Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Dreizehntes Kapitel. Ein Hofball und seine Folgen.

Joseph hatte jetzt für heute zum dritten Mal seine Schimmel eingespannt und wartete, bis sämmtliche Hofwagen die Remise verlassen hatten, dann öffnete er die Laternen, blies die Lichter aus, indem er bei sich dachte: »Das Anhalten an dem alten Triumphbogen wird sich viel schöner ausnehmen, wenn der alte Wagen ohne Licht dasteht, als wenn die beiden naseweisen Laternen weit in die Nacht hinaus rufen: hier steht eine herrschaftliche Equipage.«

Nachdem er dieses Geschäft besorgt, stieg er auf den Bock und fuhr langsam dem Palais zu.

Dort an den hellen Fenstern, die eigenthümlich gefärbt waren, je nach den Farben der seidenen Vorhänge, und auf diese Art mit blauem, rothem und grünem dämmerigem Scheine in die Nacht hinaus schienen, sah man Gruppen von Ballgästen stehen, aus dem Tanzsaale drangen die Töne eines zweiten und dritten Cotillons, und dort sah man die Paare bei den Fenstern vorbeischweben.

Auf dem weiten Platze vor dem Schlosse wimmelte es von Equipagen aller Art, und die Pechkränze, die dort in dem großen, eisernen Becken flammten, beleuchteten die herrschaftlichen Kutscher auf dem hohen Bocke und die Droschkenführer auf ihren niedrigen Wagen. Dort stand eine ganze Menge Equipagen zusammengeschichtet und die Kutscher unterhielten sich lärmend. Hier fuhr einer im kurzen Trab umher, um die Pferde warm zu erhalten, und die glänzenden Laternen spiegelten sich auf dem nassen Boden und bildeten, wo der Wagen auch hinfuhr, neben den Rädern einen leuchtenden Streifen.

Jetzt war drüben der Cotillon zu Ende, der Prinz Eugen führte seine Gemahlin durch die Zimmer zurück in das Innere des Palais und nahm die tiefen Verbeugungen, die dem Fürsten und dem liebenswürdigen Wirthe zugleich galten, mit freundlicher Handbewegung entgegen.

In dem letzten Gemache des Ballappartements, wo sich noch höhere Personen und vertraute Bekannte des Hauses befanden, krönte ein letzter kurzer und freundlicher Cercle das anmuthige Fest. Dann machte die Prinzessin gegen die Anwesenden eine leichte Verbeugung, der Prinz grüßte zur guten Nacht freundlich mit der Hand, die Hof- und anderen Damen in dem Cercle machten zu guter Letzt einen tiefen Knix, die Herren betrachteten entzückt lächelnd ihre Schienbeine, und Alles rauschte durch die Zimmer die Treppen hinab in das Vestibül, nach Bedienten oder Wagen rufend.

Die erste Hofdame, Frau von C., welche während der einen Hälfte des Balles beständig in stummem Schmerz dagesessen und welche, die höchsten Personen abgerechnet, nur mit einigen genauen Bekannten freundliche Worte gewechselt, war nach dem Empfang des Billets wie umgewandelt; ihr Auge blitzte auf, sie athmete tief und heftig, und in ihrem ganzen Wesen ging seit jenem Moment eine große Veränderung vor. Sie hatte danach eine lange Unterredung mit der alten Herzogin, und als sich später dieselbe entfernte, küßte Hochdieselbe im Vorbeigehen zum Erstaunen aller Umstehenden das Hoffräulein auf die Stirn und sagte ihr: »Gute Nacht, meine Liebe, auf baldiges Wiedersehen; folge der Frau von C., sie weiß meinen Willen.«

Dem jungen Mädchen waren diese Worte nicht aus dem Gedächtniß entschwunden, sie wiederholte sich dieselben tausend Mal, konnte aber keinen rechten Zusammenhang darin finden. Während des Abends blickte sie zuweilen schüchtern nach dem Baron, und wenn sie es auch schmerzte, ihn nicht zu sehen, so war sie anderntheils froh darüber; denn schon allein die Erinnerung an den gestrigen Abend, so oft sie dieselbe aus dem Innersten des Herzens hervorrief, ließ ein tiefes glühendes Roth in ihrem Gesichte aufsteigen. Aber er konnte wenigstens im Schlosse bleiben! dachte Pauline, denn sie fühlte in der Française, als sie mit dem Prinzen tanzte, daß er jetzt wegging; sie sah seinen Freund, den Grafen, aus dem Nebenzimmer kommen; sah später die Gräfin Clara mit Frau von C. verkehren, sah, wie die Hofdame den Brief las, und all' dieses Räthselhafte erschütterte sie tief.

Frau von C. blieb in einem der äußern Zimmer stehen, und als das Hoffräulein herankam und schüchtern hinter ihr stehen blieb, wandte sie sich um und sprach seit gestern Morgen wieder zum ersten Male mit dem jungen Mädchen. Auf ihren Zügen lag ein gewinnendes Lächeln, und als sie sagte: »Wir fahren zusammen, meine liebe Pauline!« hätte man glauben könne», sie sei die zärtlichste Mutter und habe den ganzen Abend für nichts Sinn gehabt, als für das Glück ihrer schönen Tochter und für die Triumphe derselben während des heutigen Balles. Pauline fühlte sich unangenehm berührt, ohne zu wissen, weßhalb; sie ließ sich klopfenden Herzens von Jean ihren Mantel umgeben und trat mit der Hofdame in das Vestibul.

Es waren draußen schon viele Wagen weggefahren, namentlich hatte sich die Zahl der hell glänzenden Laternen sehr vermindert, da fast der ganze Hof schon nach Hause war; man konnte es deßhalb einem Droschkenführer nicht verargen, daß er, als Jean hinausrief: »Hofwagen! – Joseph!« – laut antwortete: »Es ist kein Hofwagen mehr da!« denn er hatte den Wagen hinter sich mit den erloschenen Laternen nicht für einen solchen angesehen. Doch Joseph nahm diese Bemerkung gewaltig übel, und als er im kurzen Galopp die Rampe zu dem Palais hinauffuhr und so dicht bei dem Droschkenführer vorbei, daß sich derselbe auf den Tritt seines Wagens retiriren mußte, konnte er sich nicht enthalten, ihm zornig zuzurufen: »Meint Er Vielleicht, alte Droschke, wenn so ein Hofwagen zufällig keine Laternen hat, es sei ein alter Mistkarren? Platz da!« Und damit hielt er vor der Glasthür, sich sorgsam umsehend, wer hineinsteige, damit es ihm nicht passire, daß er mit der unrechten Dame an dem alten Triumphbogen halte. Doch wie ward ihm zu Muth, als nun beide Damen vortraten, zuerst die Frau von C., dann das Hoffräulein, als Jean den Schlag zuschloß und hinaufrief: »Nach Hause!«

»Alle Hagel!« fluchte der Kutscher unmuthig; »da soll ein altes Donnerwetter drein schlagen! Was 'mach' ich nun? halte ich an dem alten Triumphbogen oder halte ich nicht an dem alten Triumphbogen?« –

Joseph wußte sich durchaus nicht zu helfen, denn ihm waren für den Fall keine Instruktionen zugegangen, und er beschloß, zu einem Mittel seine Zuflucht zu nehmen, das ihm schon öfters in zweifelhaften Fällen gut gedient: er zählte nämlich die Gaslaternen ab und sagte an der ersten Ja! an der zweiten Nein! und so fort, bis er an den Triumphbogen hinkam, wo ihm die letzte Laterne mit freundlichem Flackern ein lustiges Ja! zurief.

Augenblicklich hielt der Wagen und augenblicklich voltigirte Joseph von seinem Bocke und Jean von seinem Tritt herunter.

»Einen Stein in den Huf getreten!« brummte der Kutscher und dabei faßte er den Lakaien kräftig am Kragen und zog ihn vor bis zu den Pferden hin und hob alsdann den linken Vorderfuß des ehrlichen Tibull auf, der mit dem Kopf schüttelte, als wolle er versichern, daß er diesen Spaß ganz und gar nicht verstände. Joseph hämmerte aber unverdrossen an dem Huf herum und gab sich eine Mühe, als müsse er einen Meilenstein daraus entfernen; und Jean wollte an den Wagenschlag eilen und die Baronin über den Aufenthalt aufklären, als rasch ein Mann in einem Mantel an die Equipage trat, die Hand der Baronin ergriff, welche eben das Fenster heruntergelassen, sie heftig küßte und alsdann sagte: »Verzeihung für den Ueberfall, aber ich muß Sie einen Augenblick sehen!«

Der Kutscher hörte auf zu klopfen, denn er dachte: Jetzt geschieht da etwas Verkehrtes und absonderlich Falsches. Jean biß die Lippen auf einander und riß dann das Maul vor Erstaunen weit auf, als er die Stimme der Frau von C. hörte, welche antwortete: »Ei, ei, Baron, kommen Sie lieber morgen, als daß Sie sich hier einer Erkältung aussetzen; – gute Nacht!«

Das Licht der unglückseligen Laterne, welche Ja! gesagt, schien hell und glänzend in den Wagen hinein, der Baron bemerkte seinen entsetzlichen Irrthum und trat verwirrt und betreten zurück, als habe er eine ganze Legion Gespenster gesehen; Joseph, der dies für ein Zeichen zum Weiterfahren nahm, schwang sich behende auf den Bock, Jean hinten auf den Tritt, und fort ging es, was die Pferde laufen konnten.

Der Kutscher, obgleich unschuldig, war außerordentlich unzufrieden mit sich selbst, und wenn nicht leider schon ein Theil seiner vier Dukaten für den famosen Punsch aufgegangen gewesen wäre, so würde er, nachdem er die Damen am Schlosse abgesetzt, wieder mit dem Wagen umgekehrt sein nach dem alten Triumphbogen, um das Geld an den Mann zurück zu geben, an den Mann, der wahrscheinlich dort noch immer stände, steif vor Entsetzen. So aber fuhr Joseph aufgeregt und zornig nach dem Stalle, knallte mit seiner Peitsche für einen Hofkutscher sehr unanständig durch die stille Nacht und hätte an der Ecke des Schlosses beinahe noch ein Individuum überfahren, das ihm in den Weg trat.

Dieses Individuum, statt auf die Seite zu springen, blieb keck vor den Pferden stehen und ergoß sich in einen Strom von Zitaten aus dem Polizeireglement über schnelles Fahren um die Ecke und über Fahren ohne Laternen bei der Nacht.

»Platz da!« rief der Kutscher; »aus dem Wege, alte Ratte!« und dabei wirbelte er die Peitsche verdächtig in der Luft, Tibull und Pluto wurden unruhig, und das Individuum, welches sah, daß hier in der Einsamkeit nicht viel auszurichten sei, sprang auf die Seite, der Wagen schoß vorbei, und die Peitsche des Kutschers, einmal in Bewegung gesetzt, ruhte nicht eher, als bis sie behende rückwärts gefahren war und das Individuum fein, aber scharf getroffen hatte und zwar genau auf dieselbe Stelle, wie den Sänger des Schwalbenliedes und wie Jean den Lakaien.

Im Schloß aber schritten die beiden Damen durch die halbdunkeln hallenden Corridore die einsamen breiten Marmortreppen hinauf, und es war in dem großen, weiten Gebäude Niemand wach, als sie und das Echo, welches die Tritte wiederhallen ließ und vervielfältigte, als ginge über alle Corridors und Treppen eine ungeheure Menge von unsichtbaren Ballgästen nach Hause.

Auch die hohen Zimmer lagen düster da, und die Wachskerzen, die Jean voraustrug, zeigten nur in unbestimmten Umrissen die großen Familienbilder an den Wänden, die sich zu verneigen und zu bewegen schienen, und strahlten weder von irgend einem vergoldeten Möbel in der Ecke, das da wie ein unbekanntes Thier lag mit vielen funkelnden Augen.

Die Kronleuchter glänzten und rauschten, wie sie unter ihnen dahinschritten, der Tritt war unhörbar, und so glitten die beiden weißen Gestalten von einem Gemache in das andere und alle schienen bei Nacht gleich groß, gleich dunkel, gleich unheimlich. Nur das Boudoir der Frau von C. machte hievon eine Ausnahme: es war kleiner, hier brannten mehr Lichter, und hier fühlte man eine behagliche Wärme.

Die Hofdame setzte sich in einen Fauteuil und winkte ihrer Begleiterin, nachdem Jean abgetreten war, in dem andern Platz zu nehmen.

Es entstand für den Augenblick eine tiefe Stille, die nur unterbrochen wurde durch das Picken der Uhr auf dem Kamin und durch das Picken der Uhr im Vorzimmer, welche in eifrigem Gespräch begriffen zu sein schienen; bald schienen diese Uhren der gleichen Meinung, dann fingen sie an gelinde zu streiten, wurden immer heftiger, haspelten durch einander, wollten sich übertönen, und das ging so fort. Dazwischen hustete im Nebenzimmer zuweilen eine schlaftrunkene Kammerjungfer, und dann war es wieder ganz still.

»Ich war gestern etwas hart gegen dich,« sagte die Hofdame und breitete ihren Fächer aus; »ich gestehe mein Unrecht vollkommen ein; du warst überrascht und wußtest nicht, was du thun solltest; es ist das in der Welt schon öfters vorgekommen.«

Die Uhren schienen der gleichen Meinung zu sein.

»Es läge auch durchaus nichts Schlimmes, nichts Strafbares darin und liegt auch dergleichen nicht zum Grunde; denn ich bin überzeugt, daß du diese unangenehme Sache für das ansiehst, was sie leider ist, für einen unverantwortlichen Leichtsinn des Barons, für eine Ueberraschung, ja, für eine Ueberrumpelung, wie man sie sich gegen ein junges unerfahrenes Mädchen zuweilen erlaubt.«

Die Hofdame schlug ihren Fächer zu und sah Paulinen mit einem festen Blicke an.

Die Uhren begannen ihren kleinen Streit wieder und schienen nicht ganz derselben Ansicht zu sein.

»Antworte mir Pauline,« fuhr Frau von C. fort, »antworte mir, mein liebes Mädchen, denn ich bin überzeugt, daß du mir in deinem Herzen Recht gibst; darum gestehe es mir zu, daß du jene unangenehme Ueberraschung zu würdigen weißt und daß du es begreifst das Spiel, das man mit dir getrieben, oder nein! das man mit dir treiben wollte. Gestehe es deiner mütterlichen Freundin.«

Das junge Mädchen fuhr schmerzhaft berührt zusammen und blickte, ohne ein Wort zu sprechen, aber flehend auf ihre mütterliche Freundin.

Die Uhr neben ihr auf dem Kamin und die im Vorzimmer schienen sich immer mehr zu entzweien, sie begannen einen lebhaften, heftigen Streit mit einander, und es war ungewiß, welche den Sieg davon tragen würde.

»Antworte mir doch, liebe Pauline!« fuhr die Hofdame fort und schlug ihren Fächer ungeduldig und sehr rasch zusammen, »sprich dich aus über die ... Vermessenheit jenes Mannes, über jene Unschicklichkeit, die du wohl fühlen mußt, namentlich du, sonst in allen Dingen so zart und so außerordentlich empfindlich für jede noch so leichte Berührung; – oder siehst du vielleicht,« fuhr sie lauernd fort, »nicht die Unschicklichkeit ein, die gegen dich begangen wurde, eine ganze Kette von Unzartem, von Unartigem, von dem Moment an, wo er in dein Cabinet drang, bis zu dem Moment, wo er dich küßte? – Ja, dich küßte, mein Fräulein!« fuhr Frau von C. entschieden fort, als sie bemerkte, wie das junge Mädchen die Hand erhob und antworten zu wollen schien – »aber jetzt bitte ich dich um Antwort! Fandest du das Benehmen des Barons gegen dich nicht im höchsten Grade unschicklich und lächerlich?«

»Nein!« sagte das Mädchen mit kaum hörbarer Stimme, »ich kann das gerade nicht finden;« faßte dabei aber die Lehne ihres Sessels, als fürchte sie, nach dieser Antwort durch einen Blick ihrer mütterlichen Freundin in einen bodenlosen Abgrund geschleudert zu werden.

Frau von C. aber sank bei dieser Antwort in die innerste Tiefe ihres Fauteuils und wunderte sich alsdann ungemein, daß die Erde sie nicht wirklich und wahrhaftig verschlungen.

»In der That,« sagte sie nach einer langen, langen Pause, während welcher die Uhren, ein unangenehmes Geschlecht, nachdem sie kaum wieder einig geworden waren, schon wieder ihren Streit begonnen, – »in der That, mein Fräulein, Sie sehen das wirklich nicht, ein? In der That nicht? – Ganz gewiß nicht? – Und empfinden nicht die entsetzliche Unschicklichkeit, die man gegen Sie begangen?«

»Nein!« wiederholte das Mädchen abermals und dieses Mal mit etwas bestimmterem Tone, »ich kann das, was gestern Morgen zwischen dem Baron und mir vorgefallen, wohl eine Überraschung nennen, aber keine Unschicklichkeit; es ist durchaus nichts, was mich herabsetzen könnte – durchaus nichts – ich glaube wenigstens so, meine theure Frau von C., gewiß nichts, was mir Ihre Vorwürfe zuziehen könnte.«

»Keine Unschicklichkeit wäre begangen worden? nichts, was Ihnen Vorwürfe zuziehen könnte?!« rief die Hofdame so laut, daß sie die leisen Stimmen der Uhren übertönte; »o Gott, wie das naiv ist! Keine Unschicklichkeit, wenn ein junger Mann ein Hoffräulein in ihrem Zimmer küßt? – Die Frau Herzogin aber,« fuhr sie strenger fort und sprang bei der Nennung dieses Namens von ihrem Fauteuil auf, als sei die gewaltige Dame selbst in der Nähe, »die Frau Herzogin aber und ich, wir halten dafür, daß man Sie compromittirt hat, daß man sich sehr unschicklich gegen Sie betragen.«

Das junge Mädchen war ebenfalls aufgestanden und sagte mit leiser Stimme, aber bestimmt und fest: »Ich kann nur bedauern, gnädige Frau, daß ich zum ersten Mal im Leben in den für mich traurigen Fall gekommen bin, wo meine Ansichten mit den Ihrigen nicht übereinstimmen; der Baron hat mir keine Liebeserklärung gemacht – – aber er bot mir seine Hand an.«

»Er bot dir seine Hand an?« sagte die Hofdame und lachte dabei entsetzlich laut. »In der That, mein Fräulein, er bot dir seine Hand an; er ein reicher, unabhängiger, junger Mann, du ein armes mittelloses Fräulein, darin liegt ja eben das, das – Komische, wenn es nicht so furchtbar ernst wäre.«

Sie drückte ihren Arm fest auf die Kaminplatte, zerknitterte dabei die herrlichen Spitzen ihres Ballkleides und bemerkte nicht einmal, daß sie das Schloß eines ihrer Armbänder aufgedrückt und daß dies in die glimmende Asche gefallen. Doch mochte sie dem jungen Mädchen gegenüber, deren Gestalt um ein Bedeutendes höher, ihr imponirend vor ihr stand, für besser halten, wenn sie ihre frühere sitzende Stellung wieder einnahm, überhaupt ihren Angriffsplan änderte; genug, sie glitt in ihren Fauteuil zurück, brachte ihre Hand mit dem Schnupftuche vor das Gesicht und weinte heftig; wenigstens glänzte in ihren großen, immerhin schönen Augen eine Thräne, als sie nach ein paar Minuten die Hand mit dem Schnupftuche sinken ließ und mit der anderen die Rechte des Mädchens ergriff und sie sanft in ihren Sessel zurückzog.

»Mein liebes, gutes Kind,« sagte sie mit bewegter Stimme, »ich bin ja nur um dein Wohl besorgt, wir wollen ja nur dein Bestes; traue mir, Pauline, traue der Freundin, die es gut mit dir meint! Es ist vielleicht grausam, dir deinen Glauben zu zerstören, aber zu deinem Besten muß es sein; glaube, der Baron meint es nicht gut mit dir – ich weiß es, arme Verblendete! Was er dir gestern Morgen gesagt, hat er vielleicht heute Abend mehreren Andern wiederholt.«

»Hättest du nicht,« fuhr sie nach einer Pause fort, »bis jetzt in glücklicher, beneidenswerther Unwissenheit gelebt, so würdest du Manches gehört haben von dem leichtsinnigen, wilden Leben, das der Baron schon seit längerer Zeit mit mehreren seiner Bekannten führt; sehen hättest du es wenigstens schon lange müssen, wie er in der Gesellschaft umherflattert, von einer Dame zur anderen, und wie er, man muß das gestehen, bei allen Theilen gern gesehen wurde. Man sagt, der Blick der Liebe sei scharf, – o liebes Kind, der Blick einer mütterlichen Freundin ist schärfer; ich könnte dir Details erzählen,« sagte sie seufzend, »deren Hundertstel Theil zu viel wäre, um sie in dem Reste dieser bald abgelaufenen Nacht sagen zu können. – Mich selbst,« fuhr die Dame fort und senkte ihre Augen, »mich selbst verfolgt er mit seinen Galanterieen, allerdings sehr unverfänglicher Natur, die ich ihm jedoch hundertmal untersagt, obgleich umsonst; du warst heute Abend beim Nachhausefahren Zeuge davon. Eine andere Dame, die wir Beide genau kennen, bat er heute Abend mit diesen Zeilen – um eine Zusammenkunft auf morgen.« – Sie suchte bei diesen Worten ein Billet hervor, faltete es auf, und während Pauline mit zitternder Hand dasselbe in Empfang nahm und durchlas, ließ sie das Couvert mit der Adresse in die glühenden Kohlen fallen.

Das junge Mädchen saß da, ein Bild des Jammers; eine erschreckende Blässe bedeckte ihr Gesicht, ihre Brust wogte heftig und einzelne schwere Thränen stahlen sich unter den langen Wimpern hervor und rollten über ihr Gesicht; sie hob das Auge mit einem unnennbar flehenden Ausdruck zu ihrer mütterlichen Freundin empor, und ihr Blick sagte: »Ist es wahr, was du so eben gesprochen? Bin ich wirklich eine Unglückliche? um so unglücklicher, da mein Herz sich rasch und warm erschloß? dreifach unglücklich, da ich, dem Blick seines Auges, seinem Worte trauend, ihm ohne Scheu gestand, was in meinem Herzen für ihn sprach, daß ich ihn liebe und daß ich sein Weib werden wolle.«

Frau von C. folgte diesen stummen Fragen mit ihrem Blicke, und als verstände sie vollkommen, was die bebenden Lippen nicht sprachen, nickte sie mit dem Kopfe und zerriß mit dieser stummen Bejahung das Herz des armen Mädchen vollends.

Es entstand eine längere Pause, an den hohen Fenstern rauschte der Wind und die Nacht sah gespenstig herein zwischen den schweren Seidevorhängen und ärgerte sich über die brennenden Wachskerzen, welche ihr so hartnäckig die Herrschaft in dem Zimmer streitig machten.

»Du weißt, Pauline,« fuhr Frau von. C. fort, »wie sehr mir dein Wohl, dein Bestes am Herzen liegt; würde ich so mit dir sprechen, wenn es nur eine Möglichkeit gäbe, dir eine so ehrenvolle und glänzende Existenz zu verschaffen, wie eine Heirath mit jenem Manne? Nein, gewiß nicht! Glaube mir, wir alle, die für dich besorgt sind, haben die Sache reiflich hin und her überlegt, es ist nur ein Mittel da, um dich aus einem unangenehmen Gerede zu bringen, das auf jeden Fall entstehen wird, sowie man dem Baron Zeit läßt, die Vortheile zu verfolgen, welche du ihm so unbedachtsamer Weise eingeräumt. – – Die Frau Herzogin hat deßhalb befohlen, daß du noch heute den Hof auf einige Zeit verlassen und dich zu meiner Verwandtin nach B. begeben sollst. Ihre Hoheit hat es mir zur traurigen Pflicht gemacht, dir dieses anzukündigen, sowie sie mir auch befahl, dir in ihrem Namen ein herzliches und freundliches Wort zum Abschiede zu sagen; es ist keine Ungnade, mein Kind, die dich betrifft; du machst eine kleine Reise und kehrst nach einiger Zeit hierher zurück.«

Dies war ein schrecklicher Moment für das arme Hoffräulein; sie fühlte halb die Wahrheit des Gesagten, oder es wurde ihr vielmehr diese Wahrheit eingeredet; dabei hatte die Frau von C. ihr strenges Auge fest auf sie geheftet, ein Auge, ihr so wohlbekannt, ein Blick, der sich nicht abweisen ließ und der, wenn er fragte, nur eine Bejahung wollte.

Die beiden Damen erhoben sich darauf, wie nach einem vollkommen abgemachten Geschäfte; Pauline machte eine Verbeugung und fragte, wann sie reisen solle.

»Die Nacht ist bald vorbei,« entgegnete Frau von C. mit einem leisen Seufzer und warf einen Blick in den Schloßhof; »der Wagen ist für dich mit Tagesanbruch bestellt, und während du einpacken läßt, will ich mich hinsetzen und einige Briefe für dich schreiben. Adieu, meine Liebe!«

Mit diesen Worten faßte sie die beiden Hände des Mädchens und küßte sie auf die Stirn, auf dieselbe Stelle, wo gestern andere Lippen eine Secunde geruht, – ein Kuß, wonach gestern das Herz des Mädchens freudig und glückselig geschlagen, – aber jetzt!– Sie ging in ihr Zimmer, in dasselbe Zimmer, und setzte sich an den Tisch, an denselben Tisch, sie stützte die Stirn auf ihre Hand, fuhr aber gleich darauf wieder erschreckt in die Höhe und beschaute ängstlich die Handfläche, als wäre darin ein rothes, brennendes Mal zurückgeblieben.

Frau von C. ließ sich einen Tisch an den Kamin setzen und schrieb, während der Tag langsam zu grauen anfing, mehrere Briefe. Als sie fertig war und aufstand, glänzte ihr aus den Kohlen das herabgefallene Armband entgegen, sie hob es auf und betrachtete es nachdenkend; es war ein einfacher goldener Reif mit einer Muschel-Camee, das Portrait Paulinens. Diese hatte es ihr einst zu ihrem Geburtstage geschenkt. Das Gold war von der Gluth der Kohlen matt angelaufen und die Camee war zersprungen. – – – –

Der junge Tag kam endlich herauf, faul und langweilig, nicht wie der Sohn des Hauses, sondern wie ein gemietheter Knecht; zuerst zog er im Osten die grauen Regenvorhänge aus einander und ließ sich in einem mattgelben Streifen sehen, der dann aber verdrießlich wieder verschwand; bald darauf kam er auf die Erde, ohne viele Umstände, ohne Glanz und Pracht, in grauem nassem Wettermantel, dessen Enden der scharfe Morgenwind hoch emporjagte; triefend von Regen und mißmuthig setzte er seine Füße in die großen Wasserlachen, welche Straßen und Plätze bedeckten.

Draußen aber im Freien war es noch unheimlicher, als in den Straßen der Residenz, der Wind bog die Pappeln an der Landstraße, er trieb unterschiedliche Wettrennen mit den Regenschauern, welche niederschlugen, und beide, Wind und Regen, jagten einem einsamen Reisewagen nach, der ihnen vorausfuhr und weit und breit allein unterwegs war.

Der Postillon trof vor Nässe, die Pferde gingen in schläfrigem Trabe weiter und der Wagen selbst war fest verschlossen; Wind und Regen aber hatten ihn bald erreicht; der Regen klatschte an die Fenster und der Wind machte Bekanntschaft mit den Rädern, heulte durch sie hin und fragte: »Wohin des Weges?« Aber der Wagen schüttelte den Kopf, als wolle er sagen, er wisse das selbst nicht, und rollte weiter, immer fort auf der endlos langen Chaussee. – –


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