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Dreiundfünfzigstes Kapitel.

Jungfer Clementine besteht ein polizeiliches Examen, und Madame Schoppelmann sieht sich veranlaßt, einen wichtigen Schritt zu thun.

Da vernahm man Schritte im Hof, und ehe noch Jemand eintrat, schlüpfte eine der Mägde der Gemüsehändlerin in die Vorhalle und sagte mit leiser Stimme und eiligen Worten, es sei Jemand von der Polizei draußen, der sich bei ihr erkundigt, ob die Frau zu Hause sei.

Gleich darauf trat dieser Beamte auch in das Gemach; und es war nicht blos ein untergeordneter Beamter, sondern der Polizeikommissär dieses Viertels, ein langjähriger Bekannter der Gemüsehändlerin.

Dergleichen Leute haben zweierlei Arten von Benehmen. Madame Schoppelmann hatte mit dem Kommissär in häufigem geschäftlichem Verkehr gestanden, und bei diesen Veranlassungen war Herr Wunsch, der sehr darauf hielt, jeder Jahreszeit ihr Recht angedeihen zu lassen, und dem eine Schnepfe um Lätare lieber war als nach dem Palmsonntag, der herablassendste, leutseligste und freundlichste Mann, den man weit und breit finden konnte. Er hatte auch schon oft ein Auge zugedrückt über kleine Fehler der Gebrüder Schoppelmann, die zu seinen Geschäftsohren gelangt waren, anerkannten guten Eigenschaften der Mutter jener leichtsinnigen jungen Leute zu Liebe.

Obgleich die Gemüsehändlerin mit einigem Erschrecken einsah, daß es sich hier um nichts Geringes handle, da der Polizeikommissär selbst sich in ihre Wohnung bemüht hatte, war es ihr doch angenehm, mit diesem Bekannten statt mit einem fremden Unterbeamten verhandeln zu müssen. Als eine kluge Frau spielte sie noch obendrein vollkommen die Unbefangene, erhob sich äußerst freundlich und so schnell als möglich von ihrem Stuhle und schien sichtlich entzückt, den Herrn Polizeikommissär bei sich zu sehen.

Dieser aber hatte heute das feierliche Dienstbenehmen angenommen, verstand es jedoch auch hier, eine kleine Schattirung zu machen. Als Beamter der öffentlichen Gewalt, hatte er in Fällen, wie der vorliegende, ein ernstes, würdiges Aussehen, das sich bei unbekannten Individuen nicht selten zu einem Ausdrucke von Strenge und Grobheit steigerte, hier aber der bekannten Frau gegenüber mit einer leichten Wehmuth vermischt war.

»Sollte der Herr Polizeikommissär,« sagte die Gemüsehändlerin nach einem tiefen Athemzuge, »sich vielleicht selbst hieher bemühen, um in Person nach dem gewünschten Winterobst zu sehen?«

Herr Wunsch schüttelte auf diese Frage hin ernst und melancholisch sein Haupt und antwortete: dieses Mal nicht, meine gute Frau.« Dann blickte er sich rings prüfend in dem Gemache um, schien jedes Fenster, jede Thür seiner besonderen Aufmerksamkeit zu würdigen und schaute endlich auch Jungfer Strebeling lange und durchdringend an, die, zufällig aufschauend, vor diesem Blicke zusammen schrak.

Die Gemüsehändlerin hatte einen Stuhl herbei geholt, und der Polizeikommissär ließ sich langsam darauf nieder, zog mit großer Bedächtigkeit seine Schnupftabaksdose hervor und nahm eine starke Prise, wobei er die beiden Frauenzimmer abwechselnd ansah.

»Das ist –?« sagte er nach einer Pause, indem er auf die Schreiberin wies, die sich wieder emsig mit ihrem Buche und ihrer Schiefertafel beschäftigte.

»Die Jungfer Strebeling,« entgegnete die Gemüsehändlerin. »Wohnt schon länger in unserem Hause und hilft mir, seit meine Tochter nicht mehr da ist, beim Schreiben der Bücher. – Ich kann damit nicht mehr recht umgehen,« setzte sie lächelnd hinzu.

»Ah so?« sagte Herr Wunsch und blickte die alte Jungfer mit sichtlichem und sehr großem Interesse an.

Clementine war bei der Nennung ihres Namens zusammen gefahren. Sie wußte nicht, warum, aber es war ihr recht unheimlich und ängstlich zu Muthe.

Der Polizeikommissär hatte sich so gesetzt, daß er, ohne den Kopf stark zu drehen, die Beiden ansehen konnte.

»Soll ich mich vielleicht entfernen?« fragte die alte Jungfer mit schüchterner Stimme und blickte die Gemüsehändlerin an. Sie wagte es nicht, dem Manne des Gesetzes in die Augen zu sehen.

Madame Schoppelmann blickte fragend auf den Beamten. Doch dieser sagte mit ruhigem Tone: »Es wäre mir im Gegentheil sehr angenehm, wenn die Jungfer Strebeling da bleiben wollte.«

Clementine schauderte; Herr Wunsch nahm ruhig eine zweite Prise.

»Ja, ja!« sprach er darauf nach einer längeren Pause, »da sind in unserem Stadtviertel ja merkwürdige Dinge vorgefallen, die ersten derartigen, so lange ich Polizeikommissär bin.«

»Es ist sehr traurig!« sagte die Gemüsehändlerin. »Und wer hätte es glauben können, so eine magere Frau muß am Schlag sterben! Ja, was soll dann mit unser einem geschehen?«

Sie wollte offenbar auf ihre eigenen Kosten einen kleinen Spaß machen.

»Man nimmt allerdings an, es sei ein Schlaganfall gewesen,« entgegnete ruhig der Beamte. »Die Aerzte haben es so ausgesprochen; das Gericht hat sich damit zufrieden gestellt.«

Madame Schoppelmann athmete tief auf.

»Nun aber,« nahm der Beamte nach einem längeren Stillschweigen wieder das Wort, »haben sich bei der Haussuchung, die wir vor einigen Tagen veranstalten mußten, allerlei sonderbare und seltsame Dinge ergeben.«

»Ah!« sagte Madame Schoppelmann.

»Ich will nicht von einem Messer sprechen,« fuhr der Beamte in demselben ruhigen Tone fort, wobei er die dicke Frau fest ansah, »von einem offenen Messer mit langer Klinge, das auf dem Fußboden des hinteren Zimmers gefunden wurde.

»Ein Messer?«

»Allerdings, ein Messer,« antwortete Herr Wunsch. »Wie könnte ich Ihnen doch dieses Messer am besten beschreiben? – Richtig! so wird's gehen. – Sie werden sich erinnern, Frau Schoppelmann, daß Ihr Sohn Konrad, auch der Jäger genannt –«

»Mein Sohn Konrad?« sagte die Frau erschreckt.

»Derselbe,« erwiderte der Polizeikommissär, »brachte mir vor einiger Zeit einen Hasen, den ich von Ihnen gekauft, und auf mein Ersuchen streifte er diesen Hasen in meiner Gegenwart ab.«

»Nun?«

»Und bediente sich dabei eines Messers,« fuhr Herr Wunsch fort, »ganz ähnlich dem, welches wir in dem hinteren Zimmer der Frau Schilder gefunden.«

Jungfer Clementine saß wie auf Kohlen; denn der Beamte sah während seiner Rede hauptsächlich sie an. Vor ihrem Geiste bewegten sich allerlei schreckliche Bilder; da sah sie Messer und Blut und Mörder und Gespenster. Sie athmete schwer und tief auf, und als sie mit ihrer Hand über die Stirn fuhr, fühlte sie auf derselben kalte Schweißtropfen.

Der Beamte, welcher mit größter Ruhe eine dritte Prise nahm, lächelte ihr auf eine eigenthümliche Art zu. Er klopfte sich einzelne Körnchen des Tabaks von der Uniform und wiederholte langsam und gedehnt: »Ein geöffnetes Messer. Aber das würde an sich noch nichts bedeuten, hat auch eigentlich nichts zu sagen, und ich sprach nur darüber, weil es mir gerade einfiel. – Jetzt aber kommen wir zu einem anderen Punkte, demjenigen, weßhalb ich Ihre Meinung, Frau Schoppelmann, hören wollte. Wir nahmen also vorgestern drüben eine Haussuchung vor. Diese ergab anfänglich kein großes Resultat; das Hauswesen der Frau schien arg verlumpt und herunter gekommen, das Mobiliar in schlechtem Zustande, Bettwerk so gut wie gar nicht vorhanden, von Wirthschaftsgeräth nur das Kümmerlichste. Kein halbes Dutzend ganzer Gläser, Wein nicht einen Tropfen. Aber baares Geld.«

»Das ist erstaunlich!« sagte Frau Schoppelmann.

»Allerdings sehr erstaunlich!« fuhr der Beamte fort. »Ueber tausend Gulden baares Geld; doch fanden wir das schon am ersten Tage; es lag um die Leiche in schönen Gruppirungen. Es wäre sonderbar gewesen, wenn sich dieses baare Geld allein im Hause befunden hatte; es war das nicht glaublich. Das meinte auch mein Polizeisoldat Schneider, der namentlich in dieser Beziehung eine feine Nase hat und der sich sorgsam daran gab, Kisten und Kasten zu untersuchen, namentlich aber auf verborgene Fächer fahndete.«

Bei den letzten Worten zog der Polizeibeamte seinen Hemdkragen etwas in die Höhe und blickte nach der Jungfer Strebeling hinüber, die aber bei Nennung der geheimen Fächer durchaus keine Bewegung verrieth.

»Das ist über alle Maßen erstaunlich!« warf die Gemüsehändlerin dazwischen. »Tausend Gulden bei der Schilder? Ich hätte ihr nicht tausend Kreuzer zugemuthet.«

»Die Polizei auch nicht,« sagte Herr Wunsch, indem er stolz seinen Kopf erhob. »Die Frau war als verschuldet bekannt. Um so mehr mußten wir aber erstaunen, als Schneider in einer alten Komode wirklich einen geheimen Behälter entdeckte und in demselben merkwürdige Papiere fand.«

»Papiere?« fragte erstaunt Madame Schoppelmann.

»Ganz merkwürdige Papiere,« entgegnete der Beamte, indem er seinen Oberrock aufknöpfte und ein ansehnliches Paket hervorzog. »Ich muß mir schon erlauben,« fuhr er ruhig fort, »Sie von dem Inhalt dieser Papiere in Kenntniß zu setzen.«

Damit sah Herr Wunsch die alte Jungfer mit einem so festen, wir mochten sagen: gierigen Blicke an, daß sie die Augen niederschlug, sich aber dabei nicht enthalten konnte, zu sagen: »Wenn's gefällig ist.«

»Gefällig durchaus nicht,« entgegnete würdevoll der Beamte. »In der That nicht gefällig; es ist eigentlich nur meine Pflicht, die ich erfülle, keine Gefälligkeit.« Er wollte eigentlich sagen, keine Schonung, doch schien ihm die arme Clementine schon eingeschüchtert genug.

Er riß den Bindfaden herunter, rückte seinen Stuhl näher an den Tisch, also auch zu Clementine, entfaltete einen ganzen Stoß Akten und räusperte sich mehrere Male.

»Verzeihen Sie mir, Herr Polizeikommissär,« sagte jetzt Madame Schoppelmann; »es sieht ja fast aus, als gehen uns die Papiere der Frau Schilder an! Was haben wir um Gotteswillen damit zu schaffen?«

Herr Wunsch zuckte auffallend hoch die Achseln und entgegnete: »Wir wollen das später, hoffe ich, erfahren. Für jetzt muß ich Sie um einen Augenblick Gehör bitten.«

Damit hatte er die Papiere vor sich ausgebreitet, glättete sie behutsam, indem er mit dem Aermel darüber strich, und las nun mit einer wahrhaft erschütternden Stimme und mit einem unsäglich blutgierigen Blicke auf Clementine: »Verhandelt in Anwesenheit der Gerichtsbeisitzer N. N.« Dann schaute er abermals in die Höhe, um die Gewißheit zu erlangen, welchen Eindruck diese schreckliche Einleitung auf das Gemüth der beiden Frauen hervorgebracht.

Die Gemüsehändlerin, die dergleichen schon mehrmals gehört hatte, war sich ziemlich gleich geblieben, Jungfer Strebeling dagegen zusammen geknickt, wie eine vom Hagel getroffene Lilie.

»In Anwesenheit der Gerichtsbeisitzer etc. wurde an dem und dem Tage von unterzeichnetem Polizeikommissär in der Wohnung der verstorbenen Frau Schilder eine Haussuchung vorgenommen, deren Resultat Folgendes war. Nach verschiedenen unbedeutenden Sachen,« fuhr Herr Wunsch fort, indem er mehrere Blätter umwendete, »fand sich eine Eichenholzkommode vor, deren obere Schublade einen doppelten Boden ergab, welches Behältniß nachfolgende Papiere enthielt etc. – unwesentlich; ferner aber eine Staatsobligation Nr. 4680, eine dito Nr. 4681, eine dito Nr. 4682, zusammen im Betrage von dreitausend Gulden.«

»Herr Jesus!« seufzte Clementine.

»Bei diesen Obligationen lag ein Dokument, welches besagte, daß diese dreitausend Gulden sich dadurch im rechtmäßigen Besitze der Frau Schilder befänden, weil sie ihr von der vormaligen Inhaberin dieser Obligationen zur Deckung eines früher gemachten Anlehens zurückbezahlt worden seien.«

Hier machte der Beamte eine Pause, und Madame Schoppelmann, welche diese Sache zu interessiren anfing, trat zu dem Tische und sagte: »Das ist allerdings merkwürdig! Da möchte ich nur wissen, welcher Christenmensch der Schilder etwas schuldig gewesen. Dreitausend Gulden! – und wer hat die heimbezahlt? Na, da schau einer an!«

Clementine war mehr todt als lebendig. Obgleich sie keinen Begriff davon hatte, was eigentlich Schreckliches über sie hereinbrechen würde, so fühlte sie doch, daß über ihrem Haupte ein Schwert an einem Faden hing, und daß der Faden eben im Begriff sei, zu zerreißen. Sie erhob sich langsam von ihrem Stuhle; sie schien das Zimmer verlassen zu wollen; doch ein gebieterischer Blick des Polizeikommissärs traf sie so mächtig, daß sie kraft- und willenlos in ihren Stuhl zurück fiel.

»Diese Obligationen im Betrage von dreitausend Gulden,« fuhr der schreckliche Mann fort, »wurden der Frau Schilder vor nicht langer Zeit heimbezahlt, und zwar, wie das beiliegende Dokument beurkundet, durch – Jungfer Clementine Strebeling.«

Wenn in diesem Augenblicke die ganze Vorhalle eingestürzt wäre, so hätte Madame Schoppelmann, die begierig den Namen erwartete, nicht mehr erschrecken können, als jetzt, wo sie diesen vernahm. Sie faltete ihre Hände und brachte nur mühsam die Worte hervor; »Ja, ist denn das möglich?«

Der Polizeikommissär hatte sich in seinen Stuhl zurückgelegt und spielte mit einem Bleistifte, während er die unglückliche Clementine betrachtete.

»Ja, habe ich denn recht gehört?« rief die dicke Frau, indem sie ihre Hände mehrere Male zusammen schlug. »Ja, kann ich meinen Ohren trauen? Ihr, Strebelinge, habt der Schilder dreitausend Gulden gegeben?«

»In Obligationen,« bekräftigte der Beamte mit einem Kopfnicken.

»So sprecht doch, unglückseliges Weibsbild!« sagte die Gemüsehändlerin in wahrer Verzweiflung. »Da sitzt der Herr Oberpolizeikommissär; es ist jetzt kein Spaß mehr mit der Geschichte. Seid denn Ihr der Schilder was schuldig gewesen?«

»Nein, nein, gewiß nicht!« jammerte das unglückselige Wesen.

»Und Ihr habt ihr auch nichts bezahlt?« fuhr die dicke Frau dringender fort.

»Ja, ich habe ihr die drei Papiere gegeben!« lispelte verzweiflungsvoll Clementine und verbarg ihr Gesicht in beide Hände.

»Gerechter Heiland!« rief entsetzt Madame Schoppelmann. »Jetzt geht mir ein Licht auf; wahrhaftig! jetzt geht mir eine Fackel auf! – Ach, Herr Oberpolizeikommissär, da ist was Niederträchtiges geschehen, was ganz absonderlich Schlechtes!«

»Das glaube ich auch,« sagte der Beamte mit seltsamem Blick auf Clementine. »Die Jungfer ist sehr verwirrt, und das scheint mir verdächtig.«

»Ach!« rief die Frau, »der arme Wurm hat nichts gethan; die unglückliche Weibsperson ist selbst niederträchtig behandelt worden! Mit der hat man ein schlechtes Spiel getrieben!«

»So soll sie sprechen,« sagte der Polizeikommissär mit zweifelhaftem Tone. »Warum hat sie der Schilder das Geld gegeben?«

»Nein,« jammerte Clementine nach einer Pause, und nachdem der Beamte seine Fragen mehrere Male wiederholt hatte; »nein, ich will nichts sagen; ich kann nichts sagen, und sollte es mein Tod sein!«

»So will ich sprechen!« sagte entrüstet die Gemüsehändlerin, während sie mit der Hand auf den Tisch schlug. »Da war so ein Kerl – Müller hieß er.«

»Um Gottes Willen! was sprecht Ihr da?« rief Clementine in Thränen. »Frau, Frau! Wenn ich das vor fremden Ohren hören muß, so werde ich sterben.«

»Es stirbt sich nicht so leicht,« fuhr Madame Schoppelmann nach einem tiefen Athemzuge fort. »Ich hab's gesagt; da war so ein Kerl, der hieß Müller.«

»Johannes Müller,« sagte lächelnd der Beamte, indem er einen zerknitterten Brief entfaltete.

»Meinetwegen, Johannes,« erwiderte die dicke Frau. »Nun, der hat der alten Person da den Kopf verrückt, vollständig verrückt. – Da mag Sie heulen und Gesichter schneiden, wie Sie will, 's ist doch wahr! Und das war Ihr Unglück – ich hab's Ihr immer gesagt. – Nur Gleich und Gleich paßt zusammen; und wenn ein junger Mensch so einem alten Ding nachlauft, da sind immer Absichten dabei. Und so war es auch hier; der saubere Herr Müller hat mit der Schilder zusammen gespielt. – O, ich bin nicht so dumm! Und da haben sie dem armen Geschöpf da Briefe geschrieben und haben darin gesagt, es gehe ihm so schlecht, und er müsse seine Familie unterstützen, und dazu brauche er Geld.« –

Hier machte die Frau eine kleine Pause, um sich durch einen tiefen Athemzug wieder zu restauriren.

Der Polizeikommissär hatte während der heftigen Reden der Frau andere Papiere entfaltet und beistimmend mit dem Kopfe genickt.

»Er brauche Geld!« fuhr diese mit neuen Kräften fort. »Und das Geld hat sie der Schilder gegeben, einmal sechshundert Gulden und nun auch diese dreitausend Gulden. O, das ist nicht an zehn Himmel zu malen!«

Clementine war mit dem Kopfe auf den Tisch niedergesunken und weinte und schluchzte, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen. Ihr zartes, süßes Geheimniß hatte man schonungslos verrathen; ihr reines Verhältniß war zu den Ohren der Polizei gekommen und sie blamirt auf ewig!

»Mir scheint, die Frau hat vollkommen Recht,« sagte streng der Beamte. »Wir sind hier einem Verbrechen auf die Spur gekommen, das nothwendiger Weise verfolgt und bestraft werden muß. Deßhalb sehe ich mich denn auch veranlaßt, Sie, Jungfer Strebeling, nöthigenfalls im Namen des Königs zu fragen, wie sich diese Sache verhält.«

»Es ist so, es ist so!« rief triumphirend die Gemüsehändlerin.

»Jungfer Strebeling, Sie werden mir antworten!« sagte der Beamte mit ernstem Tone. »Haben Sie Bekanntschaft gehabt mit einem Johannes Müller?«

»Ja,« hauchte die Gefragte mühsam hervor.

»Hat Ihnen dieser Johannes Müller durch Vermittlung der Frau Schilder einen Brief zugestellt, worin er Ihnen unter Anderem sagt, er habe seine Familie in traurigen Umständen getroffen und nur eine gewisse Summe könne ihn und sie vom Verderben retten?«

»So ist es!«

»Haben Sie hierauf diese Briefe beantwortet und der Frau Schilder zu gleicher Zeit Geld eingehändigt?«

»Ja.«

»Wie hoch beliefen sich diese Summen?«

Clementine zauderte mit der Antwort und faltete bittend die Hände.

»Wenn Sie,« fuhr der Polizeikommissär streng fort, »hier wo wir unter uns sind, die Beantwortung dieser Frage verweigern, so sehe ich mich veranlaßt, Sie auf das Polizeiamt zu citiren.«

»So rede Sie doch!« sagte Madame Schoppelmann.

»In Gottes Namen denn!« seufzte das gequälte Wesen. »Einmal fünfhundert Gulden, dann sechshundert, zuletzt dreitausend.«

»Fast ihr ganzes Vermögen!« jammerte die dicke Frau.

»Es ist unglaublich!« sagte entrüstet der Beamte. »Und wie lange kannten Sie diesen Johannes Müller?«

»Ei, Herr Polizeikommissär!« rief nun schluchzend die Gemüsehändlerin, »das ist ja gerade das Schreckliche an der ganzen Sache: sie hat ihn fast gar nicht gekannt, nur einmal gesehen und, glaube ich, nur einmal gesprochen.«

»Ist das wahr?« wandte sich der Beamte überrascht an Clementine.

»Ich kann es nicht läugnen!« entgegnete diese, indem sie ihren Kopf tief auf die Brust herabsinken ließ. »Er war arm und nahm meine Hülfe in Anspruch; ich half ihm. Habe ich damit ein Verbrechen begangen – nun, so kann ich ja dafür bestraft werden.«

Nach diesen Worten betrachtete der Beamte zum ersten Mal theilnehmend und kopfschüttelnd die Jungfer Strebeling. »Mir ist dergleichen noch nicht vorgekommen,« sagte er nach einer Pause. »Und glauben Sie denn wirklich, daß der Johannes Müller es gut mit Ihnen meint und Ihnen jene Briefe wirklich geschrieben hat?« »Er ist ein braver Mann, darauf möchte ich schwören,« entgegnete Clementine.

»Den Teufel auch!« rief die Gemüsehändlerin. »Er hat mit der Schilder gewirthschaftet. Die Beiden haben Sie um Ihr Geld gebracht und lachten Sie obendrein aus.«

»Das hat er nicht gethan!« antwortete Clementine entrüstet. »Er ist zu so etwas nicht fähig.«

»Aber wer ist es denn eigentlich?« fragte der Beamte. »Wo haben Sie ihn gesehen und gesprochen?«

»Das werde ich nie sagen!« entgegnete bestimmt das unglückliche Frauenzimmer; »dazu kann man mich nicht zwingen. Und wenn ich Alles verloren habe, so ist das meine Schuld; – nun ja, so will ich dafür büßen.«

»Aber den Gerichten kann es nicht einerlei sein, ob er wegen dieses Verbrechens unbestraft bleibe,« sagte der Polizeikommissär, »und ich muß dringend darauf bestehen, mir noch einige Fragen zu beantworten. – Sie haben Briefe von diesem Herrn erhalten; das ist nicht anders möglich, und ich muß von Ihnen verlangen, daß Sie mir diese Briefe ausliefern.«

Clementine antwortete nicht mehr; sie war mit dem Kopf auf den Tisch gesunken und schien besinnungslos. Wenigstens nahm dies die erschreckte Gemüsehändlerin an; denn sie holte eilig eine Flasche mit starkem Kräuteressig, hob den Kopf der armen Person etwas in die Höhe, welche wirklich mit geschlossenen Augen da lag, und begann denselben mit einem angefeuchteten Lappen zu reiben.

In diesem Augenblicke traten Frau Klingler und Frau Claasen in das Gemach. Letztere, die Demüthige, blieb erschrocken an der Thüre stehen, als sie die Polizei in diesem Hause erblickte. Frau Klingler aber trat einen Schritt näher, stemmte die Arme in die Seite und blickte den Polizeikommissär ziemlich herausfordernd an.

»Um Gotteswillen! was gibt's denn da?« sagte sie mit etwas gereiztem Tone. »Was ist denn der Jungfer Strebeling widerfahren?«

»Seht Ihr denn nicht,« entgegnete Madame Schoppelmann, indem sie den Polizeikommissär bedeutungsvoll und nicht eben sehr freundlich ansah, »daß ihr unwohl geworden ist? 's ist aber auch kein Wunder, wenn man mit den Leuten so hart umgeht!«

»Hart umgeht?« sagte die Klingler mit gellender Stimme; und die Claasen, als treues Echo, setzte hinzu: »in der That, hart umgeht?«

Der Polizeikommissär mochte einsehen, daß sein Terrain durch die Dazwischenkunft der beiden anderen Weiber bedeutend schwierig geworden war, und daß es unmöglich sei, mit diesen drei Zungen fertig zu werden; Clementinen als ohnmächtig gar nicht zu rechnen.

»Sie sehen, Herr Polizeikommissär,« sagte Madame Schoppelmann, nachdem Clementine trotz des heftigen Reibens mit dem Kräuteressig noch kein Auge aufschlug, »Sie sehen, daß hier vorderhand nichts mehr zu fragen ist. Fortlaufen thut Keines von uns, und wenn Sie uns vielleicht nächstens wieder einmal die Ehre schenken wollten, wäre es uns weit angenehmer. Sollten Sie aber vorziehen,« fuhr sie nach einem tiefen Athemzuge fort, »uns auf das Polizeiamt kommen zu lassen, so habe ich auch nichts dagegen und werde selbst kommen und die Jungfer Strebeling mitbringen und einen Advokaten dazu.«

»Meine liebe Frau,« sprach ruhig der Beamte, »Sie ereifern sich wahrhaftig ganz unnöthig; Sie müssen nicht vergessen, daß ich nur aus Schonung für jenes Frauenzimmer hieher in's Haus kam, um die Fragen, welche mir nothwendig schienen, an sie zu richten. Freilich hat sich nun durch diese kleine Untersuchung etwas ergeben, wonach ich weiter zu forschen mich für verpflichtet halte. Doch da ich sehe, daß sich Jungfer Strebeling in einem Zustande befindet, der ihr meine fernere Gegenwart unangenehm macht, so werde ich mich für heute zurückziehen, vorbehaltlich einer weiteren Besprechung morgen oder übermorgen.«

Auf diese Worte hin machte die dicke Gemüsehändlerin einen übermäßig tiefen Knix und drehte alsdann dem Beamten den Rücken, um sich mit der ohnmächtigen Clementine weiter zu beschäftigen.

Herr Wunsch packte seine Papiere zusammen, erhob sich in seiner ganzen Größe und Wichtigkeit und schritt nach einer kurzen Verbeugung stolzen Hauptes zur Thüre hinaus.

Als er fort war, schlug Frau Klingler ihre Hände zusammen und sagte: »Herr Jemine! was hat's denn da gegeben? Aber, Frau Schoppelmann, was wollte die Polizei?«

Die dicke Frau zuckte mit den Achseln und zeigte auf Clementine, welche in diesem Momente die Augen aufschlug.

»Ist er fort?« fragte das arme Schlachtopfer mit matter Stimme. »Hat er mir meine Briefe vielleicht mit Gewalt genommen?«

Und indem sie dies sprach, schaute sie die umstehenden Weiber mit einem trostlosen Blicke an.

»Man hat Euch nichts mit Gewalt genommen,« sagte die Gemüsehändlerin, und Frau Klingler setzte hinzu: »mit Gewalt?« und das mit einem Tone, als wollte sie sagen: »mit Gewalt, so lange ich da bin?«

»Gott sei Dank, daß er sie mir nicht genommen hat!« fuhr die alte Jungfer mit einem tiefen Seufzer fort. »Das wäre mein Tod gewesen. Ach, Frau Schoppelmann, glaubt Ihr wirklich, daß man mich betrogen hat?«

»Es scheint mir in der That so,« meinte die gutmüthige dicke Frau nach einer Pause. »Wenn man die Sache von dem Gesichtspunkt ansieht, so glaube ich wahrhaftig selbst, es wäre besser, das bei der Polizei anhängig zu machen und zu dem Zwecke die Briefe herauszugeben.«

»Ich kann das nimmermehr thun!« klagte Clementine. »Und wenn er wirklich schlecht an mir gehandelt hätte, so wäre ich doch nicht im Stande, Zeugniß gegen ihn abzulegen. Aber Euch will ich die Briefe geben, Frau Schoppelmann; hebt sie auf, oder thut damit, was Ihr wollt. Einen solchen Auftritt, wie den von eben, könnte ich nimmermehr überstehen.«

Damit zog sie ein kleines Paket aus ihrem Busen, das sie der Gemüsehändlerin darreichte.

»Seht nur hinein,« fuhr sie fort; »ach, Frau Schoppelmann, lest sie alle durch, und dann sagt mir, ob Ihr glaubt, daß es wirklich auf dieser Welt so schlechte Menschen gibt. Ich aber will auf mein Zimmer hinauf gehen; das hat mich zu stark angegriffen.«

Mit diesen Worten erhob sich Clementine und verließ die Vorhalle, unterstützt von der guten Frau Claasen, welche versprach, dafür Sorge zu tragen, daß Clementine in ihr Bett komme und einen lindernden Thee erhalte.

Madame Schoppelmann hatte das Paketchen aus der Hand Clementinens genommen und ging damit an die Kaminecke, wo sie sich auf ihren Stuhl niederließ und eine kleine Hornbrille auf die Nase setzte. Dann faltete sie die Papiere aus einander und nahm ein paar Briefe heraus, welche sie einen um den andern öffnete und vor die Augen brachte.

Dabei müssen wir gestehen, daß die Züge der alten Frau, welche anfänglich nur Neugierde zeigten, auf einmal den Ausdruck größter Ueberraschung, ja des heftigsten Schreckens annahmen. Sie hatte in dem einen dieser Briefe die Hand ihres Sohnes Konrad erkannt, und das ganze schändliche Spiel, das man mit der alten Jungfer getrieben, war ihr plötzlich klar und verständlich. Mühsam holte sie Athem und blickte, um ihre Bewegung vor der aufmerksamen Klingler bestens zu verbergen, gedankenvoll in die Papiere, die aber in ihrer Hand heftig zitterten.

Sie nahm alle ihre Kraft zusammen, und als sie nach einiger Zeit aus dem Kaminecke hervor an das helle Tageslicht kam, sah sie wohl etwas blaß aus, hatte sich aber so weit gefaßt, um mit einem erzwungenen Lächeln sagen zu können: »das sind saubere Geschichten! Sie ist eine verschwiegene Frau, Klinglere. Nun denk' Sie sich, da hat die Schilder drüben mit ein paar ihrer Helfershelfer der armen Person droben fast ihr ganzes Vermögen genommen; bei viertausend Gulden.«

»Das ist ja entsetzlich!« schrie die Klingler. »So hat die Strebeling also nichts mehr, wovon sie leben kann? Und mit ihrer Hände Arbeit bringt sie sich auch nicht fort!«

»Nun, was das anlangt,« entgegnete gefaßt die Gemüsehändlerin, »da wird noch zu helfen sein. Der Polizeikommissär« – bei diesen Worten schauderte sie leicht zusammen – »scheint der Sache auf die Spur gekommen zu sein; und da sich das Geld vorgefunden, so wird sie das Ihrige wohl wieder erhalten. Aber bei allem dem ist die Geschichte ganz erschrecklich; sie hat mich sehr alterirt.«

Die Gemüsehändlerin, welche sich kaum aufrecht erhalten konnte, ließ sich vor dem Tische auf einem Stuhl nieder und klopfte gedankenvoll mit ihren Fingern auf dem ersteren.

Ihr Entschluß, Geschäft und Haus zu verlassen, befestigte sich mehr und mehr. Ihr, der ehrwürdigen, braven Frau, war in letzter Zeit zu viel Unangenehmes, ja wahrhaftig Fürchterliches begegnet. Sie fühlte wohl, ihr heiterer Lebensmuth sei von ihr geflohen, ihre gute Laune würde in diesem finsteren Hause nie mehr zu ihr zurückkehren. Die Vorhalle hier mit dem knisternden Kaminfeuer, sonst ihr täglicher, angenehmer Aufenthaltsort, war ihr verhaßt, ja unheimlich geworden. Ihre Vorrathskammer – das begriff sie wohl – konnte sie nicht ohne einen gewissen Schauder betreten, denn neben derselben war das Zimmer ihrer Söhne. Oben, wo ihre Tochter Katharina gewohnt, war Alles öde und leer; sie fühlte sich hier in dem ganzen weiten Hause so traurig allein stehend, so von aller Welt verlassen! Jetzt erst dachte sie daran, wie es in dem alten Hause hier meistens so finster und trübselig sei, und wie sehr es ihr behagen würde, draußen im warmen Sonnenschein zu wohnen und ihren Blick über Wald und Flur streifen zu lassen, statt wie hier immer die hohen Mauern, die engen Straßen sehen zu müssen.

Sie dachte an ihre Schwester, die auf einem kleinen Hofe vor der Stadt wohnte, und wie ihr diese so oft zugeredet, endlich einmal ihr anstrengendes Geschäft zu verlassen und sich zur Ruhe zu setzen. Und hatte sie nicht durchaus Fug und Recht, dies zu thun? hatte sie nicht etwas Schönes in ihrem langen, mühevollen Leben erworben? – Das konnte sie sich wohl mit Stolz sagen; und wenn sie heute zu ihrem Geschäftsmanne hinging und ihm sagte: »Ich brauche Geld!« so gab ihr dieser schmunzelnd zur Antwort: »Wie viel Tausend wollen Sie, Frau Schoppelmann?«

Frau Claasen war wieder herabgekommen und setzte sich ebenfalls stillschweigend an den Tisch; die Klingler warf ihr einen bedeutungsvollen Blick zu; denn diese hatte wohl bemerkt, daß Madame Schoppelmann sich mit außerordentlichen Dingen beschäftige.

Außerordentliche Dinge waren es nun auch in der That, und sehr erfreuliche für die beiden Weiber; denn nach einer kurzen Einleitung sagte die Gemüsehändlerin, sie sei entschlossen, sich von ihrem Geschäfte zurück zu ziehen, und wolle die Beiden unter den besten Bedingungen in Haus und Kundschaft eintreten lassen.

Wir wollen uns nicht bei den Ergüssen des Dankes aufhalten, der hierauf den gerührten Herzen der Frau Klingler und der Frau Claasen entströmte; wir wollen nicht ausführlich erzählen, daß Erstere vergebens ihre Rührung zu bemeistern versuchte, und daß Letztere heftige Thränen vergoß.

Die Sache wurde in bester Form Rechtens abgemacht, und noch am selben Tage wußte man es in den bedeutendsten Küchen der Residenz, daß die Wittwe Schoppelmann ihr Geschäft aufgegeben habe und daß Frau Klingler und Claasen es fortsetzen würden und einen hohen Adel und ein verehrungswürdiges Publikum bestens ersuchten, auch sie künftig mit ihrem Vertrauen zu beehren, indem sie es sich zu ihrer schönsten Aufgabe machen würden, dasselbe zu rechtfertigen und ihre Kunden auf's Beste zu bedienen. Angekommen sei:

*

Feinstes Tafelobst in den besten Sorten
und
frisches Wildpret durch alle Rubriken.


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