Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Vierzehntes Kapitel. Elstergasse Numero vierundvierzig.

Es mochten nach den oben erzählten Vorfällen ungefähr acht Tage verflossen sein, der Winter war strenger eingetreten und es herrschte jene trockene Kälte ohne Schnee, welche so empfindlich und unangenehm ist.

Es war Abend, die Sterne funkelten am Himmel, der Boden war hart gefroren und der einsame Schritt eines Wanderers in den engen Straßen der untern Stadt hallte an den Häusern wieder.

Dieser einsame Wanderer, welcher trotz der durchdringenden Kälte außerordentlich leicht gekleidet war und die Hände in die Hosentaschen gesteckt und die Schultern, als wolle er die Ohren schützen, in die Hohe gezogen hatte, hüpfte mehr als er ging und war unser Freund Dubel, der von seiner Arbeit nach einem mühsam vollbrachten Tagewerk in seine bescheidene Klause zurückkehrte.

Der Wagen des Baron Karl hatte seit jenem denkwürdigen Abend auf die Hauswirthin von Numero Vierundvierzig der Elsterstraße seine Zauberkraft noch nicht verloren, und sie, welche sich früher um den Dubel nur vielleicht an Quartalen, wo der Miethzins fällig war, den aber unser Freund noch nie einen halben Tag schuldig geblieben war, bekümmert hatte, war seit damals aufmerksam gegen ihn geworden, reichte ihm nicht selten höchsteigenhändig den zinnernen Leuchter dar und sah obendrein darauf, daß dieser Leuchter, wie es der Herr Dubel so sehr liebte, blank und sauber geputzt wurde.

Seinerseits hatte aber auch der Schneider jenen Abend nicht vergessen, und wenn er von da an in die Küche trat, um besagten Leuchter zu holen, so erkundigte er sich sorgfältig, ob keine Briefe für ihn angekommen seien. Dieser Fall war indessen bis jetzt noch nicht eingetreten, Herr Dubel besaß auch keine auswärtigen Correspondenten und deßhalb wunderte er sich um so mehr, als ihm die Wirthin zugleich mit dem zinnernen Leuchter ein kleines Billet einhändigte, welches er, als sei es etwas durchaus nichts Ungewohntes, nachläßig in seine Westentasche steckte.

Herr Dubel stieg die Treppen hinan, die schmalen gewundenen Treppen mit dem vor Alter glänzenden, schwarzen Geländer und jeder Tritt krachte unter seinen Füßen und er ging langsam hinauf in den ersten, zweiten, dritten und vierten Stock und öffnete im letzten eine Thür, welche in sein Appartement führte.

Dieses Appartement befand sich im Giebel des Hauses und hätte eigentlich Bodenkammer genannt werden sollen, hatte sich aber den stolzen Namen »Zimmer« erworben, weil die Decke desselben geweißt war und die vier Wände tapezirt, auch befand sich sogar ein Nebenkabinet da, eine Art Verschlag unter dem Dache, in welchem das Bett des Inwohners stand, und auf diese Art war der Herr Dubel vollkommen berechtigt, von seinen Appartements zu reden, denn er hatte ein Schlafzimmer, sowie einen Salon, um seine Freunde zu empfangen.

Wir müssen leider gestehen, daß der Salon auf Kosten der nächtlichen Wärme des im Bette liegenden Inwohners erschaffen war, denn der Verschlag unter dem Dache war einigermaßen der äußern Luft zugänglich; namentlich in kalten, windigen Nächten, wenn die Ziegel auf dem Dach vor Kälte und Wind klapperten und seufzten, machte es der Herr Dubel in seinem Bett aus derselben Veranlassung nicht selten ebenso.

Nachdem der Schneider sein Licht auf einen kleinen Tisch gesetzt, der im Zimmer stand, warf er seinen dünnen Rock ab, eilte in das Schlafgemach und kehrte bald darauf mit einem Arm voll Holz zurück, worauf er sich bemühte, ein Feuer in dem kleinen eisernen Ofen des Salons anzumachen. Bald krachten auch die Holzscheiter lustig durch einander, zischten, seufzten, und hie und da geschah ein kleiner Knall in dem Ofen, auf dem Fußboden spiegelte sich eine röthliche zitternde Helle ab und bald begann von dem kleinen Ofen eine behagliche Wärme auszuströmen, die das Zimmer nach und nach erfüllte, so daß der alte Tisch und ein paar alte Stühle vor Vergnügen zu knaxen anfingen.

Herr Dubel rückte nun den Tisch in die Nähe des Ofens, holte hiezu aus der Ecke einen etwas wackeligen Lehnstuhl, öffnete einen kleinen Schrank, aus welchem er eine große Tasse, einen Theetopf, einen Wasserkessel und eine Zuckerdose nahm und pflanzte diese Gegenstände symmetrisch auf den Tisch, nachdem er dieselben zuvor mit einer Art Serviette bedeckt, d. h. Theekanne, Zuckerdose und Tasse kamen dort zu stehen, der Wasserkessel aber wurde gefüllt und in den Ofen geschoben.

Der Herr Dubel vollbrachte diese kleinen häuslichen Arbeiten mit einer gewissen Behaglichkeit, er pfiff eine Melodie dazu, warf, so oft er bei dem kleinen Spiegel, der an der Wand hing, vorbeikam, einen wohlgefälligen Blick in denselben und strich sich alsdann die Haare in die Höhe. Bald summte das Wasser in dem Kessel, Herr Dubel goß das kochende Wasser auf den Thee, stellte alsdann den Wasserkessel wieder in die Ecke, schnitt etwas Brod auf einen Teller, den er neben die Tasse setzte, rückte auf dem Tische Alles in die schönste Ordnung, warf noch einiges Holz in den Ofen und verschwand alsdann in sein Schlafgemach.

Bald darauf erschien er wieder und wunderbar verändert: statt der dünnen Beinkleider und Stiefel trug er eine weite, blaue Morgenhose und gestickte Pantoffeln, und statt des fadenscheinigen Röckchens hatte er einen rothcarrirten Schlafrock an, der um den Leib von einer dicken Schnur, an welcher ansehnliche Quasten hingen, zusammengehalten wurde. Das Haar war sorgfältig gekämmt und bedeckt mit einer blausammtnen Mütze.

Die Verwandlung des Herrn Dubel war so außerordentlich und überraschend, daß das kleine Gemach sogar in einem andern Lichte zu strahlen schien, der Ofen glitzerte freundlicher, die Theekanne warf stolze Rauchwolken in die Höhe und von dem Talglicht in dem zinnernen Leuchter sprühten glänzende Funken ab, als freue es sich, einem so vornehmen Herrn zu leuchten. – Und wie würdevoll schritt der Schneider auf seinen Tisch zu! Er war nicht mehr derselbe, der er vor wenigen Minuten gewesen, ein ganz anderer Mensch hatte das Feuer angezündet, den Theetisch besorgt, – ein armes dienstbares Wesen, das demüthig verschwand, als der Herr eintrat.

Herr Dubel trug ein paar Bücher unter dem Arm, welche er auf den Theetisch niederlegte und es sich darauf in dem großen Lehnstuhl vor dem kleinen Tisch am Feuer so bequem wie möglich machte. Er goß sich eine Tasse Thee ein, that Zucker hinzu und schien sich durch eine graziöse Handbewegung für Rahm, für welchen er keinen Geschmack hätte und welchen er niemals zum Thee nähme, bei sich selber zu bedanken.

Er lehnte sich ganz zurück in die geöffneten Arme des alten Möbels, legte die Füße auf einen Stuhl, schlug die Enden des herabfallenden rothen Schlafrocks zierlich auf seinen blauen Beinen über einander, rückte seine Sammetmütze auf das Ohr und öffnete das Buch, nachdem er einen zufriedenen Blick rings um sich her geworfen.

Dies Buch war eine Uebersetzung Bulwer's »Pelham« oder Schicksal eines Weltmanns, und der Herr Dubel vertiefte sich in diese Lektüre und ging mit dem Helden der Geschichte auf Soireen und Bälle, war ein vornehmer Mann, wie Pelham selbst, vertändelte seine Zeit in nichtsbedeutenden Gesprächen auf schwellenden Polstern mit eleganten Damen, hatte Wagen und Bediente wie er, kurz war überglücklich.

Häufig veränderte er seine Stellung, je nach dem Inhalt, sah bald zufrieden lächelnd in das Buch, bald runzelte er finster die Stirne, und wenn von einem kleinen, feinen Diner die Rede war, so nahm er einen Schluck Thee und aß ein Stück Brod dazu.

Jetzt stützte er den einen Arm auf den Sessel, legte den Kopf darauf, stellte die Füße auf den Boden und hielt das Buch etwas weiter von sich ab – und so saß er, vertieft in Lesen und Theetrinken, vergessend mit welch' saurer Mühe, mit welch' tagelanger, harter Arbeit er diese paar glücklichen Stunden erzwang, und träumte dabei von einer bessern Zukunft bei einem angenehmen eleganten Leben, von schönen Augen, die ihn zärtlich anblickten, von weißen Armen, die sich ihm öffneten, und fühlte in solchen Momenten die Kraft, den Muth, sich in den Strudel des Lebens zu stürzen, um schwimmend eine glückselige Insel zu erreichen, oder – unterzugehen – ein zweiter, anderer Don Quixote.

Herr Dubel hatte so eben für einen Augenblick sein Buch weggelegt, als etwas die Treppen heraufpolterte und an die Stubenthür klopfte.

»Herein!«

Es trat ein junger Mann ins Zimmer in einem anständigen Paletot, einem sehr schönen, neuen Hut aus dem Kopfe und dieser Angekommene freute sich, wenn man anders seinen Worten und seinem äußerst gleichgültigen Gesicht glauben wollte, den Herrn Dubel zu Hause zu finden und so ein angenehmes, warmes Zimmer anzutreffen. Er rieb sich die kalten Hände und bat den Schneider, der aufstehen wollte, ruhig in seinem Lehnstuhle zu bleiben, stellte sich mit dem Rücken gegen den Ofen, hob die Schöße seines Paletots in die Höhe und wärmte sich auf behagliche Art, wobei er sich zuweilen schüttelte, wenn er an die Kälte dachte, die draußen herrschte, und die weiße klare Mondsichel erblickte, die durch einen Riß in dem Vorhang zum Zimmer hereinsah.

Herr Dubel schien durch den so eben Angekommenen nicht unangenehm überrascht, er holte eine zweite Tasse aus dem Schrank und nachdem er seinen Gast mit Thee bedient, erkundigte er sich nach der Veranlassung, welche ihm die Ehre verschaffe, denselben noch so spät bei sich zu sehen. Der Angeredete war ein junger Mann, nicht älter als der Schneider, groß und schlank gewachsen, mit einem etwas verlebten Gesicht, dunklen Augen und Haaren und sehr leichten und freien Manieren. Er trug eine Brille, gehörte im Allgemeinen zur Klasse der Literaten und war im Speziellen Verfasser von Theaterrecensionen für einige unbedeutende Winkelblätter der Residenz. Sein Name war Stechmaier; – Herr Doktor Stechmaier nannten ihn seine Freunde.

Er nahm einen Schluck von dem warmen Thee, sah einen Augenblick aufmerksam au die Decke, betrachtete alsdann den Fußboden und antwortete: »Ich war gerade im Begriffe, zu Bette zu gehen, als ich, ehe ich ins Haus trat, noch hier oben bei Ihnen Licht sah, und kam deßhalb herauf, um mich ein wenig zu wärmen und einige Augenblicke mit Ihnen zu verplaudern.«

»Sie wohnen noch immer hier im Hause?« fragte Herr Dubel mit einem sonderbaren Lächeln.

»Leider!« sagte der Doktor und zuckte mit den Achseln. »Was soll ich machen? die Einnahmen sind schlecht, anständig gekleidet muß ich wegen meiner Stellung, die ich in der Welt einnehme, doch gehen, und so fällt für ein anständiges Quartier nicht viel ab, ich mache mir eigentlich auch nichts aus einer guten Wohnung, bin ja doch nie zu Hause. Heute Abend hatte ich eine Einladung in ein sehr solides Haus, wo der Tasso vorgelesen werden sollte, doch wurde die Dame des Hauses krank und die Geschichte abgesagt und ich hatte nicht mehr Zeit, mich irgendwo anders einladen zu lassen; im Kaffeehaus am Petersplatz war Niemand mehr von meinen Bekannten und in andere Wirthshäuser, wo ich welche von ihnen hätte treffen können, kann ich nicht gehen, ich bin in den meisten zu viel schuldig; es thut sich wahrhaftig nicht mehr.«

Der Schneider erschrak ordentlich über die Ruhe, mit welcher der Doktor von seinen Schulden sprach, und erkundigte sich schüchtern, ob er denn keine Aussicht habe, sich etwas zu arrangiren.

»Ich bin im Begriff,« entgegnete Stechmaier, »einen neuen literarischen Klubb zu bilden, ich habe schon zehn Unterschriften, wir werden alsdann zwei Zimmer miethen, einige Zeitungen auflegen, ein Sopha anschaffen und darauf werde ich alsdann des Nachts schlafen, so lauge der Winter dauert; ich muß auch gestehen, daß ich unten im Hause das Quartier vollkommen satt habe.«

»Sie wohnen,« sagte schüchtern der Schneider und sah den Doktor fragend an, »Sie wohnen da unten, wie ich mir sagen ließ ....«

»In dem Wandschrank im Gange,« entgegnete der Doktor sehr ruhig; »'s ist leider wahr, ich kann es nicht leugnen, doch ist der Wandschrank sehr breit, ziemlich lang, auf dem Boden liegen eine Menge alter Mehlsäcke, und wenn es nicht zuweilen so verdammt kalt wäre, so würde diese Wohnung nicht so schlecht sein, als man glaubt; auch hat sie für mich den großen Vortheil, daß sie auf der Polizei eigentlich nicht als Wohnung gilt und es deßhalb meinen Gläubigern unmöglich wird, eine Execution gegen mich auszuwirken. Ich war noch heute zufälliger Weise bei dem Commissär des Viertels; er hatte sich schon lange darnach gesehnt, meine Bekanntschaft zu machen, aber auf seine höflichen Einladungen, die mir hie und da von den Polizeidienern ausgerichtet wurden, entgegnete ich stets, ich könne dergleichen nicht unter freiem Himmel annehmen, man möge es in meiner Wohnung hinterlassen. Heute aber, wo mir dieser würdige Staatsbeamte selbst begegnete, konnte ich ihm seinen Wunsch nicht abschlagen und mußte ihn auf die Polizei begleiten.«

»Herr Doktor, sagte er allda, die Polizei befindet sich in dem Falle, durchaus wissen zu müssen, wo Sie eigentlich wohnen.«

»Herr Commissär,« entgegnete ich ihm, »ich finde dieses Verlangen der Polizei vollkommen begreiflich, bin aber nicht im Stande, meine Wohnung anzugeben, da ich nicht so glücklich bin, eine Wohnung zu besitzen.«

»Sie besitzen keine Wohnung?«

»Nein, Herr Oberpolizeicommissär, ich bin Literat, Schriftsteller, Poet, ich kann mich nicht in die engen Mauern einschließen, ich finde dort nichts, was meinem Geiste Nahrung gewährt, ich muß das öffentliche Leben studiren, bei Tag und bei Nacht, und bin deßhalb, wenn nicht gerade im Wirthshaus oder in den Häusern meiner Freunde, unter freiem Himmel. – Sie werden bemerken, Herr Dubel, daß ich die Polizei nicht belogen habe.«

»Aber,« fuhr der Commissär fort, »Sie müssen doch schlafen und zum Schlafen ein Bett haben und zum Bett einen Platz, wo Sie dasselbe hinstellen?« worauf ich entgegnete:

»Ohne stolz zu sein, Herr Oberpolizeicommissär, kann ich mich für eine Ausnahme von der gewöhnlichen Regel halten, ich schlafe sitzend und stehend, wie es gerade vorkommt, aber immer ohne Bett und ohne Wohnung.«

»Ohne Wohnung?« entgegnete er, »da wird die Polizei sich veranlaßt sehen, Ihnen eine freie Wohnung anweisen zu müssen.«

»Wenn Sie,« sagte ich, »unter polizeilicher Wohnung das verstehen, was man im gewöhnlichen Leben Gefängniß heißt, so sehe ich in meiner Abneigung, in einem Bett, in einer Wohnung zu schlafen, keinen hinlänglichen Grund dafür ein; ich glaube, daß jeder freie deutsche Mann das Recht hat, keine Wohnung zu haben, und daß deßhalb die Polizei nicht das Recht hat, ihm eine solche anzuweisen.«

»Diese Gründe schienen dem Commissär einzuleuchten, er stimmte den ernsten Ton seiner Rede etwas herab und fragte mich, wo ich früher gewohnt, früher nämlich, ehe ich es für passender gehalten, statt wie andere Menschen zu schlafen, auf den Straßen herum zu laufen.«

»In dem Wolfsgäßchen Numero vier,« entgegnete ich.

»Warum sind Sie dort ausgezogen?«

»Ich bin dort eigentlich nicht ausgezogen, Herr Oberpolizeicommissär, sondern vielmehr ausgezogen worden, denn als ich eines Nachts nach Hause kam und mit dem Hausschlüssel die Thür öffnen wollte, fand ich den Riegel vorgeschoben, und es blickte von oben der Eigenthümer herab und versicherte mir, ich sei ausgezogen. Er gab mir sein Wort, ich wohne nicht mehr in seinem Hause, und da er das besser wissen mußte als ich, so ging ich meiner Wege.«

»Sie hatten wohl mehrere Quartale Ihre Hausmiethe nicht bezahlt?« fragte der Commissär, und ich entgegnete ihm, das könne wohl der Fall sein; und so war es auch in der That.«

Der Herr Dubel hatte bei dieser Erzählung einigermaßen bewundernd zu dem Doktor aufgesehen und fand, daß trotz des neuen Paletots und Hutes und trotz des Besuchens von eleganten Gesellschaften, sein, des Schneiders, Loos noch weit behaglicher sei, als das des Doktors Stechmaier. Wenn er auch des Morgens ärmlich gekleidet, ja frierend an die Arbeit ging, so hatte er doch dafür Abends eine warme Stube, eine gewisse Bequemlichkeit, ja Eleganz um sich, die ihn für all' die Leiden auf dem Nähtische entschädigten; er dachte bei sich, so sollte der Doktor auch sein Leben einrichten, nämlich wenig auf seine Kleidung wenden und sich für das, was er verdiene, eine ordentliche Wohnung anschaffen; und der Herr Dubel machte in dieser Richtung einen kleinen Bekehrungsversuch.

Der Doktor hatte sich gerade zwei Seiten des Körpers vollkommen gewärmt und stand jetzt en face gegen den Ofen, doch hatte er das Gesicht der Hitze wegen etwas abgewendet. Dubel trug seine Gründe vor und versicherte, wie viel rathsamer er es hielte, etwas weniger auf seinen äußern Menschen zu verwenden, dagegen eine Stelle zu haben, wo man sein Haupt ruhig und ungehindert hinlegen könne.

Der Doktor zuckte die Achseln und sagte mit unverwüstlicher Ruhe und völligem Gleichmuth: »Bester, das verstehen Sie nicht! Freilich, wenn ich das Geld daliegen hätte oder mir dasselbe einginge und ich die Wahl hätte, entweder einen neuen Paletot, einen neuen Hut zu kaufen, oder mir eine Wohnung anzuschaffen, so würde ich vielleicht das Letztere thun; aber ich hatte weder zu dem Einen, noch zu dem Andern die nöthige Baarschaft und rechnete so: der Zimmervermiether gibt dir vier, höchstens acht Wochen Credit, der Schneider und Kaufmann aber mindestens ein halbes Jahr; weßhalb ich mich zu Gunsten der Letztern entschied.«

»Also Sie haben Ihren Paletot und Hut nicht bezahlt?« fragte der Schneider mit etwas langem Gesicht; und der Doktor versetzte:

»Ich bin nicht im Stande, etwas Unmögliches zu thun; leider waren meine Einnahmen für schriftstellerische Arbeiten in der letzten Zeit so außerordentlich gering, daß ich damit kaum ein Mittagessen und den nöthigen Kaffee bestreiten konnte; ich bin, was die Schulden anbelangt, wirklich einigermaßen heruntergekommen, und wenn eines Tages irgend ein Zauberer vor meinen Augen in die Hände klatschte und spräche: Was du nicht bezahlt hast, fliege ab von dir! – so würde ich in vollkommenem Naturzustande zurückbleiben.«

»Ach,« sagte der Schneider, »das issss-t eigentlich ganz entsetzlich!«

»Das Entsetzliche daran ist,« versetzte gleichmüthig der Doktor, »daß das Schuldenmachen einen magischen unsichtbaren Kreis um einen herumzieht, den man nicht durchbrechen kann, der einen gewaltig einengt, der einen sehr genirt. Ein Mensch ohne Schulden – dieselben sind freilich sehr selten – wandelt durch alle Straßen aufrechten Kopfes, sieht jedem frei in's Gesicht, kann vor jedem Laden stehen bleiben, gefällt ihm etwas und er hat Geld dazu, so kann er's kaufen; hauptsächlich aber befindet sich ein schuldenfreier Mensch in der Lage, ohne Schwierigkeit enorme Schulden machen zu können. Der Schuldbeladene dagegen, der mit Mahnbriefen Verfolgte und mit Executionsdrohungen Ueberschüttete, muß, im Fall er sich eine Wohnung sucht, eine solche nehmen, welche auf einen Hof hinausgeht, damit man von der Straße kein Licht sieht, er muß seine Schlüssellöcher zustopfen, er muß sich angewöhnen, nicht zu singen, und wenn er gern pfeift, dies leise zu thun, und muß sich vor allen Dingen einen Stadtplan kaufen.«

»Einen Stadtplan?« fragte erstaunt der Herr Dubel.

»Allerdings, einen Stadtplan,« entgegnete der Doktor und zog ein ähnliches Instrument aus der Tasche, welches er zur besseren Uebersicht auf den Tisch legte. »Bemerken Sie hier,« fuhr er fort, »welche Straßen mit rothen Streifen bezeichnet sind? All' diese Straßen sind für den Schuldbeladenen verbotene Wege, in all' denselben befinden sich für ihn Scyllen und Charybden, und wenn ihn vielleicht der Tabackshändler nicht mit den freundlichsten Worten in den Laden hineinlockt, um ihm da furchtbar die Meinung zu sagen, so thut es der ihm gegenüber wohnende Schuster auf noch gröbere Art. Demnach muß man sich an jedem Morgen einen Feldzugsplan entwerfen, man muß genau wissen, wo man an dem und dem Tage hingehen will, und wie man sich am geschicktesten dahin dirigirt, um so wenig Zeit als möglich zu verlieren. Sie bemerken diesen dicken Strich auf der untern Königsstraße?« sagte der Doktor seufzend und nahm seinen Hut ab und betrachtete ihn wehmüthig. »Sehen Sie, dieser Hut kostet mich den für alle Communikationen notwendigen untern Theil dieser Straße; bemerken Sie hier, welch' furchtbaren Umweg ich nehmen muß, um künftig von der unteren in die obere Stadt zu gelangen; ja, ja, dieser Hut ist theuer bezahlt!«

Der Herr Dubel putzte das Licht in seinem zinnernen Leuchter und gratulirte sich im Geheimen über die bessere und anständigere Stellung, die er selbst in der menschlichen Gesellschaft einnehme. Er war ein sehr gutherziger Mensch und erkundigte sich deßhalb nach einer längeren Pause, ob denn der Doktor keine Aussicht für eine bessere Zukunft habe, worauf dieser entgegnete:

»Wahrhaftig, ich habe drei merkwürdig schöne Projekte, ich glaube, daß eins davon reussiren muß. Das erste ist der Klubb, von dem ich vorhin sprach, das zweite ist die Idee zu einer conservativen Zeitung, die äußerst zeitgemäß wäre und sehr passend, um einem längst gefühlten dringenden Bedürfnisse abzuhelfen, das dritte Projekt wäre zugleich die Befriedigung einer längst in mir schlummernden Neigung und besteht darin, aufs Theater zu gehen, Schauspieler zu werden.«

Der Schneider schaute mit verklärtem Gesicht empor, als der Andere vom Theater sprach und nickte zustimmend mit dem Kopfe.

Der Doktor Stechmaier verließ seine Stellung am Ofen, nachdem er auf allen Seiten ziemlich geröstet war, und setzte sich dem Herrn Dubel gegenüber auf die Ecke des Tisches, während er das Theaterprojekt weiter ausmalte und also sprach:

»Ich glaube nicht, daß es mir beim Theater bedeutend fehlen könne; ich bin ziemlich gerade gewachsen, habe dunkle Augen und Haare, was sich auf Theater am besten macht, mein Organ wurde schon öfter gelobt, Auswendiglernen ist mir eine Kleinigkeit, und nebenbei verpflichte ich mich, im Geheimen Theaterrecensionen zu schreiben, was meine zukünftigen Collegen außerordentlich für mich einnehmen wird.«

»Ach ja,« seufzte der Schneider, »Ihnen issss-t von der Natur Alles verliehen, Sie brauchen nur in das Leben hineinzugreifen und haben gleich eine Handvoll – ach, wenn nur unsereins auch so glücklich wäre!«

»Ich habe hier,« fuhr der Doktor wichtig fort und zog ein Blatt Gedrucktes aus der Tasche, »ich habe hier im Tagblatt »die Spinne« eine äußerst gelungene Recension geschrieben und darin des ersten Regisseurs des Hoftheaters ehrenvoll erwähnt und mit kurzen, aber kräftigen Worten gesagt, wie vortrefflich er als Künstler, als Mensch und als Heranbilder junger Talente sei, unerreichbar in seinen Rollen, gebildet im gewöhnlichen Leben und eifrigst bemüht, das junge emporkeimende Genie zu unterstützen, dem unbekannten Genius, der schüchtern die Schwingen regt, einen ehrenvollen Platz zu verschaffen, ich werde mit dieser Recension nächstens zu dem ersten Regisseur hingehen, und geben Sie Achtung, ich debutire in kurzer Zelt.«

»Das glaube ich auch,« entgegnete der Herr Dubel; »wer es so in seiner Macht hat wie Sie, alle hindernden Schranken niederzutreten, der muß an's Ziel kommen; aber ein armer Teufel wie ich bleibt auf der schmutzigen Landssss-traße sitzen, und wenn er zwei Schritte vorwärts macht, so rutscht er wieder drei zurück, 's issss-t jammervoll!«

Ach ja, es sah wirklich jammervoll im Innern des Herrn Dubel aus; seine Seele verlangte nach Erlösung und höhern Sphären, sein Körper nach andern Verhältnissen, über seinem Haupte schwebten hohnlachend Nadel und Scheere. Auch das kleine Stübchen schien Mitgefühl mit seinem Bewohner zu haben – es wurde kälter, da das Feuer am Ausgehen war, und düsterer, da das Talglicht in dem zinnernen Leuchter in den letzten Zügen flackerte.

Der Doktor Stechmaier versprach nächstens mitzutheilen, wie es ihm mit seinen Bemühungen, zum Theater zu gelangen, gegangen, und verfügte sich alsdann die Treppen hinab nach seinem sonderbaren Schlafgemache.

Der Herr Dubel zog Schlafrock, Morgenhosen und Pantoffeln aus und legte Alles zusammen mit der blausammtnen Mütze in einen kleinen Koffer unter dem Bette. Der Arbeitsanzug für morgen wurde mit einem tiefen Seufzer vor dasselbe auf einen Stuhl gelegt, sich selbst aber warf der Eigenthümer in's Bett, wo er bald einschlief.

Nicht so leicht wurde es dem Herrn Doktor Stechmaier, zur Ruhe zu kommen; der Wandschrank, von dem wir oben sprachen und welcher sich in der Flur des Hauses befand, war richtig die einzige Wohnung, die der Literat besaß; für den Weinwirth unten im Hause hatte er einmal in öffentlichen Blättern eine Lanze gebrochen, als demselben vorgeworfen wurde, sein Zwölfer sei ein saures, miserables Getränk, und sein Achtzehner sei aus demselben Fasse; und zur Erkenntlichkeit dafür hatte ihm der Wirth den Wandschrank für die Nacht zur unentgeltlichen Benützung eingeräumt. Dieser Wandschrank befand sich ungefähr zwei Fuß vom Boden, war vier Fuß lang und zwei Fuß tief, weßhalb sich der Doktor Stechmaier bequemen mußte, in etwas zusammengezogener Stellung zu schlafen. Doch dieß war nicht das kleinste Uebel, was den armen Schlafgänger hie und da betraf; vielmehr stopften Mägde und Knechte allerlei Geräthschaften, die ihnen gerade in die Hand kamen, Abends in den Wandschrank und diese Sachen mußte der Doktor vorher beseitigen, ehe er seinen dürftigen Platz einnehmen konnte.

So auch heute, und er brauchte eine gute Viertelstunde, ehe er die Besen, die leeren Flaschen, die Regenmäntel und alten Säcke gehörig aufgestapelt hatte; dann zog er seinen Paletot aus, hängte ihn nebst dem Hut an die innere Seite des Wandschrankes, stieg hinein und wickelte sich in eine große wollene Decke und träumte, wie der Schneider im Vierten Stock, vom Theater, von der Stelle und dem Gehalt eines ersten Liebhabers, von großen Appartements und einem reichen und bewegten Künstlerleben.


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