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Zweiundfünfzigstes Kapitel.

Hochzeit und Tod. Madame Schoppelmann hat schlimme Ahnungen.

Der Eintritt Katharinens in das Stillfried'sche Haus war vielleicht von Niemand mit aufrichtigerer und größerer Freude begrüßt worden, als von der sämmtlichen Dienerschaft desselben. Man hatte in dem gewöhnlichen Hauptquartier, in der Küche, anfänglich einen langen Kriegsrath darüber gehalten, welche Stellung das junge Mädchen einnehmen solle und müsse. Martha hatte gerathen, sich ihr vertraulich zu nähern; doch war dieser Vorschlag von Jakob mit gebührender Entrüstung zurückgewiesen worden.

»Glaubt mir,« hatte er gesagt, »die ist zu was ganz Anderem hieher berufen worden, als der Frau Staatsräthin vorzulesen oder sich um die Wirthschaft zu bekümmern. – Zu Letzterem brauchen wir Niemanden,« hatte er lächelnd hinzugefügt, »ist nicht die Martha da?«

Das hatte die Köchin schmunzelnd zugestanden.

»Die Jungfer Katharine,« sagte der alte Diener des Hauses, »ist hieher gekommen, nun – einfach als künftige Schwiegertochter. Glaubt mir, darüber sind Mutter und Tochter vollkommen einig; und wenn er noch nichts davon weiß, so ist das um so besser.«

Jakob's Ansicht drang wie gewöhnlich durch; und da auch in wenig Tagen das offene, liebenswürdige und freundliche Wesen des jungen Mädchens die Herzen sämmtlicher Dienerschaft erobert hatte, so dauerte es nicht lange, und Katharina konnte als unumschränkte Gebieterin über das ganze Haus betrachtet werden.

In Betreff der Madame Schoppelmann hatte es der alte umsichtige Jakob unpassend gefunden, wenn dieselbe in ihrer früheren Eigenschaft, als Lieferantin für die Küche nämlich, das Haus ferner besuche. Dieses Geschäft hatte Frau Klingler übernehmen müssen. Anfänglich hatte sich die dicke Gemüsehändlerin gewaltig gesträubt, doch wurde sie überstimmt, ergab sich in ihr Schicksal und kam nur zuweilen, fein und sauber angezogen, um ihrer Tochter einen Besuch zu machen, bei welchen Gelegenheiten sie von dem alten taktvollen Jakob auf's Ehrerbietigste an der Hausthüre empfangen und die Treppe hinauf begleitet wurde, ohne daß er sich dabei erlaubt hätte, einen der früheren Spässe mit der langjährigen Bekannten zu machen.

Madame Schoppelmann hatte zuerst darüber gelächelt und auch wohl gesagt, wenn sie schwer athmend auf der halben Treppe stehen blieb: »Jakob, Er ist ein alter Narr!« worauf ihr dieser erwiderte: »Alles hat seinen Unterschied; wenn Ihr uns in der Küche besucht, oder wenn wir zu Euch kommen, da sind wir die früheren guten Bekannten; wenn es aber dem gnädigen Fräulein gilt, so wird die Sache anders gehalten. Das verstehe ich besser.«

Unterdessen hatte sich auch die Geschichte mit dem Stubenmädchen Nanette auf die für das strenge Herz der Köchin allerbefriedigendste Art entwickelt. Der Schloßbediente hatte förmlich um die Hand derselben angehalten, und zwar bei Martha selbst, welche sich herbeigelassen, Mutterstelle bei dem nasenweisen Mädchen zu vertreten. Er war gekommen in seiner besten Livree: roth mit Gold und mächtigen Achselschnüren, hatte frisch gewaschene, weiße baumwollene Handschuhe an, und trug in der Hand den schwarzlackirten Hut. Die Köchin, selbst im besten Putze, hatte ihn im Zimmer neben der Küche empfangen, hatte ihm nach seiner Verbeugung einen ungeheuer tiefen Knix gemacht und alsdann sehr ernsthaft seinen zierlich gesetzten Worten gelauscht.

Die ganze Brautwerbung war denn auch zur besten Zufriedenheit aller Theile vorüber gegangen; am Schlusse derselben wurde Nanette herbei gerufen, ihr der Antrag des Schloßbedienten wiederholt, und schon im Voraus von Martha auf's Beste instruirt, hatte sich drei Tage Bedenkzeit ausgebeten, – ein Verlangen, das die stellvertretende Köchin vollkommen gerechtfertigt fand.

Diese hatte sich auch bei dem ganzen Akte so feierlich und würdevoll benommen, daß, als der Hofbediente weggegangen war und sich die Stillfried'sche Dienerschaft wieder in der Küche versammelt hatte, Martin, der Kutscher, hoch und theuer versicherte, da könne man sagen, was man wolle, er glaube es doch nicht, und er sei der festen Ueberzeugung, und würde auf diese Ueberzeugung einen Eid ablegen: die Köchin hätte schon früher einmal stellvertretende oder wirkliche Mutter gespielt.

Wenn es auch der Köchin schmeichelte, ihr Amt so gut versehen zu haben, so drohte sie doch mit einer Ohnmacht und sagte in Ermangelung einer solchen zum Kutscher: er sei ein alter, unausstehlicher Narr.

Tages darauf mußte Jakob, ebenfalls in guter Livree, den Besuch des Schloßbedienten erwidern; dann wurde der Letztere mit Erlaubniß der Staatsräthin nach den abgelaufenen drei Tagen zu einem Kaffee eingeladen, bei diesem das Jawort ertheilt und darauf die Braut und die stellvertretende Mutter von dem Schloßbedienten geküßt.

Hiebei können wir nicht umhin, zu bemerken, daß, als Letzteres geschah, Martin, der Kutscher, die Köchin so auffallend anblinzelte und schrecklich lächelnd auf sie hinschielte, daß Martha ihre ganze Fassung verlor und dem Schloßbedienten seinen Kuß zurückgab, was eigentlich nicht ganz dem herkömmlichen Ceremoniel gemäß war.

Danach nahm nun die Sache ihren gewöhnlichen Verlauf. Der Schloßbediente und seine Braut wurden drei Sonntage nach einander, um uns eines technischen Ausdrucks zu bedienen, von der Kanzel herabgeworfen, was Veranlassung gab, daß Nanette an drei Sonntagen mit rothgeweinten Augen erschien, und daß Martha an eben diesen drei Sonntagen nach der Behauptung des boshaften Kutschers die Suppe versalzte. Sofort erhielt die glückliche Braut von ihrer bisherigen Herrschaft, nicht minder auch von Katharina und Madame Schoppelmann, von Martha, von Jakob und dem Kutscher eine mehr oder minder reiche Aussteuer. Hiebei können wir aber nicht verschweigen, daß sich Martin etwas sehr Unzartes zu Schulden kommen ließ; denn er schenkte in die neue Haushaltung unter Anderem ein Geräthe, welches man sich gewöhnlich selbst anzuschaffen pflegt.

Darauf wurde die Hochzeit gefeiert im Gasthofe zum schwarzen Adler. Ein fürstlicher Jäger im glänzendsten Schmucke führte die Braut, der Schloßbediente die Köchin. Sämmtliche vornehme Häuser der Residenz waren in ihren besten Livreen bei diesem Feste vertreten. Es wurde sehr viel gegessen, noch mehr getrunken und auch nicht wenig getanzt.

Von diesem freudigen Ereignisse sehen wir uns veranlaßt, dem gewöhnlichen Lauf der Welt nach auf ein ernsteres überzugehen, welches mit unserer Geschichte zu innig verwebt ist, um nicht davon Kenntniß nehmen zu müssen.

Wir erlauben uns schon, dem geneigten Leser mitzutheilen, daß es den wenigen Leuten, welche ihren Weg durch die enge Gasse hinter dem Schoppelmann'schen Hause, zu nehmen pflegten, an dem ersten und zweiten Tage nicht auffiel, daß die Thüre des kleinen Weinhauses der Frau Schilder beständig und fest verschlossen war.

Endlich machten spielende Kinder einen vorübergehenden Mann auf die sonderbaren Flecken aufmerksam, welche unten an der Thüre und auf der steinernen Schwelle sichtbar waren. Dieser Mann klopfte zu wiederholten Malen an die Hausthüre; doch schallten diese Schläge dumpf und hohl, ohne eine Antwort hervorzurufen. Darauf umging er das Haus, betrat den kleinen Klosterhof und schaute von dort in die Fenster, bemerkte aber auch da nichts. Dieser Vorfall wurde der Polizei gemeldet, die sich hiedurch veranlaßt sah, bei der Wittwe Schilder eine förmliche Haussuchung vorzunehmen. Da man die Hausthüre nicht aufsprengen wollte und die Fenster hinten einem leichten Drucke nachgaben, so stiegen die Beamten der öffentlichen Sicherheit dort hinein. Der Polizeiwachtmeister, der das Ganze leitete, versicherte später, mit einem seltsamen unheimlichen Gefühle eingetreten zu sein. In dem Hinterzimmer fand sich nichts, als auf dem Tische die aufgeschlagene Bibel und in einem Winkel ein großes, offenes Messer, welches sich aber bei späterer genauer Untersuchung als gänzlich ohne Blutflecken und deßhalb ziemlich unverdächtig ergab. Eine Todtenstille lag auf dem Hause, und der erste Polizeisoldat, der nun vorn an die Treppe ging, ein Mann, der doch in diesem Fache Ziemliches gewohnt war, wich schaudernd einen Schritt zurück, als sich so gräßliches seinem Blicke darbot. –

Wir wollen den Leser mit diesem Bilde verschonen.

Die Leiche des unglücklichen Weibes wurde aufgehoben, nachdem die herbeigerufenen Gerichtspersonen zuvor die genaueste Kenntniß von ihrer Lage und den sie umgebenden Gegenständen genommen. Die umherliegenden Gold- und Silbermünzen wurden, ohne sie zu berühren, zusammengekehrt und in einen Behälter gethan.

Natürlicher Weise vermuthete man anfänglich einen Mord; doch ergab sich nach angestellter sorgfältiger ärztlicher Untersuchung und Sektion, daß die Frau, im Begriffe, mit dem bei ihr gefundenen Gelde die Treppe hinabzusteigen, vom Schlage getroffen worden sei und unten vielleicht noch einige Stunden lebend gelegen habe. Wenigstens schloß man Letzteres aus dem Blute, welches bis an die Thüre geflossen. – Am meisten wunderten sich die Gerichte bei dieser Sache über das baare Geld, welches man bei der Frau Schilder, die als in dürftigen Umständen lebend bekannt war, vorgefunden. Es war über tausend Gulden in Baarem, und einige Zeit darauf, nachdem die Frau begraben war und man das Haus abermals öffnete, um zum Behufe einer Versteigerung die wenigen Mobilien der Verstorbenen aufzunehmen, fanden sich noch einige Papiere, über welche wir später zu reden Veranlassung haben werden.

Den größten Eindruck in der Nachbarschaft hatte diese Geschichte aus verschiedenen Gründen auf das Herz der Madame Schoppelmann gemacht. Obgleich sie die Frau Schilder keineswegs liebte, so war es ihr doch fürchterlich, daß diese Frau gerade so nahe ihrem eigenen Wohnhause dieses schreckliche Ende hatte nehmen müssen. Die Gemüsehändlerin konnte es nicht unterlassen, häufig während des Tages, mehr aber noch nächtlicher Weile nach dem verschlossenen Hause hinüber zu schielen, und dabei konnte sie die schreckliche Idee nicht unterdrücken, als würde die nicht mehr existirende Nachbarin plötzlich ihre Thüre öffnen und ihr grinsend einen guten Abend bieten.

Was aber Madame Schoppelmann am meisten bei der Sache bekümmerte, war das plötzliche Verschwinden ihrer beiden Söhne. Daß dieselben einen Tag und eine Nacht abwesend waren, war schon häufiger vorgekommen. Als sie aber nach achtundvierzig Stunden nicht wieder erschienen, als drei Tage vergingen, vier Tage, und weder Einer der Beiden zurück kam noch irgend ein Lebenszeichen von sich gab, da schüttelte die Mutter doch einigermaßen besorgt den Kopf und wußte nicht, was das zu bedeuten habe. Wenn ihr die beiden Buben auch unendlich viel Kummer verursachten, so waren und blieben es doch einmal ihre Söhne; und daß sie namentlich so spurlos verschwunden, das machte der alten Frau die größte Sorge; denn sie war deßhalb nicht einmal im Stande, mit einer Gewißheit über sie zu sprechen, was ihrem gepreßten Herzen eine Erleichterung gewesen wäre.

Daß die Beiden nicht so bald zurück kehren würden, vermuthete sie übrigens nicht eher, als bis sie nach ein paar Tagen an ein verborgenes Fach ihres Schreibtisches kam und dort zu ihrem größten Schrecken wahrnahm, daß ihr ein Sack mit einer beträchtlichen Summe in Kronenthalern fehle. Die Gemüsehändlerin wurde bei dieser Entdeckung bleich vor Schrecken. Das hatte sie nicht erwartet und nimmermehr geglaubt, daß ihre eigenen Kinder sie bestehlen würden. Wenn sie auch genugsam von deren Lebenswandel überzeugt war, wenn sie sie auch für leichtsinnig, faul und liederlich hielt, wenn es auch schon vorgekommen war, daß sie sich gerade kein großes Gewissen daraus gemacht hatten, irgend etwas von den Viktualien der Mutter zu ihren eigenen Zwecken zu mißbrauchen, so wäre es der Frau doch wahrhaftig nie in den Sinn gekommen, zu glauben, ihre Söhne seien fähig, die eigene Mutter so rücksichtslos zu bestehlen.

Wenige Tage, nachdem die Polizei das Haus drüben untersucht, hatte sich einer dieser Herren – wahrscheinlich zufälliger Weise – bei Madame Schoppelmann eingefunden, und mit ihr ein gleichgültiges Gespräch führend, sie auch im Verlaufe desselben nach ihren beiden Söhnen befragt. Die Mutter hatte gesagt, was sie wußte, daß sie nämlich seit ein paar Tagen fort, wahrscheinlich über Land seien, und hatte mehr aufrichtig als klug hinzugefügt, sie begreife dieses Verschwinden ihrer Söhne nicht recht, es sei das für eine Dauer von mehreren Tagen bis jetzt noch nicht vorgekommen.

Die Gemüsehändlerin saß vor der erbrochenen geheimen Schublade ihres Schreibpultes und legte die Hände ermattet in den Schooß. Ihr Haupt hatte sie gesenkt, und da sie, ehe dies geschehen, zufällig die beiden uns bekannten leeren Medicinflaschen sah, so hatte sie einen heftigen Zorn, der in ihr aufzusteigen drohte, bekämpft und ließ dafür Schmerz und Wehmuth in ihr Herz ziehen. Sie hatte allerlei Gedanken, und die kamen so nach und nach, einer nach dem anderen, daß sie sich ordentlich davor fürchtete. Sie wußte wohl, welche Gemeinschaft ihre beiden Söhne mit der Schilder drüben gehabt; ja, die Strebeling, die an jenem unglücklichen Abend zufällig droben am Fenster war, wollte die Gebrüder Schoppelmann noch gesehen haben, als sie spät jenes Haus verließen. Nun war die Frau eines so plötzlichen und schrecklichen Todes gestorben, und die beiden – Gott im Himmel! dachte die Frau schaudernd – vielleicht in Folge davon so plötzlich verschwunden.

Es war gut, daß die arme Mutter, während auf der einen Seite ihr Herz durch ihre Söhne so tief betrübt war, durch das Glück ihrer Tochter auf der anderen Seite hoch erfreut wurde. Aber sie fühlte sich hier in diesen finsteren Mauern so einsam und verlassen. Ja, ihr Geschäft, das ihr sonst so große Freude gemacht, war nicht mehr im Stande, sie aufzuheitern. – »Wozu die Plagerei bei Tag und Nacht?« sprach die Gemüsehändlerin zu sich selber. Für wen soll ich mich abschinden und aufopfern? Für Katharine habe ich genug zusammen gebracht, und auch für die beiden ungerathenen Buben, wenn sie da geblieben wären. – Und dann,« fuhr sie nach einem längeren Stillschweigen fort, »bin ich es meiner Tochter, der Katharine, wenn sie je das Glück haben sollte, in dem Hause zu bleiben, wahrhaftig schuldig, etwas für sie zu thun, was darin bestehen muß, daß ich mir zu einer Stellung verhelfe, wo ich mich mit Anstand vor meinem künftigen Schwiegersohn kann sehen lassen. Das geht nicht immer so fort, und ich kann und will hier nicht Rettige und Fische verkaufen, während sie in ihrem Wagen bei mir vorbeifährt. Es würde sich das nicht schicken.«

Bei diesen Worten und mit einem leisen Seufzer blickte die Frau rings in ihrem Waarenmagazine um sich, und als sie hier alle ihre Reiche ausgebreitet sah, da wurde ihr das Herz schwer, wenn sie daran dachte, dies alles sei nicht mehr für sie da. Seit Katharina das Haus verlassen, war ihr, trotz der thätigen Hülfe der Jungfer Strebeling, das ganze Anwesen eine große Last geworden; sie liebte es nicht mehr, sie konnte es nicht mehr mit dem Interesse anschauen, wie früher. Nun aber, seit jene Geschichte drüben vorgefallen war, seit ihre Söhne das Haus verlassen, seit die Hand ihrer eigenen Kinder sie bestohlen, war es der alten Frau unheimlich geworden, und dieser Hof, Zimmer und Waarenmagazin, sonst ihr Stolz und ihre Freude, alles das hatte nichts Anziehendes mehr für sie; sie fand es hier zum ersten Male finster und unwohnlich.

Nachdem die Gemüsehändlerin ihr Schreibpult wieder verschlossen, begab sie sich in ihr Zimmer nach dem Hofe zu, in jene Vorhalle mit dem großen Herde, wo sie sich in der Kaminecke neben dem prasselnden Feuer niedersetzte. An dem uns bekannten Tische in der Nähe der Thüre befand sich Jungfer Strebeling; sie hatte das große Buch vor sich und übertrug die Hieroglyphen der Schiefertafel in leserliche Worte und Zahlen. Die alte Jungfer war so in ihr Geschäft vertieft, daß sie nicht einmal zu bemerken schien, wie Madame Schoppelmann aus dem Nebenzimmer kam und sich in ihren traulichen Winkel setzte.

Aber, ach! dieser Winkel war nicht mehr so traulich wie vordem, wie an jenem Morgen, wo wir den geneigten Leser zum ersten Male hier einführten, wo draußen auf dem Hofe die warme Frühlingssonne schien und im Scheine derselben aufgehäuft lag, was es in jener Jahreszeit Schönes und Gutes gab. Und in den Monaten Mai und Juni gibt es viel Schönes. – War damals nicht auch Katharina in das Zimmer getreten, die lustige, vergnügte, glückliche Katharina, und hatte nicht dort an jenem Tische der Fuhrmann gesessen? – Wo mag der jetzt sein? –

Die Gemüsehändlerin seufzte so laut und lange, daß Jungfer Clementine nothwendiger Weise in ihrer Arbeit einhalten und aufblicken mußte.

»Was fehlt euch denn, Frau?« fragte sie erschrocken. »Du lieber Gott, Ihr müßt das nicht so zu Herzen nehmen! Die werden schon wieder kommen.«

»Darüber habe ich eigentlich nicht geseufzt,« versetzte Madame Schoppelmann. »Es war nur so ein Seufzer im Allgemeinen. Aber ich habe in der letzter Zeit wirklich zu viel Unangenehmes erlebt!«

»Aber auch Angenehmes,« sagte Clementine, während sie einen Finger auf die Schiefertafel hielt, um die Stelle nicht zu vergessen, wo sie gerade am Uebertragen war.

»Ja, allerdings, die Katharine,« sprach die Frau achselzuckend. »Da könnte vielleicht noch was Gutes daraus entstehen. Vielleicht, sage ich, nur vielleicht; denn das Schicksal hat seine Launen. – Aber hier dieses Haus ist mir gewaltig entleidet. Sieht Sie, Strebelinge, wenn meine beiden Söhne auch als ein paar Taugenichtse bekannt waren, so hatten sie doch bis jetzt noch nichts gethan, was sie vor der ganzen Welt blamiren konnte.«

»Und nun?« fragte Clementine erstaunt.

»Da mag man sagen, was man will,« fuhr die Gemüsehändlerin finster fort und schlug mit ihrer geballten rechten Faust in die Handfläche, »sie stehen zu der traurigen Geschichte da drüben in irgend einer Verbindung.«

»Um Gottes willen, was habt ihr für schreckliche Gedanken!« rief entsetzt die alte Jungfer.

»Versteht mich recht,« erwiderte Madame Schoppelmann. »Ich will gerade nicht behaupten – nein, Gott soll mich davor bewahren! – wenn ich das denken sollte, müßte ich ja ein Narr werden; seht, wie ich nur bei so einem Gedanken schaudere; nein, nein, gewiß nicht! Aber sie haben mit dem Weibe da drüben – Gott habe sie selig – irgend eine Gemeinschaft gehabt; sie haben es gewußt, was da drüben vorgegangen, und deßhalb sind sie auf und davon.«

»Freilich, freilich,« sagte Clementine nachdenkend. »Gerade seit jener Zeit hat man sie nicht gesehen.«

»Das hängt irgend wie zusammen,« fuhr die alte Frau fort. »Warum sind sie nicht da geblieben, wenn sie sich nicht gefürchtet hätten, zugegen zu sein, wie man die Geschichte drüben entdeckt? Und glaubt mir, Strebelinge, so wie ich denken auch andere Leute. Umsonst war neulich der Polizeiwachtmeister nicht hier. Aber das ist keine Kleinigkeit; der Name Schoppelmann konnte sich bis jetzt hören lassen in der Stadt; da war nicht ein Fleckchen darauf so groß wie eine Nadelspitze. – Und was wird das Ende vom Liede sein? Die beiden Bursche treiben sich irgend wo im Lande umher, bis sie keinen Kreuzer Geld mehr haben, dann machen sie schlechte Streiche und werden an einem schönen Morgen eingebracht, hierher eingebracht auf die Polizei; und dann, Strebelinge, denk' Sie sich das Unglück! Kann ich mich dann ferner sehen lassen? Wird mich nicht die ganze Welt mitleidig und böswillig fragen: ei, Frau Schoppelmann, wie ist denn das? – Hätte man das je denken können! – Ist denn die Geschichte wahr? – O, o! das wär' ich gar nicht im Stande zu überleben! Nein, nein, ich habe die Geschichte satt und will meine Schritte thun.«

Hier gingen die Worte der Gemüsehändlerin, welche sie bis jetzt an ihren weiblichen Buchhalter zu richten schien, in ihre bekannte Manier, zu sich selbst zu reden, über.

»Wozu mich auch länger plagen? – Der Doktor hat es mir schon öfters gesagt, ich solle den Handel dran geben und mich zur Ruhe setzen. Das will ich denn auch thun. – Ich hasse solche garstige Geschichten in meiner Nähe, wie drüben bei der Schilder geschehen; ich mag solche Nachbarschaft nicht. – Aber ich kann es nicht vergessen – wachend und träumend muß ich daran denken. – Und warum soll ich mir meine letzten Lebenstage so verbittern? – Ich habe genug geschafft.« – –

Jetzt mußte sie sich in ihren Ideen mit dem Zimmer ihrer Söhne beschäftigen, denn sie sagte auf einmal, indem sie ihre lauten Träumereien verließ: »weiß Sie nicht, Jungfer Strebeling, ob der Schlosser da war und droben das Fenstergitter wieder festgemacht hat?«

»Ist Alles geschehen, wie Ihr befohlen,« entgegnete Clementine. »Es hat einen Gulden und zwölf Kreuzer gekostet; ich habe sie bezahlt.«

»Ja so!« fuhr die Gemüsehändlerin nach einer längeren Pause fort; »an Euch habe ich noch gar nicht einmal recht gedacht. Es thut mir wahrhaftig um Euch leid, wenn ich mich zurückziehe und das Haus verlasse. Werdet Ihr hier im Hause bleiben, oder,« fuhr die Frau lächelnd fort, »ist bald was Anderes im Werke?«

Clementine zerkaute verwirrt die Spitze ihrer Feder und sah betrübt auf die Schiefertafel. Ach, auch sie hatte der Tod der Schilder schmerzlich berührt! Diese Frau hatte allein den Faden in der Hand, der sie, wenn auch nur brieflich, mit dem entfernten Freunde verband. Das war nun auf einmal zu Ende, und Clementine wußte weder, wo sich Herr Müller aufhielt, noch, wer künftig ihre Briefe besorgen würde. Aus den Zeitungen mußte er nothwendiger Weise das traurige Ende der Frau erfahren haben, und Tag um Tag, Stunde um Stunde hoffte die Jungfer ein paar Zeilen zu erhalten. Aber es war bis heute nichts gekommen. –

Der Entschluß der Gemüsehändlerin, Haus und Geschäft zu verlassen, kam Clementinen im Augenblicke unerwartet; doch begriff sie vollkommen die Gefühle der alten Frau.

Seit Katharina aus dem Hause war, kam es auch ihr öde und unheimlich vor, und wir müssen gestehen, daß die einzigen glücklichen Stunden, welche Clementine hatte, jene waren, wo sie ihre Freundin besuchen konnte. Und das geschah denn auch alle paar Tage zur augenscheinlichen Freude Katharinens.

»Wenn ich einmal von hier fort bin,« sagte Madame Schoppelmann, welche längere Zeit über etwas nachgedacht hatte, »so wird's Euch auch nimmer angenehm sein, da zu bleiben. Was sollt Ihr unter fremden Leuten? Und wenn Ihr bis dahin keine anderen Aussichten habt – nun, Ihr versteht mich wohl! – so will ich Euch einen Vorschlag thun. Ihr wißt, daß ich Euch gut leiden mag; zieht mit mir, und um ein Billiges gebe ich Euch Kost und Logis. Wahrscheinlich bleibe ich in der Stadt; ich will nur vorher sehen, wie sich das mit meiner Tochter macht. Die Sache hier denke ich aber so bald wie möglich auszugeben. – Wart Ihr so gut und habt mir die Claasen und die Klingler herbestellt?«

»Ich that so, wie Ihr mir gesagt,« entgegnete Clementine sichtlich zerstreut; denn sie dachte über den Vorschlag der Madame Schoppelmann nach und rechnete, ob ihr zusammen geschmolzenes Vermögen ihr auch erlauben würde, ihn anzunehmen, und dachte dabei an ihn, auf den sie Alles gesetzt, ihre Hoffnungen, fast ihre ganze Habe.


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