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XX

Und das Geld ging zu Ende, die drei Männer aus der Gemeinde gingen ihrer Wege, Edevart, Roderik und August blieben zurück, aber selbst sie mußten nun wegen des schlechten Wetters eine Pause eintreten lassen.

Es war übrigens ein gesegnetes schlechtes Wetter, ein mit Schneeflocken vermischter Regen, der allen Schnee von der Erde tilgte und alle eisgebundenen Bäche löste. Für August aber kam wieder eine Zeit, in der er viel durchmachen mußte, eine unheimliche Zeit.

Er war nicht nur der lose Vogel und Spekulant, er hatte ernsthafte Augenblicke. Nicht immer zuverlässig? Nein, aber uneigennützig, fleißig wie eine Ameise, selbst wenn er nichts zuwege brachte, mager und genügsam, rasch in den Bewegungen, keiner hatte weniger Bauch als er. Und gab es seinesgleichen, wenn es galt, etwas vom Fleck zu bringen? Unzuverlässig? Jawohl, eine Eigenschaft, eine sachliche und logische Eigenschaft an ihm: wie konnte ein Mann, der so vieles versprach, Tag und Nacht sein Wort halten?

Zum Beispiel diese Heringsmehlfabrik. Sie war so einleuchtend nützlich, keiner konnte ihr im Grunde widerstehen, aber er mußte sie ganz allein errichten. Die Dachplatten aus galvanisiertem Eisen waren gekommen, und es war eine Lust, diese soliden Platten aufzuheben und mit einem Krach wieder fallen zu lassen. Aber es fehlten ihm immer noch viele andere Dinge: es fehlten ihm Fenster und Türen, Dachgiebel, Sparren, Dachrinnen, Säcke und Tonnen für die fertige Ware, Schubkarren, eine Winde an der Seeseite und Ketten für diese Winde, – oh, ihm fehlten viele, viele Dinge! Fehlte ihm nicht auch noch die Maschinerie für die Heringsmühle selber? Ja. Und womit sollte die Mühle betrieben werden? Mit der Hand? Keine Rede! Hatte er etwa Kohle oder Elektrizität, um sie zu treiben? Nein. Dann hatte er vielleicht einen Wasserfall? Nein.

Nein, schrie August sich selber an, wenn er herumwanderte und wanderte und grübelte. Aber wartet nur! Die Menschen konnten doch wohl einmal in Scharen ankommen und Aktien zeichnen.

Jedenfalls wollte er nicht mit sich spaßen lassen, diesen Eindruck sollten Großnetzbesitzer Iversen und Lyder Milde in Vesteraalen keinesfalls haben. Geschäft ist Geschäft. Er ließ die beiden Aktionäre einklagen. Er wollte der Abwechslung halber einmal die Zähne zeigen.

Denn diese letzte Leidenszeit machte ihn wild, sie drängte ihn aus der Spur und ließ ihn nicht vom Fleck kommen. Hatte er das verdient? Am liebsten hätte er jetzt den Hut aufs Ohr gesetzt und sich ein Lied gepfiffen. Es fing an, Frühling in ihm zu werden, er blühte, Edevart sah mit Staunen, daß er seine Meerschaumpfeife herrichtete und mit dem Stock ging, auch seine Reden wurden unvorsichtiger, – rutsch mir den Buckel hinunter! He, die jungen Leute in der Bucht, war das nicht eine nette Rasse, mit dreißig Jahren schon abgekühlt, schaut doch Edevart Andreassen an! August putzte seine Schuhe und bürstete seine Kleider, obgleich es regnete, er machte sich schön, kämmte das Nackenhaar und den Bart und fing jetzt an, in einer Art Hoffart sich nach dem Mittagessen aufs Bett zu werfen, als sei er vornehm und wolle ein Schläfchen halten. Edevart sah ihn auch jetzt erstaunt an, – August und Mittagschlaf!

Ja, das gehört dazu, das habe ich mir angewöhnt, als ich Chef in den Silberminen war, sagte August. Im übrigen aber mußt du dich waschen und herrichten und deine Schuhe putzen, Edevart! Laufe ich vielleicht wie ein Schwein herum, und doch bin ich viel älter als du!

Richtig, – der Frühling war in August gefahren, er machte sich schön, so gut er konnte. Ihm fehlte die Fähigkeit, um irgendeiner Sache in der Welt willen dauernd unglücklich zu sein. Oh, er hatte keine Schwere, das war die Sache, nein, er war ohne Notwendigkeit und hatte darum keine Schwere. Er war leicht wie das Geld, wie die Mechanik, der Handel, die Industrie und die Menschenentwicklung.

Das Schlimme war, daß Regenwetter und Geldnot ihm jetzt freie Zeit gaben. Er wechselte zur Sorglosigkeit hinüber, vergaß sein Wort, das er dem Doktor zuletzt gegeben hatte, und schlich sich nachts draußen herum. Naß wie eine Krähe kehrte er in der Morgendämmerung heim. Dieser Hanswurst und Reißteufel von fast fünfzig Jahren, er hatte nicht viel Glück gehabt, und von den Freuden des Lebens war ihm nicht viel beschert worden, es pflegte sich ihm meistens etwas in den Weg zu legen, sagte er. Hatte er das verdient? Nur das gefährliche Glück des Matrosen und Landstreichers war Beute geworden.

Edevart sagte kein Wort zu ihm über seine nächtlichen Schwärmereien, aber August war wohl selber viel zu sehr damit beschäftigt, als daß er hätte schweigen können.

Du hast noch nichts von Mrs. Andrews gehört? fragte er.

Nein.

Sie will wohl allein sein?

Ich habe auf drei Briefe von ihr nicht geantwortet, sagt Edevart wie zur Entschuldigung für seine Frau. Es ist also wohl meine Schuld.

Wenn ich an deiner Stelle wäre!

Ich kam nicht zum Antworten, fährt Edevart fort. Und jetzt ist es zu spät.

August: Du muß sofort telegraphieren.

Edevart schweigt.

Hättest du gleich damals telegraphiert, so hättest du sie jetzt hier!

Edevart: Ich weiß nicht, – ich glaube fast, die andern machen sich nichts daraus, sie hier zu haben.

Das fehlte noch! meint August hochmütig. Sie ist doch deine Frau, und das geht niemand etwas an.

Edevart will von diesem Gespräch wegkommen, er schaut zum Fenster hinaus und murmelt: Das Wetter scheint sich aufzuhellen.

Ich begreife nicht, daß du es ohne sie aushältst, sagt August.

Darüber läßt sich jetzt nichts mehr sagen.

Was, darüber läßt sich nichts sagen? Bist du nicht ein verheirateter Mann und alles miteinander? Ich muß sagen, mir geht es in diesem Punkt ganz anders. Ich mag gern ein wenig Lustigkeit und Dummheiten, ich gehe abends fort und werfe da und dort ein Sandkorn an ein Kammerfenster. Manchmal kommt ein Gesicht ans Fenster, um zu sehen, wer es ist, aber mehr wird nie daraus; sobald ich an die Tür gehe, steht sie schon da und hält sie zu. Aber das tut nichts, ich mache mir ja nichts aus ihr. Eines Abends war ich in der Äußeren Bucht. Da sind wir doch früher schon immer gern hingegangen, aber jetzt erst –! Du gehst wohl selber in die Äußere Bucht?

Nein.

Nein, du bist tot. Ihr sterbt ja hier alle miteinander, in der Äußeren Bucht sind sie auch tot. Teodors Ragna ist ebenfalls tot.

Hast du sie getroffen? fragt Edevart.

Und ob ich sie getroffen habe! Aber sie ist so töricht und tot geworden. Ich ging meiner Wege.

Nein, er hatte kein Glück gehabt bei Teodors Ragna, und er machte kein Geheimnis daraus, er gab Rechenschaft über seinen Besuch, und in seinem Ärger vergaß er nichts, was gegen sie sprechen konnte. Er wollte damit den Kameraden warnen und die Dame isolieren. Was nun auch die Ursache sein mochte – vielleicht daß noch ein Rest ihrer kürzlich überstandenen Frömmigkeit in ihr wohnte oder daß sie den alten Junggesellen überhaupt zu lächerlich fand –, sie wollte jedenfalls nichts von ihm wissen. Er hatte sich zwar entfaltet und ihr merkwürdige Geschehnisse aus seinem Leben unter farbigen Volksstämmen erzählt, aber sie hatte sich nichts daraus gemacht, sondern nur gefragt, ob das Heiden seien und ob sie nicht an Jesus glaubten. Nichts als Frömmigkeit. Da zog er den Spieß aus seinem Stock und zeigte ihr, wie er mit ihm in der Hand für sich selber und die Dame, die ihn liebte, hatte kämpfen müssen, – die kleine Ragna aber sah ihn nur an, ohne überhaupt zu lächeln. Und gerade sie hatte doch einen so schönen Mund, wenn sie lächelte! Sie war tot und dumm. So fing er denn an, mit seinem Stock zu reden und ihn zu streicheln und zu sagen, er sei sein Retter und seine Stütze in mancher Gefahr gewesen, er wolle sich nie von ihm trennen. Im übrigen habe er einem gewissen Napoleon gehört –

Napoleon? fragte sie und wurde gewissermaßen etwas weltlich wach. Na, dachte er, endlich hat sie angebissen! Es stellte sich jedoch heraus, daß es sich um eine Kindheitserinnerung bei ihr handelte, sie sagte: Ich habe einmal eine Figur an einer Drehorgel gesehen, die Napoleon darstellte. Das war so schön anzusehen. Es ist viele, viele Jahre her, ich war damals noch ganz klein und verlor einen blanken Knopf im Schnee –

Aber natürlich konnte August nicht viel über Napoleon sagen und sie auf diese Weise zum Auftauen bringen. Er griff ihr unter das Kinn, sie schüttelte ihn ab, er kitzelte sie in den Weichteilen, o nein, sie war tot. Als er der Sache müde und überdrüssig wurde, sagte er Lebewohl. Lebe wohl! erwiderte Ragna.

Sie ist ein Garnichts, schloß August. Du brauchst wirklich nicht mehr an sie zu denken als bisher.

Der Kamerad antwortete: Ich denke nicht an sie.

Es gab gutes Wetter, aber August ging nicht mehr auf den Bau, er mußte jetzt herumschwärmen und streunen und sich zum Narren machen. Am Sonntag kamen die Leute aus der Kirche und brachten einen Brief aus der Inneren Gemeinde mit. Als er sah, daß das Schreiben nicht aus dem Ausland war, steckte er es gleichgültig in die Tasche. Am Sonntag schwärmte er aus, er war beim Schneider, spielte dort Blindekuh mit den jungen Leuten, die sich über ihn lustig machten und ihn hart gegen die Wände stießen, landete irgendwo in der Äußeren Bucht, wo es eine Tanzerei gab und wo er sich auch wie sonst geltend machen wollte, aber die Mädchen mochten nicht mit ihm tanzen. Er schob die Schuld darauf, daß sie tot seien; als er heimkam, ging er voll schlechter Laune zu Bett.

Am Morgen redete Edevart vom Bau, ob sie nicht hingehen und arbeiten sollten? Nein, August erwiderte, seinetwegen könnte der Teufel den ganzen Bau holen. Was hatte es für einen Sinn, zu dritt an einem so großen Haus zu arbeiten? Er war der ganzen Sache überdrüssig. Nun war er heute nacht wieder in der Äußeren Bucht gewesen, und es hatte sich gut gefügt mit Tanz und jungen Leuten, aber hätten sie ihn etwa auch nur im allermindesten geachtet? Konnte Edevart das verstehen? Hier konnte ein Mann von seiner Art es doch nicht aushalten, nichts als Armut und Lumpen, die Mädchen hatten ihm jeden Schilling für den Spielmann abgebettelt. Schau her, sagte August und stülpte seine Tasche um, nicht ein Öre mehr! Er fand den Brief in einer der Taschen und warf ihn auf den Tisch.

Edevart: Hast du einen Brief bekommen?

Die Kirchenleute haben ihn mir gebracht. Was fragte er nach dem Geld, das er dem Spielmann geschenkt hatte, ein Mann wie er; und das war es auch nicht, worüber er sich aufregte. Aber kamen etwa Leute und wollten Fabrikaktien haben? Er begriff die Menschen nicht mehr. Begriff Edevart sie? Und die Mädchen, arme Dinger alle miteinander, er hätte jeder einzelnen Kleider kaufen und eine goldene Kette um den Hals hängen können, aber kamen sie etwa herbei, um mit ihm zu tanzen? Sie nannten ihn Großpapa. Ich hätte sie herumschwenken mögen, aber sie sagten, ich sei zu alt. –

Machst du dir denn etwas daraus? fragte Edevart.

Alt? rief der andere. Nicht ich bin alt, ihr andern alle seid alt! Und er begründete das noch weiter, indem er schilderte, wie nicht einmal Ane Maria mehr Verständnis dafür habe, daß man sie kitzelte. Sie schreit nur und schüttelt sich.

Ob er mit Ane Maria geredet habe?

Jawohl, des langen und breiten, wie es schien, sie war nicht besser als andere. Sie hatte diese beiden Pflegesöhne, auf die sie nun ihre ganze Liebe warf, und etwas anderes brauchte sie nicht. Pfui Teufel, wie alt und dumm sie geworden war!

Edevart: Von wem ist denn der Brief?

Ich weiß es nicht. Nein, Edevart, ich gehe nicht auf den Bau, es kommt bestimmt wieder zum Regnen im Lauf des Tages. Wir können uns ruhig noch einmal ins Bett legen.

Du solltest doch nachsehen, von wem der Brief ist.

Er ist nur aus der Inneren Gemeinde. Die schreiben und schreiben. Wahrscheinlich handelt es sich um die Steuer.

Vielleicht will jemand aus der Inneren Gemeinde Aktien haben, sagt Edevart.

Glaubst du? ruft August aus und reißt den Brief auf. Vom Doktor, murmelt er und runzelt die Stirn. Er schreibt, ich soll sofort zu ihm kommen. Was er wohl von mir will?

Vielleicht hat er gehört, daß du in den Nächten herumstreunst?

Was geht ihn das an? Mir fehlt gar nichts. Ich pfeife auf den Doktor!

Hat er dir nicht damit gedroht, daß er ein Plakat anschlagen wollte? fragt Edevart.

August gedankenvoll: Doch. Aber das ist es doch wohl nicht? Was glaubst du?

Er war ängstlich geworden und suchte Rat bei seinem Kameraden, wie früher, als er krank gelegen hatte. Mutig auf seine Weise, zu manchen Zeiten ein Wagehals, in Geschäften dreist bis zur Frechheit, aber ein Mann ohne Gewicht, ohne inneren Ballast, in Grund und Boden feig und abergläubisch. Er wurde sofort klein und schwach, mit einem kläglichen Laut, er brauchte eine Stütze. Ich muß gleich hinübergehen! Ja, meinte Edevart auch.

Was ich sagen wollte: Du hast nicht selber etwas in der Inneren Gemeinde zu tun?

Ich kann mitgehen, sagte Edevart.

August wiederum mutig: Das ist gut! Nicht, daß ich mich etwa vor dem Doktor fürchte. Denn das sage ich dir, er soll sich nur ja in acht nehmen!

 

In der Inneren Gemeinde.

Sie verabreden, daß Edevart sich draußen herumtreiben soll, während der Kamerad ins Haus geht und die Sache abmacht. Ich werde bald wiederkommen, sagt August.

Er wählt den Kücheneingang. Der Doktor daheim? Ein wunderbar schönes Mädchen, diese Ester, aber augenblicklich ist er zu sehr beschäftigt, um ihr gerade jetzt seine Huldigung zu Füßen zu legen, er kann sie nur von daheim grüßen und ihr berichten, daß es ihrer Mutter und den andern gut geht.

Komm herein! sagt der Doktor in seiner Tür.

August grüßt und lächelt, während er eintritt, oh, er ist jetzt so lächerlich ängstlich, so kläglich, auf einmal aber verwandelt er seine Furcht in Frechheit, so daß es Ester noch hören muß: Nur gut, daß ich Euren Brief bekam, denn ich hoffe doch, daß Ihr mir ein paar Fabrikaktien abnehmt.

Sie sind unter vier Augen.

Der Doktor sieht ihn an und runzelt die Stirn: Aktien? Das kann ich mir nicht vorstellen! Er fängt sofort an, von Augusts Herumschweifereien in der Bucht zu sprechen. Ja, er war entdeckt worden, er hatte sein Versprechen gebrochen, die Zeit war noch nicht um, und schau her, mein lieber Freund, das Plakat ist schon hergerichtet, um angeschlagen zu werden!

Der Doktor hat auf der einen Seite des Kinns eine Wunde, merkwürdig frisch und rot, halbrund, wie von einem Biß.

August ist unschuldig. Er fragt, wer ihn so schamlos verleumdet hätte, er möchte wirklich wissen, wer das gewesen sei. Er sei nicht vor die Haustür hinausgekommen, zwei Wochen lang hätte es in der Bucht Tag und Nacht geregnet, und vor dieser Zeit, das wisse der Doktor ja selber, sei er auf den Tod krank gelegen und habe Tropfen bekommen. Und das müsse er sagen, wunderbare Tropfen, es sei gerade gewesen, als habe er mit diesen Tropfen das Leben löffelweise wiedergewonnen –

Jawohl. Und kaum konnte er wieder aufstehen, ging er schon wieder aufs Freien aus, – in seinem Zustand.

Nein, was dachte denn der Doktor! August wollte nicht leugnen, daß er in jüngeren Tagen ein Windhund ersten Ranges gewesen war, er war Nummer eins in der Mannschaft gewesen, und sowohl in Amerika als auch in den Tropen hatte er vollauf zu tun gehabt –

Der Doktor ungeduldig: Kurz und gut, er habe also herumgestreunt und -geschwärmt, sei jedem Unterrock nachgelaufen und habe sein Versprechen nicht gehalten. Er könnte deshalb eingesperrt werden.

August, schnell gefaßt: Edevart Andreassen geht draußen auf und ab und wartet auf mich, soll ich ihn hereinholen?

Warum?

Er stammt von gottesfürchtigen Leuten und ist selber ein besonders gottesfürchtiger Mann. Wir wohnen im selben Haus, und er weiß, daß ich nie mehr mit einem Frauenzimmer rede. Ich habe genug davon in meinem Alter. Und auf ein Wort von Euch will ich meinetwegen sechs Jahre warten, ehe ich wieder auf eine Tanzerei gehe. Ich habe schon Schwereres fertiggebracht. Aber, – nehmt es mir nicht übel, daß ich frage: war das ein Hund, der Euch gebissen hat?

Der Doktor runzelt die Stirn noch mehr, redet von Pflicht und Verantwortung, von Gefahr und Unglück. Im übrigen könnte ein Mann in diesem Alter doch auch wirklich einmal mit solchen Narrenstreichen aufhören –

Ja, sechzig Jahre! sagt August zu sich selber und schüttelt den Kopf.

Der Doktor schlägt in seinen Büchern nach: Das sei null etwas zuviel gesagt, aber schließlich mache es keinen Unterschied mehr aus. Der alte Tollkopf solle sich freundlichst vor Augen halten, daß Strafe darauf stünde, wenn man sich in einem Fall wie diesem über eine ärztliche Verordnung hinwegsetze.

Eine lange Rede von August: Das sei ihm doch nie eingefallen – hat man so etwas gehört! – wenn er sich immer so frei von Sünde wüßte wie jetzt! Im übrigen stünde Edevart Andreassen draußen –

Der Doktor weigert sich, diesen Zeugen zu vernehmen, und tragt: Ist dir denn damit gedient, wenn noch mehr Leute in die Sache eingeweiht werden?

Ein merkwürdig freundlicher Mann, der Doktor, er will seinen Kranken wohl, er beschützt sie. August scheint gerührt zu sein und bedankt sich, jetzt will er mit Hand und Mund versprechen –

Was nützt es denn, wenn du etwas versprichst!

August: Nehmt es mir nicht übel, daß ich eine Frage stelle: Glaubt Ihr an das Abendmahl?

Der Doktor starrt seinen Patienten an.

Ja, erklärt August, dann wolle er nämlich das Abendmahl nehmen, zum Zeichen dafür, daß er seine Versprechen halten würde!

Der Doktor betrachtet die Wände und die Decke seines Zimmers und ist etwas verlegen: Das mußt du machen, wie du willst.

So, Ihr glaubt also nicht daran? Ich auch nicht!

Glauben und glauben, – solche Künste sollten doch nicht notwendig sein. Ein Mann, ein Wort!

Ganz richtig! Und jeder, der mich kennt, weiß, was er davon zu halten hat, wenn ich etwas verspreche.

Der Doktor sieht wohl ein, daß ihm im Grunde kein anderer Ausweg bleibt, als ein neues Versprechen anzuerkennen, und so sagt er: Ich muß eben versuchen, dir noch einmal zu glauben.

August, wieder gerührt: Verdammt noch einmal, was war doch der Doktor für ein netter Mann! Hatte er nicht bereits bei der ersten Begegnung seine Herzensgüte bewiesen: Armer Kerl, hatte er zu August gesagt. Später hatte sich ein sehr offener Ton zwischen ihnen herausgebildet, sie hatten Witze gemacht, der Doktor lachte und hatte seinen Spaß an dem Seemann. Nur über eines konnten sie nicht einig werden, über die Zeit, über einen gewissen Zeitraum, von dem sich der Doktor nichts abhandeln lassen wollte. Sollte es nicht möglich sein, diesem Mann Aktien zu verkaufen?

August macht einen Versuch: Da Ihr so großartig gegen mich seid, so nehmt Ihr wohl sicher auch gern eine Aktie von meiner Fabrik?

Nein, erwidert der Doktor und schüttelt den Kopf. Was ist das für ein Einfall, – Aktien?

Ihr habt doch auch im Herbst Tannen von mir gekauft. Und ich habe dadurch bei den anderen gleich einen guten Absatz gefunden.

Ja, aber Aktien –! sagt der Doktor unwillig.

Nein, ich wundere mich nicht über Euch, gibt August nun zu, das durfte man sich ja nicht erwarten, keineswegs! Und gleichzeitig sieht August richtig zerknirscht und unglücklich aus.

Warum tust du dir lauter solche Sachen auf? fragt der Doktor.

Tja, meint August, ein anderer macht es ja nicht. Sollen wir denn nicht mit der Zeit gehen und Umsatz und Industrie und Fabriken haben und Geld verdienen, wie sie es sonst überall machen? Es sind nur noch ein paar Aktien übrig.

Nein nein, du mußt mich schon um etwas anderes bitten, auf Aktien und solche Sachen lasse ich mich nicht ein. Wir wollen deswegen keine Feinde werden. Ich habe nichts gegen dich, wenn ich nur nicht solche Angst hätte, dich frei herumlaufen zu lassen.

August entschlossen: Ihr sollt jetzt keine Angst mehr zu haben brauchen!

Du bist ja ein Hans Dampf auf allen Gassen in deiner Bucht, ich begreife nur nicht, wie du in deinem Alter überhaupt noch magst. Erntest du denn Dank dafür?

Auch darauf gibt August eine Antwort: Von seinem Alter lohne es sich nicht zu reden, und er habe eben Interesse daran, überall, wo er auf der Erdkruste hinkomme, den Menschen zur Hilfe und zum Segen zu sein, und so weiter. Der Doktor hört ihm wohlwollend zu und nickt von Zeit zu Zeit, aber sie entfernen sich immer mehr und mehr von den Aktien.

August ist klug wie ein Satan, er hat sich alles zusammenbuchstabiert und zurechtgelegt, und er schreckt vor keinem Mittel zurück: die Wunde am Kinn des Doktors kann von Zähnen stammen, von frischen weißen Zähnen, die gewohnt sind, Holzkohlen zu kauen. Es ist vielleicht die Wunde aus einem Kampf, irgend jemand hat um sich gebissen.

August wird von Mitleid erfaßt mit einem so freundlichen Mann, der unglücklich aus einem Kampf hervorgegangen ist. War er nicht selber gar oft im Leben abgewiesen worden und hatte er sich nicht mit wenig Ehre zurückziehen müssen? Jetzt will er etwas tun, er will helfend beispringen, und so sagt er: Aber das war doch hoffentlich kein Mensch, der Euch da gebissen hat? Denn da würde ich ein ernsthaftes Wort mit ihm reden!

Der Doktor windet sich erbittert und steht auf, August bleibt sitzen und ist unschuldig. Er merkt nicht, daß er gehen soll, – oder er merkt es sehr wohl.

Wie gesagt, fängt der Doktor an, vielleicht haben wir keine Verwendung für dieses Plakat. Sehr viele Wochen brauchst du ja nicht mehr zu warten. Aber ich gehe nicht davon ab, daß du den Termin einhalten mußt, das ist die Forderung meines alten großen Professors. Du kannst hier hinausgehen! sagt der Doktor und will die Eingangstür öffnen.

August steht langsam auf: Ich will durch die Küche gehen, wenn Ihr nichts dagegen habt. Dann kann ich noch mit Ester ein wenig plaudern, sie ist ja aus der Bucht, wir sind gut miteinander bekannt, ich habe Grüße für sie von ihren Leuten.

Wie du willst, sagt der Doktor. Er ist gedankenvoll, schaut zu Boden, blinzelt. Was war das übrigens für eine Geschichte mit den Aktien? Was für eine Fabrik baust du denn?

Eine Heringsmehlfabrik. Das ist gegenwärtig das Notwendigste, sie wird Geld mahlen wie Heu. Ich sage Euch, lieber gesegneter Doktor, es ist haarscharf ausgerechnet worden, daß sie einhundertundachtundneunzig Prozent verdienen wird. Da könnt Ihr selber sehen.

Aber dann ist es ja ein reiner Glückszufall, wenn man Aktien bei dir bekommen kann?

Das war auch die letzte Ansicht, die Großnetzbesitzer Ottesen hatte, ehe er diese Welt verließ. Er zeichnete für fünftausend Kronen Aktien.

Nun, mit solchen Summen kann ein Doktor nicht um sich werfen. Was kosten denn die Aktien?

Fünfhundert Kronen. Und die Fabrik ist schon gebaut, nur noch das Dach fehlt, aber das werden wir bald gemacht haben, wir arbeiten dauernd zu sechst daran.

Der Doktor geht ans Fenster und schaut in den Spiegel, er fährt sich über die Wunde an seinem Kinn und ruft: Es ist doch scheußlich, was ich da für eine Flechte bekommen habe, sie juckt wie die Krätze! Dann dreht er sich um und sagt: Ja ja, dann werde ich also diese Aktie nehmen, – auf deine Veranlassung!

Großartig! antwortet August. Und als er sieht, wie der Doktor die roten Scheine aufzählt, unterbricht er ihn nicht. Das war bare Einbezahlung, die ganze Summe.

Leider, sagt der Doktor, habe ich nicht mehr als vierhundert daheim.

August: Das tut nicht das mindeste!

Der Doktor denkt nach, setzt sich an den Tisch und schreibt rasch einen Zettel: Schau her, geh mit diesem Zettel zum Kaufmann, er wird dir hundert Kronen für mich leihen.

Das ging ja herrlich ...

In der Küche fühlt August sich sehr aufgelegt, Ester ein wenig zu necken, aber er will keine Zeit versäumen und möchte auch nicht dem Doktor zuwiderhandeln. Er lobt den Doktor sehr: da hat er nun eine Fabrikaktie genommen, gerade als wäre es nichts! Wie steht es, sagt August, es wird wohl noch etwas mit dir und dem Doktor?

Ester leugnet lachend: Wie kommst du nur auf etwas so Unwahrscheinliches?

In der Bucht geht das Gerücht. Aber, Gott steh mir bei, was hast du für schöne Zähne, Ester! Ich muß sie immer wieder anschauen, wenn du lachst. Aber ich möchte nicht von ihnen gebissen werden!

In ihr Gesicht fliegt eine Röte, und sie macht eine rasche Wendung zum Herd hinüber, als koche ihr dort etwas über.

Ja ja, sagt August zum Abschied, ich soll wohl deine Leute schön grüßen?

Ja, antwortet sie. Und sag ihnen allen, daß sie nicht über mich reden sollen.

Da stand sie, jung und schön, köstlich. Oh, sie war fehlerfrei, sie hatte auch gute Zähne.

August kommt zu Edevart hinaus und schildert sofort seine Zusammenkunft mit dem Doktor: Ja, er hat eine Aktie genommen. Ich gab sie ihm für den halben Preis, weil er gleich voll einbezahlt hat. Jetzt muß ich gleich mit einem Zettel zum Kaufmann gehen.

Was hat er denn von dem Plakat gesagt? fragt Edevart.

Er hat gar nicht davon geredet! erwidert August.

Sie gingen zum Kaufmann, August gab seinen Schein ab und erhielt das Geld. Sie kamen ins Gespräch, nichts lag August ferner, als vor diesem Mann über die Fabrik zu schweigen, so tolpatschig war August nicht: Schaut, der Doktor nahm aufs erste Wort hin eine Aktie, das solltet Ihr auch tun! sagt er.

Ich habe gehört, daß ihr eine Fabrik baut, mehr weiß ich nicht, lautete die Antwort.

Eine Heringsmehlfabrik. Wir wollen es nicht länger mehr mit anschauen, daß das Vieh die Heringe im ganzen bekommt.

Ja, ihr werdet jetzt fein in der Bucht draußen, da können wir es hier in der Inneren Gemeinde gar nicht mehr mit euch aufnehmen. Was kosten denn die Aktien?

Fünfhundert Kronen, bei Barzahlung.

Der Kaufmann ist keineswegs sprachlos über diese Summe. Auch hier in der Inneren Gemeinde hatte das Geld durch die Nahrungsnot seinen Wert immer mehr und mehr verloren, nichts war für Geld zu haben gewesen, es war außer Kurs gesetzt und hatte seine Achtung eingebüßt. Der Kaufmann hatte wohl mehrere rote Scheine daliegen, er lieh gerne einen von ihnen dem Doktor und nahm ebenso gerne für einige andere Fabrikaktien, warum auch nicht?

Sie redeten über die Sache, August legte alle Maße, alle Berechnungen vor, das Haus war so gut wie fertig, die Ausbeute würde märchenhaft sein –

Und wenn es keine Heringe gibt?

Wieso, waren die Heringe etwa ausgestorben, gab es im Meer keine Heringe? Genau so sagten sie auch in der Bucht, da sandte August sein Netzgerät und seine Mannschaft hinaus, und sie machten einen Fang bei der Vogelinsel!

Ja, der Kaufmann konnte gern auch eine Aktie nehmen, es spielte für ihn keine Rolle...

August verließ die Innere Gemeinde wohlverrichteter Dinge. Schau her, sagte er zu Edevart, jetzt sollst du dein Geld wiederbekommen, das du mir geliehen hast!

Und Augusts Streunerleben war mit einem Male zu Ende, er warf sich wiederum mit Heftigkeit auf die Arbeit, zementierte die Fabrik bis unters Dach, so daß er nur noch die Dachkonstruktion zusammenzuzimmern und die Platten daraufzulegen brauchte.

Aber hier begegnete er einem neuen Hindernis. Die Balken für das Dach waren auf eine ausgesucht beleidigende Art angekommen: unter Nachnahme. August konnte diese Balken und Sparren nicht einlösen, und Edevart mußte ihm das Geld noch einmal leihen, das ihm bereits zurückgezahlt worden war.

Was bedeutete übrigens dieses Manöver, waren der Holzhandlung Bedenken gekommen wegen Augusts Geldverhältnissen? Mit Rache im Herzen fuhr er persönlich zur Haltestelle und erkundigte sich. Was bedeutet das, war August nicht gut genug? Sie sollten nur nicht aufbegehren, diese guten Holzhändler, er hatte Wälder gesehen, die sich über Tausende von Quadratmeilen erstreckten, ja, wer weiß, ob er nicht selbst in Alaska ein kleines Stück Land von einigen hundert Meilen besaß. Laßt die Ladung nach Namsen zurückgehen!

Die Leute meinten, ob es denn im Grunde nicht das gleiche sei, ob er jetzt bezahle oder später? Oder könne er jetzt nicht bezahlen?

Ich und nicht können, Jungens? fragte August, zog seine Brieftasche heraus und fuchtelte mit merkwürdigen Scheinen herum. Ich kann die ganze kleine Holzhandlung fünfzehnhundertmal in einem Zug aufkaufen und bin deswegen noch lange nicht am Ende. Laßt die Ladung zurückgehen!

Was waren denn das für Scheine, mit denen er da herumfuchtelte, sie sahen aus wie Lose einer Lotterie. Hatte er kein gültiges norwegisches Geld?

Oh doch, Jungens, von dieser Sorte habe ich auch ein wenig, schaut her! Aber laßt die Ladung zurückgehen, habe ich gesagt!

Aber warum denn? Laßt uns doch vernünftig miteinander reden!

So, sie hatten wohl Angst, ihre Prozente zu verlieren? Sie fragten, warum, – ja, weil August nicht an eine solche naseweise Behandlung von irgendeiner Holzhandlung in der Welt gewöhnt war, und er wollte sich das nicht gefallen lassen. Im übrigen war der Preis unverschämt.

Sie sahen gemeinsam die Rechnung durch, und August, der schon mehrere Häuser in der Bucht gebaut hatte, kannte die Preise für Bauholz besser als irgendein anderer. Es würde Schwierigkeiten geben, wenn die Annahme der Ladung verweigert würde, man müßte die Rücksendung bezahlen, ein eventueller Prozeß würde ebenfalls Kosten verursachen, unter diesen Verhältnissen fing der Kommissionär an zu telegraphieren. Er erhielt sofort Antwort, die in einer anständigen Preisherabsetzung bestand. August war unversöhnlich, es tat den Leuten dort unten ganz gut, wenn sie ihre Ladung einmal zurückbekamen! Wiederum Telegramme von beiden Seiten –

Es endete damit, daß August seine Dachbalken und Sparren für einen Spottpreis bekam. Das geschah den Holzhändlern ganz recht! Fertig damit!

August begann seine Aktien feilzubieten. Er habe noch zwei Stück übrig und sei bereit, sie abzugeben. Aber hier bei der großen Haltestelle mit Telegraphenamt und Schiffen und Verkehr waren die Menschen näher der Welt und dem Leben. Sie hatten während des Winters nicht so schwer gehungert, und sie hielten das Geld noch in Ehren. August redete mit goldener Zunge zu ihnen, wurde jedoch oft von der Frage unterbrochen: Wer die Vertrauensleute der Gesellschaft seien, ob sie denn keine ordentlichen Aktienbriefe hätte? Ob sie kein Protokoll führte? August wandte sich ab von so viel Kleinlichkeit, er war beleidigt und gab zur Antwort, daß es nicht seine Gewohnheit sei, sich überall mit Vertrauensleuten und Protokollen abzuschleppen. Jene, die etwas Näheres erfahren wollten, suchten ihn in seinem Kontor in der Bucht auf. Im übrigen pflegte sein Wort gut genug zu sein –

Nein, hier erreichte August nichts.

Aber zwei Lotsen waren da, die sich verständiger erwiesen, auch zwei alte Seebären, August kam in ein entzückendes Gespräch mit ihnen, und schließlich nahm jeder von ihnen eine Aktie zum vollen Preis mit zehn Prozent Einzahlung. Fertig auch damit!

Für August hatte sich die Reise zur Haltestelle wahrhaftig gelohnt.


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