Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Sechzehntes Kapitel. Ein Bürgerball und seine Folgen.

Die Hofräthin war nach jenem unglückseligen Bürgerball das nicht mehr, was sie früher gewesen; im innersten zartesten Kern ihres Lebens war sie schmerzlich verwundet, und ihr Sohn, auf den sie alle Hoffnung gesetzt, daß er nicht in die Fußstapfen des Vaters treten, vielmehr ihr, der Trauerweide, ein Stab sein werde, an welchen sie gestützt fortan durch das Leben säuseln könne, – ihr einziger Sohn, ihr Eduard hatte Schmach auf ihren Namen gehäuft, hatte eine ganze ehrenwerthe Bürgergesellschaft blamirt, hatte mit einer Putzmacherin getanzt!

Zwischen jenem unglücklichen Ballabend und jetzt lagen schon ein paar Wochen, und während dieser Zeit hatte die Hofräthin nebst Gemahl und Sohn ihre bisherige Wohnung verlassen und war in den oberen Stock zu dem Herrn Stadtrath Schwämmle gezogen.

Diese Wohnungsveränderung, obgleich schon seit einem halben Jahr vorbereitet und deßhalb mit der Ballgeschichte in keiner Verbindung stehend, wurde doch wegen letzterer eine Quelle der bittersten Vorwürfe für Gatten und Sohn. Die Hofräthin, welche von ihrer zerknickten Hoffnung auf den Sohn immer in Parabeln sprach, wie von einer theuren Verstorbenen, konnte, so sagte sie nämlich, die alten Räume, in welchen sie sich so glücklich geträumt, ferner nicht mehr sehen und wurde auf diese Art gezwungen, die ihr so unnennbar lieb gewordenen Zimmer zu verlassen. Umsonst hatte sich der Hofrath eines Tags unterstanden, ihr zu bemerken, es sei ja schon vorher eine andere Wohnung gemiethet gewesen; diese unzarte Aeußerung hatte nur einen heftigen Migränenanfall zur Folge und das arme Schlachtopfer zog seufzend in die neue, viel schönere Wohnung.

So sehen wir sie am Fenster sitzen und bemerken, wie sie ihren Blick zuweilen, über Nähzeug und Nadel seufzend, auf die beschneiten Dächer der nachbarlichen Häuser wirft. Neben ihr in einem Arbeitskörbchen befinden sich verschiedene Bücher höchst frommen Inhaltes, und wir wollen es im Vertrauen gestehen, daß die Hofräthin einmal fast im Begriff war, einer frommen Brüdergemeinde beizutreten und Betstunden zu besuchen; doch überdachte sie noch zeitig genug, daß sie als Mitglied einer solchen Bälle und Theater unbedingt für Anstalten des Teufels zum Fange einer armen Seele betrachten müsse, und das war nicht gut thunlich, denn sie hatte im königlichen Hoftheater ein halbes Jahresabonnement mit zehn anderen Damen der siebenten Rangklasse auf einen Sitz der zweiten Gallerie, und dieses Abonnement war nicht rückgängig zu machen.

Was sollen wir von Eduard sagen? – von Eduard, dessen Gemüth nicht so verhärtet war, daß er nicht am andern Morgen den Kummer der Mutter und die Unschicklichkeit gefühlt hätte, die er begangen? Aber der Vater Hofrath hatte diesen Keim zum Guten mit roher Hand erstickt, indem er des andern Tages bei Tische, als ihm die Geschichte erzählt wurde, laut hinaus lachte. Wie schauerte dabei der Hofräthin zart Gemüth zusammen! Welcher Abgrund von Schlechtigkeit öffnete sich vor ihren Augen! Sie hatte ihren Mann freilich schon als roh erkannt, als unzart im höchsten Grade, aber als so verderbt, wie sie ihn jetzt kennen lernte, hatte sie sich ihn nicht vorgestellt. Sie spielte hierauf eine Zeit lang die arme Dulderin, hustete bedeutend, ließ den Arzt kommen, trank ungeheure Medicinflaschen leer und ließ in das Tagblatt setzen, es werde auf nächstes Frühjahr eine Eselin gesucht, die gute Milch habe. Alles umsonst! Der Hofrath ging nach wie vor ins Wirthshaus und in seinen Klubb, und der Sohn ging in mehrere Klubb's und in mehrere Wirthshäuser!

Darauf hatte die Hofräthin ihren Kriegsplan geändert; sie machte ihrem Manne das Leben sauer, wo es thunlich war, das heißt beim Kaffeetrinken und Mittagsessen und Nachts in ihrem Bette, wo sie bei zugezogenen Gardinen die furchtbarsten Predigten hielt. Andere Stunden des Tages und Abends war der Hofrath nicht zu haben, wohl aber der unglückliche Eduard – er mußte mehrere Abend in der Woche zu Hause bleiben, bekam keinen Hausschlüssel, mußte hie und da mit der Mutter eine Visite machen, kurz, er wurde außerordentlich tyrannisirt.

Es mochte gegen elf Uhr Morgens sein, als es bei Hofraths draußen an der Klingel schellte und gleich darauf der Schritt des Hausherrn hörbar wurde, der sich den Schnee von den Stiefeln klopfte und ins Zimmer trat.

Der Hofrath war ein großer, starker Mann mit rothem, freundlichem Gesicht und einem höchst glücklichen harmlos vergnügten Zug in demselben. Er kam so eben von der Bibliothek, wo er seine Beschäftigung hatte, und wollte zu Hause nur einen Augenblick nach eingelaufenen Briefen sehen und sich alsdann in seinen Klubb begeben, um die Zeitung zu lesen und zur Stärkung des Appetis einen Schoppen Zwölfer zu genießen. Zu diesem Geschäfte mit Hut, Mantel und Stock gerüstet, trat er in das Zimmer der Hofräthin, um sich eine vergessene Cigarrendose zu holen, und der Hofräthin kam ein sehr guter Gedanke.

Sie nickte bei seinem Eintritt kaum merklich mit dem Kopf, schaute alsdann gedankenlos durch's Fenster und sagte mit der gleichgültigsten Miene von der Welt: »Es ist gut, daß du kommst, ich wollte dich gerade von der Bibliothek holen lassen.«

»Was hat's gegeben, mein Schatz?« fragte der Hofrath mit vergnügtem Gesicht. »Was wird von mir gewünscht, womit kann ich dienen?«

Die Hofräthin hob ein Sacktuch, welches sie gerade ausgebessert, gegen das Licht und sagte, indem sie aufmerksam nach einer defekten Stelle spähte: »Du weißt, wir wohnen schon vier Tage hier im Hause und haben bei Stadtrath Schwämmle's noch keinen Besuch gemacht; es ist unumgänglich nothwendig, dieß heute noch zu thun, man kann nicht längere Zeit mehr so hingehen lassen.«

»Ich sollte meinen,« sagte lächelnd der Gemahl, »daß das eigentlich nicht nothwendig sei, bei so guten Bekannten wie Schwämmle's einen formellen Besuch zu machen; man thut das wohl bei wildfremden Leuten, zu denen man ins Haus zieht, – geh' mein Schatz, das ist eine leere Förmlichkeit.«

Die Hofräthin ließ ihr Sacktuch wie entsetzt in den Schooß fallen und schaute ihren Mann ein paar Sekunden lang mit dem ihm wohlbekannten festen Blicke an, einem Blicke, den er unmöglich lange Zeit aushalten konnte.

»Leere Förmlichkeit!« sagte sie alsdann; »ja, du möchtest freilich alle Formen aus der Welt verbannen, dir könnte freilich die Gesellschaft nicht zwanglos genug sein, – ein Einzugsbesuch sei eine leere Förmlichkeit?! O, es ist unglaublich, was ich Alles erleben muß! Aber,« fuhr sie heftig fort, »in dem Hauswesen, dem ich vorstehe, die Formen des Anstandes aufrecht zu erhalten, so weit es meine schwache Kraft zuläßt, werde ich mich bemühen, und sollte ich darüber zu Grunde gehen, trotz deinen Einreden und dem ungeschliffenen Betragen deines Herrn Sohnes! Die Stadträthin Schwämmle gibt heute Abend eine große Theegesellschaft und nur ein Mensch ohne alle Formen ist im Stande, zu glauben, man könne da erscheinen, ohne einen Einzugsbesuch gemacht zu haben.«

»Aber ich sehe durchaus nicht ein, warum sich ereifern!« sagte der Hofrath und steckte die Cigarrendose ein, die er gefunden.

»Warum ich mich ereifere?« rief die Hofräthin mit ziemlich lauter Stimme; »freilich, warum ich mich ereifere? Die Frage habe ich auch schon tausend Mal an mich selbst gestellt und finde auch nur eine einzige Antwort; warum mich ereifern, warum auf die notwendigen Formen halten? – – – Um wenigstens vor den Augen der Leute mit einigem Anstand und Ehre bestehen zu können.«

Sie warf sich erschöpft in ihren Stuhl zurück und schaute gen Himmel auf, als wollte sie sagen: »Unterstützt mich kein Donner, spricht kein Blitz für mich?«

Der Gemahl aber, dem bei allem Gleichmuth nichts unangenehmer war, als häusliche Scenen, denn er kannte die Zähigkeit der Hofräthin und wußte, daß sie nicht nachließ, ihm eine und dieselbe Geschichte wochenlang vorzukauen, hakte seinen Mantel los und erlaubte sich dabei die schüchterne Frage: »Aber, mein Schatz, könntest du diesen Einzugsbesuch nicht allein besorgen?«

Ein vernichtender Blick aus den grauen Augen der Hofräthin zeigte ein schweres Unwetter an, das alsbald erfolgen würde, und gleich darauf brach es auch wirklich los und platzregnete eine Fluth von Worten: »Ich allein soll hinuntergehen?« jammerte die unglückliche Frau; »ich allein, immer allein, ewig allein? Sind wir denn eigentlich zusammen verheirathet, oder betrachtest du mich nur als deine Sclavin. – Ich allein? – ja allein, das ist das Losungswort, das mich durch diesen Ehestand geschleppt hat – nun schon seit zwanzig Jahren allein zu Hause, allein auf der Straße, allein in der Kirche, allein auf Bällen, allein im Theater, allein, immer allein! Und du, wo warst du in all' den Stunden, die ich nun schon so lange, lange Jahre allein verbringen mußte? – In Geschäften? – nein; aber im Wirthshaus, im Klubb; ja, diesen Orten, dem Klubb und dem Wirthshaus bin ich geopfert worden, o, es ist herzzereißend! Tausend Jahre ewigen Sprechens könnten nicht all' die Leiden erzählen, die ich in all' den langen Jahren erduldet habe, ich unglückliche Frau! In der ganzen Residenz, ja im ganzen Lande gibt es keine, die den hundertsten Theil so viel durchgemacht hat, wie ich.«

Der Hofrath hatte die gute Eigenschaft, daß er dergleichen heftigen Redeausbrüchen durch Erwiderungen keinen Damm entgegen zu setzen suchte, vielmehr riß er alle Schleusen auf und ließ das Wasser frei durchströmen, indem er hie und da mit dem Kopfe nickte oder Ja, Ja! sagte, oder Freilich! und dergleichen mehr. Er wußte, daß die Hofräthin doch am Ende aufhören würde – dann folgte noch ein sanftes Thränengeriesel, und danach hatte er wieder auf circa acht Tage Ruhe.

Er legte seinen Mantel ab, zuckte mit den Achseln, meinte, wenn es nicht anders sei, so müsse man in Gottes Namen bei Schwämmle's einen Besuch machen und zog sich in sein Zimmer zurück, um die zu einem solchen Einzugsbesuche bei guten Freunden, die man täglich sah, höchst nothwendige Toilette zu machen, den schwarzen Frack, die schwarze Halsbinde anzuziehen, kurz, sich äußerlich wie bei den feierlichsten Gelegenheiten heraus zu putzen.

Die Hofräthin, welche nach dem eben gehabten Erfolge beschloß, heute fest aufzutreten, umgeben von sämmtlichen Großen ihres Reichs, sandte in die benachbarte Buchhandlung, wo Eduard auf dem Comptoir beschäftigt war, und ließ ihn augenblicklich herkommen; dann mußte Hofraths Mine, ihre Magd, zu gleicher Zeit einen freundlichen Besuch bei Stadtraths Ricke, der anderen Magd, machen und mußte im Gespräche fallen lassen, Hofraths würden nach zwölf Uhr herabkommen und einen Einzugsbesuch machen. Nach dieser Mittheilung verschwand Stadtraths Ricke in das Zimmer der Frau Schwämmle und sagte, als sie wieder kam, Stadtraths würden auf jeden Fall heute Mittag zu Hause sein, und nachdem diese diplomatischen Verhandlungen beendigt waren und deren Resultat der Hofräthin mitgetheilt, warf sie sich in ein dunkelgrünseidenes Kleid und schmückte sich auf's Beste zu dem vorhabenden Besuche.

Der junge Eduard, der vor Tische eine Partie Billard passender gefunden hätte, fügte sich dem strengen mütterlichen Befehl, warf sich zu Hause angekommen ebenfalls in einen schwarzen Frack, und so gerüstet stand die hofräthliche Familie da, wartend, bis es zwölf Uhr schlagen würde.

Endlich verkündeten alle Glocken der Stadt die Mittagsstunde, und wenige Minuten nachher zog der Hofrath an der Klingel des Stadtraths, und es zeigte sich, daß der Herr Hofrath und Hofräthin dem Stadtrath und der Stadträthin einen Besuch zu machen gedächten.

Auf die Versicherung von Stadtraths Ricke, daß Stadtraths zu Hause seien und daß es dem Herrn Stadtrath und der Frau Stadträthin ein außerordentliches Vergnügen machen würde, den Herrn Hofrath und die Frau Hofräthin bei sich zu sehen, traten die Letzteren in das Besuchszimmer. Nachdem das Dienstmädchen der Frau Hofräthin einen Platz auf dem Sopha angewiesen, für den Hofrath und Hofraths Eduard Stühle daneben gestellt, entfernte sie sich, und aus dem Nebenzimmer trat der Stadtrath Schwämmle mit seiner dicken Gattin, der Stadträthin, heraus.

Schwämmle's sonst so lebhaftes Gesicht war in feierliche Falten gelegt, die außerordentlich leichten Bewegungen, welche er sonst im Gehen auszuführen pflegte, waren gemäßigt; denn wenn er auch den Hofrath fast jeden Tag in dem Klubb sah, wenn er auch die Hofräthin häufig auf der Treppe, auf der Straße oder bei seiner Frau angetroffen, wenn auch beide Familien in einem sehr befreundeten Verhältnisse zusammen standen, so war doch ein solcher erster Besuch als Mietbewohner desselben Hauses ein viel zu feierlicher Akt, als daß man ihn nicht hätte außerordentlich würdevoll begehen sollen.

Die Stadträthin machte bei ihrem Eintreten einen Knix, der Stadtrath zwei tiefe Neigungen mit dem Kopfe, welche Begrüßungen von Hofraths durch Aufstehen von Stühlen und Sopha, durch eben so viele Neigungen mit dem Kopfe des Hofraths und durch einen eben so tiefen Knix von der Hofräthin erwidert wurden. Der junge Eduard, der die üble Gewohnheit hatte, bei einer Verbeugung mit dem Fuße hinten auszuscharren, warf bei dieser Gelegenheit den Stuhl um, auf welchem er gesessen, was eine augenblickliche Störung verursachte; doch war der Stadtrath Schwämmle Weltmann genug, die Sitzung schnell wieder herzustellen.

Die Stadträthin saß an der linken Seite der Hofräthin auf dem Sopha, der Stadtrath und der Hofrath hatten ihre Stühle gleich weit vom Tische und vom Sopha entfernt, wie es die Etiquette verlangte und der junge Eduard, dem dies noch besonders eingeschärft worden war, hatte respektvoll seinen Stuhl ungefähr einen halben Schuh hinter den seines Papa's zurückgezogen. Alle drei Herrn aber befleißigten sich, wie es in hiesiger Residenz als Ausdruck des höchsten gegenseitigen Respektes angesehen wurde, von ihren Sitzen nur den kleinsten Raum einzunehmen, und alle drei saßen so scharf auf der Kante ihrer drei Stühle, daß sie bei dem geringsten Hustenanfalle unfehlbar herabgestürzt wären.

Zum Eingange des Besuches wurde sich nach den Gesundheitsumständen der verehrten Anwesenden und sämmtlicher Familienangehörigen bis ins hundertste Glied sorgfältig erkundigt; daß jedes einen Katarrhanfall und Husten gehabt hatte, verstand sich von selbst. Die Hofräthin klagte mit einem bedeutungsvollen Seitenblick auf den Hofrath, daß sie in letzterer Zeit sehr an Herzklopfen und Migräne gelitten; die Stadträthin Schwämmle befand sich noch am leidlichsten und dankte für die gütige Nachfrage nach der Gesundheit ihres Vaters, des Herrn Oberzunftmeisters. Der Hofrath und der Stadtrath hatten außer den angegebenen Uebeln ebenfalls nicht viel zu klagen, und der junge Eduard befand sich nur insofern unwohl, als er lieber von der stadträthlichen Visite weit entfernt gewesen wäre.

Das Gespräch drehte sich ferner um das Wetter und die Hofräthin prophezeite einen längeren Frost ...

»Mit einigem Schnee in den nächsten Tagen,« meinte die Stadträthin, und der Stadtrath, den seine Hühneraugen schmerzten, glaubte, etwas Regen werde nicht ausbleiben, worauf der Hofrath auf Thauwetter rieth, und der junge Eduard, um auch etwas zu sagen, diese vier Meinungen resumirte und in einiger Geistesabwesenheit von sehr starkem Frost mit Schnee und Regen und großem Thauwetter sprach.

Hierauf bot das Theater weiteren Stoff zu ebenso interessanten und geistreichen Gesprächen. Die Hofräthin war überzeugt, daß das Haus beständig angefüllt sein würde, wenn man bei Entwerfung des Repertoirs billige Rücksichten auf das Publikum nähme. Aber es könne einer deutschen Frau doch nicht zugemuthet werden, so fort und fort und weiter nichts als italienische Musik zu hören, und was die Trauerspiele anbelange, so sei man nur dazu da, den Herrn B. in einem neuen Kleide zu bewundern und das Fräulein C. in irgend einem grassen französischen Machwerk als schreckliche Mutter oder Gattin zu verabscheuen. – »Gemüthliche deutsche Trauerspiele werden gar nicht mehr gegeben, und von den Lustspielen, die uns früher so ergötzten, will ich gar nicht reden.«

»Aber das Ballet,« sagte der unglückliche Eduard, – »ist doch recht schön« – so hatte er eigentlich seine Rede beschließen wollen, doch bemerkte er noch frühzeitig genug den strafenden Blick seiner Mutter und erinnerte sich ihrer Lehre, daß es unanständig sei, vor anständigen Bürgerfrauen und Töchtern vom Ballet zu sprechen. Die Hofräthin und die Stadträthin schlugen hierauf vereint ihre Augen nieder und schämten sich recht sichtbar. Vater Schwämmle aber zog den Mundwinkel in die Höhe und gedachte jenes unvergeßlichen Bürgerballes.

Die eben so unpassende als unzarte Erwähnung des Ballets hatte den Redefluß auf ewige Sekunden gehemmt, und es schlich sich, wie man zu sagen pflegt, ein Polizeidiener durch's Zimmer. In anderen Städten pflegt man auch bei ähnlichem plötzlichem Stillschweigen zu sagen, es schwebe ein Engel durch die Conversation; hier aber war es ein Polizeidiener, und der Stadtrath Schwämmle bemächtigte sich seiner augenblicklich, und brachte das Gespräch geschickt auf polizeiliche städtische Verordnungen und Einrichtungen, auf Straßenreinigung, Kaminfegerrecht, Feuerschau und versicherte, als er bei Feuersbrünsten im Allgemeinen angekommen war, die Einrichtung eines Pompier- und Löschcorps sei eigentlich nicht so außerordentlich nothwendig; die Spritzen befänden sich in anständigem Zustande und leisteten, wenn sie einmal auf dem Platze seien und wenn nicht gerade etwas am Pompwerk gebrochen oder eine Röhre geplatzt sei, die ersprießlichsten Dienste. »Ich bin,« sagte der Stadtrath Schwämmle mit erhobener Stimme, »pro neue Kirche, contra Pompiercorps; Feuersbrünste haben wir, Gott sei Dank! sehr wenig, und es geschehen geringe Unglücke dabei; gegen alle diese Firlefanzereien: bewegliche Brandleitern, Rettungssäcke für Menschen und Mobilien, bin ich unbedingt, es kommt nichts dabei heraus. Unglücksfälle gibt es überall, und daß eine Feuersbrunst nicht ohne dergleichen abgeht, ist voraus zu sehen.«

Die Frau Stadträthin Schwämmle, welche große Lust hatte, gegen ihren Mann in Opposition zu treten, um sich des neuen Löschcorps, contra neue Kirche anzunehmen, dachte zur guten Zeit noch, wie wenig die Feier eines ersten Besuchs zu einem derartigen Streite geeignet sei, und schwieg still.

Die Hofräthin würde aber auch unbedingt auf Seite des Stadtraths pro neue Kirche getreten sein, und so war es gut, daß die Stadträthin das Gespräch fallen ließ. Jetzt erhob sich die Hofräthin von dem Sopha, stammelte etwas von ewiger Freundschaft, von gutem Einvernehmen, und dann empfahl sich die hofräthliche Familie unter alt hergebrachten Förmlichkeiten, unter den verschiedenen Knixen und Verbeugungen, welche bei einer so feierlichen Veranlassung gegeben und angenommen werden. Der Stadtrath begleitete die Familie bis an die Glasthür, die Stadträthin aber nur bis an den Ausgang des Zimmers, was die Hofräthin ein wenig übel nahm. Darauf aber verfügten sich Hofraths nach Hause, und da es für den Chef des Hauses zu spät für einen Schoppen Zwölfer und für den jungen Eduard zu spät für eine Partie Billard war, so setzte sich die ganze Familie alsbald zu ihrem Mittagsmahl nieder.

Nachher machte Hofraths Mine der Stadtraths Ricke einen ebenfalls sehr nothwendigen Einzugsbesuch, welcher der Hofraths Mine eine Viertelstunde darauf von der Stadtraths Ricke feierlich erwidert wurde.

Wir können aber, obgleich wir beiden verschiedenen Diner's im Hause vollkommen überflüssig sind, dasselbe doch so bald nicht verlassen, indem ein unterschiedlicher Geruch von seinem Backwerk im untern Stock, sowie zahlreiches Porzellan, das in der Küche aufgestellt ist, vermuthen läßt, daß der Thee, welchen die Frau Stadträthin heute Abend gibt, sehr glanzvoll zu werden verspricht und wohl der Mühe werth sein wird, um ihm unsichtbar beizuwohnen.

Nach Tische begann auch in der Küche der Stadträthin ein unerhörtes Rumoren, eine beispiellose Geschäftigkeit. Ricke hatte alle Hände voll zu thun, die lange nicht gebrauchten Theetassen sauber auszuwischen, während die Stadträthin das Backwerk zierlich auf die dazu bestimmten Platten schichtete; dann holte Ricke aus der Speisekammer mächtige Gläser voll eingemachter Früchte, womit von der Stadträthin verschiedene Porzellan- und Krystallschaalen angefüllt wurden.

So ging der Nachmittag vorbei, und ehe es anfing zu dämmern, wurde der Theetisch in dem Besuchszimmer hergerichtet. – Und welcher Theetisch! Eine mächtige Tafel, an welcher wenigstens zwanzig Personen Platz hatten. Darüber wurde ein feines Tischtuch und eine riesenhafte Theeserviette gebreitet, dann die Tassen umhergestellt, an die Unterseite der Tafel, wo die Stadträthin ihren Sitz hatte, der Wasserkessel von englischem Metall mit der Spirituslampe, Theeseiher, Zuckerzange, einigen Vorrathslöffeln und dergleichen Kleinigkeiten mehr.

In der Mitte der Tafel stand ein broncener Armleuchter und trennte dieselbe so zu sagen in zwei Hälften, welche beide mit einer wahren Armee von Backwerk und Süßigkeiten besetzt wurden. Das Centrum dieser beiden Heerflügel bildete hier eine riesenhafte Punsch-, dort eine eben so große Sandtorte; Kugelhopfen mit und ohne Chokolade-Ueberguß beschützten das Centrum wie schwere zwölfpfündige Batterien, dann kamen ganze Regimenter von kleinem Backwerk und es ist fast unmöglich, die Namen all' der Legionen, die hier aufmarschirt waren, anzugeben. Da sah man Theebrod von allen Formen, Seelen, Kaffeeküchlein, übergossenen Zwieback, Zimmtsterne, Berliner Pfannkuchen, hernach unter dem gemeinen Trosse: Hefenkränze, Mannheimerle, Kümmelkuchen und Mürbes in allen Gestalten. Diese zahlreiche Armee wurde flankirt und umschwärmt von einem ganzen eingemachten Sommer und Herbst. Von den Erdbeeren des Frühjahres waren alle Früchte vertreten bis zu den welschen Nüssen des Spätjahres, und wehe der Hausfrau, welche irgend eine eingemachte Frucht nicht aufgetischt hätte oder auf deren Tafel ein namhaftes Backwerk gefehlt – ihr wäre besser, sie wäre nie geboren!

So stand die Tafel gerüstet und die Stadträthin war angethan mit ihrem schwarzseidenen Kleide, welches wir vom Bürgerball her kennen; der Stadtrath war ausgegangen, da es nur eine Damengesellschaft war, zu welcher die Männer nur insofern Zutritt hatten, als sie spät am Abend die Frauen und Töchter etc. abholen durften.

Stadtraths Ricke empfing die Ankommenden an der Glasthür, und bald nach sieben Uhr war die ganze Gesellschaft versammelt und Jede hatte den Platz eingenommen, zu welchem sie durch Geburt und Rang berechtigt war. Wie sie so um den Tisch herum gereiht saßen, hatte man vor sich in strengster Folge ein schönes Stück der königlichen Rangliste, welche von der sechsten bis zur achten zahlreich vertreten war. Auf dem Sopha wurde erstere durch ein paar Oberregierungsräthinnen vertreten, an diese schlossen sich rechts und links Angehörige der siebenten Rangklasse: Kanzleiräthinnen, Hofräthinnen, dann kam die achte Rangklasse: Stabssekretärinnen, Postmeisterinnen, bis hinab zu einer Schwester der Stadträthin, welche das Unglück hatte, zu gar keiner Rangklasse zu gehören, da sie einen Kaufmann und Ladenbesitzer geheirathet hatte.

Der Thee mit Vanille war angebrüht, sämmtliche Strickzeuge hervorgesucht, und wenn man die Damen so dasitzen sah, die Ellbogen in Folge des Strickens heftig auf- und abbewegend, so hätte man auf die Vermuthung gerathen können, man sehe vor sich eine Heerde wilden Geflügels, welches eben im Begriffe sei, aufzufliegen.

Die Unterhaltung war auch durchaus nicht lebhaft; die achte Rangklasse schwieg vorab – in ihres Nichts durchbohrendem Gefühle gegenüber der sechsten und siebenten Rangklasse; die siebente horchte aufmerksam auf die sechste, und eine der Oberregierungsräthinnen, die einigermaßen alterirt aussah, erzählte gerade eine schauderhafte Geschichte von der Frau eines Postsekretärs, welche sich einen Sammetmantel hatte machen lassen. Ein Schrei des Entsetzens erscholl an dem ganzen Tische; die siebente Rangklasse lächelte verächtlich, und die achte ließ ihren gerechten Zorn an sehr großen Stücken übergossenen Zwiebacks und Kugelhopfens aus.

Wir können nicht umhin, ein paar alte Bekannte zu grüßen, das »alt« im Sinne des »längst« genommen, nämlich die dicke Kanzleiräthin vom Bürgerballe her mit ihrer ebenfalls dicken Tochter und die unglückliche, uns wohlbekannte Honoratiorentochter. Letztere hatte sich neben die Stadträthin Schwämmle gesetzt und sah etwas angegriffen, ja leidend aus.

Allmählig kam frisches Leben in die Unterhaltung; die achte Rangklasse lachte häufig, machte zuerst schüchterne Bemerkungen unter einander, wagte dann ein Gespräch mit der siebenten Rangklasse, welche ein Auge zudrückte und sehr herablassend war, und als sich erst die andere Oberregierungsräthin, eine liebe, charmante Frau, nach dem Befinden eines kranken Kindes der ihr gegenüber sitzenden Stabssekretärin erkundigt hatte, lüfteten sich in etwas die starren Bande der Etiquette, die Zungen wurden frei und heitere Gespräche zu Nutz und Frommen der abwesenden Nebenmenschen nahmen an dem Theetische überhand. Wetterbeobachtungen und Gesundheitsverhältnisse, inclusive Ausgleiten und Fallen auf dem Glatteis, waren abgehandelt, und indem man das Repertoire des Theaters zerfleischte und die einzelnen Mitglieder scharf vornahm, hatte man Blut geschmeckt und ging mit voller Kraft an die Ereignisse des Tages. Zuerst wurden sämmtliche Mägde verdammt und schreckliche Beispiele erzählt von der Rohheit und dem Uebermuthe dieser verworfenen Klasse: hatte nicht die Oberregierungsräthin erlebt, daß ihr Bäbele, nachdem sie eine schöne Tasse zerbrochen – man fand sie nämlich zerbrochen in der Küche stehen, – ihr zur Antwort gab, es sei noch die Frage, ob sie, nämlich das Bäbele, die Tasse wirklich zerbrochen oder nicht vielleicht Jemand anders. – Jemand anders? konnte das Bäbele nicht vielleicht damit gesagt haben wollen, am Ende habe die Oberregierungsräthin die Tasse selbst zerbrochen – fürchterliche Frechheit! Der ganze Tisch erhob einen Weheruf und Alle versicherten, so etwas sei ihnen noch nie vorgekommen.

Eine andere, nicht minder schreckliche Geschichte erzählte die Kanzleiräthin: nur durch nachlässiges Verschließen der Wärmflasche im Bette ihres zehnjährigen Sohnes sei derselbe ganz durchnäßt worden, und als man das der Marie vorgehalten, habe sie gelacht und die Frechheit gehabt zu erwidern: das Bett sei des Durchnässens schon gewohnt. Sämmtliche unverheirathete Damen schlugen bei dieser Geschichte die Augen nieder und die Verheirateten fanden sie ebenso schrecklich, wenn nicht noch schrecklicher, als die der Oberregierungsräthin.

Von den Mägden kam man auf die Bedienten, auf die Handwerker, auf die niederen Beamten und allmälig auf die Colleginnen der sechsten, siebenten und achten Rangklasse.

In diesem Augenblicke trat der pensionirte Hauptmann von Müller in das Zimmer, und sein Anblick wurde mit außerordentlicher Freude begrüßt. Er war, da er nicht Gattin noch Schwester abzuholen brauchte, einer von den wenigen Männern, welche das Vorrecht hatten, früher kommen zu dürfen; er war das aufregende Element bei diesen Gesellschaften, indem er mit den Ansichten der Damen fast immer in Opposition war und es zuweilen wagte, ihnen seine Meinung unverholen zu sagen.

Nach seinem Erscheinen ward das Gespräch anfänglich sanfter, als es bis jetzt gewesen; auch brachte der Hauptmann eine Menge Neuigkeiten mit, von einem alten Schornstein, in welchem es gebrannt, von einem Concerte oder Balle bei Hof, von einem schrecklichen Unglücksfalle und dergleichen mehr, und so flossen einige kleine Stündchen dahin unter Theetrinken, Backwerk- und Eingemachtem-Essen, Stricken und sanftem Geplauder.

Nach und nach erschienen noch die musterhaftesten der Ehemänner, welche sich eine Stunde vom Wirthshause abzogen, um noch eine Zeit lang in der Theegesellschaft zubringen zu können. Vater Schwämmle erschien auch, daß aber der Hofrath und der junge Eduard nicht erschienen, brauchen wir nicht zu sagen.

Stadtrath Schwämmle erzählte von einem höchst unerwarteten Bankerotte, der in der Stadt ausgebrochen sei, und versicherte, nur merkwürdige Unglücksfälle hätten den Fall des Herrn A. zu Wege gebracht. Der Herr A. war als fleißiger und geschickter Kaufmann bekannt, aber Frau A. hatte das Unglück, beständig eine sehr gewählte Toilette zu besitzen, weßhalb der Damenkreis dieses Falliment mit wenig christlicher Liebe besprach.

»Wer einen solchen Aufwand macht,« meinte die Kanzleiräthin, »wer namentlich an Wochentagen seidene Kleider trägt, bei dem muß es bergab gehen.«

»Namentlich war es bei der Madame A. vorauszusehen,« sagte eine der Regierungsräthinnen, welche gewöhnlich wie eine Vogelscheuche aussah, aber in Gesellschaft und des Sonntags das Uebermögliche an sich leistete. »Wer sollte es glauben, daß die A. sich einmal unterstanden hat zu sagen, eine anständige Frau müsse immer sauber und gut gekleidet gehen und brauche keine eigenen Sonntagskleider!«

Bei der Kundgebung dieser frevelhaften Aeußerung der unglücklichen Madame A. kreischte am untern Ende ein ganzer Chor von Weiberstimmen entsetzt auf und die gellend laute Stimme einer Sekretärin drang durch den Lärmen und rief: »Was die Frau Oberregierungsräthin so eben erzählt habe, ist vollkommen richtig und sehr glaublich, daß sie noch viel Schlimmeres gesagt, denn Madame A. ist ja eine ... eine ...«

Lieber Leser, du wirst etwas Entsetzliches erfahren, was die gute Madame A. wirklich ist; wir können das durchaus nicht läugnen und müssen der Wahrheit die Ehre geben; aber sie ist an der Benennung eigentlich unschuldig, früher konnte man sie eigentlich nicht so nennen, aber seitdem sie die Mauern hiesiger Stadt betrat, wurde sie es. – Wir schaudern! –

Die gellende Stimme der Sekretärin rief also, Madame A. sei ja eine – Fremde. Wie lächelten die Damen, welche dieses ungeheure Verbrechen der Madame A. schon kannten, auf ihren mit Backwerk angefüllten Teller, wie wunderten sich die Anderen nun nicht mehr, daß der Herr A. fallirt sei, und wie befriedigte und beglückte Alle der Gedanke, daß die Fremde nun nicht mehr im Stande sei, auf der Straße seidene Kleider zu tragen, daß sie es jetzt wohl unterlassen würde, französische und andere Stoffe den inländischen vorzuziehen, und daß sie sich nicht mehr unterstehen würde, ächtes kölnisches Wasser für besser zu halten, als das in hiesiger Stadt fabricirte Eau de Cologne – die Sünderin, die Anmaßende! Warum war auch Madame A. eine Fremde? Aber sie war es ja nicht überall, sie hatte ja eine Heimath und hatte diese Heimath ihrem Manne zu lieb verlassen, der hieher zog und ohne seine Schuld zu Grunde ging. Ja, sie war eine Fremde, und das war in hiesiger Stadt ein Fehler, ein Unglück, das nicht vergessen, nicht so leicht wieder gut gemacht werden kann. Eine Fremde oder ein Fremder in hiesiger Stadt ist nämlich ein Wesen, das man sich mit allen Fehlern und Untugenden des menschlichen Geschlechts begabt vorstellt. Anderswo wundert man sich, wenn ein Fremder plötzlich häßliche Eigenschaften kundgibt, denn man hielt ihn bis dahin für einen ordentlichen Menschen; hier dagegen wundert man sich, wenn ein Fremder, nachdem er Jahre lang in der Stadt gewohnt, weder gemordet noch betrogen, weder ein Säufer oder ein Spieler, noch sonst ein liederlicher Mensch war. Manche dieser Eigenschaften hatte man bei ihm vorausgesetzt, weßhalb? – Weil er ein Fremder war. Was anderswo eine Empfehlung war, war hier, wie gesagt, ein Verbrechen; anderswo nimmt man sich eines Fremden an, ist ihm freundlich und behülflich und wartet ruhig ab, ob er sich dieser Theilnahme werth oder unwerth erzeigt, und läßt ihn im letzten Falle natürlicher Weise laufen und links liegen; hier aber läßt man ihn von Anfang links liegen und laufen, und wenn er einmal zwanzig Jahre in der Residenz zugebracht und sich in all' der Zeit musterhaft und gut betragen, so öffnen sich ihm – nicht die Herzen der Einwohner, auch nimmt man sich seiner noch nicht an, – sondern es öffnen sich ihm vielleicht ein paar anständige Häuser, die den Muth haben, gegen den Strom zu schwimmen.

Das war so in hiesiger Residenz vor nicht gar langer Zeit und ist auch heute noch nicht ganz verschwunden. Geh' noch heutigen Tages und erkundige dich nach einer Straße, so kann es dir passiren, daß dir unter dreien wenigstens einer in's Gesicht lacht und ohne zu antworten davongeht, indem er überzeugt ist, daß du ein Fremder – er erkennt dich nämlich an der Sprache – selbst ganz genau wüßtest, wo die fragliche Straße ist und du ihn nur zum Besten haben wolltest. –

Die Sekretärin hatte die Madame A. so niedergeschlagen mit dem einzigen Worte, sie sei eine Fremde, wie wohl jene Dame in Venedig, als man ihr die Larve abriß und der Chor der jungen Edelleute rief: Es ist Lucretia Borgia! – Sie war todt für diesen Kreis; ihr Name wurde fürder nicht mehr genannt.

Es war nun noch an der Zeit, dem Stadtvater Schwämmle, den man seit jenem Ballabende so öffentlich nicht mehr gesehen, einige Worte der Anerkennung und des Beileides zu stammeln, und die Hofräthin entschloß sich zu diesem schwierigen Geschäfte. Der Stadtrath, der seit jener Zeit die besten Vorkehrungen hatte treffen lassen, damit ein ähnliches Unglück nicht wieder vorfallen könnte, glänzte vergnügt wie der Mond in lichten Abendwölkchen und sprach die Hoffnung aus, daß der nächste Ball, der in wenigen Tagen stattfinden werde, außerordentlich glänzend ausfallen müsse, worauf der Kanzleiräthin Tochter, welche auch etwas Freundliches sagen wollte, mit der Nachricht herausplatzte, wie sie ganz genau wisse, daß auf dem nächsten Balle eine Gasbeleuchtungspolka gespielt würde, in welcher die Musik das Erlöschen der Flammen angebe, die Verzweiflung der Ballgesellschaft, um damit mit einem neuen glänzenden Aufflackern aller Lichter, beziehungsweise Instrumente zu schließen. Diese Polka aber, setzte sie schüchtern hinzu, werde dem würdigen Stadtrath Schwämmle gewidmet sein.

Die Theilnahme sämmtlicher Damen sowohl für den Stadtrath Schwämmle, wie für die Gasbeleuchtungspolka sprach sich in lautem Beifallrufen und Händeklatschen aus, welches noch lauter und stürmischer wurde, als der Hauptmann von Müller versicherte, er habe aus guter Quelle gehört, daß die Blutmenschen einen Talglichtgalopp und eine Schlachthauspolka componiren ließen. Ja, der Enthusiasmus pro Gasbeleuchtung contra Schlachthaus und pro Gasbeleuchtungspolka contra Talglichtsgalopp ging so weit, daß sämmtliche Damen sich entschloßen, die letztgenannten Tänze, falls sie wirklich zur Ausführung kämen, zu refüsiren; die älteren Damen und die ältere Honoratiorentochter gaben diese Erklärung mit fester lauter Stimme von sich, die jüngeren Damen aber etwas unbestimmter und schüchtern.

Da nun das Gespräch einmal bei jenem unvergeßlichen Ballabende war, so besprach man noch eine Zeit lang die Vorfälle auf demselben und die Hofräthin war hochherzig genug, sogar der Verirrung des jungen Eduard selbst zu gedenken als jugendlichen Leichtsinn – »und,« rief die Sekretärin mit der gellenden Stimme, »als schändliche Verführung jener beiden Geschöpfe.«

Bei dem Worte »Verführung« schlugen die jüngeren Damen die Augen auf die Teller und verspeisten eifrig Backwerk und eingemachte Früchte, ja, die Honoratiorentochter erröthete ein klein wenig, und es wurde dieses Wort zu einem Thema, dessen sich die Herren fast ausschließlich bemeisterten.

Der Stadtrath Schwämmle erzählte schauerliche Fälle der Art, wie es kühnen, unternehmenden Putzmacherinnen und Nähterinnen gelungen sei, die Herzen ehrbarer Bürgerssöhne zu erwerben und dieselben in allerhand verdrießliche Geschichten zu verwickeln. Seiner Ansicht nach, so aufgeklärt auch dieselbe sich sonst zu sein bemühte, sollte man von Polizei wegen ein strenges Auge auf derlei Umtriebe haben, und er war dafür, den Kastengeist wieder so weit einzuführen und zu Verschärfen, daß schon das Sprechen solch' unbefugter Wesen mit Bürgerssöhnen durch harte Strafen geahndet werden könne. Sämmtliche Damen pflichteten ihm bei, und die Sekretärin meinte wahrhaft kreischend, da man leider solche Individuen, wie Putzmacherinnen, Nähterinnen und dergleichen nun einmal haben müsse, so sollte man wenigstens ein strenges Auge auf sie haben, ihnen eigene Straßen anweisen und nur erlauben, zu gewissen Stunden des Tages auszugehen.

»Gott,« sagte die dicke Kanzleiräthin und schlug die Augen gen Himmel, »wie haben sich die Zeiten geändert! Wie hätte sich vor Jahren eine Putzmacherin unterstanden, nur einen Ballsaal zu betreten, in welchem sich unsereins befindet, – und jetzt?« sagte sie mit einem krampfhaften Lächeln; »ich glaube, jetzt würde sich ein solches Geschöpf nichts daraus machen, vor unseren Augen herum zu tanzen.«

»Allerdings nicht, Frau Kanzleirath,« sagte die Sekretärin; »es soll ja im vergangenen Winter bei einem Maskenballe passirt sein, daß einige solcher Geschöpfe es gewagt, im Domino vermummt, dort zu erscheinen, und noch mehr, sogar Einige vom königlichen Ballet.«

»Vom Ballet?« murmelte der Damenkreis entsetzt, und der Stadtrath Schwämmle gab dieses entsetzliche Faktum achselzuckend zu.

Der Hauptmann von Müller war der Einzige, der es wagte, dieses allgemeine Murmeln des Entsetzens nicht zu theilen und der die kühne Behauptung aufstellte, daß es unter Putzmacherinnen, Näherinnen und unter dem Ballet ganz anständige Personen gebe.

Es erscholl aber ein wahrer Schrei der Entrüstung gegen ihn, den er, sich im Voraus auf die Opposition freuend, stillschweigend und lächelnd austoben ließ und dann fortfuhr:

»Ich versichere Ihnen, meine Damen, was ich vorhin behauptet, hat gewiß seine vollkommene Richtigkeit. Erlauben Sie mir, zu bemerken, daß kein Mensch im Stande ist, bei seiner Geburt ein Wort mitzusprechen. Wer seine ersten Tage auf einem schönen Bette verträumt unter der Obhut und Sorgfalt geschickter Aerzte, hat gewöhnlich ein platt geebnetes Leben vor sich, und die Hand einer sorgsamen Mutter führt das Mädchen, wenn es ein solches ist, auf's Angenehmste in's Leben hinein, läßt sie Nöthiges und Unnöthiges lernen; sie weiß, daß ihr Vater Geld hat und einen Titel, und sie auf solche Art einen guten und vornehmen Stand hat, ohne daß ihr Inneres deßhalb besser zu sein braucht oder ist, als das jenes armen Kindes, welches bei seiner Geburt in elende Lumpen gewickelt wird, ein armes kleines Geschöpf, das die noch ärmere und elendere Mutter in Ermanglung einer Wiege vielleicht in die Schublade einer Kommode auf ihr armseliges Weißzeug bettet, damit es weich liege. Beide wachsen zusammen auf, jenes unter Lust und Scherz, vor aller Verführung bewahrt, dieses unter Thränen und Noth, aller Verführung Preis gegeben, aber derselben nicht immer unterliegend und sich in seinem leichten Kattunkleidchen oft ein eben so reines Herz bewahrend, wie die reiche Bürgerstochter in ihrer feinwollenen Robe. Ja, ich verschärfe meine Behauptung noch,« setzte der Hauptmann mit erhobener Stimme hinzu, »spreche wenigstens meine Meinung frei und offen aus, welche dahin geht, daß ich der Nähterin, welche anständig und tugendhaft geblieben, – ja, der Nähterin, meine Damen, der Tänzerin und der Putzmacherin vor der Bürgerstochter im gleichen Falle den Vorzug gebe.«

»Den Vorzug gebe!« kreischte die Sekretärin und sagte leise und spöttisch lachend zu ihrer Nachbarin, »daß über die Herkunft der Mutter des Hauptmannes ein gewisses Dunkel liege.«

»Ja wohl den Vorzug gebe,« fuhr der Hauptmann fort; »denn ich nehme an, daß der Urstoff, der bei roher Berührung und Angriffen aller Art klar und rein geblieben ist, den Vorzug vor dem verdient, welcher beständig eingewickelt und keinem rauhen Lüftchen ausgesetzt war.«

Mehrere Herrn und Damen warfen sich in Parade, um die wirklich außerordentlich unpassenden Worte des Hauptmanns zu widerlegen; doch kündigte die Hofräthin, bekannt durch ihre scharfe Zunge, durch ein lautes Räuspern und Husten ihren unzweifelhaften Entschluß an, als Sprecherin aufzutreten, daß Alles ehrfurchtsvoll schwieg – Alles, bis auf die Sekretärin, welche nicht unterlassen konnte, zu bemerken, daß sie bei den Herrn Offizieren schon oftmals so leichte Gesinnungen angetroffen; ein Ausfall, den der Hauptmann aber nicht der Mühe werth fand, auch nur mit einer Sylbe zu beantworten. Die Hofräthin wandte sich zum Hauptmann und sagte: »Demnach stellen Sie eine Putzmacherin, Nähterin etc. über unsere Tochter und erkennen jenen wenigstens in der Gesellschaft den gleichen Rang zu?«

»Unter den oben angegebenen Verhältnissen,« versetzte der Hauptmann, »allerdings, das heißt in der menschlichen Gesellschaft; in der Gesellschaft dagegen, wie sie ein hohes und verehrungswürdiges Publikum versteht, kann man so etwas freilich nicht verlangen, und da brauche ich nicht einmal einen solch' riesenhaften Sprung zu machen, wie von der Nähterin zur Hofräthin, und weiß wohl, daß viele kleinere Rangdifferenzen sich dort nicht zusammen fügen lassen; dafür ist aber auch, meine Damen,« sagte der Hauptmann, welcher warm wurde, »von einer Gesellschaft nichts zu erwarten, in der jede Rangklasse und tausend Thaler mehr Vermögen ein eigenes Zimmer, ein eigenes Lokal bedingen.«

»Sie wollen demnach,« kreischte die Sekretärin, »alle Standesunterschiede niederreißen?«

»Durchaus nicht,« sagte ruhig der Hauptmann, »aber alle Standesüberhebungen, wenn ich es könnte, mit den Füßen niedertreten; ich kann und will nun einmal nicht einsehen, daß der, welcher in glücklicheren Verhältnissen geboren ist, als ich, berechtigt sein soll, mir auf dem Kopf herumzutreten und mich fühlen zu lassen, er sei aus einem besseren Stoffe, als ich.«

»Aber,« antwortete die Hofräthin mit voller Majestät, »würde es denn nicht gegen Ihre Gefühle anstoßen, auf einem Bürgerball, wo unsere Töchter tanzen, auch Putzmacherinnen und Nähterinnen mit dem gleichen Rechte herumschweben zu sehen, würde Ihnen Ihr Gefühl dieß nicht als unpassend bezeichnen?«

»Und wenn dies so wäre,« sagte der Hauptmann, »würde vielleicht daraus folgen, daß die Bürgerstöchter im Grunde eine bessere Art Wesen wären, als jene Geschöpfe, welche, auf ihren eigenen Füßen stehend, sich ihr Leben mit harter Arbeit fristen müssen?«

»Und kann das noch eine Frage sein?« kreischte die Sekretärin. Aber der Hauptmann fuhr ruhig fort:

»Wenn Sie, Frau Hofräthin, mit mehreren Ihrer sehr achtbaren Bekannten zufällig auf einem Hofball erschienen, würden sämmtliche Hofdamen Sie nicht als unbefugte Eindringlinge ansehen, Ihr Betragen nicht höchst unpassend finden? Daß dem so wäre, müssen Sie mir zugeben, und ich frage Sie ferner, halten Sie sich im Grunde deßhalb geringer, als eine Hofdame?«

Die Hofräthin warf sich in die Brust, blickte stolz um sich, als wollte sie sagen: Ihr kennt mich Alle! Der Hauptmann aber fuhr fort und sagte:

»Unser Gespräch, meine Damen, hat sich einigermaßen verirrt und wir sind auf ein Terrain gekommen, das wir Anfangs nicht betreten wollten. Jeder behalte den Rang, auf den ihn Geburt und Vermögen gestellt, aber Jeder hüte sich, durch lieblose Aeußerungen und durch hartes Benehmen jene Schranken zu erhöhen, welche nun einmal einen Stand vom andern trennen.«

»Mein Herr Hauptmann!« rief die Sekretärin mit äußerst gellender Stimme, »Sie mögen einen Rückzug antreten, so fein Sie wollen, und mögen sagen, was Sie wollen, ich bleibe doch dabei und behaupte: wenn es je eine etwas leichte Bürgerstochter gegeben hätte, so wäre sie doch noch mehr werth, als zwanzig tugendhafte Putzmacherinnen.«

Der Hauptmann zuckte mit den Achseln, die meisten der Damen ließen ein leises Gemurmel vernehmen, welches deutlich anzeigte, daß sie mit den Ansichten der Sekretärin wohl harmonirten, die Hofräthin aber sagte, anscheinend mit großer Bekümmerniß: »geben Sie zu, bester Herr Hauptmann, daß unter jener Klasse von Menschen eine große Immoralität herrscht, daß die meisten derselben ein schrecklich leichtes Leben führen.«

»Sie wollten sagen,« »ersetzte der Hauptmann, ironisch lächelnd, »daß jene Klasse der menschlichen Gesellschaft nicht so die Mittel hat, ihr Thun und Lassen zu verschleiern, wie andere, und daß man viel eher reden hört von den Fehltritten von zwanzig Putzmacherinnen, als von denen einer einzigen Bürgerstochter; ich gebe das gern zu, nur müssen Sie bedenken, daß die Ansicht, welche Sie von dem Lebenswandel dergleichen Mädchen haben und welche Sie, meine Damen, täglich aussprechen, sehr viel Schuld an der Immoralität derselben trägt. Wenn Jemand weiß, Sie halten ihn unbedingt für einen Dieb, weil sein Bruder einer war, so denkt er vielleicht: was hilft's mir, daß ich nicht stehle, man glaubt mir's doch nicht! – – Ich will das gerade nicht entschuldigen, aber es ist so.«

»Der Herr Hauptmann entwickeln sonderbare Ansichten,« kreischte die Sekretärin, »und machen sich eine Ehre daraus, die Liebschaften liederlicher Mädchen zu entschuldigen.«

Auch die Hofräthin schien entrüstet und sagte: »so können wir nicht fortstreiten, wenn Sie sich gänzlich auf die Seite von Personen stellen, die sich nichts daraus machen, alle Jahre, um mich gelinde auszudrücken, bereitwillig eine Menge Liebschaften einzugehen und dieselben ebenso bereitwillig wieder aufzulösen.«

»Das kommt Alles nur auf die Art an,« versetzte der Hauptmann, »wie man solche Liebschaften schließt und auflöst; eine Nähterin, eine arme Tänzerin hat freilich keine Aussichten zum Heirathen und sagt nichts desto weniger zu dem, der ihr gefällt: lieben wir einander so lange es geht, und wenn wir einander nicht mehr gefallen, so trennen wir uns; so sagt die Nähterin und macht kein Hehl daraus, und eben so denkt manche Bürgerstochter und macht aus diesem Gedanken ein großes Geheimniß.«

Die Damen saßen erstarrt ....

»Wollen sie mir vielleicht abstreiten, meine Damen,« fuhr der Hauptmann fort, »daß es bei recht anständigen Mädchen vorkommt – wenigstens gelten sie dafür, – daß sie ihre Liebhaber in einem Jahre mehrmals wechseln? Und das wirft durchaus keinen Mackel auf sie, wenn nur der Schein gehörig bewahrt wird. Dem Fräulein A. nähert sich der Herr B. und fängt mit ihr eine kleine Liebschaft an; – natürlich, es soll geheirathet werden, wenn es die Verhältnisse erlauben; aber die Verhältnisse erlauben es nicht, und der Herr B. wird nach einigen Monaten, oder wenn Sie auch wollen, nach einem Jahr, von dem Herrn C. ersetzt – wieder dieselben Verhältnisse, den Herrn C. ersetzt der Herr D., diesen der Herr E. u. s. w.; und das hat durchaus nichts auf sich; denn alles, was in solchen Fällen geschieht, geht vor sich unter dem Deckmantel einer vielleichtigen Heirath mit hoher Bewilligung der ganzen Familie; und eine solche junge Dame, die das halbe Alphabet durchgemacht hat, bleibt was sie ist; sie hat nur einiges Unglück gehabt.«

Der Hauptmann schwieg, die Damen schwiegen auch, nicht als ob sie sich überwunden gefühlt, nein, sie erkannten den Hauptmann nicht mehr als ebenbürtigen Gegner und hielten es unter ihrer Würde, demselben ferner zu antworten, und als bald darauf die Theegesellschaft aus einander ging, als Alle der Frau Stadträthin Schwämmle versicherten, einen köstlichen Abend verlebt zu haben, und darauf die Meisten voll Gift und Galle schieden, war es stillschweigend unter ihnen ausgemacht, den Hauptmann zu keiner Theegesellschaft mehr einzuladen.

Sie verließen das stadträthliche Hans und wandelten ihres Weges; Laternen jeder Rangklasse leuchteten ihnen heim, und von der Sekretärin wissen wir es bestimmt, daß sie zu Hause ein niederschlagendes Pulver nahm. – Sehr vielen Damen und jungen Mädchen zu Hause, die nicht bei der Theegesellschaft waren, wurden noch die schrecklichen Aeußerungen des Hauptmannes mitgetheilt, und manche, die das Buchstabiren schon recht tüchtig erlernt, legten sich seufzend, aber sehr gekränkt zu Bette.

Die Honoratiorentochter allein ging aufrechten Hauptes und stolzen Schrittes über die Straßen, sie war im Punkte des Buchstabirens noch ein ganz kleines, unschuldiges Kind, und wenn auch in ihrem Herzen ein A. aufdämmerte, so warf sie geschwind einen Schleier darüber. Dieses A. kam jedoch immer wieder, zog sich in die Länge, und es wurde daraus die Gestalt jenes jungen blonden Mannes, der sie an jenem Ballabende an seinen Busen gedrückt, bis die Schlachthaus- und Blutmenschen auch die stille Garderobe mit Talglichtern erleuchtet. Darauf hatte sie sich mit Schrecken emporgerissen und war wie aus einer tiefen Bewußtlosigkeit erwacht; Dubel aber, den die schönen Blumen in dem schwarzen Haar etwas verwirrt gemacht, der die vollen überschwellenden Formen der ältlichen Honoratiorentochter in dem Rosacrepekleide für Glanz der ersten Jugend hielt, hatte einige verlegene Worte gestammelt, von außersichsein, von unnennbarem Glück und dergleichen mehr, und Beide waren geschieden mit einer kleinen Herzbeklemmung.

Als nun gar wenige Tage darauf die Jungfer Kiliane im Hause der Honoratiorentochter einige Wäsche besorgte, als nun zufällig das Gespräch auf jenen Ballabend und den Herrn Dubel kam und die alte Büglerin voll seines Lobes war, da las die Honoratiorentochter die Geschichte der Maria Stuart und anderer hochgestellter Damen, die in Liebe entbrannt waren zu Individuen sehr niederen Rangs, und besuchte in Folge dieser Lektüre eines Abends die arme Kiliane, welche sich unwohl befand, und das war gerade jener denkwürdige Abend, wo wir im Regen und Wind den Herrn Dubel auf dem Wege nach einem sehr anständigen Hause begegneten, jener Abend, den er im königlichen Kutscherzimmer beschloß.

An das alles dachte die Honoratiorentochter, während sie ihres Weges ging, hinter ihrer Magd drein, welche ihren Pfad mit einer großen Laterne beleuchtete. Sie hatte einen weiten Weg zu machen, und als sie in die innere Stadt kam, wo es auf den Straßen schon sehr menschenleer war, hörte sie sich plötzlich von einer wohlklingenden Stimme angesprochen, welche leise und schüchtern einen guten Abend bot und darauf sagte:

»Es issss-t das größßßß-te Glück meines Lebens, Ihnen, mein Fräulein, so unvermuthet zu begegnen.«

Die Honoratiorentochter erschrak anfangs heftig, dann aber gab sie dem jungen Manne, der neben ihr herwandelte, eine nicht gar zu harte Antwort, und so entspann sich ein Gespräch, welches andauerte fast bis zu dem Hause der Dame; dann verschwand der junge Mann, von dem wir nicht beschwören können, wer es eigentlich gewesen; auch wissen wir nicht, ob er nicht einen schüchternen Versuch gemacht, die Hand der Honoratiorentochter zu küssen, ebenso wenig ob dieser Versuch gelungen oder mißlungen; so viel aber wissen wir, daß die Honoratiorentochter die Einzige war, welche den pensionirten Hauptmann einigermaßen entschuldigte.


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