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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Am nächsten Morgen betrat Byrd als einer der ersten den Sitzungssaal, um sich einen Platz zu verschaffen, von dem aus er sowohl die Zeugen als den Gefangenen genau beobachten konnte. Allmählich füllte sich der Zuschauerraum weit mehr als am vergangenen Tage; die dichte Menge verharrte in erwartungsvollem Schweigen, und manches Auge war aus Fräulein Dare gerichtet, deren Leichenblässe nur zu deutlich den schweren Kampf in ihrem Innern verriet. Rasch schaute sie empor, als der Gefangene jetzt festen Trittes eintrat, senkte aber den Blick sofort wieder: die Stunde konnte ja ohnehin nicht mehr fern sein, da sie einander Auge in Auge begegnen mußten.

Orkutt sah nach dem Mädchen hinüber, das er mit so leidenschaftlicher Glut liebte, und Ferris beobachtete seinerseits wieder den Rechtsanwalt mit lebhaftem Interesse. Daß Orkutt die Verteidigung seines Nebenbuhlers übernommen hatte, zeugte von Edelmut und hochherzigster Gesinnung, doch lag etwas in seinem Gesichtsausdruck, das den Bezirksanwalt peinlich berührte. Hofft er vielleicht Imogen Dare für sich zu gewinnen, als Preis dafür, daß er Mansell das Leben rettet? fragte er sich.

Die Sitzung ward eröffnet, und Fräulein Dare als Zeugin aufgerufen.

Imogen erhob sich ohne Zögern von ihrem Platz, trat den Geschworenen gegenüber und leistete den feierlichen Zeugeneid, die reine Wahrheit zu bekennen, wissentlich nichts zu verschweigen und nichts hinzuzusetzen, so wahr sie dereinst auf Gottes Gnade hoffe.

Nun begann das Verhör. Nach den üblichen Eingangsfragen über Namen, Alter und Abkunft, fuhr der Bezirksanwalt fort:

Bei wem wohnen Sie in hiesiger Stadt?

Augenblicklich bei einer Frau Kennedy. Ich erwerbe mir den Lebensunterhalt durch Handarbeit, fügte sie schnell hinzu, wie um der nächsten Frage zuvorzukommen.

Imogen sah den Gefangenen überrascht aufblicken; offenbar hatte er von ihrer veränderten Stellung nichts erfahren; sie richtete sich stolz empor.

Wie lange ernähren Sie sich schon auf solche Weise?

Erst seit einigen Wochen. Früher lebte ich in Herrn Orkutts Hause, als Stütze der Dame, die seiner Wirtschaft vorsteht. – Sie wandte den Kopf nach der Seite des Verteidigers hin.

Ferris, dem diese Erörterungen um Orkutts willen unangenehm waren, wünschte möglichst schnell zur Sache zu kommen.

Sehen Sie den Angeklagten an, Fräulein Dare, und sagen Sie uns, ob er Ihnen bekannt ist, forderte er die Zeugin auf.

Sie hob langsam das Haupt und ließ den Blick erst über die dichte Zuschauermenge schweifen, ehe er auf ihren früheren Geliebten fiel. Plötzlich blitzte es in ihren Zügen auf: zum erstenmal sah sie sein bisher stets angewandtes Auge fest auf sie gerichtet.

Ja, ich kenne ihn, gab sie zur Antwort. So ruhig ihre Stimme klang, sie machte Mansell im Innersten erbeben; trotz seiner eisernen Selbstbeherrschung mußte er den Blick senken.

Wo sind Sie mit ihm bekannt geworden und wann?

Vor vier Monaten sah ich ihn zum erstenmal in Buffalo, bei einer ihm befreundeten Familie, in der ich mich zum Besuch aufhielt.

Wußten Sie damals, daß die in hiesiger Stadt wohnhafte Frau Klemmens mit ihm verwandt sei?

Nein, ich erfuhr erst bei einer späteren Begegnung, daß er eine Tante in Sibley habe.

Entschuldigen Sie die Frage, Fräulein Dare, aber es ist für den Gerichtshof von Wichtigkeit zu erfahren, ob der Angeklagte Ihnen je seine Liebe erklärt hat?

Eine dunkle Glut trat in ihr Antlitz. Ja, kam es mühsam über ihre Lippen.

Und hat er Ihnen einen Heiratsantrag gemacht?

Ja.

Nahmen Sie ihn an?

Nein.

Sie schlugen ihn also aus?

Ich willigte noch in keine Verlobung.

Und wann verließen Sie Buffalo?

Am neunzehnten August.

Blieben Sie auf freundlichem Fuße mit dem Angeklagten, bis Sie sich trennten, so daß unter günstigen Umständen eine Heirat in Aussicht genommen wurde?

Ja, unter günstigen Umständen.

Haben Sie miteinander in Briefwechsel gestanden?

Ja, von Sibley aus, nach meiner Rückkehr.

Wollen Sie uns nun die Gründe angeben, warum Sie den Antrag fürs erste ablehnten, das heißt, wenn der Herr Verteidiger die Frage nicht beanstandet? sagte der Bezirksanwalt, sich verbindlich an Orkutt wendend.

Dieser war aufgesprungen, als wolle er Einspruch erheben; bei Ferris' letzten Worten verbeugte er sich jedoch und sagte ruhig: Es wird mir nur erwünscht sein, wenn Sie volle Klarheit in die Angelegenheit bringen.

Antworten Sie gefälligst! wandte sich der Bezirksanwalt wieder an die Zeugin, welches waren Ihre Gründe?

Imogen stand hoch aufgerichtet da. Ich sagte ihm, erklärte sie mit fester Stimme, daß er noch nicht imstande sei, zu heiraten. Ich bin ehrgeizig von Natur und dachte mehr an meine Stellung vor der Welt, als an das, was des Mannes wahren Wert und Würde ausmacht. Damals hatte ich noch nicht gelitten wie jetzt.

Die Worte klangen wie eine demütige Abbitte, sie waren offenbar für den Angeklagten bestimmt. Auf ihn und auf den Verteidiger, der in seiner Nähe saß, richteten sich jetzt aller Blicke. In Mansells bleichen Zügen war Verachtung zu lesen; Orkutts tiefe Bewegung, mit der er Imogen ihre Gefühle für einen andern aussprechen hörte, begriff jeder, der die Verhältnisse kannte.

Und was äußerte der Angeklagte hierauf? fuhr Ferris fort, bei dem die Amtspflicht über jedes Mitgefühl gesiegt hatte.

Er erwiderte, auch er sei nicht ohne Ehrgeiz, auch sein Streben gehe dahin, sich Namen und Stellung in der Welt zu erringen.

Jetzt reichte ihr der Bezirksanwalt ein Paket Briefe hin, welches durch ein breites, schwarzes Band zusammengehalten war. Sie erschrak, als sie dies erblickte.

Haben Sie diese Briefe geschrieben, Fräulein Dare?

Ja, es sind meine Briefe, sagte sie und löste das Band, ich habe sie alle geschrieben.

Ferris ließ sich das Paket wieder einhändigen; das Band hielt Imogen jedoch krampfhaft mit den Fingern fest, bis das Verhör vorüber war.

Ich beabsichtige, zwei dieser Briefe vorzulesen, sagte der Bezirksanwalt. Vielleicht wünscht der Herr Verteidiger zuerst Einsicht davon zu nehmen? Er bot Orkutt die Briefe dar, welche das Weib, das er liebte, an seinen Nebenbuhler gerichtet hatte.

Der Rechtsanwalt näherte sich dem Gefangenen; keine Miene seines Antlitzes verriet, was in seinem Innern vorging.

Haben Sie etwas dagegen, daß der Inhalt der Briefe öffentlich bekannt wird? fragte er.

Nein, war Mansells Antwort.

Nun wandte sich Orkutt an Ferris.

Lesen Sie die Briefe vor, wenn Sie es für gut befinden, sagte er kurz.

Der Bezirksanwalt verbeugte sich und las mit vernehmlicher Stimme:

»Sibley, N.-Y., den 7. September 1882,

Lieber Freund!

Du verlierst die Geduld und bittest um ein Trostwort in dieser Zeit der Unruhe und Ungewißheit. Was könnte ich Dir sagen, das Nu nicht schon alles weißt? – Ich glaube an Dich und Deine Erfindung und harre stolzen Mutes der Stunde, da Deine Arbeit die ersehnte Frucht getragen hat und Tu vor mich hintrittst, um meine Hand zu begehren. Meine Ungeduld ist so groß als die Deine, aber ich habe mehr Vertrauen als Du. Es kann ja nicht lange dauern, bis der Wert Deiner Erfindung erkannt wird; vielleicht leistet Dir auch Deine Tante die Hilfe, deren Du bedarfst, damit Dir der Weg zu Ehren und Ruhm offen steht. Ich kann an keinen Mißerfolg glauben. Wie innig Dein Gedeihen und mein Glück miteinander verbunden sind, weißt Du auch ohne meine Versicherung. Laß uns das Wiedersehen, nach dem wir beide verlangen, aufschieben, bis die Zukunft etwas gesicherter erscheint. Ich warte getrost darauf und bleibe, an Hoffnung reich

Deine
Imogen Dare.«

Der zweite Brief, den ich vorzulesen gedenke, fuhr Ferris fort, ist am 23. September, drei Tage vor dem Tode der Witwe geschrieben; er lautet:

»Lieber Craik!

Da Du darauf bestehst, mich zu sprechen und sagst, Du habest besondere Gründe, dies nicht vor aller Welt zu tun, so muß ich wohl einwilligen, Dich an dem Platze zu treffen, den Du für die Zusammenkunft bestimmt hast.

Ich weiß, daß dergleichen Heimlichkeiten Deiner ganzen Natur widerstreben, auch mir sind sie aufs äußerste zuwider. Möchte uns doch das Geschick so günstig sein, daß wir künftig nie mehr nötig haben, uns auf solche Weise zusammenzustehlen.

Ich werde voll banger Sorge auf Dich warten.

Imogen Dare.«

Der tiefe Eindruck, den die Briefe in der Versammlung hervorbrachten, war unverkennbar. In Sibley hatte man allgemein Imogens Verlobung mit Orkutt für nahe bevorstehend gehalten; um so mehr mußten ihre Beziehungen zu dem Angeklagten, die hier enthüllt wurden, die Anwesenden überraschen.

Inzwischen setzte der Bezirksanwalt das Verhör ohne Aufenthalt fort.

Wann und wo trafen Sie den Angeklagten der Verabredung gemäß, Fräulein Dare?

Am Montag nachmittag, den 25. September, in der Lichtung hinter dem Hause der Frau Klemmens.

Und was ging dort zwischen Ihnen vor? Ich begreife, daß die Erinnerung für Sie schmerzlich sein muß, kann sie Ihnen jedoch nicht ersparen.

Fragen Sie! entgegnete sie mit Würde, ich werde antworten, so gut ich vermag.

Sprach der Angeklagte mit Ihnen über seine Aussichten?

Ja, doch war er in sehr niedergeschlagener Stimmung.

Weshalb?

Es war ihm nicht gelungen, einen Kapitalisten für seine Erfindung zu interessieren, und seine Tante hatte ihm die Summe Geldes verweigert, die er von ihr entlehnen wollte. Er kam eben aus ihrem Hause.

Sagte er, auf welchem Wege er sich dorthin begeben habe? Erwähnte er den Pfad, der durch den Wald und quer über den Sumpf führt?

Nein.

Sprach er sich erzürnt darüber aus, daß seine Bemühung, das Geld von seiner Tante zu erhalten, fruchtlos gewesen war?

Ja, sagte sie nach sichtlichem Zögern.

Erinnern Sie sich, welche Worte er gebrauchte und ob sich daraus auf seine damalige Gemütsstimmung schließen ließ?

Imogen schwieg; sie fühlte das Auge des Richters auf sich ruhen; vielleicht gedachte sie ihres Eides.

Aller seiner Worte entsinne ich mich nicht genau, sagte sie endlich; doch weiß ich, daß er zuletzt ausrief: »Das Leben gilt mir nichts ohne Erfolg. Schon um dich zu gewinnen, muß ich alles daransetzen und ich werde es tun.«

Sie sprach mechanisch, ohne Nachdruck, als wolle sie der Rede jede besondere Bedeutung nehme«.

Und Sie selbst, fuhr Ferris fort, drückten Sie Ihre Entrüstung darüber aus, daß Frau Klemmens dem Gefangenen ihre Hilfe verweigerte?

Leider ja. Es schien mir grausam und hartherzig, daß sie ihm nicht helfen Wollte, wahrend sie doch die Mittel dazu besaß. Mein dringendster Wunsch ging dahin, daß ihm Gelegenheit geboten würde, sein Genie ungehindert zu entfalten.

Hatten Sie vor jener Zusammenkunft schon Geschenke von dem Gefangenen erhalten, Schmuck oder dergleichen?

Nein, niemals.

Gab er Ihnen jetzt irgendein Andenken?

Ja, einen Diamantring.

Nahmen Sie ihn an?

Nein; ich hätte mich dadurch für gebunden gehalten, und das war noch nicht an der Zeit.

Steckte er Ihnen den Ring an den Finger?

Ja, aber ich zog ihn wieder ab.

Was sagten Sie dabei?

Ich weiß es nicht mehr.

Ferris erinnerte sich an den Bericht der alten Sally.

Sagten Sie: »ich kann warten bis morgen« – und als er dann fragte: »warum bis morgen?«, antworteten Sie da: »über Nacht hat sich schon manches geändert«?

Ja, ich glaube.

Was hatten diese Worte zu bedeuten, Fräulein Dare?

Ich erhebe Einspruch gegen die Frage, sagte Orkutt, sich schnell erhebend. Ohne daß es sonst jemand bemerkte, hatte er von dem Angeklagten einen leisen aber dringenden Wink erhalten.

Der Bezirksanwalt ließ sich nicht beirren.

Meiner Ansicht nach habe ich das Recht, die Frage zu stellen, behauptete er.

Orkutt beharrte jedoch auf seinem Widerspruch, und der Gerichtshof pflichtete ihm bei.

Während Ferris noch bemüht war, der beanstandeten Frage eine neue Wendung zu geben, ward dem Zwischenfall durch die Zeugin selbst ein Ende gemacht; sie sprach unaufgefordert:

Meine Herren, ich kann ohne Bedenken die Bedeutung der Worte erklären: meine Absicht war, Frau Klemmens, die ich noch nicht kannte, am nächsten Tage aufzusuchen. Durch meine Fürsprache hoffte ich sie zugunsten ihres Neffen umzustimmen.

Die freiwillige Erklärung, in aller Einfachheit und Offenherzigkeit vorgebracht, blieb nicht ohne Wirkung auf die Geschworenen, auch Orkutts umwölkte Stirn erheiterte sich, nur Mansell verzog keine Miene. Für Ferris war die bereitwillige Antwort der Zeugin ein kleiner Triumph, der ihn sichtlich erfreute; in seinem Verhöre fortfahrend, fragte er:

Was erwiderte der Gefangene auf Ihre Bemerkung, daß sich über Nacht manches ändere?

Er stimmte mir bei.

Sie sagten, daß Sie ihm den Ring zurückgaben; haben Sie ihn in seine Hand gelegt, Fräulein Dare?

Nein, nicht in die Hand; ich ließ ihn in seine Tasche gleiten.

Hier stieß Hickory den neben ihm sitzenden Byrd an. Haben Sie das gehört? flüsterte er.

Ja, es klingt höchst wundersam, gab dieser zurück.

Unglaublich, bestätigte der andere.

Dem Bezirksanwalt war keinerlei Ueberraschung anzumerken.

Sie ließen den Ring in seine Tasche gleiten? Warum taten Sie das?

Ich wollte dem Streit ein Ende machen, der infolge meiner Weigerung, das Andenken zu nehmen, entstand, daher gab ich es auf diese Weise zurück.

In welche seiner Taschen steckten Sie den Ring?

In die linke äußere Rocktasche, erwiderte sie mit Bestimmtheit.

Bei diesen Worten sah der Angeklagte zu Boden; um seine Lippen zuckte es halb schmerzlich, halb verächtlich.

Sahen Sie den Ring noch einmal während Ihrer Unterredung? Bemerkten Sie, ob der Angeklagte ihn aus der linken Rocktasche herausnahm, so lange Sie bei ihm waren?

Nein.

So befand der Ring sich also Ihres Wissens noch in seiner Tasche, als Sie sich trennten?

Ja.

Und haben Sie ihn seitdem wiedergesehen?

Ja.

Wann und wo?

Am Tage des Mordes. Er lag auf dem Boden in Frau Klemmens' Eßzimmer. Als ich von dem Mordanfall hörte, eilte ich in der ersten Ueberraschung nach dem Hause der Witwe; bei Besichtigung des Tatorts sah ich den Ring vor mir auf dem Boden liegen.

Erkannten Sie ihn sogleich wieder?

Ich glaubte es; als ihn dann ein Herr aufhob und fragte, ob er mir gehöre, erkannte ich ihn bestimmt.

Was taten Sie, als Sie den Ring zuerst am Boden liegen sahen?

Ich setzte den Fuß darauf.

Zu welchem Zweck?

Es geschah unwillkürlich.

Weshalb zogen Sie den Fuß wieder zurück?

Aus Ueberraschung. Es klopfte an die Tür. Jemand brachte eine Botschaft aus dem Gasthof, an Sie, Herr Bezirksanwalt, Sie verließen das Zimmer, und als Sie zurückkamen, sagten Sie etwas, das mich überraschte.

Was war es?

Sie sah ihn mit stummer Bitte an, dann antwortete sie ruhig:

Daß der Hausierer das Verbrechen wahrscheinlich nicht begangen habe.

Sie waren zugegen, Fräulein Dare, als die Sterbende noch einmal zu sprechen begann; wie lauteten die Worte, welche sie mehrmals wiederholte?

»Hand« und »Ring«.

Sie sagen, ein Herr habe den Ring aufgehoben. Was erwiderten Sie ihm, als er Sie fragte, ob der Ring Ihr Eigentum sei?

Ich sagte, er gehöre mir, nahm ihn und steckte ihn an den Finger.

Aber es war nicht Ihr Ring?

Sobald ich ihn annahm, war er mein. Herr Mansell hatte ihn mir tags zuvor zum Geschenk gemacht.

Ferris sah die Zeugin bedeutungsvoll an. Sie glaubten also, es würde Ihrem Geliebten zum Schaden gereichen, wenn der Ring in jenem Zimmer gefunden würde?

Orkutt stand sofort auf, um Einspruch zu erheben.

Ich bestehe nicht auf der Antwort, sagte Ferris gelassen, die Herrn Geschworenen bedürfen ihrer nicht, um die Sachlage zu erkennen.

Sie hätten die Frage gar nicht stellen sollen, erwiderte Orkutt kühl, indem er seinen Sitz wieder einnahm.

Wie lange behielten Sie den Ring am Finger, nachdem Sie das Haus verlassen hatten? fuhr der Bezirksanwalt fort.

Nur wenige Minuten.

Wo befanden Sie sich, als Sie ihn abzogen?

Auf der Brücke in der Warrenstraße, sagte sie leise. Was taten Sie damit?

Sie senkte den Blick. Ich ließ ihn ins Wasser fallen.

Die Antwort enthielt ihre innersten Gedanken zu jener Zeit.

Sagen Sie uns, welches die letzten Worte waren, die Sie mit dem Angeklagten wechselten, als Sie sich, damals im Walde von ihm trennten?

Er sagte: »So nehmen wir also Abschied, Imogen?« und ich erwiderte: »Der morgige Tag wird darüber entscheiden«. »Soll ich denn hier bleiben?« fragte er, und ich antwortete: »Ja«.

Auf diese an und für sich so einfachen Worte folgte eine unheimliche Totenstille. Die Zeugin blickte ängstlich fragend zu Orkutt hinüber. Ich hoffte auf die Wirkung meiner Unterredung mit Frau Klemmens, fügte sie gleichsam erklärend hinzu.

Der Bezirksanwalt neigte zustimmend das Haupt.

Sehen Sie seitdem den Angeklagten heute zum erstenmal wieder? fragte er.

Nein, ich traf ihn am folgenden Mittwoch im Bahnhof zu Syrakus.

Wie kamen Sie am Tage nach dem Morde dahin?

Ich war auf dem Wege nach Buffalo, ich wünschte Herrn Mansell zu sprechen.

Hatten Sie Nachricht erhalten, daß Sie ihn in Syrakus treffen würden?

Nein, die Begegnung war völlig unerwartet.

Was taten Sie, als Sie einander sahen?

Ich war so überrascht – ich erinnere mich nicht, was ich tat und sagte.

Und er?

Er fuhr betroffen zurück, dann fragte er, ob ich ihn habe aufsuchen wollen.

Und Sie erwiderten?

Ich weiß nicht was – mir war, als sei alles nur ein Traum. –

Hätte sie gesagt: ein entsetzlicher Traum, es würde niemand wundergenommen haben. –

Wie endete die Begegnung? fragte Ferris weiter.

Ich verließ den Wartesaal und fuhr nach Hause zurück mit dem Zug, der schon auf dem Bahnhof stand.

Und er?

Entfernte sich gleichfalls; wohin er sich begab, weiß ich nicht.

Können Sie uns sagen, Fräulein Dare, fragte nun Ferris mit scharfer Betonung, wer von Ihnen sich zuerst von dem andern abwandte?

Ich glaube – sagte sie und schwieg sodann; ihr Auge schweifte über die Menge und blieb auf den beiden Detektivs haften, die mit atemloser Spannung ihrer Antwort harrten. Die Frage mußte wohl von großer Wichtigkeit sein.

Ich weiß es nicht, erwiderte sie endlich; ich glaube, wir entfernten uns gleichzeitig voneinander.

Bei Ihrem Eide, Fräulein Dare, beharrte der Bezirksanwalt, fällt Ihnen kein Merkmal ein, an dem sich erkennen ließe, wer von Ihnen die schnelle Trennung veranlaßte, während Sie doch wünschen mußten, das traurige Ereignis zu besprechen, das für Ihre beiderseitige Zukunft so wichtig war?

Nein; ich weiß nur, daß ich den Ort aus eigenem Antrieb verließ, und nicht infolge eines Schrittes, den ich ihn tun sah.

Ferris verbeugte sich. Ich bin fertig, Herr Verteidiger, sagte er zu Orkutt gewandt.

Als der Bezirksanwalt seinen Platz wieder eingenommen hatte, sah er sich sichtlich befriedigt im Gerichtszimmer um und erwartete ruhig die weitere Entwicklung der Angelegenheit. Er hatte erreicht, was er wollte und durch das Verhör auf geschickte Art erwiesen, daß Imogen selbst Verdacht gegen den Angeklagten hege. Die Geschworenen hatten den Eindruck empfangen, daß das Weib, welches ihn liebte, an seiner Unschuld zweifelte und ihn für den Mörder seiner Tante hielt. – Das konnte nicht ohne Wirkung bleiben.

Alles wartete nun auf den Verteidiger. Nach einem kurzen Zwiegespräch mit seinem Klienten erhob sich Orkutt jedoch und erklärte zu allgemeinem Erstaunen, er habe keinerlei Fragen an die Zeugin zu stellen und verzichte auf das Kreuzverhör.

Imogen Dare trat ab und kehrte zu ihrem früheren Sitz auf der Zeugenbank zurück.

Byrd, flüsterte Hickory seinem Kollegen zu, was in aller Welt soll denn das bedeuten? Mir schien, als müsse es dem Verteidiger ein leichtes sein, die Zeugin aufs Glatteis zu führen, und er macht nicht einmal den geringsten Versuch dazu. – Will Orkutt etwa aus Liebe zu ihr seinen Nebenbuhler an den Galgen bringen?

Wo denken Sie hin? Für kein Weib auf Erden würde er absichtlich einen Prozeß verlieren. Er betrachtet Fräulein Dares Zeugnis eben von einem ganz andern Gesichtspunkt als Sie; er glaubt, daß sie die Wahrheit spricht.

Um so schlimmer für Mansell, lautete Hickorys Erwiderung. Er ist ein Narr gewesen, sich ihm anzuvertrauen.

Aehnlicher Meinung wie Hickory waren der Richter, die Geschworenen und die ganze Zuhörerschaft. Orkutt stand allem Anschein nach auf schlüpfrigem Boden.


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