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XII

Aber August hat vielleicht an sich selber gefühlt, daß er Ane Maria zuviel versprochen hatte, viel zuviel, er mied sie einige Tage lang, und als er sich schließlich geradezu von ihr verfolgt und gejagt glaubte, ging er geradeswegs in die Innere Gemeinde und suchte nach zwei Kindern. Er war in großem Staat, mit reichlich viel Rot geputzt.

Seine Hoffnung war gering, die Innere Gemeinde, die immer so fein sein wollte, hatte gewiß keine Kinder, die sie abtreten mochte. Er ging zum Pfarrer, – nein, Kaplan Tveito war ziemlich fremd in der Gegend, und so weiter. August ging zum Lensmann, er mußte doch die Armen, die Geldlosen kennen, bei denen er immer pfänden mußte, weil sie die Steuern nicht bezahlten. Zwei arme Kinder, – nein! Der Lensmann stellte sich als ein Patriot der Inneren Gemeinde heraus und gab ihm den Rat, diese Kinder in der Bucht zu suchen. Dort wirst du ihrer sicher genug finden, sagte er.

So so, er duzte August und war auch im übrigen unausstehlich, das sollte er heimgezahlt bekommen! Er war ein junger Mann, der Sohn des alten Lensmannes, der die Achtung der ganzen Umgebung genossen hatte, ein wenig selbstzufrieden, ein wenig töricht, vielleicht freundlich und ordentlich auch er, aber kein Licht. August mit seinem raschen Verstand zahlte es ihm zurück, anfangs sanft und schlau: Wir haben vieles bei uns, aber arme Kinder, – nein. Darum dachte ich, daß ich hier mein Glück versuchen wollte.

Hahaha, lachte der Lensmann. Was hast du denn eigentlich in deiner Bucht? Heringe, nichts als Heringe!

Auch Heringe, ja, nickte August. Überhaupt viele Dinge, die du in deiner Inneren Gemeinde nicht hast.

Der Lensmann gekränkt, weil er geduzt wird: So, – kann sein. Aber trotzdem ist doch wohl noch ein Unterschied zwischen dir und dem Lensmann, mit dem du redest.

Ja, entgegnete August unschuldig, aber ich lasse es dich doch nicht so sehr merken, daß du unter mir stehst.

Der Lensmann starrte ihn an, sein Gesicht wurde leer. Und es war immer noch leer, als August grüßte und ging.

August fürchtete sich aus irgendeinem Grund, unverrichteterdinge heimzukommen, er steckte in der Klemme, er mußte diese Kinder herbeischaffen, statt sie selber zu machen. Es hatte keinen Sinn, in privaten und ganz unbekannten Häusern zu fragen, er ging zum Küster. Und hier wurde er auf den Weg gewiesen. Ja wirklich, Küster Johnsen war der Lehrer der Kinder in der Inneren Gemeinde und konnte sich vorstellen, – wollte nicht geradezu einen bestimmten Namen nennen, aber –

Und in der Freude darüber, einen Fingerzeig zu bekommen, wollte August nun den Pfarrer und den Lensmann ins richtige Licht stellen, gleichviel ob das gute Politik war oder nicht. Er war ganz erfüllt davon, er fing mit dem Pfarrer an: Ein Helgeländer, der am Ende gar Läuse hatte und der jedenfalls nicht sauber unter der Nase war. Da sollte der Küster einen Kapitän auf einem Ozeandampfer sehen, breite goldene Zöpfe an der Mütze und an den Ärmeln, goldene Sterne auf den Jackenaufschlägen, eine goldene Kette über dem Bauch, Goldfeder, Goldbleistift, goldenes Zigarettenetui, goldene Uhr, goldene Ringe, Gold, Gold. Hingegen der Kaplan, dieser Tveito, ein Eingeborener, der dasaß und einen Holzspan kaute und vornehm redete und nichts wußte; konnte man sich etwas Schlimmeres denken – ?

Der Küster lächelte nur und räusperte sich, um auch zu Wort zu kommen, August mußte davon absehen, den Lensmann zu durchleuchten. Küster Johnsen konnte wie gesagt für nichts einstehen, aber da sei also der Schmied. Vor ein paar Jahren sei ein Schmied mit seiner Familie in die Innere Gemeinde eingewandert, Schmied Eide Nikolaisen mit Frau und vielen kleinen Kindern. Sie kamen von Stokmarknes und waren sehr arm, hatten sogar die ganze Zeit her Unterstützung von ihrer Heimatgemeinde bezogen. August solle bei diesen Leuten fragen. Der Schmied selber stand ja nicht gerade in dem Ruf, ein ordentlicher Mann zu sein, habe wohl auch ein wenig mit der Polizei zu tun gehabt, und die Frau sei abgerackert und müde, aber die Kinder könnten ja trotzdem ganz nett sein.

Ja, was gehen einen die Eltern an! meinte August auch, aus solchen Kindern können Gouverneure und Präsidenten werden, ich habe das in der Welt draußen oft genug erlebt. Der König von Hinterindien hatte kein einziges steifes Hemd außer dem einen, das ich ihm das erstemal lieh, als er im Palast tanzen sollte. Aber was tut das!

Da wurde auch das Gesicht des Küsters leer, er sah August etwas erschrocken an und sagte, um zu einem Ende zu kommen: Ja ja, nun solle er es also einmal beim Schmied versuchen.

Und diesmal glückte es August wirklich, einen großen Schritt vorwärtszukommen. Zwei Kinder des Schmiedes wurden ihm gewissermaßen versprochen, übrigens zwei Knaben im Alter von fünf und sechs Jahren, der eine etwas älter als der andere, beide mager und mit großen Augen, die richtige Art. Sie waren beide sehr groß und waren ungepflegt und vielleicht auch richtige Rangen, aber sie paßten doch nicht so schlecht zu diesem Zweck, unter anderem hatten sie blaue Augen und gute, derbe Gliedmaßen, Ane Maria würden sie sicher gefallen.

August konnte nur eine vorläufige Verabredung treffen, bis die Pflegemutter selber käme und die Sache abschlösse, und sie würde vielleicht schon am nächsten Tag kommen. Der Schmied hatte nicht viele Einwendungen zu machen, er sah beinahe zufrieden aus, hingegen waren bei der Mutter einige Zweifel zu überwinden, sie weinte und brachte es fertig, daß auch die Kleinen ganz ängstlich dreinsahen. Teufel noch einmal, wenn das nicht unheimlich war; der unerschrockene Seemann wurde selber ganz unbeholfen und gerührt, es war doch eine Hundearbeit, die man ihm da zugemutet hatte, und er war ein Trottel, daß er sie angenommen hatte. Schau her, sagte er und gab der Mutter einige Scheine, kauft euch alle miteinander etwas dafür! Na, dann lassen wir's dabei, ihr braucht keine Angst zu haben, es sind gute Leute, die eure kleinen Buben haben wollen.

Die Mutter weinte laut, vielleicht hatte sie das Gefühl, als habe sie Handgeld genommen, ja als habe sie ihre Kinder verkauft. August mußte schließlich sagen: Und wenn ihr sie nach einiger Zeit wiederhaben wollt, so wird das wohl auch möglich sein, ihr braucht nicht zu weinen, es ist kein Zwang!

August ging gedrückter heim, als er fortgegangen war, der Weg war nicht erfolglos gewesen, hatte sozusagen eine Ausbeute gebracht, bitte schön, hier sind zwei kleine Jungen, ist das nicht gut? Ja, sagte Ane Maria. Aber es schien nicht, als sei dies der Ausweg, den sie am liebsten gehabt hätte, nein, sie konnte nicht umhin, von einem gewissen Plan zu sprechen, von dem vor einigen Tagen die Rede gewesen sei, wie es damit stünde? August entschuldigte sich, daß sie da den größten Teil eines Jahres hätte warten müssen. Und außerdem, hielt er ihr vor, dürfe sie nicht vergessen, daß dies Kinder aus der vornehmen Inneren Gemeinde seien, ein Triumph und ein Sieg. Aber wenn die Sache so stünde, fuhr er beleidigt fort, daß Ane Maria am liebsten auf diese Kinder verzichtete, so würde er sie selbst nehmen, – er selber, August, würde sie nehmen. Ja. Denn er habe noch nie im Leben so reizende und merkwürdige Kinder gesehen, und es würde ihn nicht wundern, wenn sie es noch zu etwas Hohem und Vornehmem brächten, von dem er jetzt nicht sprechen möchte.

 

Und die Sache ging in Ordnung, Ane Maria kam heim und mit ihr die beiden kleinen Buben, die sie halb führte und halb auf dem Rücken trug. Sie beschäftigte sich eingehend mit ihnen, gab ihnen zu essen, ging mit ihnen in den Laden und zeigte sie her, kaufte Sachen für sie ein, kaufte Kleider und Schuhe und setzte sich außerdem daran, ihnen eine weitgehende Aussteuer zu nähen. Ungeheuer beschäftigt.

Das war nun ein Leben und ein Spaß und ein Wunder vom Morgen bis zum Abend. Die Buben gediehen, bekamen genug zu essen und bessere Kleider, trieben sich mit anderen Kindern herum und wurden müde bis zum Abend. Aber dann und wann hatten sie doch schwere Stunden mit Heimweh und Tränen, das ließ sich nicht vermeiden, Ane Maria war in diesem Punkt merkwürdig geschickt und verstand sie zu trösten. Zweimal ging sie mit ihnen heim, und sie kehrten mit ihr zurück, einmal wollten sie in die Innere Gemeinde gehen und sich den Kameraden in ihren neuen Kleidern zeigen, ein paar Tage darauf brachte die Mutter sie selber in die Bucht zurück. Freilich war es auch jetzt schwierig, als die Mutter sie verlassen und wieder heimgehen sollte, aber zum Glück hatte Karolus, der Pflegevater, zwei kleine Äxte gekauft, mit denen die zwei kleinen Buben etwas Holz hacken und sich damit ein paar Öre für Süßigkeiten verdienen konnten.

Auch Karolus hatte ja seinen Spaß an den kleinen Burschen, es war merkwürdig, sie zu haben, es waren Kinder, sie sahen ihn mit großen Augen an und fragten oft nach dem oder jenem. Hatte man schon so etwas gesehen, solche Lausbuben, sie kamen auf den Gedanken, sich hinter der Hausecke zu verstecken und Piep zu sagen, wenn er in die Stadt ging. Karolus konnte nicht bei jeder Gelegenheit mit ihnen spielen, aber er lachte ihnen zu und drohte ihnen mit beiden Fäusten, daß er schon noch kommen und sie beim Schopf nehmen werde. Es war ihm aus mehreren Gründen lieb, daß diese Buben in sein Leben gekommen waren, auf diese Weise hatte er nun sein Bett allein in der Stube, denn Ane Maria und die Kleinen schliefen in der Kammer und konnten einander nicht entbehren.

Wahrlich, Karolus hatte es jetzt gut und ruhig und stand überdies auf der Höhe seines Reichtums und seiner Würde. Wenn er unterwegs Leuten begegnete, war er nicht der Mann, der nur nickte und vorbeiging, o nein, er wußte sich besser zu benehmen, aber sehr lange redete er doch nicht mit diesen Schwätzern über Wind und Wetter, dann zog er seine Taschenuhr und sagte: Ich hätte ja gerne noch länger mit dir geplaudert, aber ich muß zu einer wichtigen Versammlung in der Bank!

Das war ein Unterschied gegen früher!

Diese Versammlungen in der Bank hatten ja manchmal einen peinlichen Charakter. Es kam vor, daß Leute, Buchtbewohner und andere bekannte Personen, um eine Anleihe ansuchten, obgleich die Bürgen, die sie beibrachten, nicht genügten; was sollte man tun, sollte die Anleihe verweigert werden? August und Karolus waren großzügig und meinten nein, Pauline aber, die von allen am meisten ortsbekannt war, neigte zu einer Absage. Die Mehrzahl setzte gar manche zweifelhafte Anleihe durch, und Pauline wollte nicht mehr im Rat sitzen und überstimmt werden, sie trat aus. Als die beiden Zurückbleibenden mehrere kleine Anleihen sozusagen verschenkt hatten, sah August ein, daß die Sache schiefgehen würde, – er wollte bremsen. Aber August als Bremser! Da gab es ja dann kein Leben und keinen Umsatz mehr, nur Stillstand. Verwünscht noch einmal! Außerdem war es sehr lustig für August, in der Bank zu sitzen und über das Wohl und Wehe der Menschen zu entscheiden; die Bewerber von Anleihen kamen jetzt immer zu ihm, es war Augusts Bank, und Karolus war nichts, ja es kam immer häufiger und häufiger vor, daß August seinen eigenen Namen zu denen zweier schlechter Bürgen hinzufügte, um die Ausgabe einer Anleihe durchzusetzen. In der Gemeinde hieß es, daß er seine Reichtümer aus den Silberminen dazu hernähme, Gutes zu tun.

Pauline sah mit der größten Unruhe und Verärgerung zu, wie er die fünftausend Kronen des großen Bruders der Gefahr aussetzte. Sie dachte nicht an Joakims schäbige fünf Aktien oder an ihre eigenen zehn, ihre Sorge galt nur dem großen Bruder, ihm, der immer schweigsam und ernsthaft umherging und sich niemals geltend machte. Es wird noch damit enden, daß ihr ihn auf die Knie zwingt, sagte sie zu August.

Aber nein, August lächelte und hatte die beste Hoffnung, den großen Bruder nicht herunterzuziehen.

Ihr habt die Bank mit lauter Ausleihen leer gemacht, sagte sie.

Leer? Das weißt du besser, denn du hast ja das Geld in Verwahrung.

Es ist jedenfalls weniger als seinerzeit, da ihr anfingt.

Ja, aber was besitzt doch die Bank jetzt alles an Werten im Vergleich zu dem Tag, da sie anfing! August zählte auf: sie hatten eine ganze Reihe von Bürgen, ganze Höfe waren ihnen gegen kleine Summen zum Pfand gegeben worden, und für Baugelder hatten sie eine feine Straße in der Bucht bekommen mit funkelnagelneuen Häusern, – hatten sie das etwa, als sie anfingen?

Pauline sagte: Ich wünsche nur aus ganzem Herzen, daß Edevart heil aus dieser Sache heraus wäre!

August beruhigte sie wiederum lächelnd, daß sie für Edevart nichts zu fürchten brauche, er habe gute Sicherheiten. Die Bank ging tatsächlich gut bisher, sie lebte und wirkte und sie war zum Segen, August und Karolus leisteten große Arbeit –

Und es hatte also nicht den Anschein, als wolle August auf seine Allmacht in der Bank verzichten.

In dieser Beziehung trat eine Veränderung ein, als der Geldschrank ankam. Mein Gott, was für ein Geldschrank, ein Haus, eine Festung, das Großnetzboot selber mußte ihn von der Haltestelle abholen, und als sie damit in der Bucht landeten, brauchte man zwei Pferde und acht Männer, um ihn von den Schiffshütten hinaufzuschaffen.

Ja, sagte August, aber ich habe Geldschränke gesehen, die zehnmal so groß waren!

Wo sollten sie nun hin damit? Sie wollten ihn zum Kramladen fahren, aber Pauline weigerte sich. Bankchef Rolandsen erbot sich, ihn zu sich zu nehmen, er wollte diesen stolzen Schrank, der mit Schwarz und Gold verziert war und neusilberne Klinken hatte, mehr als gerne in seinem Prachthaus haben, wo er einen vornehmen Platz in seiner Wohnstube zwischen dem Sofa und dem Spiegel bekommen sollte –

Warum willst du diesen schönen Schrank nicht haben, Pauline? fragte August.

Pauline kurz und bündig: Weil er mir den Boden durchbricht.

Dann wollen wir den Boden untermauern, meinte August.

Aber es gelang ihm doch nicht, Pauline so schnell zu überreden, er mußte lange mit ihr sprechen. Da standen acht Männer und zwei Pferde und warteten auf die Entscheidung, aber Pauline scherte sich nicht darum, sie war verbittert wegen all dieser zweifelhaften Darlehen, die August und Karolus gegen ihren Rat ausgegeben hatten und durch die der große Bruder so gut wie bankerott wurde.

Glaubst du nicht, daß wir merken, was für Dummköpfe wir waren, als wir so viel Geld ausliehen? sagte August, um sie milde zu stimmen. Wir waren ja ganz vernagelt!

Ich will nicht das allermindeste mit eurer Bank zu tun haben, beharrte Pauline nachträglich. Ich möchte auch, daß ihr das Geld bei mir abholt, ich will es nicht mehr aufbewahren.

Da standen nun acht Männer und zwei Pferde und warteten. August versuchte diese aufgeregte Frau mit sanften und überredenden Worten umzustimmen: sie solle ihm doch den Gefallen tun und den Geldschrank bei sich aufnehmen, sie sei doch die einzige, die dafür in Betracht käme, da sie die Post, die Versicherung und den Kramladen habe, es ginge doch nicht an, daß der Geldschrank der Bank irgendwo im Ort herumstehe. Sie müsse es sein, die sowohl Edevarts Geld als auch das aller anderen aufbewahre.

Dieses Argument mit Edevart war klug, Pauline stutzte und überlegte. Sie sagte mit einer gnädigen Miene, indem sie fortging: Nun ja, – aber ihr müßt mir den Boden untermauern!

Sie untermauerten den Boden und brachten Stützen unter den Balken an. Als es sich herausstellte, daß der Schrank das ganze kleine Kontor ausfüllen würde, mußte der Raum durch einen Anbau erweitert werden. Edevart wurde hinzugerufen und machte sich mit zwei Männern an die Arbeit. Die Unkosten trug die Bank.

Und endlich konnte der Geldschrank in Gebrauch genommen werden, es war nicht mehr zu früh. Jawohl, aber er war jetzt verschlossen, und es zeigte sich, daß es Schwierigkeiten bereitete, ihn zu öffnen. Jedermann wußte natürlich, daß solche Schränke einbruchs- und diebessicher sein sollen, aber es sollte doch für anständige Leute nicht unmöglich sein, sie zu öffnen. Zum Teufel, was war das wieder für eine Geschichte! August schraubte und drehte an der Klinke, schraubte und drehte an einer Scheibe mit Buchstaben und Zahlen, ein Rätsel, ein Rebus des Satans, Karolus trat hinzu und übernahm die Untersuchungen, Teodor, der soeben mit der Post gekommen war, blieb selbstverständlich auch stehen und gab verschiedene Ratschläge: vielleicht könnten sie die Hinterwand des Geldschranks herausnehmen? August mußte wieder sein Glück versuchen und kam nicht vom Fleck, er war wütend und behauptete, daß er den ganzen Schrank zurückschicken, ihn der Fabrik ins Gesicht schmeißen wolle! Teodor ging inzwischen in den Kramladen und lieh sich dort eine Zange, mit der er es versuchen wollte, als er jedoch daran gehindert wurde, schob er die Zange in die Tasche und machte den Vorschlag, den Schmied aus der Inneren Gemeinde, Schmied Eide Nikolaisen, zu holen, um die Schranktüre aufbrechen zu lassen.

Du redest eben, wie du es verstehst! belferte August.

Wieso? Ist es vielleicht besser, hier zu stehen und den Schrank anzuschauen? fragte Teodor zurück.

August war in Weißglut und fluchte stumm. Wo ist Joakim? fragte er immer wieder. Pauline kam und rief zum Essen. Du hast dir vorhin eine Zange geliehen, sagte sie zu Teodor. Eine Zange, – er? Nein. Ach ja, richtig, er hatte es vergessen! Und Teodor mußte die Zange ausliefern.

Joakim war hinzugekommen, sie gingen zum Mittagessen, es wurde eine Mahlzeit, von Augusts bitteren Reden über den Geldschrank begleitet. Joakim hatte gehört, daß Teodor die Tür sprengen wollte, ja, dieser Teodor! Joakim lachte laut auf, August fiel mit ein, lachte ebenfalls gewaltig und ergötzte sich über eine derartig hoffnungslose Dummheit, wie Teodor sie bewies: Stell dir doch vor, er wollte auch noch die Rückwand des Schrankes herausnehmen, hahaha! Edevart war der einzige, der nichts sagte.

Als August wieder hinausgehen wollte, um von neuem über die Geheimnisse des Schrankes zu grübeln, teilte Pauline ihm mit, daß mit der heutigen Post ein wichtiger und eingeschriebener Brief für ihn angekommen sei. Es handelt sich wohl wieder um ein großes und ausländisches Geschäft, ich habe ihn schon lange erwartet!

Jedoch der Brief war von der Schrankfabrik, die hiermit den Schlüssel zu dem Rätsel schickte, die Kombination, die vollständige Erklärung, wie der Schrank zu öffnen und zu schließen war: soundso viel Zahlen und Buchstaben nach rechts mit der Scheibe, soundso viel Zahlen und Buchstaben nach links mit der gleichen Scheibe, – und der Schrank war offen! Hahaha, was für Idioten waren sie doch gewesen, rein vernagelt, soundso oftmal rechts herum und links herum, das war alles, mein Gott, wie dumm waren sie gewesen!

In dem Brief stand, daß die Erklärung vor Unberechtigten selbstverständlich geheimgehalten werden müsse. Jawohl, August dachte auch gar nicht daran, die Kombination an irgendeinen beliebigen Menschen auszuliefern, er übernahm es selber, mit der Scheibe herumzuhantieren, und er verlangte auch, daß einige der Zuschauer fortgehen und nicht stehenbleiben und die Kunst lernen sollten.

Als jedoch August den Brief eine Zeitlang studiert und die Scheibe dahin und dorthin gedreht, die Schranktür jedoch immer noch nicht zu öffnen vermocht hatte, rief er Joakim herbei.

Was gibt es? fragte Joakim.

Ja, kannst du glauben, daß ich diesen elenden Schrank nicht aufkriege? sagte August wütend. Es gehört fast nichts dazu, nur eine winzige Drehung an der Scheibe nach rechts oder links, aber der Teufel soll das verstehen!

Joakim lachte: Du mußt dir den Teodor kommen lassen! riet er.

Mach dich jetzt nicht lustig über mich, versuch es lieber selber! drohte August ärgerlich. Es war, als habe er jetzt nicht mehr viel Geduld.

Ich kann auch nicht mehr als du, entschuldigte sich Joakim. Auf Geldschränke verstehe ich mich nicht.

Ja ja, aber du bist doch der Bürgermeister, hielt ihm August in der Verzweiflung vor.

Hol dir doch Pauline zur Hilfe, sagte Joakim und ging.

Und wirklich war es schließlich Pauline, die, nachdem sie den Brief aufs genaueste studiert hatte, den Schrank endlich öffnen konnte. Und das paßte insofern ganz gut, als ja auch gerade sie und kein anderer Verwendung für das Geheimnis hatte. Sie nahm den Brief an sich. Die Kombination war bei ihr in guten Händen.

 

So arbeitete die Sparbank der Bucht Tag für Tag in aller Ruhe, ohne Rücksicht auf das Bankgesetz und die Behörde, aber auch ohne Rücksicht auf eigenen Gewinn. Es war eine freundliche Bank. Sie lieh kleine Summen gegen Sicherheit aus und empfing tatsächlich auch dann und wann Einzahlungen von Leuten, die in der Äußeren Bucht gut verdienten. Es ging gut, Pauline war wieder in den Rat eingetreten und machte sich nun so stark geltend, daß, selbst wenn sie von August und Karolus überstimmt wurde, doch nichts ausbezahlt wurde, da ja sie es war, die die »Kombination« hatte. Tatsächlich war das Bargeld der Bank jetzt reduziert, was nach ihrer Meinung ein böses Zeichen war, die Kasse war nach der Bezahlung des Geldschrankes erheblich zusammengeschmolzen, aber von diesem Tag an sorgte Pauline auch dafür, daß nicht mehr ausbezahlt wurde, als hereinkam. Sie war die Vorsehung der Bank.

Monat um Monat verging, die Bucht war sozusagen als Stadt in Tätigkeit getreten, sie hatte eine Straße mit Häusern auf der einen Seite, sie hatte eine Heringsbucht als Hinterland draußen, und sie hatte ein Postamt und eine Bank. August ließ klugerweise nichts von einem Gebäude aus Stein mit feuersicherem Gewölbe für die Bank verlauten, aber er lag Joakim, dem Bürgermeister, oft wegen eines Gemeindelokals für die Stadt in den Ohren. Das habe keine Eile, sagte Joakim. Doch, es habe Eile, denn jetzt hätten die privaten Bauaufträge aufgehört, und Edevart sei ohne Arbeit. Wir haben noch nicht genug Geld, sagte Joakim. Ihr könnt ja eine Anleihe aufnehmen, erwiderte August, ich kann mir nicht vorstellen, daß Pauline sich diesem Plan widersetzen wird. Vergebens. Joakim war unbeugsam und ließ sich nicht erschüttern.

Aber was half es, daß die Bucht eine Stadt war, wenn kein Mensch in der Stadt etwas unternahm? August sah mit Gram, daß keiner einen Finger rührte. Da trug er sich zum Beispiel mit dem Gedanken, die Häuser zu numerieren. Sollen wir Nummern bekommen? fragte der alte Karolus. Ja, denn das hat man in jeder Stadt, erklärte August, und du sollst Nummer eins bekommen. Da gab Karolus nach, aber er blieb der einzige, der eine Nummer über der Haustür hatte. Nichts wollte glücken, keiner machte etwas nach. Wie war es mit Augusts Idee zu einer Heringsmehlfabrik, beschäftigte sie etwa die Gemüter? Es mochte noch hingehen, daß die Bank nicht mittat, obgleich gerade sie Interessenten zusammenbringen konnte, um eine Fabrik zu gründen, die Heringsmehl herstellte und auf diese Weise der Industrie und dem Nahrungswesen in die Höhe half und Unmengen von Geld schuf. Nein. War die Bucht eine tote Stadt?

August redete mit Karolus über die Fabrik. Doch, Karolus versprach wiederum, mitzutun, er wollte einen Teil seiner Mittel für die gute Sache einsetzen. Aber alle andern zogen sich zurück. August war hinter Ezra her, hinter Joakim, hinter dem Großnetzbesitzer Gabrielsen, hinter Bankchef Rolandsen her, er lief sich wiederum in der Nordgemeinde die Schuhsohlen ab und sprach mit goldener Zunge von seiner Idee, – nein. Keiner lebte besser als von der Hand in den Mund.

Wie früher nahm er seine Zuflucht zu den Schiffern und Netzmannschaften in der Äußeren Bucht. Hier scheiterte er daran, daß der Großnetzbesitzer Ottesen keinen Bauplatz bekommen konnte. Großnetzbesitzer Ottesen hatte ein ungewöhnliches Glück gehabt, er hatte schon wieder einen neuen Heringsschwarm eingeschlossen, deshalb stand er jetzt in hohem Ansehen bei allen Fischern und Aufkäufern, alles, was er meinte, war wohlbegründet, er war ein großer Mann, besaß ungeheure Erfahrungen. Seht doch, da hat er nun schon wieder einen Schwarm eingeschlossen! Ja, August stimmte allen zu, Ottesen schoß den Vogel ab. Er verglich Ottesen mit Präsidenten und Gouverneuren, die zu schwindelnden Höhen emporgestiegen waren. Na, wollten sie nun mittun bei einer Heringsmehlfabrik? Ja, tut Ottesen mit? fragten sie.

Nein, Ottesen tat nicht mit!

Das war nun übrigens nur eine Art Großtuerei und Eitelkeit von ihm, sein Glück hatte ihn übermütig gemacht, er wollte nicht in dem Ruf stehen, daß er an irgendeinem Ort der Welt um einen Bauplatz verlegen sei! August scheute sich sehr davor, sein kleines Stück Land abzutreten, er hatte sich dieses Stück Land als letzte Reserve gesichert, für den Fall, daß alles andere fehlschlagen sollte, man konnte ja nie wissen, das Schicksal hatte ihn früher auch nie verschont. Seht, auf diesem Fleck Erde, den er von Roderik hatte pflügen und eggen lassen, wollte er etwas ansäen, – etwas ansäen, einen Samen, der sich zu großen wogenden Blättern entwickeln sollte, – schweig still, kein Wort mehr! Und August sah schon den Tag voraus, an dem die Bewohner der Bucht in noch größeres Erstaunen fallen würden als seinerzeit, da sie die Welt durch ein farbiges Gangfenster sahen.

Konnte nicht der Großnetzbesitzer Ottesen nachgeben? Konnte er nicht dazu verführt werden?

Na, Ottesen, habt Ihr noch weiter über das nachgedacht, was wir kürzlich besprachen?

Was war es denn?

Ja, daß wir Euch so gerne hierher bekommen wollten, daß wir einen Mann wie Euch hier in der Bucht haben möchten, und jetzt reißt Karolus seine Scheune nieder –

Hört mir nur auf damit! unterbrach Ottesen ihn und war auf seiner Hut.

Nein, sagte August fügsam, Ihr mögt nicht auf einen simplen Scheunenplatz bauen, das kann ein Kind verstehen. Im übrigen ist es aber der reichste Mann in der Bucht, der dort seine Scheune hatte, aber trotzdem. Wie wäre es aber, wenn Ihr nun auch noch mein Grundstück dazu bekämt?

Ottesen sofort weniger abweisend: Nun, was könnte das schon sein!

August: Man könnte einen Garten mit Springbrunnen und ausländischen Bäumen von allen Arten daraus machen. Ich kann mir so einigermaßen vorstellen, wie Ihr es haben wollt.

Nach kurzem Gespräch wurden sie einig. Als aber August davon ausging, daß eine Hand die andere wasche, und von der Heringsmehlfabrik zu reden anfing, leistete Ottesen Widerstand. Nein, diese Frage möchte er da nicht mit hineinziehen. Er könne davon erzählen, daß eine Heringsmehlfabrik in seiner Nachbargemeinde aus Mangel an Rohstoffen stillgelegt werden mußte, und da stünde nun der teuere Zementbau, könne nicht einmal als Schiffshütte verwendet werden. Ottesen schüttelte nur den Kopf.

Er konnte nicht zum Nachgeben verführt werden. Aber konnte er nicht gezwungen werden?

Mangel an Rohstoffen, – in der Bucht? rief August. Die reichste Heringsbucht an der ganzen Küste! Da konnte man ebensogut von Mangel an Wind und Wetter reden. Und nun stünde die Sache außerdem so, daß ein anderer Mann sich erkundigt habe und sich bereit erklärt habe, gegen die Überlassung von Baugrund eine große Anzahl von Anteilen an der Fabrik zu übernehmen.

Wer ist das? fragte Ottesen.

August: Ich bin nicht ermächtigt, das zu sagen. Aber unter uns: wir möchten am liebsten Euch mit dabei haben, Ottesen. Nicht daß der andere nicht auch gut genug wäre, aber an Euch kann er nicht heran.

Ist er von auswärts?

Ja, aus dem Süden.

Dann ahne ich fast, wer es ist, sagte Ottesen und dachte lange nach. Was sollte er einsetzen?

Dreitausend, antwortete August, ohne mit der Wimper zu zucken. Ich übertreibe nicht, das tue ich nie.

Dreitausend, meinte Ottesen verächtlich, was ist das schon, wenn man eine Fabrik bauen will! Nein, wenn ich mittun soll, dann gebe ich Fünftausend.

Ich wollte, es wäre so! wünschte August und verstand, daß er gewonnen hatte.

Aber August durfte nicht den Eindruck bekommen, daß er es mit einem beliebigen Menschen zu tun habe, dazu war Großnetzbesitzer Ottesen ein zu kluger Mann geworden, ihn konnte keiner herumkriegen. Er sagte: Ich werde einen meiner Leute mit dem Geld schicken. Wo wollt Ihr es haben?

Auf der Bank, antwortete August. Ihr zahlt das Geld auf der Bank ein und bekommt eine Quittung dafür.

Das ist gut! Ottesen ließ verstehen, daß er mit dieser Sache fertig war, er sah in die Luft hinaus, sah kundig in die Luft hinaus und erkannte, daß sie schlechtes Wetter brachte, vertauschte daraufhin seinen Hut mit einem Südwester und nahm einen Ölmantel über den Arm. Ich fahre jetzt zu meinem Boot hinaus, sagte er.

August hätte gerne noch mehr mit ihm gesprochen, da war noch diese Sache mit seinem Stück Land, sie brauchten wohl etwas Schriftliches, einen Kaufkontrakt –

Jawohl, setzt etwas auf! sagte Ottesen und ging an August vorbei, als sei er Luft. Als er an den Fahrzeugen, die ringsum vertäut lagen, vorüberkam, warnte er die Schiffer vor dem kommenden schlechten Wetter, prophezeite schweren Sturm, er würde an ihrer Stelle besser vertäuen! Damit zog er sein Segel auf und fuhr mutterseelenallein zu seinem Netzboot weit draußen.

Ein kühner und überlegener Kerl, schaut nur, wie er dahinsegelt, frech, aber mutig und blitzschnell, wie er die Ruderpinne handhabt! Er hatte Sturm prophezeit, die Schiffer auf den Fahrzeugen glaubten ihm blindlings und vertäuten die Boote fester.


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