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XXI

Sie bauen den Dachstuhl und sie legen die Wellblechplatten darauf. Das Gebäude steht da, nach Lot und Winkel errichtet. Ein Monument für überwundene Bedrängnisse.

Jetzt ist es Mai, helle Nächte und Sonne, grünes Gras und gelber Huflattich, knospendes Laub und Vogelgesang, Nahrung auf der Weide für alle im Winter knapp gefütterten Tiere.

Die Bucht hatte fast kein Vieh. Bei Pauline hingen im Kramladen noch verschiedene Kuhglocken an der Wand, so wie sie früher an die Leute verkauft wurden, als es noch Vieh in der Bucht gab. Jetzt hatte nur noch Bürgermeister Joakim einige Kühe, und auf der Neusiedlung bei Ezra und Hosea gab es ja eine große Herde, aber in der Bucht selber war es ganz öde. Das war schwermütig und seltsam, auf der Weide stand grünes Gras, aber nirgends gab es ein Tier, das es abraufte. Auf der ganzen Strecke bis zur Äußeren Bucht, wo früher die Glocken geläutet hatten, nicht ein Laut. Nein, auch die Vögel sangen nicht, denn die Vögel folgten dem Vieh und vermischten ihren Gesang mit dem Klang der Glocken, jetzt waren sie in andere Gegenden geflogen.

Für Edevart, der sonntags so umherschlendert, bedeutet dies einen Verlust. Eine Weile sitzt er bei den fünf Espen, und eine Weile wandert er wieder herum. Die Stille wirkt wie ein Wattebausch im Ohr auf ihn, oder als hätte er etwas vergessen, oder wie wenn die Uhr stehengeblieben wäre. So seltsam und öde, eine verlassene Landschaft.

Edevart, – groß und mächtig, ein schöner Mann, ruhig vor lauter Stumpfheit. Dann und wann schüttelt er den Kopf, als habe er sich selber etwas gefragt und nein darauf gesagt, er denkt tausend Gedanken, ist aber nicht imstand, zu einer Klarheit zu kommen. Da geht er mit einem inneren Übel umher, legt sich jedoch jeden Abend hin und steht jeden Morgen mit diesem inneren Übel wieder auf, ohne den Versuch zu machen, es zu heilen, er ist so stumpf. Was ist ihm denn Merkwürdiges widerfahren? Er ist besiegt, sonst läßt sich nichts erkennen, ein anderer würde sich dadurch nicht kleinkriegen lassen. Zum Teufel, und wenn auch seine ganzen Grundmauern nachgegeben hätten! Er konnte doch weiterleben, – so wie andere leben, die einmal aus dem Land fortgewandert waren. Zum Teufel, was ist denn dabei, wenn man heimatlos geworden ist!

Er denkt tausend Gedanken, und sein Gemütszustand plagt ihn, aber er ist schwerfällig und unwissend und kann sich nichts erklären.

Andere waren mit sich im reinen und handelten und wandelten, August konnte nicht leben, ohne etwas auszurichten, er hatte Lebensmut. Edevart ist unbeschäftigt, es gibt nichts für ihn, das glücken soll und muß, er kann es ebensogut auch ganz sein lassen. Er kann auf einem Erdhügel sitzen und nur einfach dasitzen. Das hält er aus. Er hält alles aus, schlechtes und gutes Wetter, harte Arbeit und Müßiggang, so hält er auch Menschen aus, ebenso wie er ein Mittagessen aushält oder Gesang oder drückende Schuhe, – mit Gleichgültigkeit. Bisweilen lächelt er, als sei ihm ein Gedanke gekommen. Er fühlt seinen Puls. Ja, der Puls schlägt, er sieht an seinen Nägeln, daß sie seit dem letztenmal gewachsen sind. Was fehlt ihm also? Nimmt er etwa eine Frage, ein Geschenk, eine Nachricht mit gespanntem Gesichtsausdruck auf? Es müßte denn damals gewesen sein, als er vor einiger Zeit einen Brief mit einem Zwanzigdollarschein darin bekam. Seht, da zog er verwirrt die Augenbrauen hoch und flüsterte etwas. Vielleicht flüsterte er des Nachts noch ein paarmal etwas, stand dann am Morgen auf, war unverändert stumpf, kümmerte sich um nichts, antwortete nicht einmal auf den Brief, spuckte nicht einmal sich selber an.

August betrachtete alle Dinge in der Welt mit starkem und steinhartem Interesse, für Edevart waren Untergang und Wohlfahrt, Tod und Leben ohne Unterschied gleichgültig, es lohnte sich nichts mehr für ihn, lebe wohl.

Er war einmal außer Landes gezogen und konnte das nicht ertragen, nicht auf diese leichte Art wie andere, durch eine resolute Umlegung des Lebens auf falsche Grundfesten. Als er nach all dieser Verbannung in die Bucht zurückkam, entdeckte er, daß er auch hier fremd war.

Jetzt ist ihm sicher wieder ein Gedanke gekommen, denn er lächelt noch einmal töricht und legt die Hand aufs Herz. O ja, es schlägt. Es ist warm dadrinnen beim Herzen, die Hand wird warm, das Herz ist nicht kalt. Er erinnert sich, wie dieses Herz vor langer Zeit einmal wild mit ihm umgegangen ist, eines frühen Morgens an einem weltentlegenen Ort, der Doppen hieß. Es war eine grüne Bucht mit kleinen Häusern, mit zwei Kindern und einer jungen Frau, Lovise Magrete. Er erinnert sich und sagt: Ach, nein, ach nein! Und schüttelt wie voller Kummer den Kopf. Dort breitete er seine Liebe hin, und niemals hat er dieses Wunder vergessen können, es war so seltsam und innig, Schluchzen und Seligkeit in einem, eine so wilde Süßigkeit. Lange her, lange her! Und immer noch schlägt sein Herz und ist warm, aber es liebt in der Erinnerung, in einem Gedenken.

Ach was. Alles in allem war es eine gewöhnliche Sache, er machte nichts Besonderes daraus, ging wortkarg umher, legte sich des Abends nieder und stand am Morgen wieder mit seinem inneren Übel auf. Es war nichts Merkwürdiges an dem, was ihm widerfuhr.

Wenn er lange dagesessen und ausgeruht hat, steht er unverändert müde wieder auf und macht sich auf den Heimweg. Er kann es gut vermeiden, mit der Menge von Leuten zusammenzutreffen, die in der Kirche waren und den neuen Kirchspielpfarrer angehört haben. Für ihn ist es gleichgültig, ob er dieser Schar begegnet oder nicht, aber wenn er ihr aus dem Weg geht, braucht er den Mund nicht zu einem Guten Tag zu öffnen. Er muß wohl hineingehen und mit den andern Mittag essen, das muß er wohl, aber danach setzt er sich sicher auf sein Zimmer und rührt nicht einen Finger. Das bringt er wirklich fertig. Natürlich hat August recht, wenn er sagt, er sei tot, aber was weiter? Wenn August seinerseits lebendig ist, was weiter? Weder der Tote noch der Lebendige hat das letzte Wort ...

Bei Tisch sind sie alle vier versammelt. Joakim ist auf der Neusiedlung gewesen und Pauline in der Kirche, sie sind alle beide mit ihren Angelegenheiten beschäftigt. Pauline hatte ein Telegramm für August mitgenommen wegen einer Maschinerie für die Heringsmehlfabrik, so schnell wie möglich, ein langes und wichtiges Telegramm über Maße und Pferdekräfte, außerdem über eine neue sinnreiche Ergänzungsmaschine, die den ganzen Abfall zu Öl, Heringsöl, ausnützen sollte. August hatte diesen Apparat auf Neufundland gesehen und hatte sich vorgenommen, ihn da und dort auf der Erdkruste einzuführen, er setzt großes Zutrauen in ihn. Wenn nur die Maschinenfabrik sein Telegramm auch verstand! Aber du hast es doch gelesen, Pauline, und verstanden? Ja, sagt Pauline. Aber sie hat das Telegramm ja nicht einmal aufgegeben, sie hat es im Herd verbrannt, als sie heimkam.

Edevart sitzt schweigsam da.

Wo bist du gewesen? fragt Pauline ihn.

Nirgends, antwortet er. Nur ein wenig auf dem Weideland draußen.

Das Gras steht jetzt wohl hoch dort?

Ja. Aber kein Vieh und keine Glocken.

Ist es nicht eine Schmach, kein Vieh?

Es lohnt sich ja nicht, sagt August.

Pauline sofort erregt: Nein, es lohnt sich besser, daß das Gras verfault.

Ja ja, da hilft nun nichts, klärt August auf, nichts lohnt sich mehr außer Großbetrieb.

Es war einmal eine Zeit, wo wir in der Bucht keinen Hunger kannten, fährt Pauline fort. Wir hatten alle ein paar Kühe außer den Schafen, und einige, wie Karolus und Ane Maria, hatten sogar vier Kühe. Aber es war doch kein Haus so kläglich daran, daß es nicht eine Kuh oder vier Milchziegen gehabt hätte. Das war die Zeit, wo wir in der Bucht nicht Hunger litten. Und jetzt!

Es wird still in der Stube, alle essen schweigend. Joakim möchte zwar gerne die Kartoffelschüssel haben, wartet jedoch lieber, bis jemand dies bemerkt.

Pauline ist voll klarer und schöner Erinnerungen: Erinnerst du dich, großer Bruder, wie wir klein waren und die Mutter hereinkam und erzählte, daß eine Kuh gekalbt habe, wie froh wir da waren?

Edevart: Ja.

Ja, du erinnerst dich wohl auch, Joakim?

Das war genau wie ein Feiertag. Wir freuten uns mehr als jetzt, da wir acht Kühe und Pferde haben. Ja, da kam die Mutter herein und erzählte es uns. Und dann gab es Milch und Topfenkäse und überhaupt viel Milch für uns alle. Aber jetzt ist es gerade so, als wäre es gar keine besondere Sache mehr, daß eine Kuh kalbt. Ich weiß nicht, da ist irgend etwas nicht mehr richtig.

August: Wenn die Sache einen Sinn haben soll, so müßten auf jedem Hof viele, viele Kühe sein, damit man eine Meierei und Käserei und Milchverkauf daraus machen könnte, und damit es Umsatz und Ausfuhr von Butter und Käse gäbe. Das andere ist ja nur etwas von der Hand in den Mund und eine kleinliche Angelegenheit.

Pauline gibt nicht nach: Aber früher haben wir keine Not gelitten. Wir hatten Getreide und Kartoffeln und Milch, und je nach der Jahreszeit ruderten die Männer hinaus und brachten ein Gericht Fische heim. Es ging uns allen so gut, daß wir Gott von einem Tag zum andern dankten. Und jetzt?

Ja ja, sagt August, du siehst es nun auf deine Art, Pauline, jeder von uns sieht es auf seine Art, und was nun mich betrifft, so habe ich ja ein ganz klein wenig mehr von der Welt gesehen als du. Und ich kann dir sagen, wenn je ein Ausländer hierher käme, und zwar einer, der sich mit allem in vielen Ländern auskennt, so würde er laut darüber lachen, wenn er sähe, wie ihr hier sitzt und eure zwei Kühe melkt oder wie ihr eure eigene Wolle spinnt, anstatt mit der Wolle in die Faktorei zu gehen und gewebte Stoffe dafür einzutauschen.

Da würde der Ausländer lachen?

Ja, laut.

Und ich sollte mich darum kümmern?

August gab nicht sofort eine Antwort. Aber es war ja auch kein Verstand in Pauline, nicht die Spur.

Sie reizte ihn noch mehr, indem sie fortfuhr: Mir sollte es einfallen, mich um deine Ausländer zu kümmern! Hättet ihr vielleicht Angst vor ihnen? fragte sie die Brüder.

Joakim wollte diesen Wortwechsel unterbrechen, er hatte schon früher gehört, was die beiden einander zu sagen hatten. Du könntest mir die Kartoffelschüssel geben! bat er.

Es ist nun einmal so, meinte August versöhnlich, daß wir vom Ausland lernen müssen. Daran läßt sich nichts ändern. Wir müssen nachahmen und dürfen nicht zurückbleiben. Möchtest du, daß wir das einzige Volk wären, das nichts lernen kann?

Die Mutter hat mich das Weben gelehrt, antwortete Pauline und nickte störrisch.

August: Ich meine, ich höre deine Schwester reden! Hosea ist genau so wie du. Sie sitzt da und webt Stoff für Wäsche. Hat man je so etwas gehört; als ob sie nichts anderes zu tun hätte! Ich sagte ihr, sie solle doch zu ihrer Schwester in den Kramladen gehen und dort Wäsche kaufen.

Was hat sie darauf geantwortet?

Nein, die tauge nichts, die halte nichts aus, es sei zuviel Baumwolle darin.

Ja, das ist keine Lüge, gibt Pauline zu. Und jetzt werde ich bald Wäschestoff für dich weben, Edevart. Aber das wird eine Ware werden!

Edevart wacht auf, hebt den Kopf einen Augenblick und läßt ihn dann wieder sinken. Ich brauche nichts, sagt er.

August treibt sich in der Gegend herum. Er hat nichts zu tun, aber er ist trotzdem wunderbar zufrieden mit sich, weil die Fabrik fertig ist. Zwar fehlt noch einiges, aber das sind nur etwa ein Dutzend Kleinigkeiten und im übrigen irgendeine Maschinerie, die demnächst kommen wird.

Er ist auch sehr zufrieden damit, daß es ihm gelungen ist, die Fabrik zu bauen, ohne die beiden Aktionäre in Vesteraalen auszuplündern. Er ist kein Blutsauger, im Gegenteil, ein gutmütiger und hilfsbereiter Seemann, und es wäre ja schlimm gewesen für Großnetzbesitzer Iversen und Lyder Milde, wenn sie sich wirklich von ihren Kühen hätten trennen müssen, die armen Leute. Zwar in der äußersten Not für die Fabrik wäre August nicht davor zurückgeschreckt, sie zu erschießen. Er erwies ihnen also einen großen Gefallen, wenn er sich auf anderer Seite nach Geld umsah.

Er wandert zu Karolus hinüber. Er hat nichts gegen ein Gespräch mit diesem alten Ehrenmann, obgleich seine Frau, Ane Maria, nicht mehr die gleiche ist, die sie früher war. Nein, sie hatte nun diese beiden Pflegesöhne und ließ sich's an ihnen genug sein. Unglaublich, daß eine männerliebende und tolle Frau sich so verändern konnte.

Anscheinend waren es also die Kinder gewesen, die ihr während ihres ganzen Lebens gefehlt hatten. Sie war zur Mutter geboren, war jedoch betrogen worden.

Ane Maria liest gerade in einer Zeitung, die sie seit einiger Zeit hält. Auch der Mann ist mit irgend etwas beschäftigt, aber er nickt August zu und fordert ihn auf, sich zu setzen: Bleib doch nicht bei der Tür stehen, ich dächte, es sind genug Stühle hier in der Stube.

Das will ich meinen, hier gibt es mehr Stühle als nur für uns zwei, schmeichelt August. Gesegnete Arbeit!

Karolus spielt mit den kleinen Buben irgendein Spiel. Es macht ihm geradezu Spaß, er wird selber wieder zum Kind, obgleich er noch nicht älter als sechzig Jahre ist. Heimlich und verschmitzt versteckt er den Griffel in seinen mächtigen Händen, aber die Buben kennen schon alle diese Schliche und finden den Griffel schnell, dann lachen sie alle drei, wischen die Tafel ab und fangen ein neues Spiel an. So treiben sie es nun schon lange.

So, nun hört aber endlich einmal auf! sagt Ane Maria. Sie legt die Zeitung zusammen und wendet sich an August: Was bringst du uns für neue und wahre Nachrichten, August?

Nichts, wenn ich nicht lügen will! Schnell gefaßt fügt er jedoch hinzu: Es heißt, daß draußen Heringe gesichtet worden seien.

Ach, wenn das nur wahr wäre!

Der Heringszug kommt schon, da habe ich keine Angst, sagt August. Nach dem Sturm, der kürzlich war, zieht er jetzt zwischen Grönland und Norwegen dahin und kommt schließlich in die Fjorde herein.

Hört nun endlich zu spielen auf! sagt Ane Maria ungeduldig. Sie erträgt es nicht, daß die kleinen Buben sie entbehren können, meistens hängen sie ihr dauernd am Rockzipfel.

Was ist denn? fragt Karolus. Darf ich die kleinen Burschen nicht auch einmal für mich haben!

Sie wendet sich wieder an August: Ja ja, nun hast du also deine Fabrik gebaut und alles miteinander. Es ist ja ein stattliches Haus!

Ja, es kann sich sehen lassen, das ist wahr.

Es wird wohl bald etwas in der Zeitung darüber stehen. Ich habe gerade nachgeschaut.

Ja, gibt August zu, das wäre wirklich nicht zuviel. Schließlich wird über viel Geringeres in der Zeitung geschrieben.

Da hast du recht. Und was du alles tust, August, und was du alles fertigbringst!

Wenn Ane Maria früher soviel sagte, so bedeutete dies etwas, und sie begleitete ihre Worte dann mit einem liebevollen Blick. Jetzt redete sie nur, um das Notwendigste zu sagen, und sah August dabei mit offenen und geraden Blicken an, ohne irgendwelche Zärtlichkeit darin zu verbergen. Nein, sie war nicht mehr die gleiche wie früher. Aber es müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn man sie nicht noch für das Leben retten könnte!

Kommt jetzt, ihr Buben, und helft mir! sagt sie und steht auf. Wir wollen Kaffee kochen.

Karolus war gezwungen, das stumpfsinnige Spiel aufzugeben und die Kinder fortzulassen. Was hast du vorhin gesagt, fragte er August, hat man wirklich Heringe gesichtet?

So lautet das Gerücht, entgegnet August und steht auf, um zu gehen. Ich will nicht mehr daraus machen –

Karolus: So dringend nötig brauchen wir es ja noch gar nicht, ich hab doch erst kürzlich in Senjen oben eine Menge Heringe gekauft.

Ja, und außerdem der Fang bei der Vogelinsel, betont August, um nicht zurückzustehen. Aber wenn ein Heringsschwarm kommt, dann gibt es auch Heringe für die Fabrik, und das brauchen wir ja gerade. Wenn es Heringe gibt, dann gibt es Verdienst und Geld und Arbeit für alle Menschen.

Du stehst immer, du willst doch nicht schon gehen? Warte doch auf den Kaffee! Ja, Verdienst wäre ja gut für viele Menschen, besonders für die armen Leute, die einen Schilling brauchen. Aber was mich betrifft, so kann ich nicht noch mehr übernehmen, als was ich jetzt bereits zu tun habe. Warum hast du denn solche Eile? Komm doch und setz dich wieder! sagt er zu August, der schon unter der Tür steht.

August geht zum Küchenhaus hinüber, macht ohne weiteres die Tür auf und tritt ein. Ane Maria blickt auf, sie erfaßt im selben Augenblick, weshalb er kommt, und weicht zurück, schüttelt den Kopf und sagt leise: Was willst du hier?

Das weißt du ja!

Die Buben holen gerade Holz, sagt sie, sie werden gleich wiederkommen.

Nein, sie kommen nicht! Er ist taub und blind, er hat sie gepackt, will sie auf einen Reisighaufen legen, trifft jedoch auf Widerstand, sie sagt entschieden: Mach, daß du wegkommst! Und als das nichts hilft, wendet sie Gewalt an und stößt ihn gegen die Wand. Als die Buben in diesem Augenblick hereinkommen und die beiden anschauen, sehen sich die andern genötigt, zu lachen und Spaß zu machen.

Mein Gott, du bist unglaublich stark! sagt er.

Ja, daran fehlt's nicht! erwidert sie. Ihr seid aber brav, daß ihr mir so viel Holz bringt, jetzt braucht ihr nichts mehr zu holen, denn jetzt kocht der Kaffee schon! sagt sie und hebt den Kessel vom Dreifuß herunter. Sie hat wohl Mitleid mit dem Mann, mit dem kläglichen Kerl, der jetzt bei der Tür steht und gehen will, oh, ihr ist ja sein gegenwärtiger Gemütszustand nicht fremd, sie lächelt wehmütig und schüttelt wieder den Kopf: Wir sind zu spät daran, August, sagt sie. Wir wollen uns doch nicht lächerlich machen.

August: Aber im Herbst war es doch nicht zu spät?

Im Herbst, – wo hast du denn da gesteckt? Du warst verschwunden, und das war gut so, denn ich bekam anderes zu denken, schließlich ist doch keiner von uns mehr ein einjähriges Kalb, unsere Zeit ist vorbei. Komm jetzt mit uns herein und trink eine Tasse Kaffee. Das ist das richtige für Leute in unserem Alter.

Was war da zu machen, er ging mit hinein, unterwegs sagte er jedoch noch zu ihr: Ich werde dich schon noch einmal kriegen!

Laß dir doch ja nichts einfallen! antwortete sie.

Nein, er verstand selber, daß sie verloren war. Ane Maria war fest geworden, tief geduckt, jedoch immer mit hocherhobenem Kopf. Sie war die Frau, die es gewagt hatte, die Rettung eines Mannes im Moor zu verzögern, bis er untergegangen war. Und sie nahm ihr Urteil durch Gesetz und Recht und durch die Menschen entgegen.

Die beiden Buben erzählten natürlich, daß die Pflegemutter mit August im Küchenhaus gerauft habe und daß sie Siegerin geblieben sei.

Ja, ich hab's gemerkt, sagte Karolus. Es ist ihr wahrhaftig geglückt, den Burschen wieder hereinzuholen! Er sah es gern, daß August zurückkam, und fing sofort ein neues Gespräch über seinen Heringskauf in Senjen mit ihm an: Stell dir nur vor, zwei Vierruderer voll, zuerst einen Vierruderer, dann noch einmal einen Vierruderer mit Heringen, mit ausgesuchten Heringen, erste Qualität, und gleichgültig, was es gekostet hat –

Geschwätz und Prahlerei, aber August hörte zu und verfolgte dabei seinen Zweck. Er war ja eigentlich gekommen, um wiederum Hilfe von dem Matador zu erlangen, – dieses Zwischenspiel im Küchenhaus draußen war ein dummer Streich seiner Einbildung gewesen und hatte gar nichts mit seinem Anliegen zu tun. Er bekommt mehrere Tassen Kaffee und hört eine weitläufige Unterhaltung an, er nickt Karolus von Zeit zu Zeit zu und tut ihm schön, Karolus kann ihn als Zuhörer nicht entbehren: Du sitzt ja nur auf einem Hocker, setz dich doch auf den Polsterstuhl! sagt er, und August muß sich auf den einzigen Polsterstuhl des Hauses setzen und weiter zuhören.

Endlich kommt er auch zu Wort: Hm! Es sei nun notabene so, daß Karolus doch bisher der Helfersmann der Fabrik gewesen sei. Wenn nun eines Tages wiederum eine Handreichung notwendig wäre, ob dann Karolus immer noch für etliche Kronen und Öre auf der Bank gutstehen würde? Nur so lange, bis das Aktienkapital voll einbezahlt sei.

Ist der Zement nicht bezahlt? fragte Ane Maria.

Schon längst, was sie denn dächte! Es handle sich nur noch um einige Einrichtungsgegenstände, die noch fehlten: Türen und Fenster, die Maschinen, Säcke und leere Fässer für das Heringsmehl, eine Winde, etliches Tauwerk. Kurz und gut, nicht so sehr viel, aber doch Dinge, die dazu gehörten. Und ob Karolus nur ein einziges Wort sagen möchte –?

Karolus denkt darüber nach und sagt dann ja. Ja, das wolle er tun. Die Fabrik würde so wichtig sein für die Armen und Bedürftigen, daß er es nicht fertigbringe, sich zu weigern.

Ane Maria: Versprich nur nicht zuviel, Karolus!

Karolus würdig: Ich hoffe denn doch, daß ich dafür noch gutstehen kann.

Ane Maria fragt: Hat dir nicht erst kürzlich die Pauline eine Warnung zukommen lassen?

Karolus stutzt: Ja. Woher weißt du denn das?

Sie hat es mir auch gesagt.

Das stimmt Karolus nachdenklich. So, sie hat es dir auch gesagt? fragt er gekränkt. Ich weiß nicht, was sie dazu veranlaßt haben könnte. Pauline sollte doch solche Sachen nicht in der Gemeinde herumtragen.

August greift ein: Pauline macht in letzter Zeit lauter dumme Sachen. Ihr solltet nur wissen, was sie mir alles sagt: daß ich noch einmal ins Armenhaus käme, daß ich nicht einmal mein eigenes Grab bezahlen könnte.

Immerhin ist Pauline doch diejenige, die alle Bücher und alles Geld hat, sagt Ane Maria, sie weiß, wie es um uns alle steht.

Das weiß ich auch. Ich sitze selbst mit in der Bank und zeichne jedesmal mit meinem Namen, sagt Karolus. Es bleibt also bei dem, was ich gesagt habe, August, ich werde dir helfen, wenn du es brauchst.

August bedankt sich und meint, er habe gewußt, daß etwas anderes Karolus gar nicht ähnlich sehen würde. Und auch Ane Maria, – ja, das müsse er ganz offen sagen; wer habe denn vom ersten Tag an begriffen, wieviel Geld für diese Bauplätze in der Erde läge, wenn nicht sie!

Geld, sagt sie still, Geld ist kurzlebig!

Karolus antwortet darauf: Wir haben doch immer noch alles, was wir brauchen.

Und August lacht laut: Das wollte ich meinen! Er ist im Interesse der Fabrik leicht und froh gestimmt, weil er erreicht hat, was er wollte, er trinkt seinen Kaffee mit weit ausholender Gebärde und nennt die Buben Prinzen. Ehe er geht, macht auch seine Phantasie einen Ausflug zu einem merkwürdigen Erlebnis auf der anderen Hälfte des Erdballs.

Pauline gibt ihm wieder zu verstehen, daß sie unzufrieden mit ihm ist, sie brummelt über sein Herumstreunen in der Gegend und scheint sogar ein wenig eifersüchtig zu sein. Sie sagte zum Beispiel: Ich begreife nicht, was du in den Stuben und hinter den Häusern herumzustöbern hast! Wenn er dann darauf erwiderte, daß er Leute treffe und mit ihnen rede, tat sie nur verächtlich und murmelte: Es werden wohl Leute von der Art sein wie Teodors Ragna, die du da triffst!

Jetzt fragt sie ihn geradezu: Warum fährst du denn jetzt nicht mit deinen Scheinen zur Bank von Norwegen?

August: Ist jetzt vielleicht der Zeitpunkt zum Fortfahren, wo ich doch jeden Augenblick die Maschinen erwarte?

Im übrigen aber war August selber schlechter Laune und fühlte sich nicht wohl. Als zwei Wochen vergangen waren, begriff er, daß die Maschinenfabrik ihm überhaupt keine Antwort gab, und er sah sich gezwungen, noch einmal zu telegraphieren. Ich will das Telegramm mitnehmen, wenn ich morgen in die Kirche gehe, sagte Pauline. Sie bekam das Telegramm ausgehändigt und unterschlug es wiederum.

Während dieser neuen Wartezeit trug August sich mit vielen Plänen; so dachte er daran, die Idee mit den Nummern an den Häusern in der Bucht wiederaufzunehmen. Bis jetzt hatte ja nur das große Wohnhaus von Karolus eine Nummer, und zwar Nummer eins, aber sollten nicht Gabrielsens und Rolandsens Prachthäuser Nummer zwei und drei sein? Für die kleineren Häuser bis zu den Schiffshütten hinunter konnte man ja dann immer höhere und höhere Zahlen nehmen. Etwas Verlegenheit bereitete ihm die Nummer für Bürgermeister Joakims Haus, in dem sich doch die Bank und der Laden und die Poststelle und sonst noch verschiedenes befanden. Da er nun Nummer eins bereits vergeben hatte, mußte Joakim sich mit einem A begnügen. In jeder anderen Stadt bekamen die Straßen Namen und die Häuser Nummern und sehr häufig einen Buchstaben. Es galt nun, einen druckkundigen Menschen zu finden, der die Nummern anfertigen konnte, am besten hätte man Joakim selber dazu genommen, aber an ihn würde man sich gewiß vergeblich wenden. Joakim hatte keinen wachen Sinn für seine Stadt.

Eine weitere Woche verging, und er hatte immer noch nichts von der Maschinenfabrik gehört. Da mochte doch der Teufel dreinschlagen! Er ging im Ort herum und untersuchte seine gepflanzten Tannen, ob sie wohl den Winter überlebt hatten? Er machte sich ungeheuer wichtig bei jedem Haus, damit man vom Fenster her auf ihn aufmerksam werde, kniete auf der Erde nieder, stocherte mit einem Metermaß darin herum, tat so, als verstünde er etwas von der Sache. Ja, wahrhaftig, es war Leben in diesen kleinen Dingern, in diesen winzigen Wesen, es schien fast unglaublich; wie südländische Wunder standen sie in der Erde, wie eine freundliche Gebärde gegen die Menschen hier im Norden. Als er sicher war, daß sie lebten, wurde er plötzlich gerührt: Ach, lieber Gott, wie merkwürdig! sagte der Seebär. Es durchfuhr ihn wohl eine Erinnerung an die Kindheit, eine Art Süßigkeit, eine Anbetung. Lieber Gott, lieber Gott! Auf der einen Seite tote Arbeit und Industrie, auf der andern Seite Leben ...

Aus den kleineren Häusern kamen die Leute zu ihm und baten um die Erlaubnis, auf seinem eingezäunten Acker Kartoffeln pflanzen zu dürfen.

Nicht daran zu denken!

Sie klagten darüber, daß sie nicht einen Fußbreit Erde hätten, nein, nicht ein paar Zoll Erde, um auch nur sechs Kartoffeln setzen zu können, wie sollte es ihnen aber später gehen, sie waren arme Leute, sie hatten kleine Kinder daheim –

Nein nein, in dieses Stück Erde wollte er selber etwas säen, etwas Merkwürdiges, das sie nie zuvor gesehen hatten.

Freilich, sagten sie, früher hätten sie noch so viel Grund und Boden beim Haus gehabt, daß sie einen Eimer voll Saatkartoffeln hätten setzen können, aber dort hatte August im Herbst die Tannen angepflanzt, nun waren sie ganz verarmt –

Wartet nur, bis die Fabrik im Gang ist, sagt August, dann verdient ihr Geld und könnt euch so viel Kartoffeln kaufen, wie ihr braucht! Er ließ sie stehen, wahrhaftig, er ging von ihnen fort und ließ sie stehen. Es war nicht auszuhalten, all ihren Jammer anzuhören. Wenn man zu den Bettlern auf den Fidschi-Inseln nein sagte, so gingen sie weg, was taten dagegen die Buchtbewohner? Sie klammerten sich an ihn.

Sie kamen wieder, sie waren demütig und in Not. Sie sahen bereits jetzt voraus, wie schlimm es ihnen im Herbst ergehen würde, wenn die Kartoffeln aus dem Süden verzehrt wären und sie selbst nichts in der Erde hätten. Ob nicht jeder von ihnen wenigstens einen halben Eimer voll auf seinen Acker setzen dürfte, das würde mit Gottes Hilfe im September fünf ganze Eimer ausmachen, bei zehnfachem Ertrag, es wäre doch herrlich, im Herbst etwas zu haben –

August wagte nicht länger mehr zu zögern, diese Leute waren eines schönen Tages imstand, sich wie im Winter mit Gewalt ihr Recht zu nehmen, er holte Teodor und stellte ihn zur Arbeit auf seinem Acker an. Es wurde umgegraben, gedüngt, mit dem Rechen glattgemacht, in Rillen eingeteilt, wiederum mit dem Rechen glattgemacht, Joakim mußte ein Sieb herleihen, fertig. Was für ein Tag ist heute? Donnerstag. Wir warten! sagte er zu Roderik. An einem Freitag wollte er auch nicht. Der Samstag kam, das war kurz vor dem Feiertag und dadurch religiöser, außerdem war es mildes Wetter, die erste Juniwärme, mit feinem Staubregen.

Er steht mit zwei Tüten da, in der einen Samen, in der anderen Holzasche, sorgfältig vermischt er den Samen mit der Asche und sagt zu Roderik: Ich säe, und du siebst feine Erde darüber! Nimm die Mütze ab! Sprich mit niemand, wenn jemand kommt, und gib keine Antwort!

Dann nimmt er selbst die Mütze ab und sät.

Roderik ist ja kein Dummkopf, er versteht sehr wohl, daß er mitten in einer religiösen Handlung ist, und siebt die Erde gleichsam im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Es konnte natürlich nicht verborgen bleiben, daß auf Augusts Acker zwei Männer barhaupt herumgingen und etwas säten. Verschiedene Leute kamen herbei und sahen zu, Teodor kam, Leute aus den ärmeren Häusern kamen. Was macht ihr denn? fragte Teodor. Keine Antwort. Es kamen noch andere herbei und fragten und erhielten keine Antwort. Sie fingen an, leise untereinander zu reden. Was das wohl für ein Samen sein könnte, er sei so dunkel, sähe aus wie Meldensamen. Was sät ihr denn da? fragt Teodor wiederum. Schweig still! sagten die anderen zu ihm. Wer weiß, ob nicht August barhaupt im Regen ging und ein Wunderpulver aussäte, vielleicht war es eine Art Brotgetreide, das die ganze Bucht ernähren konnte, es war womöglich ein Samen, der in drei Tagen reif wurde! August war ja ein merkwürdiger Mann, und wenn er säte und dabei beharrlich stumm blieb, so hatte dies gewiß seinen Grund. Manche beneideten sogar Roderik, der dazu ausersehen worden war, hinterdrein zu gehen und Erde zu sieben und stumm zu sein. Darf ich nicht hineinkommen und zuschauen? fragte Teodor, der ewig neugierige Papagei. Wie konnte irgendein Fremder glauben, daß er in einem solchen Augenblick hineinkommen dürfte! Er dachte wohl gar daran, mit der Mütze auf dem Kopf hineinzugehen, dieser Tölpel; aber gleichviel, der Stacheldrahtzaun würde doch unüberwindlich sein.

Die Zuschauer hielten aus, bis die beiden Männer die Mützen aufsetzten und wieder reden konnten. Aber August gab ihnen auch jetzt keine Erklärung, er sagte, sie sollten selber sehen, was hier aus der Erde käme, wenn die Zeit da sei. Wie lange dauert es? fragte Teodor. Oh, dieser Teodor, nicht den geringsten Sinn für das Feierliche! Sie hatten vielleicht einer Zeremonie mit einem heiligen Samen beigewohnt, aber Teodor verstand nichts.

Wir sind fertig! sagte August zu Roderik. Und die beiden Säemänner gingen von den Zuschauern weg, gingen weg von der Menge, die zurückblieb.


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