Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Neuntes Kapitel. Vor dem Hofball.

Es wird dem Leser nicht unangenehm sein, einen Augenblick die feuchten, kalten Straßen zu verlassen und mit uns in eine kleine, sehr elegante und behagliche Wohnung einzutreten, die sich am Ende der Stadt befindet. Es ist ein massives, zierlich gebautes Haus, von hohen Bäumen, welche in der jetzigen Jahreszeit mit ihren kahlen Aesten das Gebäude von allen Seiten wie mit einem Gitterwerk umschlingen und zwischen welche hindurch aus den Fenstern des ersten Stocks heller Lichterglanz auf die dunkle Straße bricht.

Wir betreten den Kiesweg, der nicht unter unsern Füßen knarrt, wir öffnen geräuschlos die Hausthür und gehen über einen beleuchteten Gang ein escalier dérobéc hinauf; oben ist die Thür eines Vorzimmers nur angelehnt, wir gehen dreist hinein und haben das unaussprechliche Vergnügen, hier die Bedienten des Hausherrn zu überraschen, welche, da das Diner beendigt ist, in behaglicher Ruhe sitzen und die Reste einer Straßburger Gänseleberpastete verzehren und dieses ziemlich schwer verdauliche Gericht zur Erleichterung ihres Magens mit einigen Resten Bordeaux und Champagner reichlich begießen.

Es sind hier im Ganzen vier Personen, die besagtem Geschäft mit größerem oder geringerem Eifer obliegen; die eigentlichen Vertilger der Gänseleberpastete sind aber zwei sehr elegant gekleidete Lakaien in himmelblauen Fräcken, langen weißen, mit Gold besetzten Westen, weißen Halsbinden, weißen kurzen Hosen und weißen seidenen Strümpfen in schwarz lakirten Schuhen.

Eine bemerkenswerthe dritte Person steht mit dem Rücken gegen den Ofen und hält einen Champagnerkelch, den sie eben ausgetrunken, und stiert, wie in tiefe Träumereien versunken, gedankenlos vor sich hin, eine riesenhafte Figur, und seine Kleidung ist ebenfalls reich und geschmackvoll, – der Jäger. Besonders zu beachten ist der Kopf desselben; wir gestehen, nie einen volleren und schwärzeren Bart gesehen zu haben, er umfaßt die Wangen und das ganze Kinn dichtgekräuselt, und der Schnurrbart hebt sich in zwei langen Spitzen drohend davon ab. Der Ausdruck des Gesichtes ist, wie wir schon bemerkten, träumend, ja schwärmerisch zu nennen, und der Jäger erhebt nur zuweilen die Augen, um mit tiefer Verachtung dem gefräßigen Treiben der Lakaien zuzuschauen.

Die vierte Person endlich ist unser Bekannter von vorhin, der Hoflakai Jean, der ruhig neben dem Ofen auf einem Stuhle sitzt.

»Sie wollen nicht mithalten, Herr Lukas?« sagte einer der Lakaien zu dem Jäger und holte gerade eine große Trüffel aus dem Pastetengehäuse.

»Laßt ihn doch, wenn er nicht will,« meinte der Andere, »er würde ja doch behaupten, er träume nur, daß wir eine Gänseleberpastete essen.«

Jean sah lächelnd zu dem Jäger empor, der sein Champagnerglas niedersetzte und ruhig aus dem Zimmer ging.

»Wenn ich der Herr wäre,« sprach der erste Lakai mit vollen Backen kauend, »ich behielt' einen solchen närrischen Kerl gar nicht bei mir;« worauf der Andere lachend entgegnete:

»Sag' ihm doch, er solle dich zum Jäger machen und Lukas fortschicken.«

Der also Angeredete zuckte die Achsel und sagte: »Er hat nun einmal den Narren an ihm gefressen; mir kann's im Grunde schon recht sein, aber ich hasse ihn nun einmal, denn ein Mensch, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, wie wir, oder der nicht verrückt ist, wie er, kann nicht wie der Herr Lukas glauben, er träume alles, was er thue, er träume, was er esse und trinke, und er müsse endlich an einem schönen Morgen einmal ernstlich aufwachen.«

»Glaubt er wirklich noch daran?« fragte Jean.

»O ja,« entgegnete der erste Lakai, »und er ist ungeheuer pfiffig in seiner Narrheit: wenn er etwas nicht thun will, so sagt er: wozu auch? wenn ich nächstens aufwache, ist's ja doch nicht geschehen.«

»Das kannst du ihm nie verzeihen,« lachte der andere Lakai und setzte dann, zu Jean gewendet, hinzu: »er hat den Lukas neulich um zehn Gulden anpumpen wollen, und darauf hat ihm der Jäger geantwortet, er würde es recht gern thun, aber was könne es ihm nützen? beim Erwachen nächstens habe er ja doch keine zehn Gulden!.«

»Ja, so ist's,« sagte der erste Lakai, »aber ich bin fest überzeugt und hoffe darauf, der wird noch einmal auf eine unangenehme Art geweckt werden.«

Bei diesen Worten versorgte er eine halbe Flasche Bordeaux und spülte dadurch seinen Aerger über den träumerischen Jäger hinab.

Der andere Lakai aber, der schon länger im Dienst war, sprach zu dem Bordeauxtrinker: »Wenn dir übrigens deine Stelle im Hause lieb ist, so rathe ich dir, über den Herrn Lukas keine Witze zu machen, am allerwenigsten an Orten, wo man sie hören könnte; dergleichen ist bei uns, wie du weißt, kurz entschieden. Sieh nur den Jean da hinten an, der war' auch nicht aus dem Haus gekommen, wenn er mit dem Jäger hätte leben können.«

»'s ist aber dessen Schade nicht gewesen,« sagte der Erste.

»Allerdings,« entgegnete der Andere; »aber um Hoflakai zu werden, kann man nur Kerle brauchen, die gepfiffen sind und keine Strohköpfe.« Jean zupfte geschmeichelt seine weiße Halsbinde und erwiderte, er habe eigentlich durchaus nicht wegen des Jägers das Haus verlassen, denn im Grunde sei der Lukas ein Mensch, neben dem sich ganz gut leben lasse; »wohl verstanden,« setzte er wichtig thuend hinzu, »ein Bedienter, der nur nach der Zufriedenheit und nicht nach dem Vertrauen des Herrn strebt. Ich konnte mich mit ersterer nicht begnügen, ich muß wissen, was um mich her geschieht, und bei einigen Versuchen, dies zu erfahren, kriegt' ich einen Wortwechsel mit dem Herrn Lukas, und wir trennten uns auf die freundlichste Weise von der Welt.«

Da das Haus, in welchem wir uns eben befinden, ziemlich klein war und unmöglich viel Räumlichkeit enthalten konnte, so waren die Bedienten genöthigt, die eben erwähnte Unterhaltung mit gedämpfter Stimme zu führen.

An die Thür des Vorzimmers stieß drüben das Eßzimmer, in welchem sich ein kleiner Tisch zu sechs Personen in jener malerischen Unordnung befand, die eine reich mit Silber und Krystall besetzte verlassene Tafel darbietet, an welcher sechs junge Herrn so eben ihr Diner eingenommen.

In der Mitte des nicht zu großen Tisches stand ein prachtvoller silberner Aufsatz, ein Rebengewinde vorstellend, und zwischen den fein gearbeiteten Blättern aus mattem Metall sah man wirkliche Früchte aller Weltgegenden und Jahreszeiten geschmackvoll geordnet, und oben drauf ein riesenhaftes Blumenbouquet, welches die herrlichsten Wohlgerüche ausduftete. Doch war sowohl Blumenbouquet als Fruchtaufsatz zerzaust und in Unordnung gerathen, und von ersterm hatte sich jeder der jungen Herrn eine wohlriechende Blüthe in das Knopfloch gesteckt.

Die leeren Champagnerflaschen in schweren Eiskübeln standen zwischen den Couverts neben kleinen, außerordentlich massiven krystallenen Gefäßen, welche für jeden Gast besonders mit Eis gefüllt waren, um die Champagnerkelche darin abzukühlen. Reiche Damastservietten lagen neben und über einander, die zu Anfang des Diners so zierliche Gläserpyramide bei jedem Teller war in Unordnung gerathen, und in ihnen blitzten Getränke von allen Farben vom Weiß der Santerne bis zum tiefen Purpurroth des Bordeaux; dazu leuchteten sechszehn Wachskerzen von schweren, silbernen Girandolen, und ihr Licht strahlte wider in dem Krystall und Silber mit tausend glänzenden Punkten und zitternden Sternen.

Das Zimmer selbst war sehr einfach möblirt, die Wände bedeckte eine einfarbige Ledertapete, in welche unterschiedliche Figuren in altem Geschmack gepreßt waren; unten war ein drei Fuß hohes Getäfel von geschnitztem Eichenholz und mit demselben gelben Leder überzogen wie die Tapeten, nur waren auf ihnen statt der eingepreßten Zeichnungen kleine vergoldete Figuren aufgesetzt; Fenster und Thüren waren mit schwerem, korinthfarbenem Sammet verhängt, und der Einrichter dieses schönen kleinen Gemachs hatte vollkommen gefühlt, wie unangenehm es sei, bei einem guten Diner durch Betrachtung der Fensterformen gestört zu werden und dadurch genöthigt zu sein, einen Theil der so angenehm beschäftigten Phantasie auf unnütze Gegenstände zu verwenden; deßhalb ließ der breite Sammetvorhang nur ahnen, wo vielleicht die Fenster sein könnten, und der Blick glitt wohlgefällig an der weichen Masse des Sammets wieder auf den eigenen Teller hinab.

Was den Koch des Hauses anbelangt, so können wir nur sagen, daß nichts als die in Unordnung gebrachte Tafel an ein Zimmer erinnerte, in welchem eben gespeist wurde, und daß die Feinheit der aufgetragenen Schüsseln dem würzigen Aroma des riesenhaften Blumenbouquets durchaus nichts von seiner Frische benommen.

Heben wir den schweren Sammetvorhang, welcher die Thür zum Salon verbirgt, in die Höhe und treten, Dank unserer Unsichtbarkeit, in denselben unbemerkt ein, so finden wir sechs junge Herrn, welche von den sechs Stühlen im Eßzimmer aufgestanden sind, sich nun nach der gehabten Mühe in weichen Fauteuils ausdehnen und, von einer guten Zigarre unterstützt, dem Werke der Verdauung obliegen.

Der Jäger verließ so eben durch die andere Thüre den Salon, mit fester Hand einen schweren silbernen Teller tragend, auf welchem er den Kaffee umhergereicht.

Dieser Salon war ebenso elegant, nur ungleich reicher möblirt, als das Speisezimmer. In einem großen Kamin von weißem Marmor brannten große Holzblöcke, in welche das Auge, durch die spielende Flamme angenehm unterhalten, gedankenlos und doch sanft träumend hineinstarrte.

Die Unterhaltung in diesem Gemache ist sehr einsylbig, und man hört einen Augenblick nichts als das Klappern der Tassen, wenn sie auf einem großen Tische von Marmor geschoben werden, der in der Mitte des Zimmers steht, oder als das Picken der Uhr, die jetzt langsam, tiefklingend die siebente Stunde schlägt.

»Es ist sieben Uhr,« sagte einer der jungen Herrn, indem er sich mühsam aus dem weichen Fauteuil aufraffte; »wer geht mit mir denselben Weg?«

»Ist das Gehen,« fragte ein Anderer, »buchstäblich zu verstehen oder hast du deinen Wagen bestellt?«

»Ei, mein Lieber,« versetzte Jener, »bei solch' scheußlichem Wetter dürfen meine Pferde nicht aus dem Stalle; doch da auch das Nachhausegehen nicht buchstäblich zu verstehen ist, so habe ich mir die Freiheit genommen, mich einer Drotschke zu bedienen, welche wahrscheinlich schon dort unten hält.«

Mit diesen Worten trat er an's Fenster und zählte, durch die Scheibe sehend, zwei ... vier ... sechs Wagenlaternen, welche in dem Hofe durch den dunklen Abend leuchteten.

»Ich habe es ebenso gemacht,« sagte ein Dritter und suchte, langsam im Zimmer umhergehend, seinen Hut, und ein Vierter setzte lachend hinzu:

»Da ich im Voraus gewußt, daß Jeder von euch eine Drotschke bestellen wird, so habe ich es unterlassen, dasselbe zu thun, und Einer von euch kann die Ehre haben, mich nach Hause zu bringen.«

»Gehen wir also,« sagte der Erstere; »guten Abend, Karl! wir sehen uns doch auf dem Balle?«

Diese Frage richtete er an einen jungen Mann, welcher vor dem Kamin saß und einen mächtigen Holzblock mit der Zange herumwarf.

»Wahrscheinlich komme ich auf eine halbe Stunde,« erwiderte der Hausherr, denn er war es, und reichte die Hand zum Abschiede, wobei er aufstand und seine vier Gäste, welche eben gesprochen, bis an die Thür geleitete. »Behüt' euch Gott! – Bis nachher! – Bis morgen!« –

Der Jäger im Vorzimmer zog die Thüre hinter den Gästen ins Schloß, sie stiegen die Treppen hinab, und bald darauf hörte man unten drei Wagen über das Pflaster davonrasseln. Der Hund im Hofe bellte jedem eifrigst nach, dann ward es wieder still, wie vorher.

In dem Salon blieb bei dem Herrn des Hauses nur Einer der Gäste zurück, welcher nun seinen Fauteuil näher an das Feuer zog und die Füße behaglich ausstreckte.

Der Baron Karl stand ihm gegenüber, auf die Kaminplatte gestützt, und setzte einen kleinen Chinesen, der da stand, in Bewegung, so daß derselbe eifrigst mit dem Kopfe nickte; dann blickte er auf die Uhr und sagte: »Wir haben noch eine Weile Zeit, und es ist schön von dir, daß du noch bleibst.«

»Schreibe es meiner Neugierde zu,« entgegnete der im Fauteuil. »Deine Andeutungen vor Tisch haben mich auf die näheren Umstände heißhungrig gemacht – also Alles entdeckt! Du bist ein entlarvter Verbrecher.«

»In der That ein entlarvter Verbrecher,« entgegnete der Baron lachend, und der kleine Chinese bekräftigte es durch unzähliges Nicken mit dem Kopfe.

»Wie ist aber die Sache so plötzlich gekommen?« forschte der Andere weiter; »und was soll jetzt geschehen?«

»Ich ging also gestern in's Schloß,« antwortete der Baron, »wie immer um dieselbe Zeit und wurde wie immer angenommen; man öffnete mir den Salon und Jean sagte mir, Frau von C. werde gleich herauskommen. Ich stehe also in dem Zimmer, die würdige Dame läßt mich eine Zeit lang warten, ich setze mich, ich stehe wieder auf, ich schaue durch die Fenster auf den Schloßhof und besehe zum tausendsten Mal alle Bilder und gehe endlich durch eine offen stehende Thür, natürlich entgegengesetzt den innersten geheiligten Gemächern der Frau von C., in ein anstoßendes Gemach, von da in ein zweites und drittes, komme endlich vor eine halb angelehnte Thür, öffne dieselbe leise – denke dir mein Erstaunen, meine freudige Ueberraschung, ich befinde mich im Zimmer meiner angebeteten Pauline und sehe sie vor einem kleinen Tischchen sitzen und zeichnen,«

»Ah!« rief der Andere aus.

»Du weißt, wie viel tausend Mal ich schon im Schlosse war, du weißt, wie oft ich schon den Versuch machte, – natürlich in allen Formen, – dem Fräulein meinen Besuch abzustatten; du weißt auch, daß ich nie dazu kam; dir wird es gerade so gegangen sein: man wurde durch den Lakaien nach den Zimmern der Frau von C. gewiesen, und gewöhnlich in deren Beisein gab Pauline ihre Audienzen.«

»Das ging so weit,« sagte der Andere lachend, »daß von den Damen nur die allervertrautesten Bekannten nicht genöthigt waren, denselben Weg zu machen; meine Schwester Clara hat mir's oft erzählt, und die Lakaien haben den besonderen Befehl, nur die näher Bezeichneten und vollkommen Vertrauten durch den eigentlichen Eingang zu den Zimmern des Hoffräuleins gehen zu lassen.«

»Einen Augenblick,« fuhr der Baron fort, »stehe ich also erstaunt, und war schon im Begriffe, mich zurückzuziehen, als ich schnell überlegte, daß eine solche Gelegenheit, Paulinen einige Worte allein zu sagen, nicht sobald widerkehren dürfte; auch hatte sie bereits meinen Eintritt bemerkt und war mit einem Ausruf der Ueberraschung von ihrem Sitze aufgestanden.«

»Da ich mit meinen Absichten auf das Mädchen vollkommen im Klaren war, so brauchte ich natürlich nicht viele Worte, um mich ihr zu erklären. Daß sie mir gut war, hatte ich lange bemerkt, doch wollte ich es aus ihrem eigenen Munde hören; und genug, nach einer kleinen Viertelstunde gestand sie mir denn auch, daß ich ihr nicht gleichgültig sei, und erlaubte mir, bei der Frau Herzogin um ihre Hand anzuhalten.«

»Soweit war Alles gut; aber nun faßte ich ihre Hand, zog sie sanft an mich und erlaubte mir einen Kuß auf die Stirn, nur auf die Stirn, ich gebe mein Wort darauf – das Mädchen hat so etwas Imponirendes, man kann ihr nur wie einer Heiligen nahen, – ich küsse sie also leicht auf die Stirn, als ich das Rauschen eines seidenen Kleides hinter mir höre, ich wende mich rasch um und erblicke Frau von C., welche unter der Thüre steht und in Ohnmacht sinken will; doch hielt sie es für besser, dies nicht wirklich zu thun, sondern sie erholte sich zusehends und winkte mir majestätisch mit der Hand, ihr zu folgen; sie schritt vor mir her durch die hohen Zimmer wie ein mächtiges Gespenst mit erhobener Hand und ohne mich eines Blickes zu würdigen, bis zu dem Ende ihres Appartements, wo sie die Thür öffnete und mich entließ. Sie kam mir vor, wie der Engel mit dem flammenden Schwert an den Pforten des Paradieses und ich hätte mir gar nichts daraus gemacht, dasselbe, ein zweiter Adam, zu verlassen, wenn ich nur meine Eva hätte mitnehmen dürfen.«

»Und versuchtest du keine Explikation?« fragte der Andere unbändig lachend; »Versuchtest du nicht, ihr deine aufrichtigen Absichten darzulegen?«

»Nein, wahrhaftig!« antwortete der Baron; »ihr Blick war fürchterlich, und ich muß gestehen, daß ich der Frau von C. gegenüber nicht ohne alle Schuld bin.«

»Du hast ihr die Cour gemacht,« sagte der Andere, »das weiß der ganze Hof.«

»Konnte ich denn anders?« entgegnete heftig der Baron und ließ den Chinesen ein Kompliment machen, daß dessen Nase den dicken Bauch berührte; »es blieb mir keine andere Wahl, um Paulinen hie und da sehen zu können; doch ist die Strafe dem Verbrechen auf dem Fuße gefolgt; heute erhielt ich ein Schreiben der Frau von C., worin sie mir in Allerhöchstem Auftrage mittheilt, daß man vor der Hand nicht mehr wünsche, mich im Schlosse zu sehen, und daß selbst Ihre Majestät die Königin äußerst ungehalten auf mein unziemliches Betragen sei. Natürlich haben sie mich als Don Juan II., als Lovelace den Schlimmern geschildert, ich bin ein verabscheuungswürdiges Ungeheuer, ein Hofvampyr. – Auch enthielt der Brief die feste Voraussetzung, daß ich mich auf dem heutigen Balle der Prinzeß Eugen nicht würde sehen lassen; doch haben sie sich in dieser Voraussetzung vollkommen geirrt, und ich werde nicht fehlen.«

»Hätte ich die Geschichte nur heute Mittag gewußt, so würde ich mich bei meiner Schwester Clara erkundigt haben, ob du schon in die Acht erklärt seiest, was auf keinen Fall ausbleiben kann, und dann wirst du unmenschlich behandelt. Von den Frauen verzeiht dir keine, daß du der alten Hofdame so lange die Cour gemacht, und die Comtessen hassen dich alle, weil du drei Viertel jedes Balls der befohlene Tänzer der Prinzessinnen warst und sonst nur mit Frau von C. und Paulinen getanzt hast.«

»Ich muß das über mich ergehen lassen,« sagte achselzuckend der Baron, »kann aber nicht wegbleiben, denn ich will jeden Versuch machen, Paulinen ein paar Worte zuzuflüstern, daß sie fest auf mich bauen soll, und dann will ich auch deren Beschützerin, der Prinzeß Eugen, den ganzen Verlauf der Sache klar auseinander setzen.«

»Bei Lichte besehen,« entgegnete der Andere, indem er aufstand und einen Blick in den Spiegel warf, »kannst du auch nichts Besseres thun.« Er zog wohlgefällig seine Cravatte in die Höhe und strich den großen schwarzen Schnurrbart. »Du bist eine gefallene Größe, lieber Freund, und obgleich mir dein Mißgeschick sehr zu Herzen geht, bin ich doch Egoist genug, mich zu freuen, daß wir bei den Frauen einen so gefährlichen Nebenbuhler los sind.«

»Du bist mir ein schöner Kerl!« sagte der Baron lachend, und Jener fuhr fort, indem er abermals in den Spiegel sah:

»Und doch, wenn du das Mädchen heirathen darfst, so bist du unser einem nicht mehr im Wege, und wir haben doppelten Vortheil, eine kleine allerliebste Dame bei deinen vortrefflichen Diner's, was kann erwünschter sein?«

»Wenn ich aber nicht heirathen darf?« sagte der Baron und sah lächelnd seinen Freund an, »wenn ich in dem Falle nicht mehr hier bleibe und mein Haus geschlossen wird?«

»Teufel auch!« antwortete der Andere ziemlich ernst; das wäre höchst fatal! Ich will dir einen guten Rath geben: wenn sie dir das Mädchen unter keinerlei Bedingung geben, so kehre zu den Füßen der Frau von C. zurück, sie wird dir verzeihen, und du bist ...«

»Wieder Tänzer der Prinzessinnen!« ergänzte ironisch lachend der Baron, »werde wieder gut behandelt; ja, ja, ich will mir's überlegen.«

»Bis nachher! – Adieu'.«

Abermals rollte unten ein Wagen fort, abermals bellte unten der Hofhund, und der Baron Karl warf seine Cigarre in's Feuer und ging nachdenkend mit großen Schritten auf und ab; er schien mit sich zu Rathe zu gehen und etwas Wichtiges zu überlegen, und je mehr er sich in Gedanken vertiefte, desto heiterer wurden seine Mienen, und als er endlich an den Kamin zurück trat und die Klingel zog, summte er leise vor sich hin:

»Unter blüh'nden Mandelbäumen,
An der Loire grünem Strand.«

Lukas trat ein.

»Ist der Hoflakai noch draußen? Laß ihn herein kommen!«

Jean trat in's Zimmer, machte seinem ehemaligen Herrn eine tiefe Verbeugung und referirte auf's Umständlichste, was er von der Unterredung der Hofdame mit der Gräfin Clara erlauscht.

Zuweilen unterbrach ihn der Baron mit einem lachenden: »Ei, ei! schön! sehr schön!« und sagte, als der Hoflakai geendigt hatte, indem er aus der Westentasche ein paar Dukaten nahm und sie ihm hinreichte: »Ich bin dir für deine Mittheilungen sehr dankbar; hier, bezahle dir eine Droschke, damit du nicht zu spät in's Schloß kommst.«

Der Lakai machte eine zögernde Verbeugung, und auf die Frage, ob es noch etwas gäbe, sagte er mit dem allerdevotesten Tone: »Wenn in dem Haushalt Euer Gnaden wieder einmal eine Stelle frei würde, so würde ich mich außerordentlich glücklich schätzen, wenn die Augen des Herrn Barons auf mich fielen, ich würde ganz glücklich sein, wenn ich mir jetzt das Vertrauen des gnädigen Herrn, das mir früher gefehlt, erworben; das war der einzige Kummer, den ich hatte, Herr Baron.«

»Du bist ehrgeizig,« antwortete Dieser, und klopfte Jean lachend auf die Achseln; »vor der Hand dienst du mir besser in deiner jetzigen Stellung, später wollen wir einmal weiter sehen.« – Er winkte mit dem Kopfe und der Hoflakai verschwand.

Ein neuer Zug an der Glocke rief den Jäger abermals herein.

»Wie geht's, Lukas?« fragte freundlich der Baron; »nicht wahr, wir träumen sonderbares Zeug? Ja, lieber Freund, auch ich habe gar merkwürdige Träume, zuweilen finster und unheimlich, aber ich hoffe, das Erwachen soll angenehm sein – was meinst du?«

Der Jäger zuckte mit den Achseln und erwiderte ernst: »Das Träumen dauert aber schon lange, Herr Baron, und wenn ich nicht bald aufwache, so fürchte ich wahrhaftig, ich muß fortträumen bis in die andere Welt hinüber; ich habe mich aber so an meine Träume gewöhnt, sie sind unterschiedlich recht angenehm. Schuld des Herrn Barons, daß wenn ich plötzlich aufwache und den blauen Regenschirm sehe, ich mich wahrscheinlich nach dem langen Schlafe zurücksehnen werde. Aber, Herr Baron,« sagte er sehr ernst und trat näher, »wenn ich alsdann aufwachte, ganz allein in der Welt stehend, und machte mich auf und suchte nach Ihnen, – denn ich fange an zu glauben, daß Sie irgendwo in der Welt existiren müssen – so dürfte ich doch bei Ihnen eintreten, und Sie nähmen mich vielleicht so freundlich in Ihre wirklichen Dienste, wie Sie es bisher im Traume gethan?«

Man konnte in diesem Augenblick nicht genau unterscheiden, ob es das blitzende Auge des Jägers war oder eine Thräne in den dunklen Wimpern, worin sich die Wachskerzen auf dem Kamin widerspiegelten.

Der Baron reichte dem Diener gerührt die Hand und sagte ernst und feierlich: »Träumend ober wachend, Lukas, du bist mir stets willkommen; mein Haus ist beständig für dich offen.«

Der Jäger verbeugte sich dankend und drückte mit seinen beiden Händen die Rechte des Barons, dann ließ er sie los und stand wieder kerzengerade da, die Befehle seines Herrn erwartend. »Lukas,« sagte derselbe, »es ist mir von großer Wichtigkeit, noch vor dem Balle jenen Kutscher zu sprechen, welcher die Frau von C., die Hofdame, gewöhnlich zu fahren pflegt und auch diesen Abend fahren wird; kennst du ihn vielleicht?«

»Es wird Joseph sein,« sagte der Jäger, »ich habe ihn heute in der Dämmerung fahren sehen, Jean war hinten auf.«

»So nimm meinen Brougham,« entgegnete der Baron, »such' den Kutscher augenblicklich und bring' ihn mir hieher.«

»Der Herr Baron wollen mir die Bemerkung erlauben: es ist schon halb acht, und um diese Zeit pflegen die königlichen Kutscher ihre Pferde aufzuschirren; er wird nicht Zeit haben, abzukommen.«

»Du hast Recht,« sagte der Baron, »nimm aber dennoch meinen Wagen, fahre an den Marstall und sage dem Kutscher, ich wolle ihn dort sprechen, aber im Vertrauen sprechen, sobald er vom Palais der Prinzeß Eugen zurückkommt, – ist der Joseph ein vertrauter Mensch?«

»O ja, Herr Baron, wenn er will,« entgegnete der Jäger, »und er wird wohl keine Ursache haben, Sie zu täuschen.«

»Gut also,« sagte der Baron, »einige Minuten nach Acht fahre ich!« und setzte leise zu sich selber hinzu: »Ich werde alsdann etwas später auf den Ball kommen und gehörig begafft werden; das Gift über mich hat dann Zeit sich auszubreiten; ich muß der Gesellschaft diesen Gefallen schon erweisen.«

Er winkte dem Jäger freundlich mit der Hand, der sich alsbald entfernte, und zog sich in sein Ankleidezimmer zurück.


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