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Zwanzigstes Kapitel.

Als Ferris allein war, schwankte er lange, ob er mit dem Brief zu Orkutt gehen oder wirklich eine Unterredung mit Imogen Dare selbst suchen solle.

Er entschloß sich endlich zu letzterem, wenn auch mit innerem Widerstreben. Bisher hatte er für das Fräulein stets die größte Hochachtung gefühlt und an den Tag gelegt, ja er hatte gehofft, sein Freund werde sie als Gattin heimführen. Nun sollte ihr Name in aller Leute Mund kommen und mit dem schrecklichen Verbrechen in Verbindung gebracht werden. – Ferris würde viel darum gegeben haben, hätte er es hindern können; seine Stellung als Bezirksanwalt gestattete ihm jedoch nicht, persönliche Gefühle in Betracht zu ziehen. Hildreths Zustand heischte jede Rücksicht von seiten der Behörden; war Fräulein Dare imstande, das fehlende Beweisglied zu liefern, um den Verdacht des Gerichts auf einen andern zu lenken, so durfte dies nicht unbeachtet bleiben.

In Orkutts Wohnung, wohin Ferris am nächsten Morgen ging, erfuhr er, daß Fräulein Dare sich auf einige Tage nach Professor Darlings Villa begeben habe. Der Bezirksanwalt suchte sie dort auf und brauchte nicht lange zu warten. Mit ihrer gewöhnlichen, ruhigen Selbstbeherrschung trat Imogen in den Empfangssalon, wo er saß. Sie kam aus dem kleinen Arbeitszimmer im oberen Stock, wo sie soeben als bezahlte Schneiderin das Hochzeitskleid für eine der Töchter des Hauses zugeschnitten hatte; davon ahnte er freilich nichts.

Ferris war nicht in der Stimmung, die gewöhnlichen Höflichkeitsformen auszutauschen; er begrüßte Imogen kurz.

Es ist eine unerfreuliche Angelegenheit, Fräulein Dare, die mich herführt, sagte er. Ich wünsche von Ihnen Auskunft über einen Umstand zu erhalten, der für mich von großer Wichtigkeit ist.

Wenn ich Ihnen etwas mitteilen kann, was Sie wissen möchten, entgegnete sie, ohne seinem forschenden Blick auszuweichen, so bin ich dazu bereit.

Er ließ sich täuschen durch die Ruhe und Sicherheit ihres Wesens, durch die Offenheit, mit der sie sprach, und fuhr mit weit geringerer Verlegenheit fort:

Zuerst muß ich Ihnen einen peinlichen Auftritt ins Gedächtnis zurückrufen. Als wir an jenem Morgen in Frau Klemmens' Haus zusammentrafen, erkannten Sie einen Diamantring, der dort auf dem Fußboden gefunden wurde, als Ihr Eigentum an. Erinnern Sie sich dessen?

Gewiß.

Gehörte Ihnen dieser Ring wirklich, oder täuschte Sie vielleicht der Schein? Sie gestatten mir wohl diese Frage, denn, wenn der Ring nicht Ihr Besitztum ist, wird er höchst wahrscheinlich in dem Prozeß gegen den Mörder der unglücklichen Frau eine wichtige Rolle spielen.

Sie zögerte nur einen Augenblick mit der Antwort; Gott allein weiß, welche letzte schwache Hoffnung sie vielleicht in diesem Moment auf ewig ins Grab versenkte. Da Sie mich danach fragen, Herr Anwalt, entgegnete sie, teile ich Ihnen mit, daß der Ring in gewisser Beziehung mein Eigentum war, in anderer aber nicht. Der Ring gehörte mir, weil er mir am Tage zuvor als Geschenk angeboten worden war. Er war nicht mein, weil ich mich geweigert hatte, das Geschenk anzunehmen.

Sie sprach mit atemloser Stimme, mechanisch, wie im Traum. Ferris war aufgesprungen. Die Tragweite dieser Aussage war nur allzu einleuchtend.

Darf ich fragen, forschte er, ohne zu ahnen, welche Qualen er ihr bereitete, wer es war, der Ihnen den Ring anbot, welchen zu nehmen Sie sich weigerten?

Wer es war? Ihre Stimme bebte; mit einem wilden Blick nach oben schien sie den Himmel zum Zeugen zu rufen, daß dies mehr sei, als menschliche Kraft zu ertragen möge. Dann lagerte sich eine eisige Ruhe auf ihren Zügen; wie zu Stein erstarrend drängte sie jedes Gefühl zurück, schaute Ferris fest ins Auge und sagte deutlich und langsam:

Es war Craik Mansell, der Neffe der Frau Klemmens.

Diesen Namen zu hören, war der Bezirksanwalt gekommen, und doch vernahm er ihn nicht ohne Betroffenheit aus ihrem Munde, vielleicht, weil er noch immer an ihr Verhältnis zu Orkutt dachte. Mit scheinbarer Gelassenheit fragte er:

War denn Herr Mansell hier in der Stadt am Tage vor der Ermordung seiner Tante?

Ja.

Und Sie hatten eine Unterredung mit ihm?

Ja.

Darf ich fragen wo?

Ein flüchtiges Rot stieg ihr bis in die Schläfe; noch hatte ihr herbes Geschick nicht jedes weibliche Gefühl in ihr ertötet.

In dem Walde hinter dem Haus der Frau Klemmens. Aus guten Gründen, die ich nicht zu berühren brauche, hatte eine Begegnung dort für uns nichts Unstatthaftes.

Ferris, der von anderer Seite genau über diese folgenschwere Zusammenkunft unterrichtet war, konnte sich eines geheimen Schauders nicht erwehren. Sie meinen, weil Sie einander liebten? fragte er in scharfem Ton.

Er hatte mir einen Antrag gemacht, und ich wußte, aus welchen Gründen er mich zu sprechen wünschte.

Wenn Sie sich weigerten, Herrn Mansells Ring zu nehmen, Fräulein Dare, bemerkte Ferris, so müssen Sie ihm denselben zurückgegeben haben.

Der angstvolle Blick, mit dem sie ihn ansah, bewies, daß sie die volle Bedeutung dieses Punktes nur zu gut verstand; sie neigte bejahend das Haupt.

Also war der Ring in seinem Besitz, fuhr er fort, als Sie ihn damals verließen, um nach Hause zurückzukehren?

Ja, schienen ihre Lippen zu hauchen, aber man vernahm keinen Laut.

Und sahen Sie den Ring nicht wieder, als bis er in Frau Klemmens' Zimmer gefunden wurde?

Nein.

Das genügt mir, Fräulein Dare, nahm Ferris nach einer kurzen Pause wieder das Wort. Ich danke Ihnen, daß Sie meine etwas peinlichen Fragen so offen beantwortet haben. Darf ich Sie nur noch bitten, mir zu sagen, ob Sie die wichtigen Tatsachen, die Sie mir soeben mitgeteilt, schon gegen irgend einen andern Menschen erwähnt haben?

Nein, entgegnete sie, sich mühsam aufrecht haltend, was ich zu sagen hatte, kommt jetzt zum erstenmal über meine Lippen.

Ferris war nun über alles unterrichtet, was er zu wissen brauchte, er verneigte sich achtungsvoll vor dem bleichen Mädchen mit den starren Zügen und verließ ohne Aufenthalt das Haus.


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