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III

Neue Tätigkeit.

Die Bewohner der Bucht lebten in der Vorfreude auf das Postamt, das nun schon einige Zeit auf sich warten ließ, manche fingen an, an dem Gelingen des Planes zu zweifeln, und je mehr die Zeit verging, desto mehr verlor August an Ansehen, er sank in den Augen der Leute zu einem gewöhnlichen Menschen herab. Er konnte schwätzen, aber was kam schließlich dabei heraus?

Ahnungslose Menschen hier in der Bucht! Sie kannten seine Kräfte nicht!

Eines Abends saßen sie alle in Joakims, des Bürgermeisters, Stube beisammen, eine Menge Menschen und lebhafte Unterhaltung. Wie gewöhnlich führte August mehrere Male das Wort, und die Zuhörer neckten ihn manchmal mit seinen Erzählungen, denn sie hatten sich nach und nach schon daran gewöhnt. Alles in allem war August ja kein Erfinder, er strebte, das tat er von früh bis spät, er war nicht faul, aber was bekam er dafür, war er etwa reich geworden? Ein vornehmer Koffer war alles, was sie von seinem Wohlstand sahen. Er besaß weder goldene Ringe noch edle Steine, seine Meerschaumpfeife war nicht kostbarer als andere solche Pfeifen, allerdings trug er eine Menge Schlüssel in der Tasche, aber Gott mochte wissen, wozu die gehörten, ob es nicht nur Prahlerei war. August hatte stets viele Schlüssel bei sich getragen, unter anderem acht Schlüssel zu seinen Kisten in Hinterindien. Angenommen, er hätte wirklich acht Kisten dort, aber was war darin, oder waren sie leer? Die Leute wußten nichts Bestimmtes.

Andernteils war es wiederum nicht nur lauter Prahlsucht und Spiegelfechterei, er konnte sehr wohl zugeben, daß er bisweilen richtig auf den Knien gelegen und ein Hundeleben geführt hatte, gleichgültig, welchen Eindruck er damit auf die andern machte! Ein Mann, der wegen lauter Schulden aus der Herberge ausziehen und auf eine andere Insel in der Südsee fliehen mußte, um nicht gefressen zu werden! Aber erzähle immerhin, August, erzähle! Wir wissen nicht, was Wahrheit oder Lüge ist, du weißt es vielleicht selbst nicht immer, aber du bist jedenfalls eine lebende Zeitung, und noch mehr, du bist Nahrung für unser Traumleben, wir hören dir zu, wenn du deine guten Stunden hast, und wenn du uns manchmal langweilst, so necken wir dich und machen dich schlecht ...

Sie sitzen den ganzen Abend über in Bürgermeister Joakims Stube, plaudern miteinander, und August hält sich nicht zurück. Er hatte vieles auszupacken seit dem letztenmal, die Erlebnisse von zwanzig Jahren, Hunderte von Abenteuern. Hier daheim hatte er die Erde bebaut und Fischfang getrieben, das war allen bekannt, aber in der Welt draußen hatte er in einer Zündholzfabrik gearbeitet, in einer Cholerabaracke gelegen, hatte zu Leuten gehört, die Bomben werfen, war Missionar gewesen –

Missionar? Da mußt du ja gut dazu gepaßt haben! sagt eine Stimme spottend.

Was weißt du darüber? fragt August.

Nein, ich weiß nichts. Hast du viele getauft?

Ja, viele.

Haha. So, du warst also Missionar? Aber warum hast du wieder aufgehört?

Petra unterbricht: Ihr sollt nicht mit heiligen Dingen Spott treiben!

Ich bin siebenundvierzig Jahre lang über die Erdkruste gewandert, sagt August. Das will etwas heißen.

Jawohl, aber niemand weiß, wo er hinaus will. Schließlich gibt es ja Menschen, die doppelt so lange über die Erdkruste gewandert sind.

Ich habe viel erlebt, sagt er.

Darin hatte er sicher recht, und einige von den jungen Leuten rufen ihm aufmunternd zu: Hast du denn viele bekehrt, solange du Missionar warst?

August nickte: Das ist doch klar!

Aber warum hast du damit aufgehört?

August: Das will ich dir sagen: mir sind die Patronen ausgegangen.

He! Hast du denn geschossen?

Ja, auf ein paar von den Widerspenstigen. Aber das verstehst du nicht.

Sei still, August! sagt Petra.

Eine Weile saß er wie in Erinnerungen versunken da und erzählte dann wieder: Ein paar unter ihnen waren wirklich nette Leute. Mit einem Häuptling schloß ich Freundschaft und taufte ihn sofort, ihm habe ich also nichts getan. Warum sollte ich einen Mann bekehren, der schon von vornherein ein Kind Gottes war? Er schenkte mir Feigen und Melonen, und später sandte er mir ein paar seiner Frauen als Geschenk.

Die jungen Leute kicherten und fragten zudringlich: Nun, und wie waren sie? Waren sie alt?

Aber August schwieg jetzt. Ihm war vielleicht der Verdacht gekommen, daß seine Missionsgeschichte nicht sehr geschickt war, und er wollte darum nicht weitergehen. Es wurde still in der Stube, die Uhr an der Wand haspelte sieben Schläge herunter, die Leute dachten an das Abendessen und an die Nacht.

Da sagt August, um die Scharte auszuwetzen: Wollen wir uns hier in der Bucht nicht ein Netz und eine Netzmannschaft zulegen?

Schweigen. Die andern aber setzen sich wieder zurecht und denken darüber nach.

Es ist eine Schmach, sagt August, der Heringsschwarm steht vor unserer Haustür, und wir haben nicht einmal einen Kescher, um ein paar Schwänze herauszuholen.

So ist es! hört man es murmeln.

Eine Netzmannschaft nach der andern kommt aus anderen Gemeinden hierher und schließt die Heringsschwärme ein, wir unternehmen nichts, wir sitzen nur still da und begnügen uns mit dem armseligen Strandanteil. Pfui Teufel über uns!

Aber was sollen wir tun? fragt Karolus.

August wendet sich an Joakim und sagt: Du mußt dir wieder ein Netz anschaffen, Joakim!

Joakim: Das steht nicht in meiner Macht.

Dazu gehört Geld! erwidern auch andere.

August gibt sich damit nicht zufrieden, er fragt: Warst nicht du es, Joakim, der vor zwanzig Jahren zum erstenmal den Heringsschwarm herbrachte und den ersten Fischzug machte? Als dann dein altes Netz verfaulte, warst du der erste, der sich hinlegte und nie wieder einen Finger rührte.

Schweigen.

Wir sollten unser doch wohl genug sein, um uns ein Netz anzuschaffen, meint August aufmunternd.

Wiederum war es Karolus, der dies nicht für unmöglich hielt, keineswegs für ganz unmöglich, der Ort konnte vielleicht etwas tun, die Gemeinde –

Joakim, der Bürgermeister, lacht laut und schüttelt den Kopf: Die Gemeinde soll doch erst einmal eine Anleihe bei einer Bank machen und dann diese Heringsmehlfabrik errichten!

Damit zog er August tief herab und vernichtete ihn beinah! August merkte es selber, er verstummte, er hörte den andern zu, die hin und her überlegten: ein Netzgerät war keine Kleinigkeit, dazu gehörte eine ganze Menge, Tausende, wo war die Goldgrube! Der Plan mußte aufgegeben werden.

August aber hatte dagesessen und seinen Bogen gespannt, er sagt: Ich könnte einen Anteil übernehmen.

Man hört eine höhnische Stimme: Einen Anteil von hundert Anteilen!

Ja ja, oder vielleicht einige Anteile, verbessert August.

Aber selbst dieses Angebot wird mit Gleichgültigkeit aufgenommen. Wiederum beginnen die Leute an das Abendessen und an die Nacht zu denken, einige gähnen laut.

August hat seinen Bogen straff gemacht, jetzt schießt er den Pfeil ab: Es ist ja gleichgültig, sagt er, ich will das Netz und alles, was dazu gehört, auch allein kaufen, wenn du, Joakim, den Betrieb übernimmst!

Oh, durch die Stube geht ein Schluchzen, die Augen werden groß im Halbdunkel. War August wirklich imstande, das alles zu kaufen, war sein Koffer denn zum Platzen voll Geld?

Du machst wohl Spaß! sagen sie.

August: Das hängt von dir ab, Joakim!

Joakim, der Bürgermeister, lächelt und geht sofort auf die Sache ein: Wenn nichts anderes im Wege sei – wenn es nur auf ihn ankäme –

So war es entschieden.

Es wurde also trotzdem ein großer Abend, ein abenteuerlicher Abend. Die Leute konnten beim Abendessen erzählen, daß wiederum großes Aufblühen und Tätigkeit in die Bucht kommen sollten, und Augusts Koffer war voll Geld. Oh, dieser August, dieser Mogul aus Indiens Landen! Er wurde wieder das Rätsel aller und das Staunen aller; in dem Augenblick, da er seinen Pfeil abschoß, hatte sogar Pauline ihm einen Blick zugeworfen, und es war ihr eine merkwürdige Hitze in die Wangen gestiegen.

 

August brachte es wirklich fertig, ein Netzboot zu kaufen, das in der Äußeren Bucht lag. Es lag dort zwischen anderen Netzbooten, hatte jedoch noch keinen Heringsschwarm eingeschlossen, hatte die ganze Zeit Pech gehabt und nicht einmal die Verpflegung verdient, Baas und Mannschaft verloren den Mut und wollten auseinandergehen. In diesem Augenblick kam August hinzu, er hatte wohl schon vorher etwas von der Sache gewittert und handelte jetzt Schlag auf Schlag, brachte Joakim und seine Mannschaft an Bord und trieb sie noch am gleichen Tag ins Abenteuer hinaus. Fertig.

Jawohl. Das Netzgerät war jetzt in neuen Händen, aber darum war es doch noch nicht bezahlt, und August war nicht aufzufinden. Nein, August war verschwunden. Er war wohl in die Innere Gemeinde gegangen oder wer weiß wohin, vielleicht zum Doktor, wegen seiner Krankheit, er kam wohl bald wieder. Der Netzbaas fragte nach ihm, immer noch bestand kein Verdacht, es vergingen ein paar Tage, August war offenbar mit dem Küstenboot fortgefahren, um einige große ausländische Scheine zu wechseln, er hatte vielleicht auf eine Bank gehen müssen –

Weg war er.

Jetzt erkundigte sich der Netzbaas: was besaß denn dieser August an Werten, besaß er überhaupt auch nur das Geringste von der Welt? Ein finsterer und peinlicher Zweifel griff in der Bucht um sich, im Laden wurde geflüstert, man sah zu Boden und schüttelte den Kopf, Pauline ging in die Dachkammer über dem Café und lüpfte Augusts messingbeschlagenen Koffer. Er war leicht, aber leer war er nicht, keineswegs, es konnten sehr wohl wertvolle ausländische Geldscheine darin sein. Der Netzbaas und seine Mannschaft warteten und warteten, schließlich fingen sie an, die Geduld zu verlieren; sollten sie sich die Mühe machen und zum Lensmann gehen? Wartet noch ein wenig, August ist der Mann mit vielen Auswegen! sagte Pauline und redete ihnen gut zu.

Und seltsam ging es zu! Wenn auch August vorher weder Geld noch andere Werte besessen hatte, so bekam er sie jetzt: der Kutter war untergegangen! Der Kutter, den August mit Teodor und einem jungen Burschen als Mannschaft nach dem Süden geschickt hatte, war an der Küste von Helgeland gestrandet, der Küstendampfer selber hatte die beiden Männer auf einer Klippe gefunden und geborgen, aber der Kutter war zertrümmert. Ja, und August hatte ihn vom Kiel bis zum Wimpel versichert!

Das war nicht nur ein Gerücht, sondern es kam ein Telegramm an den Agenten Pauline, mit einer Schilderung des Ereignisses und mit der Order, das allgemeine Verhör vorzunehmen, es stellte sich nämlich heraus, daß der Kutter sowohl von dem Besitzer in Drontheim als auch von dem Mieter versichert worden war, wogegen sich an und für sich nichts einwenden ließ; immerhin mußten einige Fragen geklärt werden.

Am selben Tag tauchte August wiederum auf. Er sah aufgeregt aus, wischte sich den feuchten Schädel und fluchte und war wütend: nie wieder hätte er in ein solches Land heimkehren sollen! Da hatte er nun ein paar von seinen Wertpapieren eingesteckt, etwa an die Zehntausend, aber kein Mensch verstand sich darauf, nur weil sie ausländisch waren. Schaut sie euch doch an, diese Papiere! rief August aus und zeigte Aktienbriefe und merkwürdige Scheine her, zum Teil feine Gemälde mit Stempeln und goldenen Rändern. Ist das etwa nichts? Man möchte das doch in den Mund stecken und hinunterschlucken! Aber diese Krüppel begriffen ja nichts! Sie waren so kurzsichtig, daß sie ihre eigenen Augen nicht sahen, sie waren nie in der Welt draußen gewesen und wußten nicht, wo Mexiko und Honolulu lagen. Aber nun ist es ja gleichgültig, sagte er zu seinem Gläubiger, dem Netzbaas, dein Geld ist dir sicher genug, du sollst es aus der Versicherung bekommen.

Der Netzbaas zögerte und erwähnte etwas von langer Wartezeit.

Ja, willst du den Handel lieber rückgängig machen? fragte August kurz. Ganz wie du willst! Hier siehst du mich stehen mit dem Geld in der Hand, aber ich kann dich nicht ausbezahlen, weil ich nicht die richtige Münze habe. Nun überleg dir's und entscheide dich! Ich habe wenig Zeit.

Nun, der Baas entschloß sich daraufhin, seine Bezahlung aus der Versicherungssumme zu nehmen, dies wurde schriftlich aufgesetzt, mit dem Agenten Pauline als Zeugen, sie schrieb sich die Adresse des Mannes auf und wollte ihm das Geld senden, sobald es eingelaufen war. Fertig auch damit.

Puh! August war immer noch verärgert und trocknete sich den Schädel: Mit so etwas muß man geplagt werden; soll man wirklich am Klarierungstag um Bargeld verlegen sein! Das waren die Staubkörner und Kleinigkeiten, die jeden Geschäftsmann unnötig aufhielten. Im Ausland schob man einfach die Wertpapiere in die eine Luke und bekam das Bargeld durch eine andere Luke ausbezahlt. Nein, sie mußten eine Bank in der Bucht haben, was Pauline dazu meinte?

Ja – vielleicht wohl.

Die Sparbank der Bucht. Die größte Ausgabe würde ein riesiger Geldschrank sein, er hatte schon einen angeschaut in Drontheim, der für Geld und Protokolle gehörte. Im übrigen: hatten Joakim und die Netzmannschaft schon, etwas von sich hören lassen?

Nein.

Es war auch nicht die Zeit dazu, weit entfernt; August wollte nichts sagen, selbst wenn sie in diesem Jahr überhaupt keinen Fang machten, er hatte andere Eisen im Feuer. Waren während seiner Abwesenheit keine Telegramme angekommen?

Nein.

Er erwartete Telegramme aus mehreren Städten im Ausland. Nun, heute war der Zwanzigste, man hatte noch zehn Tage bis zum Ersten.

Was hast du denn vor? fragte Pauline.

Ja, wenn du das wüßtest!

August hatte seinen Ruf wiederhergestellt, es fiel jetzt kein Schatten mehr auf ihn in der Bucht hier, er hatte die Angelegenheit mit dem Netzgerät geordnet und war nun Besitzer, hatte obendrein ausländische Wertpapiere, man hatte ihm schweres Unrecht getan, die Menschen hatten in ihrer Unwissenheit in Geldsachen an ihm gezweifelt –

August kam zur Ruhe, konnte wiederum überlegen und mit Pauline plaudern: Ja, jetzt ist es etwas anderes mit mir als früher manchmal in meinem Leben! äußerte er. Jetzt stehe ich auf sicherem Boden, aber das ist nicht immer so gewesen. Glaubst du mir, Pauline, wenn ich dir erzähle, warum ich meine Zähne gewechselt habe?

Das hast du ja schon erzählt.

August stutzt: Wirklich? Na, aber das war ja alles erlogen. Ich erzähle manchmal etwas, das sich nicht wirklich so verhält, aber jetzt will ich dir die Wahrheit sagen, um mir das Lügen nicht anzugewöhnen. Denn der Grund, warum ich mir seinerzeit andere Zähne anschaffte, lag darin, daß ich nicht wiedererkannt werden wollte.

So, da hattest du also etwas angestellt?

Ja, gewissermaßen. Aber du sagst angestellt? Es war eine Frau, vor der ich keinen Frieden finden konnte, eine Dame, darf ich wohl sagen, denn sie hatte nicht nur einen Hof, sondern auch ein Grundstück in der Stadt und viele Sklaven. Ich darf wohl sagen, daß wir uns ganz gut verstanden, und sie hatte bei ihren Leuten noch nie so schöne Zähne gesehen wie meine goldenen Zähne. Aber die Sache war die: als ich mich losreißen und fortfahren wollte, erklärte sie einfach, nein, das dürfe ich nicht. So etwas von Liebe und Verliebtheit hast du überhaupt noch nicht gesehen, sie war ganz unglaublich verliebt in mich. Als ich mich heimlich davonmachen wollte, stellte sie eine Wache aus, die mich wiedererkennen und zurückbringen sollte. Ich aber hatte inzwischen die Zähne ausgewechselt und entkam an Bord.

Er sah Pauline an, wie sie wohl diese Geschichte aufnahm? Sie nahm sie schlecht auf, sie verzog den Mund zu einem Grinsen. August selber aber schien zufrieden mit der Geschichte, sie löste im Augenblick wohl seine Phantasie aus und tat ihm wohl, er lachte und schüttelte den Kopf. Habe ich nicht viel erlebt? fragte er. Und das muß ich sagen, am schlimmsten sind mir immer die Damen nachgelaufen. In meinem Körper stecken heute noch vier oder fünf Revolverkugeln, aber das ist nichts gegen das, was ich mit den verschiedensten Frauen durchmachen mußte, die mich mit Gift und Messerstichen und Tränen verfolgt haben. Ich werde dir einmal erzählen, was ich alles ausgestanden habe.

Hahaha! lachte Pauline trocken und vernünftig hinter ihrem Ladentisch: Du brauchst dich nicht kostbar zu machen, August, denn jetzt wirst du Frieden haben vor den Damen in der Bucht hier.

August war etwas gekränkt, er faßte sich jedoch und sagte: Das wird gut sein!

Als aber Pauline glaubte, ihn auch im Beisein anderer auslachen und zum besten haben zu dürfen, packte ihn der Ärger: War er der Mann, über den man lachen durfte? Hatte er nicht eine hellseherische Voraussicht bewiesen, als er den Kutter versicherte, wodurch er eine Menge Geld verdiente? Hatte er nicht seinen Gläubiger, den Netzbaas, ausbezahlt? Er war doch klar und eindeutig Besitzer eines großen Netzgerätes, wie es sich die Männer der Bucht nie hätten leisten können, und trotzdem stand er nun hier zusammen mit allen möglichen Leuten und war nett und freundlich gegen alle und kaufte Pauline nicht den ganzen Laden ab und machte sie nicht obdachlos!

Wirst du nicht bald heiraten, Pauline? fragte er spitzig.

Frag dich doch selber, gab sie ihm zurück und war keineswegs sanft.

Denn allmählich kommst du doch wohl in das Alter?

Ja, sagte sie. Aber in den letzten zwanzig Jahren habe ich ja nur auf dich gewartet.

Die Leute im Laden begannen zu lachen, ein paar Frauen fanden die Sache lustig und warfen dann und wann ein Wort dazwischen: Glaub ihr nicht, August, sie hat nicht auf dich gewartet, sie will ja den Kaplan vom Pfarrhof haben.

Seid jetzt endlich einmal still mit euerm Kaplan! rief Pauline erbittert und mit rotem Gesicht.

August kannte sich nicht aus. Der Kaplan? sagte er schüchtern, wer ist denn das? Aber er merkte selber, daß er sich nicht geschickt genug zurechtfand.

So, du weißt nicht, wer der Kaplan ist, sagten die Frauen, da gehst du also nicht in die Kirche und in Gottes Haus?

August: Nein.

Nein, aber er war Missionar bei den Heiden! brachte Pauline schlagfertig in Erinnerung. Und als mehrere im Laden diese Bemerkung laut belachten, versuchte sie weiterhin ihr Glück und fügte hinzu: Und jeden, der sich nicht bekehrte, den schoß er nieder!

August stand hilflos da. Diese verflixte Pauline machte ihn immer geringer und geringer. Er hätte sie nie herausfordern sollen. Nein, August war nicht imstande, spöttisch zu sein und um sich zu beißen, dieser alte Seemann konnte nur freundlich und offenherzig sein, seine Natur war duldsam und gutmütig.

Ja ja, Pauline, sagte er, du sollst ja meinetwegen das letzte Wort haben, aber es hilft nun einmal nichts, Heiden und Freimaurern und Menschenfressern gute Worte zu geben, soviel mir wenigstens bekannt ist. Die müssen blutigen Ernst sehen.

Ja, aber du hast doch Menschen erschossen? schrie Pauline.

August findet sich nach und nach besser zurecht, seine Phantasie gerät wieder in Schwung, er setzt eine gekränkte Miene auf und fragt: Könntest du mir vielleicht sagen, was ich sonst hätte tun sollen, Pauline, da du es so genau weißt?

Pauline: Es ist wohl nicht einmal wahr, daß du Missionar warst!

Augusts Phantasie machte einen großen Satz: Ich will dir etwas erzählen, was du nicht weißt, und dann kannst du deinen Kaplan fragen, ob es nicht so ist, denn er weiß es auch nicht: Alljährlich am vierzehnten September gibt es im Golf von Mexiko entsetzliche Orkane und Zyklone. Sie gehen in Wirbeln und Kreiseln und machen den Kompaß unbrauchbar, sie schleudern Schiffe in die Luft, sie reißen den Menschen die Köpfe ab, so daß diese über Deck kollern, wir Seeleute kennen das. Als ich seinerzeit in so einen Sturm geriet, wurde ich weit in einen Wald hinein mitten unter Wilde geschleudert. Was glaubst du wohl, das da zu tun war, Pauline? Zu essen gab es zwar in Hülle und Fülle, Bananen und Zimt und Zuckerrohr, die Wilden aber dachten nur an Fleisch und lauerten darauf, mich aufzufressen. Ich wurde also nicht der Gesundheit wegen Missionar, ich mußte mein Leben retten. Wenn ich auch anfing, ihnen von Barrabas und dem Flusse Jordan und den anderen Dingen zu erzählen, so darfst du ja nicht glauben, daß sie nur immer freundlich und zustimmend dazu nickten, Tiere, wie sie nun einmal waren. Aber schließlich war einige Zeit vergangen, und eines Tages war sogar nach dem Kalender ein besonders heiliger Bettag, so daß ich mich für sicher hielt. Aber Verzeihung! Und was hättest du getan, Pauline, wenn dich ein wilder Heide von hinten her angefallen und deine Arme festgehalten hätte?

Und in dem Augenblick hast du geschossen?

August sieht sie voller Mitleid über so viel Unkenntnis an: Nein, kleine Pauline, ein Mann kann nicht schießen, wenn ihm seine beiden Arme so festgehalten werden.

Was tatest du dann? fragten die Frauen.

Ja, das will ich euch allen miteinander sagen: ich schlug aus Leibeskräften nach hinten aus und stieß dem Wilden meinen Nacken ins Gesicht und zerschmetterte es ihm.

Die Zuhörer überläuft ein Schauder.

August ist höchst zufrieden mit dieser Wirkung und lächelt. Er fragt: Ja, war das nicht gut gemacht? Aber trotzdem wäre ich ein toter Mann gewesen, gäbe es nicht eine Vorsehung. Denn als ich anfing mich zu verteidigen und sie wie Fliegen niederschoß, antworteten sie mit einem Schauer von Pfeilen, und das Gefährliche war, daß jeder einzelne dieser Pfeile vergiftet war.

Schweigen. Die Zuhörer lauschen, August aber macht eine Pause. Sie fragen: Aber du stehst doch lebendig hier, wie ist das möglich?

Ja, sagte er, ich denke ja gerade über dieses merkwürdige Erlebnis nach. Meine Zeit war wohl noch nicht gekommen. Ich konnte nicht getötet werden, denn ich war in meinem guten Recht und stand im Dienste der Bibel.

Pauline schneidet wieder eine Grimasse.

Du sollst das nicht tun, Pauline, du sollst nicht dastehen und Grimassen schneiden, sagt August und beginnt wieder aufzuglühen. In der Nacht vorher hatte ich eine Warnung erhalten, eine weiße Gestalt stand bei mir, ich weiß nicht, ob es Gabriel oder ein anderer Engel war, jedenfalls aber sagte er, ich solle die Gummiweste anziehen, die ich in Singapore gekauft hatte, und ich solle sie auf der Haut tragen, sagte er. Warum nur? dachte ich, aber ich stand doch auf und tat, wie er befohlen hatte. Das war meine Rettung, die Pfeile konnten den Gummi nicht durchdringen. Und darum fingen auch die Wilden an, mich erstaunt anzusehen: was hatte das zu bedeuten, daß die Pfeile mir nichts anhaben konnten? Jetzt aber war ich an der Reihe: Ich schrie den Häuptling an, deutete geradeswegs auf ihn und begann das Evangelium auszulegen und alles miteinander. Achtzehn Pfeile steckten in mir, die zog ich jetzt nacheinander heraus und warf sie zu Boden: Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein elender Sieg über einen Kerl wie mich! sagte ich. Nein, da begriffen ja der Häuptling und die andern, daß ich vom Himmel gesandt war, und so wollten sie getauft werden.

Schweig jetzt, August! sagte Pauline. Was wolltest du haben? fragte sie eine der Frauen und ging zum Geschäft über.

Ich möchte mir Baumwollstoffe anschauen, sagte die Frau.

Ich taufte drei Tage lang, fing August wieder an –

Aber jetzt waren den Kunden ihre verschiedenen Wünsche eingefallen, und sie wollten heim, und August erkannte, daß er nichts gewonnen hatte mit seiner Geschichte, eher verloren. Merkwürdig, wie die Menschen doch sein konnten! Als er den Laden verließ, schauten sie ihm nach; es war, als begleiteten sie einen Redner, der ausgepfiffen worden war, an die Tür. Und das war Paulines Schuld.

Aber draußen traf er mit Ragna zusammen, sie nickte ihm freundlich und herzlich zu, wie allen, und das tat ihm wohl. Ragna war bekannt für ihr Glück bei Männern, sie blieb von selber stehen und gab ihm Gelegenheit, etwas zu sagen, für den Fall, daß er etwas sagen wollte. August, schnell wechselnd und immer aufgelegt, trat hinzu und faßte sie am Arm, drückte sie, erhielt ein Lächeln dafür und wurde selber rot und aufgeregt.

Was fehlt dir denn? fragte sie lachend.

Du bist so schön, du Hexe du! Du bist zu gut für den Teodor!

So drück mich doch nicht am hellichten Tag, sagte sie. Wo bist du denn gewesen? Man hatte dich gesucht, soviel ich gehört habe.

Geschäfte, erwiderte er. Du hast eine schöne Tochter beim Doktor. Unvergleichlich. Die hast du aber doch nicht mit dem Teodor bekommen?

Aber natürlich. Hast du sie gesehen?

Ob ich sie gesehen habe! Im übrigen aber bist du selber genau so schön.

Was fällt dir denn ein! sagte sie und schüttelte ihn ab. So, du bist beim Doktor gewesen?

Ich ließ mich nur ansehen. Das hat nichts zu bedeuten, wir Seeleute lassen uns manchmal ansehen. Ja ja, Ragna, du bist wirklich verdammt hübsch, und ich denke Tag und Nacht an dich, das darf ich wohl sagen, du wirst mir ganz gewiß nicht auskommen.

Ragna antwortete, – obgleich ihr die Straße keineswegs versperrt war: So laß mich doch vorbei, habe ich gesagt! Ich will dein Geschwätz nicht mehr hören.

August: Kann ich deine Tochter beim Doktor bekommen? Ragna schluchzt förmlich auf: Gott behüte sie!

Ja, meinte er, noch lieber will ich ja auch dich haben! Er hörte nicht auf, zu schwätzen, bis zum letzten Augenblick: Er sei weit herumgekommen seit seiner Jugend, jetzt habe er Anker geworfen, er wolle sich verändern, deshalb sei er heimgekehrt, er wolle heiraten, eine Familie gründen –

Ragna lachend: Du bist zu alt und hast zuwenig Haare.


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