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Dreiundvierzigstes Kapitel.

Ein sehr kurzes Kapitel, in welchem sich der Erzähler erlaubt, eine an ihn gestellte Frage bestmöglichst zu beantworten.

Als vorliegende Erzählung so weit gediehen war, drückte eine »achtbare Dame« aus Hönningen in einem Inserat der Kölnischen Zeitung ihre Sympathieen für den treuen Hund Sultan, sowie den Wunsch aus, denselben einstens zu besitzen. Auch erkundigte sie sich auf zarte Weise nach seinem Alter, was er zu speisen pflege, und überhaupt nach vielen Gegenständen, welche der leichtsinnige Erzähler dieser Geschichte vergessen hatte, dem Leser mitzutheilen.

Es ist für einen Autor ein außerordentlich angenehmes Gefühl, wenn er erfährt, daß die Personen, von denen er schreibt, die Gestalten, welche er erscheinen läßt, in der gefühlvollen Brust des Lesers Theilnahme, ja Freundschaft zu erwecken im Stande sind. Es ist dies schon bei einer kleinen Geschichte sehr belohnend, die schnell erzählt, schnell gelesen und schnell wieder vergessen ist; um so mehr aber sind solche Zeichen der Aufmerksamkeit auf's Höchste belohnend bei einer Arbeit, wie die vorliegende, die vielleicht für Manchen theilweise nicht übermäßig kurzweilig ist, die sich aber trotzdem – und das kann mir der geehrte Leser auf mein Wort glauben – weit leichter liest, als niederschreibt.

Dem mag nun sein, wie ihm will; die Zeichen der Teilnahme, welche der Erzähler dieser Geschichte schon so glücklich war, zu empfangen, haben ihn außerordentlich gerührt, und er verspricht dafür, beim Schlusse dieser Geschichte keine Person im Nebel verschwinden zu lassen, sondern getreulich zu berichten, wo jede ihr Plätzchen fand, auf dem sie von den gehabten Strapazen auszuruhen im Stande war.

Es ist aber in der That eigenthümlich und von unserem lieben Gotte weise so eingerichtet, daß, wie in der Natur, so auch in der Erzählung, dem Einen Dies, dem Andern Das gefällt. Was Jener verwirft, findet Dieser schön; was Diesem eines Nachdenkens werth genug erscheint, ist für Jenen vollkommen unbedeutend; er legt es gleichgültig bei Seite. Aber wenn der Erzähler einer Geschichte das unaussprechliche Glück hat, daß nicht nur die vernünftigen Geschöpfe, welche er reden und handeln läßt, das allgemeine Interesse zu fesseln im Stande sind, sondern daß auch die unvernünftigen (Geschöpfe nämlich) einen stillen Familienkreis finden, wo man über sie spricht, an sie denkt, von wo aus man über sie Nachforschungen anstellt, das ist wahrhaft rührend, so außerordentlich rührend, daß ich, der ich so glücklich bin, mich in diesem Falle zu befinden, einige stille Thränen nicht unterdrücken konnte.

Der geneigte Leser, der mir schon Vieles verziehen hat, muß mir geneigtest auch diese kleine Abschweifung nachsehen, und da er es thut, gewinnt er dabei; denn ich hätte mich sonst veranlaßt sehen müssen, für eine sehr achtbare Dame in Hönningen am Rhein ein eigenes Hundekapitel zu schreiben, was Manchem doch gerade nicht angenehm gewesen wäre. Ich werde mich deßhalb auch so kurz als möglich zu fassen suchen, und der freundliche Leser wird mich vollkommen verstehen, wenn ich, statt wie bisher, zu ihm als Publikum zu sprechen, mich dieses Mal an eine einzelne Person wende, die in des eben benannten Dörfleins bescheidenem Grunde, sanft gelegen zwischen Köln und Koblenz – so glaube ich, – wohnt, vielleicht auch an den flachen Ufern des Rheines zwischen Bonn und Colonia, oder weiter aufwärts, allwo der Rhein sich verengt, wo steile Felsen sich in die klare Flut herabsenken und sich in ihr spiegeln mit ihrem grauen zerrissenen Gestein und den alten ernsten Burgen und Schlössern, wo Elfen und Meerweiblein ihr lustiges, neckisches Spiel treiben. Und daß sie im letzteren Revier sich aufhalte, ist mir wahrscheinlich.

Ja, Madame, Sultan lebt, Sultan ist wohl! Sultan, obgleich nur ein Hund, ist gerührt von der Gnade, die er vor Ihren Augen gefunden, und freut sich wie ein Kind, bei einer dereinstigen Rheinfahrt Hönningen und Sie kennen zu lernen. Von dem Verlaufe dieses treuen Thieres, den Sie so freundlich waren, vorzuschlagen, Madame, kann begreiflicher Weise keine Rede sein. Sultan, der treue Sultan, liebt seinen jetzigen Herrn und ist als Hund auch geschmackslos genug, die Ufer des Neckars, wo er geboren, selbst den Ufern des Rheins vorzuziehen, sogar jener malerischen, unaussprechlich schönen Stelle, an welcher Hönningen liegt.

Aber, Madame, Sie haben Recht: Sie haben mich an eine Pflicht erinnert. Ich vergaß, Ihnen zu sagen, daß der treue Sultan nicht bis heute neben dem Wagen herspringt, in welchem sein Herr saß, sondern aus dem beachtenswerthen Grunde, weil dieser Wagen am anderen Morgen seinen Bestimmungsort jenseits der Grenze erreichte und dort stille hielt, that Sultan das Gleiche. Ja er that noch mehr. Er legte sich, als es Nacht wurde, vor das Bett seines Herrn nieder, nachdem er vorher von dem getreuen Pierrot gewaschen und gekämmt worden war. – Sie pflegen das in Hönningen gerade so zu machen? – Darauf schlief Sultan; wir glauben auch, daß er träumte: es kommt dies bei Hunden zuweilen vor. Hönningens Jäger werden Ihnen dies bestätigen.

Als hierauf der Morgen kam, erwachte er, wie sich von selbst versteht, und lebte »still und harmlos,« wie Wilhelm Tell im vierten Akte, und das trieb er so fort, so lange sein Herr in jenem Grenzstädtchen verweilte. Er machte wenig Bekanntschaften, betrug sich ruhig und anständig, wie denn überhaupt Sultan ein gesetzter Hund war und ist. Das einzige Außergewöhnliche, was allenfalls von ihm zu berichten wäre, ist, daß er die stärkste Neigung an den Tag legte, mit Katzen, die ihm in den Weg liefen, kleine Zänkereien anzufangen. – Sie werden aus der Naturgeschichte wissen, Madame, daß Hunde und Katzen in Feindschaft zu leben pflegen; es ist das so der Lauf der Welt, und wird auch in Hönningen nicht anders der Fall sein. Sprechen wie nicht weiter darüber!

Da kam jener Morgen, an welchem Eugen Stillfried, der lustige Rath und der getreue Pierrot eine Fußreise unternahmen. Glauben Sie ja nicht, Madame, daß Sultan zurück blieb; im Gegentheil, er sprang sogar voraus; er zog mit über Kreuz- und Feldwege, gerade wie ein vernünftiger Mensch, nur mit dem einzigen Unterschiede, daß jene Wanderung sich aufs Sonderbarste dadurch auszeichnete, daß er durch Vor- und Zurücklaufen, durch Hin- und Herspringen den Weg drei bis vier Mal machte; doch soll sich bei Hunden diese Erscheinung zuweilen zeigen und für den Kenner durchaus zu keinen ernsten Besorgnissen Veranlassung geben.

Indem ich Ihnen, Madame, nun ferner berichte, daß Sultan unter jenem Baume – Sie wissen, wo das Heiligenbild stand – an dem von Pierrot servirten Frühstück den innigsten und gemüthlichsten Antheil nahm, sehe ich mich veranlaßt, auf eine Ihrer Hauptfragen: was Sultan zu speisen pflege? durch die Thatsache zu antworten, daß er bei jenem Frühstück kalten Braten und rohen Schinken dem gebackenen Geflügel vorzuziehen schien. Was das Getränk anbelangt, so liebt der getreue Sultan frisches, klares Wasser über alles, weßhalb ich, Madame, da Hönningen sehr wasserreich sein soll, in dieser Hinsicht für das Schicksal Sultans ganz unbesorgt wäre, wenn er je einmal in Ihre Hände gerathen sollte.

Nach Schloßfelden ging das getreue Thier ebenfalls mit und wurde dort auf's Beste einquartiert. Der entschlafene Hofhund der Frau Rosel hatte eine sehr schöne Hundshütte hinterlassen, welche dem Gast angewiesen wurde. In dieselbe wurde frisches Stroh hinein gethan, einfaches Weizen- oder Gerstenstroh, wie es gewiß in Hönningens gesegneten Gefilden genugsam erzeugt und getrocknet wird. An jenem Abend nun, wo unser voriges Kapitel schließt – Eugen hatte Schicklichkeitsgefühl genug, den getreuen Sultan nicht mit zum Spaziergange auf das Schloß hinauf zu nehmen. man nimmt überhaupt die Hunde nicht überall hin mit, Madame, – an jenem Abend also war Sultan zurückgeblieben, und während sein Herr sich auf dem Heimwege stillen Träumereien überließ, machte es drunten der Hund gerade so. Was er gedacht, bin ich unglücklicher Weise nicht im Stande, Ihnen heute genau anzugeben. Sollte jedoch die menschliche Wissenschaft es noch so weit bringen, auch die Hundesprache verstehen zu lernen, so werde ich mich bemühen, Sie auch in diesem Punkte vollkommen zu befriedigen; Sultans Erinnerungen, Träume und Wahrnehmungen sollen alsdann – zu einem zierlichen Memoire vereinigt – Ihnen zu Füßen gelegt werden. Die Widmung an Sie, Madame, würde ich nicht ermangeln selbst zu schreiben, um dadurch einigermaßen die Schuld abzutragen, die ich gegen Sie habe, indem ich es bis dahin unterlassen, Ihnen recht viel und Ausführliches über Sultan, den getreuen Hund, zu erzählen.

Genehmigen Sie, sogar in Hönningen, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.

Den geneigten Leser im Allgemeinen muß ich für diese Abschweifung um Verzeihung bitten; doch hat mir das Publikum vorliegender Blätter, für welches ich bis jetzt geschrieben, so viel erquickliche und freundliche Theilnahme bezeigt und für die Gestalten, die ich aufgestellt, so warm und lebendig gefühlt, daß ich nicht umhin konnte – gewiß in der freundlichsten Absicht, – jene Frage an mich, wenn sie auch nur einen Hund betraf, zu beantworten. Zugleich bekam ich hiedurch Gelegenheit, den treuen Sultan wieder in die Geschichte hinein zu ziehen, was unterlassen zu haben ich mir zum großen und gerechten Vorwurf gemacht.


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