Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

   weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel. Unter dem Stadtgraben.

Es mag wohl manchem unserer Leser ergehen wie uns, daß er sich nämlich beim Anblick alter, zumal verfallener Gebäude und bei Spaziergängen auf wüsten Plätzen, die früher von einiger Bedeutung waren, unwillkürlich aber gern der Vorzeit erinnert, welche jene alten halbverfallenen Gelände bevölkerte und in glänzenden Gewändern voll Lust und Freude über die jetzt so öden Plätze dahinschritt. In unserer Umgebung, und wohnten wir auch in der kleinsten Stadt, ist so Manches, das durch sein Aussehen fremdartig in unser Leben hereinblickt. Sind es nicht alte Schlösser, welche Kunst und Fleiß der Vorfahren mit riesenhaften, reichverzierten Thorwegen, mit Statuen und Sculpturen aller Art geschmückt, so ist es ein einsamer Marktbrunnen mit Röhren in Gestalt fabelhafter Unthiere, aus denen das Wasser sprudelt, oder eine alte Rittergestalt, die sonderbar lächelnd auf die neue Generation herabblickt, welche sie umgibt und nicht selten ebenso verwundert hinaufschaut. Die alten Häuser rings um den Brunnen sind dieselben geblieben, und an hohen Giebeln hängen in den willkührlichsten Gestalten allerlei Dachrinnen-Thiere, die so häßlich, wie sie der Künstler geschaffen, nie existiren konnten; die Kirchthurm-Uhr hat denselben bekannten Klang, wie vor vielen hundert Jahren, nur ist sie vor Alter etwas heiser geworden; die Thüren da unten öffnen sich auf dieselbe Art wie früher, und die Bewohner der Häuser kommen nach wie vor aus denselben heraus, aber der alte Ritter da oben auf dem Brunnen sieht mit jedem Jahrzehnd das Aeußere dieser Menschen wechseln. Und wie hat sich dasselbe gar geändert seit der Zeit, wo er von seinem Piedestal herabsteigend, ohne viel Aufsehen zu erregen, unter ihnen hatte herwandeln können!

Es ist aber nichts so geeignet, dergleichen Phantasien Raum zu geben, wie die Zeit der stillen Mitternacht, wo die Straßen leer, die Häuser geschlossen sind; nichts ist dann hörbar, als das Rauschen der Brunnen, und diese rieselten damals gerade so wie heute, in derselben Gestalt, mit demselben Ton.

An das Portal eines alten Hauses gelehnt und an dem großen, mit Eisen beschlagenen Thor desselben lauschend, ist man leicht versucht, zu glauben, drinnen erhebe sich das alte, lustige Leben und versage die neue nüchterne Zeit mit ihren frostigen, poesielosen Gestalten. Dumpf wirbeln die Pauken, der Baß reißt gellend den Takt in das wirre Tongemälde einer lustigen Tanzmusik, Gläser klirren, und der Thorweg ist mit Dienern aller Art angefüllt, welche Fackeln tragen, um ihre Herrschaft nach Hause zu begleiten. Jetzt öffnen sich geräuschlos die Flügel des großen Thors, und die Treppe herab wimmelt der glänzende Zug der Gäste, die das gastliche Haus verlassen; Fackelglanz und Kerzenschimmer erhellen die gewölbten Vorhallen und schimmern auf Gold- und Silberstickerei, auf buntem Sammet und wallenden Federn. Der Hausherr steht oben an der Treppe, die Hand der Gemahlin ruht in der seinigen, und Beide winken den Gästen recht wehmüthig zum Abschied bis zur nächsten Mitternacht. Der Page, der vor ihnen steht, hält den kleinen Bologneser empor, der mit hinabschlüpfen wollte. Endlich hat sich das Haus entleert, Herr und Herrin auf der Treppe werden immer bleicher, immer unbestimmter und verschwinden endlich in dem Dampf der Fackeln und Kerzen; die gespenstigen Gäste ziehen in die Nacht hinaus mit unhörbarem Tritt, und obgleich die Damen von den Cavalieren aufs Beste unterhalten werden, hört man weder sprechen noch lachen: dunstig und nebelig schweben sie dahin und zerfließen vor dem nachschauenden Blick, ehe sie ihm verschwinden.

So hat jeder Platz auf der Erde, jedes Haus, das wir bewohnen, seine mannigfachen Geschichten, die sich dem Auge des tiefer Schauenden bald anmuthig bald grauenhaft enthüllen.

Vor Allem aber wollen wir in diesem Sinne einen Platz ins Auge fassen, auf welchem unsere einfache Geschichte beginnt. Nicht als ob derselbe große welthistorische Momente gesehen hätte, oder als ob auf demselben viel Ungeheures geschehen sei – nein, im Gegentheil, was hier geschah und wie sich dieser Platz im Laufe der Jahre änderte, mag auch an vielen andern Orten ebenso geschehen sein; nur erinnern wir uns nicht, daß schon Jemand desselben anderswo mit einigen beschreibenden Worten erwähnt hätte.

Wie alle deutschen Städte in vergangenen Tagen, so hatte auch die Residenzstadt, von der wir eben sprechen, in alten, mittelalterlichen Zeiten Wall und Mauer, breite Gräben und Zugbrücken. Viele Schutzmittel gegen äußere Feinde zwängten die Stadt wie in einen eisernen Gürtel zusammen und gestatteten lange nicht, daß sich Leben und Treiben, Handel und Verkehr über diese Schranken hinaus ergoß. Als aber die Zeiten etwas milder wurden, oder die Stadt als fester Punkt ihre Bedeutung verlor, oder als das immer mehr sich regende Leben gewaltsam übersprudelte und vor den Mauern Häuser erstehen ließ, die hohnlachend über die abendliche Straßensperre zu den alten Thoren hereinsahen, da begannen diese allmählig zu verfallen, zuerst die Mauern, dann die Thorbogen, dann die festen Thürme, und was sich nicht von selbst demüthigte und aus Altersschwäche und Lebensüberdruß verfiel, dem half die Menschenhand nach und riß die alten Werke ebenso emsig nieder, wie sie dieselben früher aufgebaut; die Gräben füllten sich mit Schutt und Steinen, darüber wuchs Unkraut und Strauchwerk, Gras und Blumen, und diese verwesten wieder und wurden zu Staub und guter Erde, woraus wieder Neues erwuchs; und das ging so fort, bis sich die tiefen Gräben langsam auffüllten; und da auf dem guten, feuchten Grunde hier Bäume trefflich heranwuchsen, so gab es unter ihren überhangenden Zweigen bald schattige, angenehme Spaziergänge.

Nur einer dieser Gräben widerstand hartnäckig jedem Versuche ihn zu entfernen. Nachdem auf fast allen Seiten der Stadt die Gräben verschwunden und einige der alten Thürme und Thorbogen, mit dichtem Epheu bewachsen, nur noch als eine Merkwürdigkeit fast mitten in der Stadt stehen geblieben waren, hatte sich einzig und allein auf der Stelle, von der wir sprechen, der Graben in seiner ganzen Tiefe und Breite erhalten. Nicht als ob die Stadt hier in ihrem Wachsthum zurückgeblieben sei, – im Gegentheil, sie war hier ausgedehnter als irgendwo, und den alten Stadtgraben faßten auf beiden Seiten lange Reihen neuer Häuser ein.

Der erste Grund zu diesem hartnäckigen Festhalten an seinem längst nicht mehr zeitgemäßen Dasein war wohl, daß der alte Stadtgraben hier nicht so breit und tief war, wie anderswo, und man wohl glauben mochte, wenn erst die tieferen Stellen zugeschüttet seien, werde das Bischen hier von selbst nachfolgen. Zweitens hielt ihn als eine Art Kirchhof das Volk heilig; denn an dieser Stelle war bei den vielen Belagerungen, welche die Stadt ausgehalten, Sturm und Vertheidigung beständig am heftigsten gewesen, manch ein Bürger und Bürgerskind schlief da, niedergestreckt auf dem Felde der Ehre, den ewigen Schlaf. Mochte es nun die Rücksicht sein, um die Gefallenen hier zu ehren und ihrer Ruhestatt eine gewisse Weihe zu geben – genug, man erbaute an dem Stadtgraben mit den Steinen der Mauer ein Kloster, und fromme Kapuziner machten ihn zu ihrem Garten und pflanzten da in stiller Bescheidenheit ihren Kohl. Auch versäumten sie nicht, wo bei dem Aufgraben des Grundes Lanzenspitzen, Schwerterklingen, Pickelhauben und Menschenknochen in größerer Anzahl zum Vorschein kamen, ein Kreuz zu errichten, um, indem sie auf diese Art die Gefallenen ehrten, ihren Garten selbst gegen die Angriffe der Stadtbehörde sicher zu stellen.

So lag der Klostergarten lange Zeit in einem stillen Grunde mitten in der Stadt, rings herum hatten die Mönche tüchtige Mauern aufgeführt, um die Blicke der Neugierigen abzuhalten, sie hatten Bäume gepflanzt, Wasser hergeleitet und lebten da unten fromm und gottgefällig.

Da aber in dieser Welt nichts von Dauer ist, so hörte auch das Kloster an einem schönen Tage auf, ein Kloster zu sein, die Mönche verschwanden, die kleine Thür, die aus dem Gebäude in den Stadtgraben führte, wurde zugemauert, der Garten verwilderte, die Wasser hörten auf zu laufen, und die Bubenschaar belustigte sich lange Zeit damit, die Mauern abzubrechen und langsam in den Graben hinabrollen zu lassen; denn der Magistrat war noch nicht mit sich darüber einig, was mit dem alten Stadtgraben zu beginnen sei. Endlich beschloß man, denselben aufzufüllen, und that von Rechts wegen, was die Knaben der Stadt unbefugter Weise angefangen: die Mauern wurden hinabgeworfen, der Stadtgraben an beiden Seiten geöffnet und zum Durchgang in zwei Straßen gebraucht, die bis jetzt keine Verbindung hatten. Das Kapuziner-Kloster vermiethete man an eine Menge ärmerer Familien, von denen eine gute Anzahl in dem großen weitläufigen Gebäude Platz fand; des Gartens bemächtigten sich die Kinder der Stadt zu einem außerordentlich gut gelegenen Spielplatze, und hier geschah alles das, was die Jugend in ihrem lebensfrohen Uebermuth nur auszuführen pflegt. Bald wurde der Angriff und die Vertheidigung der Stadt dargestellt, und die junge Generation kämpfte mit hölzernen Schwertern und eben solchen Spießen tapfer und heldenmäßig auf derselben Stelle, wo ihre Vorfahren vor Alter das Gleiche gethan. Die Kinder äfften den Lauf der Zeit vollkommen nach, und als wegen allzuviel zerschlagener Nasen und blauer Augen, nicht zu gedenken der zerrissenen Hosen und Jacken, das Kampfspiel verboten wurde, so beschloß die ganze Versammlung, das Klosterleben wieder erstehen zu lassen, und alsbald tönten in dem Stadtgraben geistliche Gesänge, der weibliche Theil der Schule wurde streng abgesondert, und feierlichen Schrittes zogen die Buben in Procession unter dem Steingerölle dahin. Diese harmlosen Spiele aber sollten ein blutiges Ende nehmen; nicht als ob eines der Kinder einmal bedeutenden Schaden genommen hätte, sondern der Magistrat beschloß in seiner Weisheit, den alten Stadtgraben zur Richtstätte umzuwandeln, und hier wurde nun eine Reihe von Jahren geköpft und gestäubt und alle möglichen Strafen ausgeführt, die das Gericht für gut fand, den Verbrechern aufzulegen, ohne daß die Menschheit durch die vielen Beispiele im Geringsten gebessert worden wäre. Doch war der Platz von da an geflohen und gemieden, und man erzählte sich unter der Hand an langen Winterabenden von schrecklichen und unerhörten Spukgestalten, welche in dem alten Stadtgraben sichtbar wurden und die umher Wohnenden ängstigten. Bald wollte man die alten, längst vermoderten Kämpfer der Stadt gesehen haben, wie sie den letzten Geköpften voll Abscheu, daß das unreine Blut sich mit dem ihrigen vermische, über die Mauer entfernt hätten; bald habe sich, so sagte man, zur Nachtzeit die kleine vermauerte Thür des Klosters geöffnet, und die Mönche seien paarweise erschienen mit feierlichem Schritt und haben mit traurigem Gesang den Graben durchschritten, wehklagend, daß die heilige Stelle entweiht sei. Obgleich nun, wie es bei allen Gespenstergeschichten geht, nie Einer behauptete, er habe dies und das mit seinen eigenen Augen gesehen, so wurde doch, namentlich in der Dunkelheit, der alte Stadtgraben von Niemand gerne besucht, und man machte lieber einen großen Umweg, wenn man von einer Straße, welche in gerader Linie durch den Stadtgraben verbunden wurde, in die andere wollte. Die Bubenschaar hatte sich längst einen anderen Spielplatz ausgesucht und ließ dem Unkraut und Strauchwerk freien Spielraum, welches sich behaglich ausdehnte und diesen Platz mitten in der Stadt höchst unangenehm für das Auge machte.

Endlich wurde dieser Anblick den Vätern der Stadt unerträglich, auch war man des Platzes hier sehr benöthigt, und so faßte man die großartige Idee, den alten Graben theilweise zu überwölben, anderntheils zu pflastern und den benachbarten Hauseigenthümern unentgeldlich kleine Stücke zu Hofraum und Garten abzutreten.

Dieser Durchgang, finster und unheimlich, wie er war, gehörte nicht zu den angenehmen Theilen der Stadt und war doch den mittleren und ärmeren Volksklassen, die hier herum und namentlich in dem alten Kloster wohnten, von großem Nutzen. Da hatten Obstverkäuferinnen, vor dem Regen geschützt, ihre Waaren aufgestellt, da befanden sich kleine ambulante Bücher- und Bilderläden, und, wenn es draußen gar zu sehr stürmte und schneite, trieb auch wohl eine Knabenschaar ihre lärmenden Spiele hier und freute sich an dem dumpfen Klang, mit dem ihre dünnen Kinderstimmen von dem Gewölbe wiederhallten.

Der Eingang ins Kloster war in demselben frei gelassen worden und befand sich an der Seite in einem kleinen melancholischen Hofe, hier ragten die von Alter geschwärzten Mauern unendlich in die Höhe, und neue viereckige Fenster wechselten ab mit den alten gothischen des ehemaligen Klosters; ein einsamer Streifen Epheu schlang sich dort hinauf, und wenn er auch wenig Sonnenlicht genoß, so hatte er desto mehr Feuchtigkeit, denn die alten, seltsam geformten Dachrinnen mündeten alle in den kleinen Hof, und wenn es regnete, spie es eine wahre Sündfluth von Wasser herab. Jedes der verschiedenen Fenster hier war anders verziert: an diesem flatterte Wäsche an dünnen Seilen, an jenem waren Blumenbretter angebracht, und Geranien und Kapuziner fristeten hier in dem dunklen Winkel ein kümmerliches Dasein; auf dem Boden dieses Hofes standen Fässer von allen erdenklichen Formen, um das kostbare Regenwasser aufzufangen, und wenn man dazwischen die großen Kehrichthaufen sah, so konnte man sich kopfschüttelnd fragen, warum die gestrenge Polizei nicht kräftigst einschritt. Doch wußte jeder, der genauer bekannt war, daß es unter den ordentlichen Familien, die hier wohnten, auch viel excentrische Gemüther gab, die es der Polizei schwer machten, sich allzu vorsorglich in ihre innern Angelegenheiten zu mischen.

Dieser Durchgang nun, sowie die umliegenden Gebäude hießen:

»Unter dem Stadtgraben.«


   weiter >>