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Siebenundfünfzigstes Kapitel.

Berichtet in Kurzem, wie sich der Major von Brander zu einer Reise vorbereitet.

Das Bataillon, welches die Ehre hatte, von dem Major der Infanterie, Freiherrn von Brander, kommandirt zu werden, hatte schon oft Gelegenheit gehabt, sich zu verwundern, und dies auch bei ähnlichen Fällen nach besten Kräften gethan. Es war schon belobt worden, ohne eigentlich zu wissen, warum, es hatte aus ebenso unbekannten Gründen schon die fürchterlichsten Nasen erhalten, bataillonsweise und in Kompagniefront, in Zügen, in Korporalschaften, in Rotten und in einzelnen Gliedern. Es hatte schon exercirt bei zwölf Grad Kälte und bei achtzehn Grad Hitze, und es hatte seine weißen Gamaschenhosen verloren, und die Unteroffiziere und Gefreiten hatten einen weißen Knopf an den Kragen erhalten. Dies alles war schon geschehen.

Aber daß sich der Kommandant dieses Bataillons auf acht Tage beurlauben ließ und den Befehl dem ältesten Hauptmann übertrug, das war dem Bataillon noch nicht vorgekommen. Die Offiziere schüttelten ihre Köpfe, und ein Sergeant, der viel auf der großen Kanzlei schrieb, meinte, dahinter stecke mehr, und es solle ihn gar nicht wundern, wenn der Major, aus dem Urlaub zurück kehrend, zum Kriegsminister ernannt sei.

So wichtig waren aber, wie wir bereits wissen, die Ursachen nicht, welche den Freiherrn von Brander veranlaßten, auf acht Tage seine militärischen Kinder zu verlassen. Es galt ja nur, seinem guten Bekannten, dem Herrn von Steinbeck, einen Freundschaftsdienst zu erzeigen.

Wir können gar nicht behaupten, daß es dem Major leicht wurde, dazu einzuwilligen und sich einen Urlaub zu erbitten; im Gegentheil, dieser Schritt war reiflichst überlegt worden, man hatte dafür und dagegen gesprochen, und als nun endlich von der Regimentskanzlei das erwartete Papier anlangte, da behauptete der Major, es sei ein wichtiger Schritt, und er gäbe etwas darum, ihn ungeschehen machen zu können.

»Sehen Sie, liebster Stifeler,« sagte der Freiherr von Brander und schlug mit der Hand auf das Papier, daß der Streusand davon flog, »so ein Urlaub ist wie ein halber Abschied, und wenn ich an so etwas denke, so kann ich mich eines kleinen Schauders nicht erwehren.«

»O – o – oh!« entgegnete der Adjutant, »Herr Oberstwachtmeister, wie können Sie nur so ein Wort aussprechen? Auf Ehre! das ganze Bataillon müßte schaudern, wenn es so etwas gehört hätte.«

Es war dies eine großartige Idee: ein schauderndes Bataillon, inclusive Offiziere, Tambours und Unterärzte. Es müßte dies ein unerhört schöner Anblick gewesen sein.

Der Major war auch offenbar davon gerührt, faltete das Papier zusammen und sprach mit liebreichem Tone: »ich danke Ihnen, guter Stifeler; aber hol' mich der Teufel! Seine Majestät der König wüßten wahrhaftig nicht, was Höchstdieselben in einem solchen Falle an mir verlören. Wie sagt doch der – nun – ein gewisser – Schiller in einem seiner, übrigens sehr langweiligen, Trauerspiele? – Ich fühle eine Armee in meiner Faust.«

»Karl Moor in den Räubern,« sagte pflichtschuldigst der Adjutant und hob die Hand zum Gruße empor. Doch besann er sich auf halbem Wege, daß er unbedeckten Hauptes vor seinem Chef stehe, und fuhr nun mit seinen Fingern an den Bart, um als geordneter, ökonomischer Offizier keine unnöthige Bewegung zu machen.

»Im Ganzen diene ich jetzt an die fünfundvierzig Jahre,« fuhr der Major fort, indem er aus der Hand Zwiebel's seine Meerschaumpfeife nahm. »Fünfundvierzig Jahre – über zwei Drittel eines Menschenlebens.«

»Zu sechzig gerechnet,« schaltete Herr von Stifeler ein.

»Allerdings zu sechzig,« versetzte der Major. »Und von diesen fünfundvierzig Jahren Dienstzeit – freilich rechnete ich Kriegs- und Militärschulen aller Art mit ein – bin ich nun seit zwanzig Jahren Kommandeur des zweiten Bataillons, und während dieser zwanzig Jahre habe ich mich nicht eine Sekunde beurlauben lassen.«

»Es ist ungeheuer!« sagte der Adjutant mit einem Ausdruck der höchsten Bewunderung.

»Nicht eine Sekunde!« fuhr der Major wichtig fort. »Deßhalb liegen mir die acht Tage auch schwer auf der Seele. – Acht Tage gewissermaßen dem allerhöchsten Dienst entfremdet! Aber Zwiebel,« wandte er sich an diesen, sich selbst unterbrechend, »das ist wieder ein heilloser Tabak! Sage dem Käsekrämer, ihn soll ein Donnerwetter regieren, wie er sich unterstehen kann, mir so schofles Zeug zu schicken. Oder hast du die Pfeifen vielleicht schlecht geputzt? Nimm dich zusammen, Zwiebel, oder es ist dein Unglück! –

»Ja wohl, liebster Stifeler,« fuhr er nach einer Pause fort, »es mag sein, daß ich mich oft durch übertriebene Besorgnisse quäle, mich oft mit Unmöglichkeiten martere. Aber stellen Sie sich vor: ich gehe auf Urlaub über die Grenze, und nun bricht plötzlich ein Krieg aus. –«

»Schauderös!« sagte der Adjutant, wie vor Schrecken erstarrt.

»Ein Krieg aus,« wiederholte der Major, »und ich wäre drüben über der Grenze – Kriegsgefangener erster Klasse Major Freiherr von Brander! Es wäre mein Tod! Glücklicher Weise leben wir im tiefsten Frieden; aber man kann nie wissen, was geschieht.«

Bei diesen Worten nahm der Major seine Pfeife in die Hand und spazierte einige Augenblicke nachdenkend im Zimmer auf und ab.

»Wann werden der Herr Oberwachtmeister reisen?« fragte der Adjutant nach einer kleinen Weile.

Der Major blieb auf seinem Spaziergange plötzlich stehen, wandte sich an den Adjutanten und antwortete: »liebster Stifeler, diese Frage kann ich Ihnen nur beantworten, indem ich Ihnen darüber die größte Verschwiegenheit anempfehle. – Ich werde morgen früh um sechs Uhr reisen. Aber das bleibt streng unter uns. Es ist nicht gut, wenn der Untergebene erfährt, daß der Vorgesetzte nicht am Platze ist. Er darf das höchstens ahnen; er darf darüber nie zur Gewißheit kommen, namentlich in den ersten Tagen nicht; und vor allen Dingen darf kein Mensch erfahren, wohin ich gegangen bin. Das muß gehen wie nach den höheren Kommando's: unverständlich für Alle, nur in seinen Wirkungen sichtbar. Eins! – man sieht den Kommandeur ruhig umherspazieren – zwei! – er ist verschwunden, plötzlich abgereist – drei! – kein Mensch weiß, wohin – vier! – dort kommt er zurück, als ob gar nichts vorgefallen wäre. In dieser Hinsicht, liebster Stifeler, ist die Dienstvorschrift der russischen Feldjäger bewunderungswürdig. Kennen Sie dieselbe?«

»Leider nein!« sagte der Adjutant seufzend.

»Sehen Sie,« fuhr der Major fort, »sehen Sie, so ein Feldjäger geht spazieren. Er hat einen bestimmten Distrikt, da darf und muß er spazieren gehen. Da begegnet ihm sein Vorgesetzter, irgend ein expedirender geheimer Oberfeldjäger, und blinzelt ihm mit dem Auge, was etwa heißt: Abends um acht Uhr auf die Kanzlei! Da erscheint er pünktlich und bekommt einen großen Brief in Wachstuch eingenäht, mit der Aufschrift: »nach Tobolsk« und mit der Bemerkung: »eilt sehr!« Der Feldjäger thut gar nicht, als sei etwas passirt, legt sich zu Haust ruhig zum Scheine in sein Bett, sagt, man solle ihn nicht so früh erwecken, und fängt wohlberechnet an zu schnarchen. Am anderen Morgen, wenn man ihm seinen Kaffee bringt – was glauben Sie wohl, Stifeler? – ist weit und breit kein Feldjäger mehr. Kein Mensch weiß, wann und wohin, und ehe überhaupt noch Jemand weiß, daß er abgereist ist, hat er schon an hundert Werst gegen Tobolsk hin zurückgelegt. – Das ist Dienst!«

»Es ist außerordentlich,« sprach Herr von Stifeler gerührt und von wahrer Bewunderung hingerissen.

»Jetzt, liebster Stifeler, will ich Sie in Gnaden entlassen. Sie können auf mich zählen wie auf eine Uhr, und wenn Sie mir eine Freundschaft erzeigen wollen, so treten Sie morgen nach dem Schlage Sechs in das Zimmer des Hauptmanns von Wedelbach und melden ihm, ich sei abgereist.«

»Doch darf ich vorher bei dieser Abreise zugegen sein?« sagte der Adjutant mit einem Anfluge von Rührung.

»Gott bewahre, bester Stifeler!« rief der Major. »Um Alles in der Welt kein Aufsehen! Denken Sie mir an den russischen Feldjäger. Erst nachdem ich zwei Tage fort bin, dürfen Sie es als Thatsache allenfalls zugeben. – Apropos! ich habe eine kleine Amnestie erlassen. Sie können das übermorgen bei der Parole ankündigen. Der Tambour Schneider I., der Hornist Schmitz und die Musketiere Peters, Kurz und Güldenstein sind von da aus dem Mittelarrest zu entlassen. Sie sollen sich aber künftig besser aufführen. – Damit Gott befohlen, bester Stifeler!«

Der Adjutant drückte die ihm dargebotene Hand seines Vorgesetzten und entfernte sich darauf stürmisch wie Jemand, dem es jetzt um eine Million nicht mehr möglich ist, seine Thränen zurückzuhalten.

Da die Reise des Majors über die Gränze ging, so hatte er begreiflicher Weise den Entschluß gefaßt, dieselbe im Civilanzug zu unternehmen, und Zwiebel zu diesem Ende den Befehl erhalten, die sämmtliche Friedensgarderobe zu einer genauen Musterung vorzulegen.

Dieselbe nahm übrigens keinen bedeutenden Platz weg; sie beschränkte sich auf einen schwarzen Anzug, einen dunkelblauen Paletot und einen Hut, dessen Federn aber einigermaßen verblichen zu sein schienen.

»Zwiebel!« rief der Major erstaunt, ja fast erschreckt, als er mit Hülfe dieses getreuen Dieners in den schwarzen Frack hineingeschlüpft war. »Zwiebel, mir scheint, ich bin im letzten Jahre bedeutend stärker geworden. Das soll ja ein Donnerwetter regieren! Ich muß ja aussehen wie ein Konfirmand – oder wie ein Schneider,« fuhr er nach einer Pause fort, während welcher er eine verzweifelte Anstrengung gemacht hatte, die beiden Fracktheile vorn zu vereinigen. Doch schienen Knopflöcher und Knöpfe in einer unbeschreiblichen Feindschaft zu leben, und es war unmöglich, zwischen ihnen eine Annäherung zu Stande zu bringen.

Der Major sah Zwiebel mit einem wahrhaft trostlosen Blick an. Dieser zuckte die Achseln.

»Das ist eine ganz malitiöse Geschichte!« fuhr Herr von Brander fort. »Es ist zu spät, einen neuen Frack machen zu lassen, und ich kann doch bei der Feierlichkeit nicht ohne ein solches Kleidungsstück erscheinen. Gib einmal den Paletot her!«

Mit diesem ließ sich nun schon eher ein vernünftiges Wort reden. Er schien aus weit dehnbarerem Stoffe gemacht zu sein und ließ sich deßhalb mit einiger Anstrengung vorn zuknöpfen.

Der Major stellte sich vor den Spiegel und klopfte nachdenklich seine beiden Seiten. Ihm kam ein sehr guter Gedanke. »Wenn ich auch während der Reise,« sagte er mehr zu sich selber sprechend als zu seinem Diener, »diesen Paletot anziehe, so hindert mich nichts, im Wagen den Mantel darüber zu nehmen; den Frack lasse ich zu Hause, und bei der Feierlichkeit drüben bediene ich mich kurzweg des Waffenrockes, was nur einen um so größeren Eindruck machen muß.«

So beschloß der Major, und danach erhielt Zwiebel seine Befehle.


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