ihn einmal, zweimal in die Seite gestochen, gestochen und beinahe umgebracht –

Lebt er denn? fragt August.

Ob er lebt? Da hört sich doch alles auf! Ja, er lebte noch, als ich fortging, aber er liegt in seinem Blut. Und jetzt kannst du laufen und den Doktor für ihn holen, du Mörder und Sklave der Sünde, und dann meldest du dich gleich und läßt dich in Eisen schlagen.

August scheint die Sache zu überlegen: Ich kann gerne gehen, sagte er, ich habe ohnehin etwas beim Doktor zu erledigen, wegen dieser Aktie.

Pauline schrie auf: So, du hast ohnehin etwas zu erledigen? Ist das nicht ruchlos, wie er spricht! Und vielleicht liegt nun ein Mensch da und stirbt! Ich weiß nicht, weshalb du noch hier stehst? fragt sie die Frau und will sie hinausführen.

Aber die Frau wehrte sich und heulte weiter: Es hätte bei einer Rauferei sein können, aber ein langes Messer und zweimal, erzählt Kristofer, und sie haben beinahe kein Wort miteinander geredet –

Pauline stand wie auf Nadeln: Ja, aber hast du denn nicht gesagt, daß er in seinem Blut liegt und auf Hilfe wartet?

Ja, erwiderte die Frau. Und Teodor ist nach dem Doktor gelaufen.

Das ist ja unerhört! bricht Pauline aus. Und du stehst hier, anstatt daß du bei Kristofer bleibst und über ihn wachst!

Endlich begibt sich die Frau weg, und es wird still.

Nun, August, da hast du dir ja eine schöne Suppe eingebrockt! sagte Joakim und konnte wohl als Bürgermeister und eine Art Behörde nicht weniger sagen.

Wieso? fragte August. Was hättest denn du getan, wenn er dir heute nacht deinen Kartoffelacker zusammengetrampelt hätte?

Ich wäre den Weg des Gesetzes gegangen.

Mit Kristofer? Du kannst mich ja –!

Am Abend, als August samt Meerschaumpfeife und Spazierstock mit Speer in der Gegend herumschlenderte, holte Edevart ihn heim: Der Doktor sitze in der Stube und wolle mit ihm reden.

Da ist er wohl gekommen, um mir den Rest für die Aktie zu bezahlen, sagte August. Wirklich ein tadelloser Mann! Aber dafür bekommt er jetzt auch eine großartige Frau! Es ist beinahe eine solche Ehre für uns, daß ihre Hochzeit meiner Meinung nach von uns in der Bucht hier ausgerichtet werden müßte. Und das will ich dir sagen, Edevart, von allen deinen ledigen Kindern, – ja ja, die Johanna soll ja genau so großartig sein, aber –

Halt's Maul! sagt Edevart.

Der Doktor saß in der Stube. Er hatte Kaffee und Kuchen bekommen, hatte sich unterhalten, saß nun da und rauchte. Guten Abend, August! sagte er. Du hast dich ja wieder einmal schön hineingeritten.

Ja, gab August zur Antwort.

Ich komme von Kristofer dort unten. Er sagt, ihr hättet nicht miteinander gerauft? Gerauft? Nein.

Er sagt, du hättest dich an ihn angeschlichen?

N–nein! Ich habe einen Umweg zu ihm gemacht, aber er hat mich zum Schluß deutlich gesehen. Ich habe mich auch geräuspert, um ihn nicht zu erschrecken.

Hat er dich gereizt?

Ja, er stand da und trotzte mir und lief nicht davon. Hast du dann blankgezogen?

Nein. Ich sagte, er hätte doch einmal meinen Stock sehen wollen, und nun sollte er ihn zu sehen bekommen. Was hat er darauf geantwortet?

Das weiß ich nicht mehr. Ihr müßt wissen, der Kristofer ist bekannt als Lügenhals, dem nicht ein wahres Wort über die Lippen kommt, mit solch einem Mann wollte ich kein Gespräch anfangen.

Und dann hast du zugestochen?

Ja. Er hat meine Plantage heute nacht zerstört.

Das habe ich gehört, sagte der Doktor. Er sagt, du hättest zweimal nach ihm gestochen, aber ich habe nur eine einzige Wunde bei ihm gefunden.

Das ist auch eine Übertreibung, entgegnete August. Das erstemal traf ich ihn nicht, denn ich stand tiefer als er. Außerdem war ich ganz aus dem Training.

Wieso? Du hast dich nicht geübt?

Nein. Aber in Südamerika und in der Gegend dort brachten wir es aufs erstemal fertig. Da ging es nicht schief.

So, da ging es nicht schief.

Nun, das ist nicht so zu verstehen, fügte August heftig hinzu, daß ich für meine Person jemals einen Menschen erstochen hätte, aber ich habe davon gehört.

Der Doktor sagte: Ja, ich bin ja nicht die Polizei, und ich habe nichts damit zu schaffen, aber nach dem, was ich verstanden habe, wirst du sicher angezeigt werden.

Ja, antwortete August. Aber er hat mir für mehrere tausend Kronen Tabak zertrampelt.

Verstehst du dich auf Tabakbau?

August lächelte über eine solche Frage und antwortete: Du lieber Gott, Doktor, ich, der in Holländisch-Indien eine Tabakplantage gehabt und sie mit siebzehntausend Mann betrieben hat! Aber das war noch gar nichts, auf der Nachbarplantage hatten sie fünfunddreißigtausend. Ich übertreibe nicht.

Nein, sagte der Doktor. Wie gesagt, ich bin nicht die Polizei, ich frage also nicht aus diesem Grund. Ich wollte nur ein wenig mit dir reden, denn du bist mein Patient gewesen.

August: Ja, die Tropfen waren großartig, die Ihr mir gegeben habt –!

Darf ich einmal deinen Stock sehen?

August gab ihn her und sagte in stolzem Ton: Das Original!

Der Doktor untersuchte den Speer: Ein Messer macht einen Schnitt, sagte er, aber ein solches Bajonett macht ein Loch, das langsam heilt. Du hast die Waffe in der Wunde herumgedreht.

Das muß man tun! sagt August.

Der Doktor sah zu Boden und bewahrte seinen Ernst. Er sagte: Ich habe gehört, daß du diesen Kristofer mit Baugeldern für sein Haus unterstützt hast?

August schien sich dessen nicht mehr deutlich zu erinnern. Er sah zu Pauline hinüber und fragte: Ja, war es nicht so?

Ja, bestätigte Pauline.

Der Doktor meinte darauf, daß er ja schönen Dank für seine Hilfe geerntet habe!

Es entstand ein Haus mehr in der Bucht, entgegnete August, vollkommen gleichgültig für sein hinausgeworfenes Geld. Und außerdem war es wohl keine größere Summe, meinte er. Wenn ich wieder einmal in die Welt hinauskomme und dorthin, wo ich hin will, dann soll es ungeheure Mengen von Geld geben! Ich weiß, wo ich sie finden werde. Ich brauchte zum Beispiel nur mit der Seidenzucht in China anzufangen –

Bürgermeister Joakim hat bisher geschwiegen, jetzt unterbricht er ihn und will August vielleicht wohlwollenderweise daran hindern, wieder ins Schwimmen zu geraten. Ja ja, August, sagt er, der Doktor kann dir die freudige Nachricht bringen, daß du dem Kristofer keine lebensgefährliche Wunde beigebracht hast.

So, sagte August.

Der Doktor: Nein, du hast Gott sei Dank Glück gehabt und bist auf eine Rippe gestoßen.

Ich stand eben tiefer als er, entschuldigte August sich.

Aber wenn du jetzt angezeigt und verhört wirst, fuhr der Doktor fort, dann wirst du auch verhaftet und bestraft. Dem wirst du nicht entgehen können. Und außerdem wird man dich zu Schmerzensgeld verurteilen.

August fegte diese Kleinigkeiten beiseite und antwortete: Das wird nicht so sehr viel Geld werden. Im übrigen hat er mir eine Anlage für mehrere Tausend vernichtet, ich werde meine Plantage taxieren lassen.

Ja, das ist vielleicht ein Ausweg, gab der Doktor zu. Aber hast du gedacht, daß du vielleicht wegen Mordversuchs verurteilt und mehrere Jahre ins Gefängnis gesteckt wirst?

Für das Gefängnis habe ich keine Zeit, sagte August – Nein, das finde ich eben auch.

Ich denke nicht daran! ruft August entschieden. Ins Gefängnis? Um alles in der Welt, wie sollte es denn mit all den Dingen gehen, die ich jetzt in der Hand habe, und mit allen meinen ausländischen Geschäften? Nein, daraus wird nichts!

Wie ist es, stehst du gut mit dem Lensmann?

Mit dem Lensmann? sagt August lachend. N–nein!

Es könnte von Bedeutung sein, wenn er kommt.

August: Ich habe nicht vor, diesem Narren auch nur irgend etwas zu erklären, ich will gleich direkt zum Amtmann fahren und mich dort verantworten. Mit dem bin ich gut bekannt.

Es ist gut, wenn du einen solchen Ausweg hast, meinte der Doktor und stand auf. Soviel ich aus Kristofer herausgehört habe, will er dich so bald wie möglich anzeigen.

August ruft die Anwesenden zu Zeugen auf: Ja, da könnt ihr es nun alle miteinander hören, was für ein Kerl er ist! Ich habe ihm einen Bauplatz hier in der Bucht verschafft und ihm eine Menge Geld für Haus und Heim gegeben –

Und einen Stier für ihn bezahlt, konnte Pauline nicht zurückhalten.

Ja, und einen Stier bezahlt, den er aus dem Stall des Bürgermeisters selber geräubert hatte. Überhaupt habe ich diesem Spitzbuben die ganze Zeit nur Gutes getan, – und jetzt will er mich für ein lumpiges Loch in der Brust anzeigen, das überhaupt nicht der Rede wert ist –

Der Doktor schüttelt den Kopf: Nun, eine ungefährliche Wunde ist es keineswegs!

August interessiert: So, dann könnte es vielleicht doch zum Tod führen? Aber gleichgültig, jedenfalls habe ich selber mindestens sechs Stichwunden in meinem Leben bekommen, und so wie ich in diesem Augenblick hier stehe, stecken zahllose Revolverkugeln in meinem Körper. Ja. Darum wurde ich seinerzeit auf Barbados nicht im Flugzeug mitgenommen, denn ich war zu schwer durch all das Blei. Ja. Aber bin ich vielleicht hingegangen und habe jemand angezeigt?

Gib acht, August, sagte der Doktor zum Abschied und gab ihm den Stock zurück: Ich an deiner Stelle würde nun nicht mehr mit diesem Ding herumspazieren, ehe ich wieder in Südamerika wäre. Geh nun hinauf und stell ihn in die Ecke!


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