Friedrich Wilhelm Hackländer
Namenlose Geschichten - Erster Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Eilftes Kapitel. Ein Hofball und seine Folgen.

Unterdessen rollte der Baron Karl, in die Ecke seines Wagens geschmiegt, dem Palais des Prinzen zu. Ein Anderer an seiner Stelle würde Angesichts der drohenden Wetterwolken, welche an seinem gesellschaftlichen Horizont finster und hastig emporstiegen, einigermaßen bekümmert, wenigstens sehr nachdenkend gewesen sein; Letzteres war der Baron auch, aber ohne daß irgend eine Bekümmerniß an diesem Nachdenken Schuld gewesen wäre; vielmehr nickte er zuweilen befriedigt mit dem Kopfe oder lachte vergnügt in sich hinein, und als er jetzt an dem dumpfen Rollen der Räder hörte, daß er unter dem gewölbten Steinportal des Palais angekommen sei, öffnete er behende wie sonst den Schlag seines Wagens, sprang hinaus und sagte freundlich zu dem Jäger, indem er seinen Mantel abwarf, er bäte ihn, seinen Wagen nicht zu vergessen.

Lukas nickte und fuhr davon.

Der Baron schritt durch die geöffneten Glasthüren festen Schrittes und aufrechten Hauptes an den sich tief verneigenden Portiers und Lakaien vorbei und ging auf dem dicken Teppichstreifen die breite Steintreppe hinauf, welche durch Gewächse aller Zonen und durch Reihen blühender Blumen zu einer Gartenterrasse umgewandelt war.

Der Baron erschien in der That etwas spät an den Thüren des Vorzimmers, und da es keine Kleinigkeit ist, auf einem Hofballe zu spät zu kommen, so würden Viele an seiner Stelle diese geheiligten Räume mit bangem Herzen betreten haben, wenn sie auch nicht, wie er, mit doppelter und dreifacher Schuld beladen gewesen wären. Geräuschlos öffneten ihm die Kammerdiener die Thür eines ersten Zimmers, und er trat stolz und vornehm hinein.

Hier waren solche Gäste versammelt, welche als Beamte von der und der Rangklasse zu den größeren Bällen bei den höchsten Herrschaften geladen wurden, meistens ältliche und gebrechliche Gestalten mit eckigen Haartouren, steifen, ernsthaften Gesichtern, weißen, mehrere Stockwerke hohen Halsbinden und eben solchen Westen, deren Schnitt etwas Patriarchalisches hatte. Die Fräcke dieser Herren stammten gleichfalls nicht aus dem letzten Jahrzehend und waren meistens aus der Frühlingszeit ihres Lebens, weßhalb sie auch größtentheils etwas Leichtes, Idyllisches hatten; vorn war es unmöglich, sie zusammen zu knöpfen, und hinten endigten sie mit langen Schößen im Schwalbenschwanzgeschmack. So standen sie eng geschaart, die kleinen Würdeträger des Beamtenthums, in zwei Reihen, einen Durchgang frei lassend, und sowohl die Eingangs- wie die Ausgangsthür fest im Auge behaltend, allzeit fertig, durch einen tiefen Bückling die Aufmerksamkeit einer hohen Person auf sich zu ziehen.

Unter ihnen befanden sich etliche jüngere Gestalten, einige mit aufgeweckten Gesichtszügen und gewissermaßen eleganter Toilette, junge Künstler, welche die kunstliebende Fürstin nicht zu vergessen pflegte und die sich hier zeigen durften. Ihre Hofballexistenz war eigentlich nicht lustiger und vergnügter, als die der andern Herrn, bei welchen sie standen; einige der Kecksten unternahmen wohl schüchtern eine Entdeckungsreise in die angränzenden höhern Regionen, kehrten aber baldigst zurück, geblendet von dem Sternenschimmer und dem Kerzenglanz; nur zuweilen wagte es ein außerordentlich unternehmender Segler und wand sich durch die starren Eismassen der Hofherren hindurch in die Nähe des Tanzsaales, bis es für ein so kleines, unbedeutendes Schifflein kein Fahrwasser mehr gab, oder bis dem Wagehals an einem gewaltigen Eisblock in Gestalt einer dicken, alten Hofdame, die nicht zu umsegeln war, der Schiffbruch drohte.

Der Baron grüßte die sich verneigenden Beamten freundlich, winkte hie und da einem Künstler mit der Hand und bemerkte mit ordentlichem Wohlgefallen, wie kühl und förmlich ihn der Cavalier des Hauses, ein alter, eingetrockneter Kammerherr, grüßte. Der Baron konnte es nicht unterlassen, ihm auf das freundlichste die Hand zu drücken und sie ihm länger als gewöhnlich zu schütteln, wobei er sich freute an der erschrecklichen Freundlichkeit, mit welcher ihn der Verlegene Cavalier angrinste.

In diesem zweiten Zimmer sah es schon ganz anders aus: hier glänzten und strahlten die verschiedenartigsten Uniformen, und höhere Beamte und Stabsoffiziere freuten sich allda ihres Lebens. Schüchterne Lieutenants, die eben in die Welt traten und in der Gesellschaft noch nicht vorgestellt waren, rüsteten sich klopfenden Herzens und versuchten es, unter immerwährenden Entschuldigungen, unter tausend Verbeugungen und süßen Worten, den Durchgang zum Ballsaal zu erzwingen.

Im dritten und vierten Zimmer bemerkte man vereinzelte Damen, sowie deren in kleinen Gruppen, welche von ältlichen Herrn eifrig unterhalten wurden.

Man könnte die Zimmer eines Hofballs füglich mit den verschiedenen Regionen eines Gebirges vergleichen – erstes Zimmer: Schneeregion, wenige verkrüppelte Zwergtannen; zweites Zimmer: hochstämmige, steife Fichtenwaldungen, einige Vogelkirschen mit rothen glänzenden Beeren; drittes und viertes Zimmer: etwas wärmeres Klima, Vereinzelte Alpenblumen, die schon ein rauheres Klima vertragen können, und einige Erlen im Gespräche mit unterschiedlichem Nadelholz; im fünften und sechsten Zimmer blühen schon seltenere Gewächse aller Art; auch Brillanten gedeihen hier, doch erlangen sie in diesen Gemächern noch nicht vollkommene Reife und große Schönheit; stark vergoldetes Silber, Granaten, Bernstein, Emaille ist vorherrschend; etwas tiefer unten im achten, neunten Zimmer, und neben dem Ballsaale entfaltet sich aber vor dem erstaunten Auge die ganze Pracht einer südlichen Zone; Brillanten sind vorherrschend, und große Rubinen mit dem stammenden tiefen Roth, prachtvolle, feingezackte Spitzen in den phantastischsten Zeichnungen wallen auf Roben von weißer und farbiger Seide. Bunte Stoffe mit den glühendsten Farben flattern, Fächer mit bunten Federn zittern hin und her, glänzende Augen strahlen, und zwischen allem dem befinden sich schwarze Fräcke, steif und unheimlich, oder spazieren umher wie hochmüthige Raben auf einem Schneefelde unter anmuthig gezackten Eis- und Schneeblumen.

Der Baron hatte auf seiner Wanderung bis hieher unterschiedliche und durchaus nicht zu verkennende Merkmale entdeckt, welche ihm deutlich sagten, daß im Morgenroth des Lebens sein Stern schon verblichen. Eine Whistpartie wurde ihm im vierten Zimmer angetragen, er aber gleich darauf von seinem Partner gebeten, sein schlechtes Gedächtniß zu entschuldigen, indem Graf X die vierte Karte bereits in Empfang genommen. Aeltliche Damen, mit denen er sonst auf dem freundlichsten Fuße stand, hatten seinen Gruß mit einem unendlich tiefen und förmlichen Knix erwidert, eine Schaar von Comtessen endlich schaute ihm neugierig und erwartungsvoll nach und folgte ihm in einiger Entfernung, um seinen Empfang bei den hohen Herrschaften zu sehen.

Das Gift gegen ihn hatte tüchtig gewirkt, und die Mittheilungen über ihn waren von seiner Freundin, der Gräfin Clara, gewissenhaft benutzt worden; er sah nicht ohne Lächeln, wie Frau von C. bei seinem Eintritt überrascht das Taschentuch an das Gesicht führte, und wie ihn die Gräfin Clara scheinbar mit einem Blicke des größten Erstaunens grüßte.

Nach allem dem gehörte seine ganze Gewandtheit dazu, um sich völlig unbefangen und ebenso elegant und redselig wie sonst dem Kreise der höchsten Damen zu nähern, der fürstlichen Wirthin sein Compliment zu machen und mit dieser liebenswürdigen Dame in dem Gespräche fortzufahren, in dem Moment, als die alte Herzogin hinter ihrem riesenhaften Fächer sein tiefes Compliment erwiderte, als habe sie nicht ihm, sondern einer Schaar liebenswürdiger kleiner Kinder zugelächelt, die auf eben diesem Fächer gemalt waren.

Diese so sichtbar ausgedrückte Ungnade fiel für die noch nichts Wissenden des glatten Hofzirkels wie ein Stein auf die stille Fläche eines See's und zog weite Kreise, die sich immer mehr ausdehnten und den Sturz den entfernten Gestaden mittheilten.

Was kümmerte aber alles dies den Baron? Stand nicht hinter dem Stuhle der jungen Herzogin das Hoffräulein, seine angebetete Pauline, die Königin seines Herzens, vor seinem Gewissen und vor Gott seine Braut? Er hätte Stunden lang hier stehen können, von Allen begafft, von Niemand angeredet, wenn er nicht hätte fürchten müssen, die Ungnade, welche auf ihm lastete, auch auf die unschuldige Quelle derselben überzutragen, indem sein Auge nur an ihr hing, an ihr, die sich verwirrt zu einer Bekannten niederbeugte, um ihr etwas Gleichgültiges ins Ohr zu sagen.

Aus diesem Grunde aber riß er sich aus dem ihm so süßen Anblicke los, machte seine Verbeugung und trat zurück. Wo er aber ging und stand, fühlte er deutlich, wie die Blicke der Umstehenden auf ihm hafteten, und hörte, wie man sich in die Ohren zischelte, und konnte lächeln, wenn er bedachte, wie unzählige falsche Vermuthungen man über ihn wohl habe und welche Ursache für die Ungnade, in die er so plötzlich gefallen, angegeben wurde.

Der Ball nahm unterdessen seinen Fortgang, und die Zeit rollte unaufhaltsam dahin, wie es diese sanfte Trösterin für alles menschliche Unglück ja immer zu machen pflegt. Stunde um Stunde verrann hier im Tanzsaal unter rauschender Musik, unter fröhlichen Menschen – sie waren es wenigstens dem Aeußern nach, – berechnet nach Walzer, Masurka, Française; und verrann ebenso in irgend einem dämmerigen Krankenzimmer, wo die Secunden gezählt wurden von fieberhaften Pulsschlägen und tiefen, schweren Athemzügen. –

Die Lieutenants und andere jungen Herrn tanzten mit den jungen Damen nach der rauschenden Musik, und die älteren Damen saßen in lebhafter Unterhaltung um die Kamine; die älteren Herren spielten Whist oder ennuyirten sich; von den Bewohnern der Schneeregion verschwand einer nach dem andern, zufrieden, sich gezeigt zu haben und auf dem Hofballe gewesen zu sein.

Der Baron schritt durch den Tanzsaal, wechselte mit guten Bekannten, die sich aus der Ungnade, welche über ihn verhängt war, nichts machten, einige freundliche Worte und stieß endlich auf seinen Gast bei dem heutigen Diner, den er unter dem Arme nahm und in ein Nebenzimmer zog.

»Höre,« sagte dieser lachend, »du thätest besser, meinen Arm los zu lassen; Mensch, du compromittirst mich auf eine fürchterliche Art, siehst du? schon schaut man neugierig auf uns herüber! O Gott, wenn das meine Schwester Clara sieht, so werde ich heute Abend keinesfalls zum Tanze kommandirt!«

»Laß das gut sein,« versetzte der Baron, »meine Sonne geht unter, um sich desto strahlender wieder empor zu schwingen; ich bin ein schwüler Sommerabend, ein heftiges Gewitter hat mich verfinstert; dann folgt aber eine liebliche milde Nacht; du weißt, wenn die Wolken sich wie weiche Schleier anmuthig dehnen und wenden und einen pas de shwal mit dem Monde tanzen. Jetzt tändeln sie um ihn herum und lassen nur an dem sanften Glanze ahnen, wo sich der schöne Himmelskörper befindet; jetzt hebt sich das silberne Gewebe, und er lauscht verschämt hindurch; die untern Wolken sinken abwärts, und bald steht ein ungetrübter, klarer Himmel vor uns.«

»Das ist Alles schön und gut,« sagte der Andere, nachdem sich die Beiden in einem entfernten Zimmer in zwei Fauteuils am Kamine niedergelassen, »das ist Alles schön und gut, aber ich glaube, deine Nacht wird verzweifelt lang sein, so eine Polarnacht, und wenn deine Sonne wirklich wieder aufsteigt, leuchtet sie trübselig am Horizont durch dichte Nebel und erhebt sich zu keinem rechten Licht und Glanze mehr.«

Der Baron bemühte sich, die glimmenden Holzblöcke in dem Kamin anzufachen, und als ihm dieses gelang, so daß die Flammen hell hinaufschlugen, sprach er triumphirend: »Glänzend wird sie wieder strahlen, die Flammen meines Glückes werden aufschlagen, wie die Flammen aus dieser erloschenen Gluth; aber ernstlich gesprochen, gib mir einen Rath, was in meiner Sache zu machen ist.«

»Da ist guter Rath auf jeden Fall theuer,« entgegnete der Andere, »oder sehr wohlfeil, wie du willst. Laß morgen früh einspannen, fahre zur alten Herzogin und halte um die Hand des Hoffräuleins an; du bist eine der ersten Parthieen, die ich kenne, man kann dir das Mädchen im Grunde nicht abschlagen!«

»Und wenn sie es doch thun, wenn sie sich darauf capriciren, mir ihren Besitz zu verweigern, wie dann?«

»Ja, was dann? dann bleibt freilich nichts übrig –«

»Als Paulinen zu entführen, meinst du.«

»Bst, bst, bst!« sagte der Andere erschrocken und sah sich schüchtern rings um: »wie kann man nur so etwas sagen! eine Entführung bei Hofe! das ist ja seit ewigen Zeiten nicht vorgekommen.«

»Weil es sich seit ewigen Zeiten der Mühe nicht lohnte, von da etwas zu entführen; aber verzeihe mir den Spaß, ich denke nicht im Entferntesten an dergleichen. Meine Meinung ist ebenfalls, ich lasse mich morgen früh melden und werde neugierig sein, zu erfahren, welche Gründe man geltend machen könnte, um mir die Hand des Fräuleins zu versagen.«

»Das ist Alles ganz schön und gut,« entgegnete der Andere, »aber ich kann dir versichern, daß es ihnen an Gründen durchaus nicht fehlt; es wäre bei Gott am Besten, du nähertest dich auf die eine oder die andere Art der Frau von E. wieder. Du kannst ihr ja vielleicht sagen oder sagen lassen –«

»›Ich liebe eigentlich nur sie‹,« willst du sagen. »Nein, nein! ich habe gegen sie gefehlt, ich hätte ehrlicher sein sollen, ich habe unter der Maske gespielt, das ist wahr; aber wenn ich mich ihr je wieder nahe, so sei es mit offenem Visir und sei es, indem ich durch ein offenes Bekenntniß meiner Liebe zu Paulinen den Versuch wenigstens mache, mich in ihrer Gunst zu restauriren.«

»Aber eben zu diesem Zwecke mußt du dich der Baronin wieder nähern,« antwortete der Andere und sah mit Schrecken auf seine Uhr, wie schnell die Zeit vergehe. Er versicherte, zu einem Walzer, der nächstens anfangen müsse, und zu einer Masurka, zu einem Strohmann im Whist engagirt zu sein, und schwor, für einige sehr wichtige Causerieen in Anspruch genommen zu sein.

Aus all' diesen Gründen stand er von seinem Fanteuil auf und wiederholte: »Aber eben zu diesem Zwecke halte ich es für dringend nothwendig, daß du es versuchst, bei Frau von C. vorzukommen. Zum Teufel! du mußt nicht den Allzukostbaren spielen und vor allen Dingen nicht vergessen, daß die Einwilligung zu einer Verbindung mit Paulinen sehr von der Baronin abhängen dürfte.«

Bei diesen Worten hatte der Graf eine sehr wichtige Miene angenommen, zupfte vor dem Kaminspiegel seine Halsbinde in die Höhe und strich wohlgefällig das rothe Ordensband, welches um dieselbe geschlungen war, nieder. »Glaub mir, Charles,« fuhr er fort, »ohne Frau von C. geht's nun einmal nicht; schreib' ihr zwei Zeilen, und noch heute Abend, jetzt gleich – dort auf dem Tischchen steht Alles, was du brauchst; man läßt es ihr noch heute Abend zukommen – es ist wahrhaftig das Beste so.«

Der Baron sah nachdenkend in die Flamme des Kamins und stieß mit dem Schüreisen die glühenden Kohlen zusammen; er schien sich nur ungern der Baronin zu nähern, sah aber zu gleicher Zeit, wie nothwendig es sei, diesen Schritt zu thun.

Der Graf fuhr fort: »Je mehr ich mir das überlege, so ist dies der einzige Weg, zu dem Ziele zu gelangen. Nebenbei gesagt, bist du der Frau von C. wahrhaftig eine kleine Erklärung schuldig; schreib' ihr also zwei freundliche Zeilen, aber ganz in demselben Styl wie früher, und bitte sie, sie möge dir auf morgen eine Stunde bestimmen.«

Der Baron ging widerstrebend an den kleinen Schreibtisch, aber er ging und schrieb mit noch größerem Widerwillen sechs Zeilen, die er in ein Couvert steckte, versiegelte und seinem Freunde übergab.

»Da nimm!« sagte er, »aber besorg's pünktlich, ich fahre gleich nach zwölf Uhr zu Hause; wenn du nach dem Ball noch einen Augenblick bei mir vorkommst, soll mich's freuen; im andern Fall aber laß mich mein Schicksal morgen früh mit ein paar Worten wissen.«

»Du gehst schon?«

»Was soll ich hier machen? Paulinen kann ich ohne Aufsehen zu erregen, nicht sprechen; Prinz Eugen wird von der alten Herzogin nicht losgelassen, und im Uebrigen ist mir draußen Regen und Schnee lieber, als all' die Gesichter hier, die es heute für unverantwortlich von mir halten, daß ich in der Welt bin, daß ich überhaupt je geboren wurde. – Gute Nacht!«

Der Graf steckte das Briefchen in seine Westentasche, fuhr emsig mit der rechten Hand über seinen linken Handschuh, wo sich eine kleine Falte gezeigt, und ging in den Ballsaal zurück.

Der Baron blieb noch einen Augenblick stehen, und seine Augen folgten ihm; doch glitten seine Blicke bei der dahin wandelnden Gestalt vorbei und blieben auf einer Française haften, die sich im Tanzsaal aufgestellt. Sie war es, die dort hervorleuchtete, umgeben von Ordenssteinen und Brillanten, und es kam ihm vor, als werde jede Figur nur deßhalb gezogen und ausgeführt, um ihre Schönheit in vollem Licht zu zeigen. Wie stolz und doch lieblich schritt sie einher an der Hand des fürstlichen Wirthes, des Prinzen Eugen – und dieses herrliche Mädchen war sein, und was das Schönste war, es wußte Niemand von dem geschlossenen Bund dieser beiden Herzen; ja, Niemand Fremdes kannte dieses süße Geheimniß, Niemand, als dort das Mädchen selbst im Glanz von tausend Kerzen und hier er, in dem halb dunklen Zimmer, sie von fern betrachtend! Der Baron mußte sich mit Gewalt von dem Anblicke losreißen und eilte, indem er die glänzenden Zimmer hinter sich ließ, über eine kleine, ihm bekannte Treppe hinunter in das Vestibül und dann hinaus in die Nacht.

Der Graf war in den Ballsaal getreten und glitt durch einen Haufen Zuschauer, welche bewundernd die Française betrachteten; leicht und gewandt schoß er dahin, mit vollen Segeln, bald seine Flagge hoch am Mast tragend, bald dieselbe tief senkend vor einer höchsten Person, und war gerade im Begriff, sich bei mehreren Damen an einem Kamin zu einer Causerie niederzulassen, als er plötzlich von seiner Schwester Clara geentert wurde, die ihn in ein schon ziemlich leer gewordenes Vorzimmer entführte.

Die Dame stellte sich an einen Marmortisch, stützte die eine Hand darauf, während sie mit der andern ihr großes Ballbouquet schwang, und sagte: »Nun, du kannst es brauchen, daß du dich stundenlang mit dem Baron Karl in ein Nebenzimmer zurückziehst, vor den Augen des ganzen Hofes bei einer so offenkundigen Ungnade!«

»Bah!« entgegnete der Bruder, »was geht das mich an? Mit deiner Wuth, alle Geschichten zu vergrößern! Stundenlang, sagst du, sei ich mit ihm in einem Nebenzimmer gewesen? – Kaum eine Viertelstunde, und wer wird's gesehen haben, wer wird auf uns achten?«

»Auf dich allerdings Niemand,« lachte spöttisch die Schwester, »aber dem Baron folgen heute Abend tausend Augen. Und wenn ihr nur etwas Wichtiges zu verhandeln hattet! Aber was wird's sein? ein neues Pferd, eine Whistpartie, – wie gesagt, Alfons, du solltest klüger sein. – Mit wem hast du heute Abend getanzt? Bist du von einer fürstlichen Person befohlen worden? – Natürlich nein!« fuhr die Schwester nach einer kleinen Pause fort, als der Graf schweigend, aber im Gefühl seiner sonstigen Unwiderstehlichkeit Cravatte und Ordensband abermals zurecht rückte – »natürlich nein! weil Jedermann weiß, wie liirt du mit dem Baron bist – und dich obendrein mit ihm absondern! sei klug, Alfons!«

»Bah!« sagte abermals der Graf, »bedenke nur, Clara, ein Freund und so eine einfache Ungnade!«

Die Gräfin ließ fast vor Schrecken ihr Ballbouquet fallen. »Eine einfache Ungnade, sagst du? – eine dreifache, eine zehnfache, eine tausendfache sag' ich dir! und deine Existenz bei Hofe so auf's Spiel setzen! wegen gar nichts, wegen eines morgigen Diner's, wegen einer Opernprobe oder dergleichen! nicht wahr?« »Du bist einmal wieder voreilig und oben hinaus wie immer!« entgegnete Alfons wichtig thuend und fuhr fort, nachdem er sich überzeugt hatte, daß das Briefchen noch in seiner Westentasche war: »Wir haben Wichtiges verhandelt, sehr Wichtiges!«

»Wichtiges?« spottete die Schwester; »hat er dich vielleicht aufgeklärt über sein Verhältniß zu der armen Adelaid – das Ungeheuer! – so sprich doch, wenn du etwas weißt!«

Der Graf sah sich vorsichtig nach allen Seiten um, lächelte abermals sehr wichtig, zog das Briefchen aus der Tasche und sagte, indem er es seiner Schwester zeigte: »du siehst nun, daß weder von einem Diner, noch von einer Opernprobe die Rede war; ich soll das der Frau von C. übergeben.«

»So gib her!« sagte eifrig die Gräfin und wollte das Billet an sich nehmen, »ich kann es besser besorgen als du.«

»Unmöglich, liebe Clara!« entgegnete der Graf lachend, »das ist für mich viel zu wichtig, ich muß der Frau von C., deren Augen wahrscheinlich unter den Tausenden waren, die mir nachgesehen, begreiflich machen, was ich in dem Nebenzimmer zu thun hatte – 's ist nur wegen der Ungnade,« setzte er spottend hinzu.

Die Gräfin biß sich auf die Lippen, und nachdem sie einen Moment nachgedacht, war sie entschlossen, dem Bruder bei der allmächtigen Hofdame den Rang abzulaufen und ihr tröstend zu versichern, der Baron scheine sein grenzenloses Unrecht einzusehen und werde den Versuch machen, sich ihr de- und wehmüthig zu nahen. Damit rauschte sie hinaus und ließ ihren Bruder stehen.

Dieser säumte auch nicht lange und hatte bald die passendste Gelegenheit gefunden, sein Billet der Hofdame überreichen zu können. Frau von C. verließ in der nächsten halben Stunde ihre Gesellschaft, warf sich in einen einsam stehenden Fauteuil, der durch eine Gruppe riesenhafter Orangenbäume gedeckt und vereinzelt dastand, und nahm den Grafen sehr gnädig auf, der ihr mit wenigen entschuldigenden Worten das Briefchen übergab und sich dann schleunigst zurückzog. Ihm kam es vor, als habe ihre Hand gezittert, als sie das Billet übernahm; doch beobachtete er sie aus der Ferne und sah bald darauf, wie sie sich triumphirend von ihrem Fauteuil erhob und unter der Menge verschwand.

»Ich mochte doch wissen,« sagte Alfons zu sich selber, »was dieser Kerl da geschrieben hat; ich fürchte, er dreht den Mantel nach dem Winde, – arme Pauline!«

Seine Vermuthung, als habe der Baron etwas außerordentlich Freundliches und Liebenswürdiges geschrieben, wurde für ihn fast zur vollkommensten Gewißheit durch die gnädige Behandlung, die ihm von der Frau von C. später zu Theil ward. Nicht nur, daß sie fast zehn Minuten lang über die gleichgültigsten Dinge, aber vor den Augen der alten Herzogin, mit ihm sprach, sondern es wurde ihm auch das hohe Glück zu Theil, auf dem heutigen Balle zwei Mal zum Tänzer für die jüngeren Prinzessinnen befohlen zu werden. – Glückseliger Alfons!


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