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Fünfundvierzigstes Kapitel.

Madame Schoppelmann nimmt Gratulationen in Empfang, theilt gute Lehren aus und findet schließlich, daß sie ihr Gelerntes selbst vergessen.

Madame Schoppelmann hatte sich in ihre Speisekammer begeben, die, wie wir wissen, neben dem Gemach ihrer Söhne gelegen war. Sie holte eine uns wohlbekannte große Flasche Liqueur von einem der Bretter herab, nahm zwei Gläschen dazu und ging nun zurück, wo sie hergekommen war, nämlich in ihre Vorhalle, wo sich Frau Claasen und Frau Klingler befanden, die gekommen waren, um der Frau wegen des ihrer Tochter Katharina widerfahrenen großen Glückes bestens zu gratuliren.

Die demüthige Frau Claasen stand unter der Thüre; sie hatte einen Zipfel der Schürze mit beiden Händen gefaßt und schien noch nicht im Reinen mit sich darüber zu sein, ob es nicht bei dieser Veranlassung passend wäre, einige Freudenthränen fallen zu lassen.

Frau Klingler dagegen stand stolz aufgerichtet neben dem Tische; sie hatte ihre beiden Arme keck in die Seiten gestemmt und schaute unverwandt auf die Frau Claasen, um deren Benehmen – mochte es nun sein, wie es wolle, mochte die Aermste vor Freuden lachen oder weinen – tadeln zu können.

Nun trat die dicke Gemüsehändlerin in die Vorhalle, setzte die Flasche mit den beiden Gläsern auf den Tisch, schenkte die letzteren voll und lud die beiden Weiber ein, sich zu bedienen.

Beim Anblicke des Schnapses hielt sich Frau Claasen nun nicht mehr länger; selbst auf die Gefahr hin, der Frau Klingler zu mißfallen, führte sie den Schürzenzipfel an ihre Augen, flennte etwas Weniges und sagte mit schluchzender Stimme: »Aber das ist so schön, so schön, ach, so schön!«

Frau Klingler hatte jetzt erreicht, was sie wollte. Sie schaute mit einem Blicke unbeschreiblicher Verachtung auf die Kollegin. »Das muß immer weinen!« sagte sie mit erkünstelter Entrüstung; »ist denn das eine Gelegenheit, um traurige Gesichter zu schneiden?«

»Lass Sie es gut sein, Klinglere,« meinte die dicke Gemüsehändlerin. »Es sind Freudenthränen, und die kann man einem schwachen Weibsbild, wie die Claasen ist, schon verzeihen. Ihr seid freilich anderer Natur; Euch hat vielleicht noch Niemand weinen sehen.«

»Gewiß noch Niemand,« meinte die demüthige Frau Claasen.

»Meint Ihr das wirklich, Frau Schoppelmann?« sagte die Klingler, indem sie ihr Glas erhob; »und auch Ihr, Claasen, glaubt so? Da seid Ihr beide auf dem Holzwege; wo es wirklich was Schmerzhaftes gibt, da kann auch ich weinen. Ja, ich versichere Euch, wenn ich nur an jene Geschichte denke mit dem Offizier, da gab's Thränen, na – was für Thränen!«

»Wir glauben es Euch gewiß, wir glauben es!« sprach lächelnd Frau Schoppelmann. »Nun trinkt Euer Glas aus. Ich habe heute Morgen meine Katharine gesehen; sie ist recht zufrieden, und die Staatsräthin auch, wie es scheint. Gott, der Gerechte! ich habe all' das Leid rein vergessen.«

»Ja, das kann man auch bei einer solchen Veranlassung,« meinte die Klingler; »wenn man bedenkt, was alles dahinter steckt.«

»Ja, was alles dahinter steckt,« wiederholte Frau Claasen, indem sie lächelnd ihr Haupt hin und her wiegte.

»Nun, was wird dahinter stecken?« entgegnete die Klingler halb lächelnd und halb mit einem ernsten Blick und blinzelte der Frau Schoppelmann zu; »sagt es mir, Frau Claasen, wenn Ihr es wißt!«

»Nun, eine Hochzeit wird dahinter stecken,« versetzte das demüthige Weib und schlug ihre Hände zusammen; »eine wirkliche und wahrhaftige Hochzeit.«

Dem wußte die Andere durch nichts zu widersprechen; sie winkte also herablassend mit der Hand. »Es ist gut, Frau Claasen, Ihr könnt Recht haben; ich glaube auch, daß eine schöne und glänzende Hochzeit daraus wird.«

»Das gebe Gott!« sagte die Gemüsehändlerin und faltete ihre Hände. »Nein, wie mich das Glück angreift, davon habt Ihr beiden Weiber gar keine Idee; aber es ist gut so, gewiß ganz gut, denn ich werde ein Bischen mager dabei; ich versichere Euch, Ihr könnt mir's glauben oder nicht, aber es ist so. All' der Aerger, wenn er auch mein Gemüth angegriffen hat, hat mich nur immer dicker gemacht. Der Doktor sagt es auch, er bringt das Blut durch einander und stärkt die Nerven.«

»Wenn ich nur die Katharine bald einmal sehen könnte!« sagte Frau Klingler; »ich muß sie absolut baldigst sehen. Du meine Güte! wenn ich denke, daß ich ihr nächstens auf der Straße begegne, wie sie in der Kutsche mit der Frau Staatsräthin ausfährt – und sie wird mit ihr ausfahren – glaubt Ihr das nicht auch, Frau Claasen?«

Glücklicher Weise schien diese ganz derselben Ansicht zu sein, und, also beruhigt, konnte Frau Klingler fortfahren: »Und wenn ich ihr begegne, das sag' ich Euch, Frau Schoppelmann, einen Knix mach' ich ihr, als käm' die Prinzessin daher gefahren. Gerade so.«

Die glückliche Mutter lächelte bei all' diesem vergnügt in sich hinein, und nur zuweilen überflog ein düstrer Schatten ihre Züge, und das war, wenn sie an ihre beiden Söhne dachte. Und sie dachte gerade neben dem glücklichen Loose, welches die Tochter zu betreffen schien und das sie sich so glänzend vorstellte, recht häufig an ihre anderen Kinder, und ein tiefer Seufzer entwand sich dann ihrer Brust.

Frau Claasen seufzte ebenfalls, und Frau Klingler, die nicht wußte, wie sie sich zu verhalten hatte, da sie das ernste Gesicht der dicken Gemüsehändlerin sah, wußte nichts Besseres zu thun, als die demüthige Frau an der Thüre finster anzublicken.

»Ja, meine beiden Buben!« sagte Madame Schoppelmann und seufzte abermals. »Wenn ich nur wüßte, was mit denen anzufangen ist! Glaubt mir,« wandte sie sich speziell an die beiden Weiber, »daß ich gar nicht Lust habe, bis an's Ende meiner Tage hier das mühsame Geschäft fortzusetzen. Gott soll mich bewahren! Wenn meine Tochter Katharina wirklich einmal versorgt ist, so sehe auch ich mich nach einer Versorgung um, das heißt, ich will alsdann genau überlegen, auf welche Art und Weise ich dann meine paar noch übrigen Tage verbringen will.«

»Es versteht sich ja von selbst,« erwiderte Frau Klingler hierauf, »daß Ihr alsdann zu Eurer Tochter geht; das ist doch ein gewiesener Weg.«

»Nicht so ganz,« meinte die dicke Frau. »In so ein vornehmes Haus passe ich nicht hinein, und wenn es mir auch außerordentlichen Spaß machen würde, so hie und da wieder in die Kinderstube zu gehen und meine kleinen Enkel zu pflegen, so würde ich mich doch in den andern – den schönen – Zimmern ganz unbehaglich finden.«

»Ach ja, die kleinen, lieben Enkel!« sagte die demüthige Frau Claasen, und dann machte sie eine Bewegung mit dem rechten Arme, als wiege sie schon eines dieser, bis jetzt blos in der Phantasie bestehenden Wesen bin und her.

»Aber wie kann ich mich zurückziehen?« fuhr die Gemüsehändlerin fort. »Wem soll ich mein Geschäft übergeben? Meinen beiden Söhnen? – Da soll mich Gott bewahren, daß ich meinen Namen so auf's Spiel setze! Nein, der soll bleiben, wie ich ihn geschaffen, solid und ehrlich, und soll noch in späteren Jahren mit Achtung genannt werden. Ich müßte mich ja vor meiner Kundschaft schämen, wollt' ich das Geschäft in solche Hände geben, wie die der beiden Buben sind.«

»Leider!« sagte die Demüthige, und Frau Klingler konnte sich sogar nicht entschließen, anderer Ansicht zu sein, und sagte ebenfalls: »Leider!«

»Was aber anfangen?« fuhr die dicke Frau fort. »Du mein Gott im Himmel! Das macht mir recht betrübte und traurige Stunden. Wenn die Buben nur auswärts was Rechts anfangen wollten, ich würde sie ja mit Geld, so viel ich kann, unterstützen. Aber das hat auf der weiten Welt keinen anderen Trieb, als wie im Wirthshaus sitzen, den ganzen lieben Tag nichts verdienen, und das Geld auf die unwürdigste Art durchbringen. – Und dann bedenkt nur, wenn ich einmal nicht mehr da bin! Ich bin noch die einzige Person, die im Stande ist, mit den beiden Rangen fertig zu werden. Hab' mir schon gedacht, man sollt' ihnen ein Stück Land in Amerika kaufen, da hätten sie Platz genug, um auszutoben; da ist schon Mancher zahm geworden. Sie fänden da keine Nachbarn, mit denen sie Streit anfangen könnten, auch keine Wirthshäuser, und müßten, um sich durchzubringen, tüchtig arbeiten. Es ist ein gesegnetes Land, das Amerika.«

»Ihr habt eine gute Idee,« sagte Frau Klingler. »Ihr solltet das den Beiden vorschlagen.«

»Sie werden's nicht annehmen,« entgegnete bestimmt die dicke Frau. »Nur die Noth kann die Beiden zu einem solchen Schritt treiben, wenn ihnen einmal das Wasser in den Kragen hinein läuft. So lange sie im Trockenen sind und die Füße unter meinen Tisch strecken können, denken sie nicht an's Auswandern. – Nicht noch ein Gläschen Schnaps, Klinglere? Was meint Ihr, Claasen, noch ein Halbes?«

Beide Weiber ließen sich die Gabe gefallen, tranken die dargebotenen Gläser leer, und als sie darauf sahen, daß Madame Schoppelmann keine Lust mehr zu haben schien, die vorhin begonnene Unterhaltung fortzuführen, sondern daß sie vielmehr die Hände in den Schooß legte und in tiefes Nachsinnen versank, hielten sie es für gerathener, sich langsam zurück zu ziehen, was sie auch ausführten, indem sie von der Oberin des Gemüsemarktes mit einer freundlichen Verneigung des Kopfes verabschiedet wurden.

Madame Schoppelmann blieb auf diese Art allein an dem großen Tische sitzen, hielt die gefalteten Hände im Schooße und dachte eifrigst nach über Vergangenes und Zukünftiges; bald nickte sie mit dem Kopfe, bald schüttelte sie ihr Haupt hin und her; zuweilen fuhr ein Lächeln über ihre Züge, zuweilen aber seufzte sie aus tiefstem Herzensgrunde. Mehrmals begann sie auch nach ihrer Gewohnheit ein lautes Selbstgespräch, doch waren die Worte, die man vernahm, anfänglich so abgerissen und ohne allen Sinn, daß es unmöglich war, zu errathen, was sie damit eigentlich sagen wollte, und erst als dies eine gute Viertelstunde gedauert, legte sie ihre schwere Hand auf den Tisch, rückte auf dem Stuhle unruhig hin und her, und brachte ihre lauten Betrachtungen in eine ordentliche Reihenfolge und ließ sie ohne zu große Zwischenräume, wodurch sie verständlicher wurden. »Das ist eine verwetterte Geschichte,« murmelte sie. »Soll ich denn in meinen alten Tagen wieder anfangen wie ein Schulkind und auf der Schiefertafel herum kratzen? Du wirst es wohl müssen, Margareth,« gab sie sich selbst zur Antwort, und dann seufzte sie wieder tief auf. »Und mit der Dinte kann ich gar nicht umgehen,« fuhr sie nach einer Pause fort, »und wenn ich auch zwei Buchstaben geschrieben habe, so sind mir schon alle Finger davon schwarz geworden. Pfui Teufel!« Und darauf seufzte die dicke Frau so entsetzlich tief und ungebührlich lange, daß sie vor diesem eigenen Seufzer erschrack und in die Höhe fuhr.

Dieses in die Höhe Fahren der Frau Schoppelmann ist nicht blos geistig, sondern auch leiblich zu verstehen; denn sie erhob sich wirklich von ihrem Stuhle, und das mit einer bei ihr ungewöhnlichen Geschwindigkeit.

»Auch dazu kann man keinen von den Buben brauchen,« murmelte sie in sich hinein, indem sie von dem Kamine herunter eine große Schiefertafel holte und sie auf den Tisch legte. Dann brachte sie aus ihrer Komode, die sich im Nebenzimmer befand, ein ziemlich dickes Buch herbei, ein paar außerordentlich stumpfe Federn und ein Dintenfaß, dessen Inhalt so mit weißem Schimmel überzogen war, daß es des Umrührens mit einem starken Holze bedurfte, um den Schimmel in die Tiefe zu versenken und die klare schwarze Dinte zum Vorschein zu bringen.

Nachdem dieses Geschäft besorgt war, das Buch aufgeschlagen, die Schiefertafel in die Nähe gerückt, nachdem sich Madame Schoppelmann gesetzt, die Federn durch mehrmaliges Anschlagen an den Tisch von einer harten, schwarzen Kruste befreit hatte, setzte sie eine kleine Hornbrille auf und begann mit vielem Geseufze die Hieroglyphen auf der Schiefertafel vermittelst anderer, ebenso unleserlicher Charaktere in das große Buch zu übertragen.

Aber Madame Schoppelmann füllte sich bei diesem Geschäfte sehr unglücklich, und ihr Anblick bot etwas außerordentlich Komisches. Seit ihrer Mädchenzeit hatte sie so recht keine Feder mehr in die Hand genommen; denn früher hatte dieses Geschäft der selige Schoppelmann besorgt, und in späterer Zeit Katharina.

Madame Schoppelmann hatte demnach, was das Schreiben anbelangte, sehr alte Traditionen aus der Schule aufbewahrt, die sie jetzt zur Anwendung brachte. Die Ellbogen hielt sie weit ausgebreitet und bedeckte damit Buch und Schiefertafel. Mit dem Zeigfinger der linken Hand folgte sie den Schriftzügen auf letzterer, während sie dieselben mit der rechten Hand so gut als möglich niederschrieb. Dabei hielt sie die Feder in der geballten Faust und so nahe wie möglich an der Spitze, wodurch zuweilen eine artige Schmutzerei entstand; denn sie nahm die Feder zu voll, weßhalb die Dinte auf das Papier niederträufelte und von der Schreiberin, die in einem solchen Augenblicke vielleicht zufällig auf die Schiefertafel blickte, zu einem schwarzen Fleck von mäßiger Ausdehnung zerrieben wurde.

Nach einem solchen Unglücke seufzte die Frau tief auf, überschaute dann mit wahrem Schmerze die von der Hand ihrer Tochter so zierlich geschriebenen vorangehenden Seiten. Das war aber auch ein Unterschied wie Tag und Nacht, ein Elfentanz im Mondschein, schlanke, zierliche, hin und her schwebende Gestalten neben einem Hexensabbath, wo Kobolde und böse Geister mit Besenstielen und Heugabeln sehr ungenirt einen Ball halten. – Dabei sprach sie jedes Wort, jede Zahl laut vor sich hin, sowohl wenn sie es von der Schiefertafel ablas, als auch, wenn sie solche in das Buch einschrieb, wobei es denn auch zuweilen vorkam, daß sie den Zeigefinger ihrer linken Hand verrückte und dann während des Schreibens las: Zwei Bündel Rettige ... 4 fl. 30 kr., über welchen enormen Preis alsdann die Frau erschrack und sich überzeugte, daß die oben genannte Summe einigen Pfunden Lachsforellen galt, welche gleich nach den Rettigen kamen.

So schrieb sie unter vielem Stöhnen und Klagen eine gute Weile fort, und wer ihre Lamentationen so mit angehört hätte, ohne zu sehen, was die Frau eigentlich treibe, der hätte unbedingt auf den Glauben kommen müssen, der Verstand der Madame Schoppelmann habe einigermaßen gelitten.

»Vier Pfund Butter 1 fl. 12 kr.,« sagte sie mit einem kläglichen Tone und setzte seufzend hinzu: »2 Karpfen 48 kr.« Dann stieß sie einen tiefen Seufzer aus und sprach wahrhaft jammernd: »24 Köpfe Antivisalat thut 1 fl. 10 kr.« Dann kam ein neuer Dintenfleck, und die unglückliche Schreiberin sagte im kläglichsten Tone: »o du mein lieber Gott!« und fuhr darauf mit höchster Entrüstung fort: »64 Krebse, das Stück zu 6 kr., macht in Allem 48 kr.« – »Nein, es ist ja unmöglich,« unterbrach sie sich dann selber; »das sind ja die 8 Büschel Zellerie, die Krebse dagegen machen 6 fl. 24 kr. So eine Plage habe ich noch in meinem ganzen Leben nicht durchgemacht. Oh! oh!«

Da verdunkelte sich die Helle, in welcher Frau Schoppelmann saß und schrieb, durch Jemand, der von außen in die Thüre trat, und die dicke Frau, welche über diese Unterbrechung nichts weniger als ungehalten war, legte ihre Feder hin und schaute in die Höhe.

Es war Jungfer Clementine Strebeling, die einen kleinen Ausgang besorgt hatte und nun, nach Hause zurückkehrend, der Frau Schoppelmann einen guten Tag bieten wollte, ehe sie in ihr Zimmer hinaufstieg. Die Jungfer hatte etwas Leidendes an sich; sie ließ ihr Köpfchen mehr als gewöhnlich hangen, sie schlug die Augen zu Boden, sie schien sich auf ihren Sonnenschirm zu stützen; kurz, Madame Schoppelmann, welche sie einen Augenblick unter ihrer Brille hervor betrachtet, sagte ihr mit dem wohlwollendsten Ausdrucke, sie sähe ziemlich bummelig, ja miserabel und hinfällig aus.

»O lieber Gott!« seufzte Clementine und ließ sich auf einen der Stühle am Tische nieder. Man konnte es nicht niedersitzen heißen; es war ein Niederschweben, ein Herabflattern.

»Ist Ihr etwas Unangenehmes begegnet?« fragte die dicke Frau, die sehr erfreut war, ihre Feder niederlegen zu dürfen.

»Ach du mein lieber Gott! ich kann das eigentlich nicht sagen, fehlt mir was oder fehlt mir nichts? ich weiß es selbst nicht; aber ich fühle mich so elend, so hinfällig.«

»Lasse Sie sich einen Pfeffermünzthee machen,« sagte die alte Frau, »und wenn das nicht hilft, so lege Sie sich heute Abend Senfteig unter die Füße.«

»Ach du lieber Gott!« entgegnete Clementine. »Der Körper ist's nicht, Frau Schoppelmann; sieht Sie, das Gemüth ist krank, da fehlt's mir.«

»Ja, für das Gemüth weiß ich nichts,« sagte die Gemüsehändlerin; »dafür weiß auch kein Doktor was. Dem Gemüth kann man keinen Senfteig auflegen, sonst hätte ich auch das meinige schon ganz in Senfmehl eingeschlagen. Was Gemüth! von dem muß man sich nicht unterdrücken lassen. Gemüth – das ist der böse Geist, der lauert nur darauf, wo er Fröhlichkeit und gute Laune anfassen kann und zum Tempel hinausjagen. Was hat Sie denn wieder so Schreckliches gehabt?«

»Ach, das weiß ich eigentlich selbst nicht,« versetzte die alte Jungfer; »aber ich fühle mich so allein und einsam auf der Welt, und jetzt, seit die Katharine fort ist, habe ich sogar Niemand mehr.«

»Das ist wahr,« entgegnete die Frau; »das Mädel fehlt mir auch an allen Ecken.« Dabei sah sie seufzend ihr bekleckstes Schreibbuch an.

»O lieber Gott!« meinte Clementine, »es ist ein trauriges Leben, es ist gar nichts mehr auf dieser Welt!«

»Ich will nicht hoffen,« sprach auf einmal streng und ernst Madame Schoppelmann, »daß sie wieder Briefe von Ihrem sogenannten Herrn Vetter hat. Das sind mir schöne Geschichten, Jungfer Clementine! ich habe zufälliger Weise etwas darüber erfahren. Ein sauberer Vetter, der Herr Müller! Na, geh' Sie mir! Aber nehm' Sie mir's nicht übel, Strebelinge, mit dem Herrn ist's nicht sauber.«

»Um Gotteswillen! was meint Ihr, Madame Schoppelmann?« sagte erschreckt die alte Jungfer.

»Mit dem Herrn, mit dem ist's nicht sauber,« fuhr die Gemüsehändlerin fort und machte eine gewaltige Handbewegung, welche deutlich anzeigte, in dem Punkte lasse sie sich keine Einwendung gefallen.

»Aber du lieber Gott!« fuhr Clementine ängstlich fort, »was soll denn nicht sauber sein?«

»Die ganze Geschichte. Ein ordentlicher Mensch nimmt kein Geld von einem Mädel, das er so gut wie gar nicht kennt, und am allerwenigsten von einer, mit der er ein Verhältniß anfangen möchte, das kann Sie mir auf's Wort glauben. Da geht so ein Mensch, wenn er brav ist, lieber her und arbeitet und hungert und springt am Ende resolut in's Wasser oder kann sich gar auch meinetwegen aufhängen. Das ist noch immer viel respektabler, als so einem armen, alten, gebrechlichen Geschöpf, wie Ihr seid, sein Bischen Geld nehmen. Pfui Teufel!«

»Ja, das hat er auch alles thun wollen,« sagte zaghaft Clementine.

»Was hat er thun wollen?«

»Nun, arbeiten. – Und gehungert hat er auch.«

»Wird ihm nichts geschadet haben.«

»Und ein Leid wollte er sich auch anthun.«

»Hat's aber nicht gethan!« rief entrüstet die Gemüsehändlerin. »Der Lump! Sieht Sie, Strebelinge, da steckt eben die Schlechtigkeit! Wie ich vorhin gesagt, ein rechtschaffener Kerl, der geht lieber aus der Welt, wenn es denn nicht anders möglich ist, ehe er auf solche Art zu Geld kommt. Das ist immer miserabel. – Sieht Sie,« fuhr die dicke Frau nach einer Pause fort, »da war der selige Schoppelmann, der hatte einen Bruder, Johann Christian Schoppelmann. Nun, der war auch einmal in einer solch verzweifelten Lage und hatte auch ein Mädel, die war viel reicher wie Sie; aber der ging nicht hin und ließ sich von dem Mädel Geld geben – Gott soll mich bewahren! – Das that er nicht, und die hätte ihm so viel Tausend geben können, wie Ihr Hundert habt. Aber das fiel ihm nicht ein, und er hatte Schulden, der Johann Christian Schoppelmann, und konnte sie nicht bezahlen und war ein resoluter Mensch.«

»Um Gotteswillen!« sagte die alte Jungfer; denn sie war überzeugt, daß sie etwas Schreckliches zu hören bekomme.

»Da war nirgends eine Hülfe, denn sein Bruder, der selige Schoppelmann, hatte auch kein Geld. Was also machen? Der Termin war verfallen, die Schuld mußte bezahlt werden; im Geldsack war kein Kreuzer.«

»Du lieber Gott!« sagte schaudernd Clementine.

»Was that also der Johann Christian Schoppelmann?« fuhr die dicke Frau mit einem finsteren Blicke fort.

»Nun?« rief angstvoll die alte Jungfer. »Was that er?«

»Was der Herr Müller auch hätte thun sollen.«

»Um Gotteswillen! Er sprang in's Wasser?«

»Nein, das that er nicht,« entgegnete ruhig die dicke Frau.

»Oder – du lieber Gott! ich kann es gar nicht aussprechen! – er hängte sich wohl gar auf?«

»Nein,« sagte Madame Schoppelmann, »daran dachte er nicht; aber er hat –«

»Sich erschossen!« rief die alte Jungfer mit gerungenen Händen.

Madame Schoppelmann sah ihr Gegenüber einige Augenblicke fest an, dann sprach sie mit ernstem, fast finsterem Blicke: »Nein, auch das that er nicht, sondern als sein Gläubiger kam und ihn mahnte, da sagte er zuerst: heute hab ich kein Geld, aber in vier Wochen will ich Euch bezahlen. Und darauf hin wurde der Gläubiger grob und drohte ihm mit Verklagen und Arrest; und darauf geschah das, was ich für respektabler halte, als dem armen Mädel sein Geld abborgen.«

»Und was that er?« fragte gespannt Clementine.

»Er warf seinen Gläubiger zur Thüre hinaus,« sagte ruhig und groß die dicke Frau, »und bezahlte später, sobald er Geld bekam.«

»Ah!« entgegnete Clementine, einigermaßen unangenehm überrascht, denn sie hatte etwas Poetischeres, etwas Zarteres erwartet.

– »Nein, das würde er doch nicht thun,« fuhr sie nach einer Pause mit großer Befriedigung fort; »nein, gewiß nicht, er würde das niemals thun.«

»Das glaube ich auch,« murmelte die Gemüsehändlerin. »Wird sich auch so was so ein kleines Ding, wie der Herr Müller sein mag, so eine Vogelscheuche herausnehmen? Sie wird das nicht thun, darauf schwöre ich Euch. – Nun, lassen wir eben die ganze Geschichte ruhen, Strebelinge, das hilft vor der Hand nichts; Sie wird schon noch einsehen lernen, daß die alte Schoppelmann Recht gehabt, und dann kann Sie wieder zu mir kommen; ich helfe Ihr alsdann doch aus der Patsche, wenn es noch möglich ist.«

Clementine seufzte tief auf, faltete ihr« Hände und sagte, indem sie das Köpfchen schüttelte: »So weit wird es hoffentlich nie kommen. Aber sprechen wir nicht mehr davon, es ist besser.«

Die Gemüsehändlerin setzte sich nach diesen Worten wieder zum Schreiben zurecht, d. h. sie tunkte die Feder ein, bis dieselbe auf dem Boden des Dintenfasses aufstieß, und da sie dadurch natürlicher Weise zu voll mit Dinte wurde, so klopfte die Gemüsehändlerin sie alsdann auf dem Tische wieder aus, wodurch um das Dintenfaß herum ein artiger Kreis von schwarzen Flecken entstand. Dann schob sie ihre Ellbogen wieder so weit auseinander, daß ihr fettes Unterkinn fast auf dem Buche zu ruhen schien, und nachdem diese Vorbereitungen beendigt, stieß sie einen tiefen Seufzer aus.

Jungfer Clementine Strebeling hatte diesen Vorbereitungen mit nicht geringer Verwunderung zugeschaut; denn die Anstalten, welche die dicke Frau traf, um wieder mit dem Schreiben anfangen zu können, waren, wie gesagt, so seltsamer und ungeheuerlicher Art, daß ein Uneingeweihter nicht eher wußte, was sie beginnen wolle, als bis sie mit dem Zeigefinger der linken Hand auf der Schiefertafel die richtige Stelle aufgefunden hatte und alsdann vor sich hin sprach: »Vierundzwanzig Stück Borsdorfer Aepfel,« und darauf anfing, Zahlen und Gegenstände in der später nur ihr allein leserlichen Keilschrift in das Buch zu malen.

»Ich glaube, Ihr schreibt!« rief endlich die alte Jungfer, nachdem sie eine Zeit lang mit großem Erstaunen gesehen, wie der Oberkörper der dicken Frau eine Weile auf dem Tische hin- und hergerutscht. »Das habe ich ja von Euch noch nie gesehen, so lange ich Euch kenne.«

»Daß ich schreibe,« entgegnete die Gemüsehändlerin, welche froh war, einen Augenblick innehalten zu können, »das will ich glauben, mein Schätzchen; hab's auch seit zwanzig Jahren nicht mehr praktizirt, kommt mich unbeschreiblich sauer an. Das war das Geschäft der Katharine. Was will ich aber nun machen? Das Mädel ist fort; aufgeschrieben muß sein.«

Bei diesen Worten der Frau leuchtete es freundlich auf in dem Gesichte der Jungfer Strebeling. »Ei,« sagte sie, indem sie aufstand und sich dem Tische näherte, »was meint Ihr denn, Frau Schoppelmann, wenn ich das für Euch besorgte? Ich versichere Euch, ich schreibe eine recht brave Handschrift und bin außerordentlich pünktlich.«

»Ja, das glaube ich wohl,« versetzte die Gemüsehändlerin freudig überrascht und blickte mit lächelndem, strahlendem Gesicht in die Höhe. »Jungfer Clementine hat was gelernt. – Aber es geht doch nicht,« setzte sie nach einer Pause verdrießlich hinzu.

»Und warum geht's nicht?«

»Das will ich Euch sagen,« fuhr Madame Schoppelmann fort. »Wenn Ihr mein Buch auch für einmal einschreibt, was hilft mich das? Wahrhaftig nicht viel. Seht Ihr, das Geschäft kommt jede Woche vier Mal vor, nach jedem großen Markttage, und da –«

»Desto besser!« meinte Clementine, und ihr Blick war ganz glücklich und verklärt; »so schreibe ich Euch das Buch vier Male die Woche und bemerke obendrein noch auf der Schiefertafel, was Ihr mir jeden Tag diktirt, gerade so, wie es die Katharine gemacht. – Wißt Ihr was, Frau?« fuhr Clementine nach einer Pause, während welcher die Gemüsehändlerin sie erstaunt betrachtet, zu sprechen fort, »wißt Ihr was, Frau?« wiederholte sie, und dabei war es, wie wenn ihre Stimme ein klein wenig zitterte; »nehmt mich mit in Euer Geschäft, ich will redlich für Euch thun, was ich kann, und wenn Ihr mir etwas dafür geben wollt, so bin ich wohl zufrieden.«

»Ja, wie ist mir denn?« fragte mehr und mehr überrascht die dicke Frau; »Ihr, eine Kapitalistin, wollt Dienste nehmen, und Dienste bei mir, der Gemüsehändlerin?«

»Nennt es nicht so,« bat Clementine mit leiser Stimme. »Bedenkt doch, seit wie viel Jahren ich bei Euch aus und ein gehe, wie lange ich mit angesehen, was Katharine alles gethan, und daß es mir in der Seele weh thut, Euch so allein das ganze Geschäft besorgen zu sehen. O, glaubt mir, ich könnte Euch Vieles besorgen, wie z. B. die Schreiberei und was im Hauswesen so vorkommt, während Ihr auf dem Markte seid. – Denn,« setzte sie stockend hinzu, »für den Markt selbst tauge ich gar nicht; das würde ich auch nicht einmal gern thun. Man muß das von Kindheit auf gewohnt sein, sich so dahin zu setzen und sich angaffen zu lassen.«

»Und man muß sich vor allen Dingen dabei zu benehmen wissen,« sagte die alte Frau mit großem Stolz; »da habt Ihr Recht, Clementine, das Auf-dem-Markt-Sitzen ist keine Kleinigkeit; ich mußte dahin als eine Jungfer von sechszehn Jahren, und das kann ich Euch versichern, mein Aussehen war so, daß alles, was über den Markt bei meinen Körben vorbei kam, vor mir stehen blieb, und die alten Herren nahmen bedächtig eine Prise, und die jungen Laffen sagten: Sapperment, die ist einmal schön! Eines Tages – aber da schwätz ich dummes Zeug in den Tag hinein,« unterbrach sie sich selber, »statt Euch eine vernünftige Antwort auf Euren angenehmen Vorschlag zu machen.«

Clementine, welche wohl wußte, daß das Herz der Madame Schoppelmann sich nie froher bewegt fühlte, als wenn sie etwas aus ihrem vergangenen Leben erzählte, war klug genug, auf's Dringendste darum zu bitten, die Frau möge ihr zuerst erzählen, was eines Tages auf dem Markte passirt sei; ihre Sache habe immer noch Zeit.

»O, es ist gar nicht der Rede werth,« entgegnete Madame Schoppelmann geschmeichelt. »Also die jungen Laffen, welche um die Körbe herum standen, sagten –«

»Die ist einmal schön!« schaltete Clementine ein.

»Das sagten sie wahrhaftig,« fuhr die Frau fort, »und dagegen konnte ich nichts machen. Meine Mutter hatte mir auch gesagt: laß sie nur sagen und dich anschauen, wie sie wollen, aber wie einer zudringlich wird, so schlägst du zu. Sieht Sie, Jungfer Clementine, so sagte meine Mutter – Gott hab' sie selig! – und andere Moral hat sie mir nie gepredigt; war aber auch gar nicht nothwendig: in dem war Alles inbegriffen. Da gehen sie her und schreiben ganze Bücher über das Verhalten der Jungfern von mittleren und höheren Ständen, wie sie es nennen. Wozu das? – Luxus ist's, der helle Ueberfluß! Und hätte ich zehn Töchter gehabt, ich hatte sie Alle mit dem Wort von meiner Mutter selig erzogen, denn darin liegt das ganze Geheimniß. Laßt sie euch angaffen und reden, was sie wollen, danach schüttelt man kein Ohr; aber wenn sie zudringlich werden, zugeschlagen und tüchtig zugeschlagen, treff' es, wohin es wolle und wen es wolle!«

Die Gemüsehändlerin holte nach dieser längeren Rede tief Athem, und dann fuhr sie fort: »So sitz' ich also eines Tages bei meinen Körben, kommt Einer daher und will Blumen von mir kaufen. Ich sage: da sind genug, wählt Euch aus. Er sucht und sucht, und zu gleicher Zeit kommen noch mehrere so Pflastertreter heran und lachen mit dem Ersten und stoßen ihn an und sagen: nur zu, nur zu! und ich sehe, daß sie irgend eine Schelmerei vorhaben.

»Endlich sagte der Erste mit so einer dünnen, piepsenden Stimme: wissen Sie was, Mamselle, Sie können wohl so gut sein und mir Ihren Strauß geben. – Meinen Strauß, Jungfer Strebeling! Das war nämlich ein Bouquet von Rosen, das ich mir vorn in's Mieder gesteckt hatte. Ich entgegnete ihm auch ganz ruhig, das seien meine Blumen und das bleiben auch meine Blumen. Da lachten die Anderen wieder und stupsten ihn in die Seite, und Einer sagte: siehst du wohl, das habe ich mir gleich gedacht. – Und nun, Jungfer Strebeling, was denkt Sie? Nun kommt der Erste dicht auf mich und –«

Damit sah die Fran ihr Gegenüber mit einem fragenden Blicke an, als sollte Diese errathen, was denn eigentlich geschehen sei.

»Ich will nicht hoffen – –« sagte Clementine schüchtern.

»Hoff Sie nur immer zu!« entgegnete die dicke Frau. »Er geht also bei Gott her und will mir den Blumenstrauß von meinem Mieder herausziehen. Das war doch offenbar zudringlich, und so nahm ich es auch, und hatte gerade in meiner rechten Hand eine ganze Menge wilder Rosen, aus denen ich einen Kranz machen sollte, und wie der also meinen Strauß nehmen wollte, spring' ich in die Höhe und schlage ihm meine wilden Rosen – es waren recht schöne Dornen daran, und obendrein waren die Blätter ganz naß – rechts und links um das Gesicht herum, und so nachdrücklich, daß Rosenblätter und Laub und Stengel und die Wassertropfen nach allen Richtungen hinaus flogen.«

»Nun?« fragte ängstlich Clementine, da die Frau einen Augenblick schwieg.

»Nun,« fuhr Madame Schoppelmann mit großem Selbstgefühl fort, »damit war die Geschichte aus. Er sagte wohl, ich sei ein wilder Teufel, aber dann gingen sie lachend davon; und das waren vornehme Herren, ein paar Barone und ein Graf. Und für ihn, den ich so bedient, habe ich später lange Zeit in die Küche geliefert. Ja, das kann ich Sie versichern, Strebelinge, so was gibt Respekt. – Aber jetzt schwätz' ich da fort und fort, und Ihr hättet mich wahrhaftig unterbrechen sollen. Nun, wie war's denn mit Eurem Vorschlage vorhin? War das Scherz oder Ernst?«

»Mir war's vollkommen Ernst,« sagte schüchtern Clementine; »ich habe ja doch nichts zu thun, und wenn ich Euch helfen kann, so will ich es von Herzen gern thun.«

»Aber umsonst ist der Tod,« versetzte ernst die alte Frau. »Wenn Ihr für mich arbeiten wollt, so muß ich Euch auch dafür bezahlen.«

»Nein, nein,« sprach eifrig Clementine, »von Bezahlen, d. h. von Geld, kann keine Rede sein. Ich helfe Euch, wie Euch Katharine geholfen, mit Ausnahme des Marktgeschäftes, und dafür – wenn Euch das nicht zu viel erscheint – wohne ich umsonst bei Euch und esse bei Euch.«

Die alte Jungfer seufzte tief auf, als sie die letzten Worte sprach. »Das lass' ich mir schon gefallen,« entgegnete lachend Madame Schoppelmann; »so wohlfeil hätt' ich nicht gedacht, einen Buchhalter zu bekommen. Im Grunde kann ich mir auch denken, daß Sie es nicht thut, um Geld zu verdienen, denn Sie ist ja, was man so bei uns nennt, eine reiche Person.«

»Das war ich wohl,« dachte Clementine, und einen Augenblick wollte ein trauriges Gefühl ihr Herz beschleichen. Dann aber richtete sie sich an dem süßen Gedanken, daß sie ja für ihn das alles geopfert, wieder in die Höhe, und dabei glänzte ihr Auge freudig auf. »Und wenn ich jetzt anfange zu arbeiten,« sprach sie zu sich selber, »so thue ich es ja ebenfalls für ihn, und dafür muß mir doch einmal ein schöner Lohn werden.« Aber wenn sie genauer an diesen Lohn dachte, so schauderte sie leise in sich zusammen.

»Wenn das also Ernst ist,« nahm höchst vergnügt die Gemüsehändlerin das Wort, »so können wir in Gottes Namen gleich anfangen. Das Buch liegt schon seit zwei Markttagen ungeschrieben, und meine Schiefertafel steht in die Kreuz und quer so voll, daß ich selbst kaum daraus komme.«

»So muß Sie mir andiktiren,« sagte Clementine und setzte sich vor das Buch hin. Ehe sie aber anfing zu schreiben, nahm sie einen feuchten Lappen und vertilgte die vielen Seen und Ströme von schwarzer Dinte, die zahlreich auf dem Tische glänzten. Dann begann die Arbeit, und wir können versichern, daß sie rasch von Statten ging. Madame Schoppelmann wischte mit zufriedener Miene einen Tag um den anderen aus, und da der neue Buchhalter erst dann zu ruhen beschloß, wenn das Buch in Ordnung sei, so wurde nach ein paar Stunden die Lampe angezündet, und während draußen der Abend herabsank und es ringsum dunkel wurde, arbeiteten die Beiden emsig darauf los.


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