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Dreißigstes Kapitel.

Es war nicht das erstemal, daß Hickory im Laufe der Verhandlung vor dem Gerichtshof erschien. Auch unter den Belastungszeugen hatte er eine Rolle gespielt; seine unverwüstliche Laune, sein derbes Wesen und keckes Auftreten war allen Anwesenden wohlbekannt. Was aber wollte der Verteidiger von ihm? Welchen Vorteil versprach sich Orkutt von seinem Zeugnis?

Sagen Sie dem Gerichtshof gefälligst, wo Sie heute gewesen sind, Herr Hickory! lautete des Rechtsanwalts Anrede.

Der Zeuge schien zu überlegen; er sah, wie um Entschuldigung bittend, zu Ferris hinüber, dann erwiderte er mit zuversichtlicher Miene: An vielen, verschiedenen Orten – Sie wissen recht gut, was ich meine, unterbrach ihn Orkutt. Wo waren Sie zwischen elf Uhr und dreiviertel auf eins? Er blickte auf ein Blatt Papier, das er in der Hand hatte.

Zu derZeit, war Hickorys Antwort, hielt ich mich nirgends dauernd auf; ich war unterwegs von Sibley nach der Zwischenstation von Monteith, mit der Absicht, dort schneller anzukommen als andere Leute und die Verteidigung über den Haufen zu werfen.

Ah so – und wer veranlaßte Sie zu diesem Unternehmen?

Einer meiner Freunde, auch so eine Art Detektiv.

Wann und wo tat er das?

Nach Ihrer gestrigen Rede; wir verabredeten es in dem Gasthaus, wo mein Freund und ich eingekehrt sind.

Unternahmen Sie den Versuch nicht im Auftrag des Bezirksanwalts?

Nein, er wußte nichts davon.

Wer kannte dann Ihren Plan?

Mein Freund.

Sonst niemand?

Da ich hier als Zeuge aufgerufen werde, scheint mir doch noch jemand darum gewußt zu haben, lautete Hickorys schlaue Erwiderung.

Orkutt biß sich auf die Lippen. –

Sind Sie im Wettlauf so geübt, daß Sie glaubten, es darin mit Schnelläufern vom Fach aufnehmen zu können?

Ja, ich besaß die Dreistigkeit, mir dies einzubilden.

Und Sie wollten damit den Beweis liefern, daß es möglich sei, die Strecke in 90 Minuten zurückzulegen?

Das hatte ich mir vorgesetzt.

Wollen Sie uns gefälligst sagen, welchen Weg Sie von Frau Klemmens' Haus bis zu der Station vor Monteith einschlugen?

Ich ging durch den Wald über die Brücke und auf der Landstraße: ich kenne keinen andern Weg.

Und diesen kannten Sie so genau, daß Sie keinen Umweg gemacht haben, auch unterwegs nicht durch Zweifel aufgehalten wurden?

Ja, denn ich hatte ihn schon früher zurückgelegt.

Was taten Sie, als Sie an den Fluß kamen?

Ich wandte mich nach rechts, bis ich die Brücke erreichte.

Suchten Sie nicht erst auf andere Weise über den Strom zu kommen?

Nein. Schwimmen konnte ich nicht, ohne mir die Kleider naß zu machen, und meine Flügel hatte ich leider zu Hause gelassen.

Orkutt runzelte die Stirn. Ihre Späße sind hier schlecht angebracht, sagte er. Sind Sie den Rest des Weges gelaufen?

Nein.

Warum nicht?

Ich war zu müde.

In welchem Tempo sind Sie denn vorwärts gekommen?

So schnell als vier Pferdebeine laufen können, lachte Hickory, ein Fuhrwerk kam daher, und ich sprang hinten auf.

Sie sind also einen Teil des Weges gefahren – wie weit, wenn ich fragen darf?

Bis der Bahnhof in Sicht kam.

Und warum nicht weiter?

Weil man mir gesagt hatte, daß der Gefangene auf der Landstraße gegangensei. Ich wollte keinen unbilligen Vorteil vor ihm voraus haben.

Und war es billig, daß Sie ein Fuhrwerk benützten?

Ja, denn niemand hat gesagt, daß er es nicht auch getan hat.

Haben Sie Beweise, daß er es tat?

Nein.

Hier sah Byrd, welcher den Angeklagten mit gespannter Aufmerksamkeit beobachtete, ein verächtliches Lächeln über seine Züge gleiten. Orkutt setzte das Verhör fort.

Herr Hickory, sagte er, können Sie versichern, daß Sie den Weg mit aller Geschwindigkeit zurückgelegt haben, die Ihre Kräfte gestatteten?

Keineswegs.

Und warum nicht?

Nun, ich fürchtete mir den Hals zu brechen; der Pfad ist so uneben, daß man auf Schnelligkeit verzichten muß, will man mit heilen Gliedern davonkommen.

Aber sind Sie so schnell gelaufen, als Sie vermochten, wo dies möglich war?

Ja, mit Windeseile.

Wollen Sie nun dem Gerichtshof sagen, wie viele Minuten Sie gebraucht haben, um von Frau Klemmens' Tür nach der Station von Monteith zu gelangen?

Nach meiner Uhr genau hundertundfünf Minuten.

Und wissen Sie, in wieviel Zeit die beiden Schnelläufer den Weg gemacht haben?

Sie haben fünf Minuten länger gebraucht als ich, wie mir gesagt wurde; aber das kommt auf dasselbe heraus – es sind noch immer fünfzehn Minuten zu viel.


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