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Dreizehntes Kapitel.

Die Papierfabrik von Harrisson, Goodman & Chamberlain, in einer Hauptstraße von Buffalogelegen, beschäftigte eine große Anzahl Arbeiter.

Eines Abends sah man an dem Gittertor des weitläufigen schmucklosen Gebäudes einen feingekleideten Herrn lehnen, der mit unermüdlicher Geduld jede einzelne Gestalt musterte, als suche er jemand in dem herausströmenden Schwarm. Als sich die Leute verlaufen hatten, wandte er seine Aufmerksamkeit der kleinen Seitentür zu, durch welche die Bureaubeamten und Fabrikherren das Gebäude verließen.

Byrd hatte sich hier aufgepflanzt, weil er Umschau unter sämtlichen Angestellten der Fabrik zu halten wünschte, um aus ihrer Mitte den Neffen der Witwe Klemmens zu erkennen, dessen Aeußeres ihm so genau beschrieben worden war. Aber wie er auch spähte und harrte, es war in der Menge keiner, der dem Manne mit den herkulischen Gliedern, den ausdrucksvollen Zügen, dem Schnurrbart und den blitzenden Augen glich, den er auf seine Skizze, dem Bildnis von Imogen Dare gegenüber, gezeichnet hatte. Jetzt schienen die letzten das Fabrikgebäude verlassen zu haben, und schon glaubte Byrd alle seine kühnen Theorien in nichts zusammenfallen zu sehen, als die kleine Seitentür sich abermals öffnete, und zwei Herren heraustraten.

Bei dem Anblick des einen stutzte der Detektiv. Er war jung, stark gebaut, von ungewöhnlich dunkler Gesichtsfarbe und trug einen großen Schnurrbart. Zwar hatte sich Byrd nach der Beschreibung die Züge von Frau Klemmens' Neffen anders gedacht, indessen waren Wesen und Haltung des Mannes doch der Art, daß Byrd beschloß, ihm zu folgen. An der Ecke trennten sich die beiden Herren, und jener stieg in die Pferdebahn. Der Detektiv nahm sofort im selben Wagen Platz und hatte das Vergnügen, eine ganze Strecke weit den Rücken des mutmaßlichen Mansell zu beobachten, welcher vorn bei dem Kutscher stand. Dann stiegen andere Fahrgäste ein; ehe er sich dessen versah, war ihm die Aussicht versperrt, und als das Fenster wieder frei wurde, war der junge Mann verschwunden.

Mißvergnügt begab sich Byrd in sein Hotel zurück. Tags darauf schickte er nach der Fabrik, verschaffte sich Mansells Adresse und mietete sich in demselben Kosthaus ein, das jener bewohnte. Beim Mittagstisch hoffte er Gewißheit zu erlangen, ob der Mann auf dem Bahnhof in Syrakus der wirkliche Craik Mansell und derselbe gewesen sei, dessen Spur er tags zuvor gefolgt war.

Dem jungen Detektiv war dabei zumute, wie einem Jäger, der sein eifrig verfolgtes Wild endlich erspäht hat. Seine bisher so unerschütterliche Gelassenheit machte einer fieberhaften Erregung Platz.

Früher als die andern Kostgänger fand er sich im Speisezimmer ein und sah die alten und jungen Herren und Namen nacheinander bei Tische erscheinen; zu allerletzt kam auch der Herr, welchen er am vergangenen Abend so plötzlich aus dem Gesicht verloren hatte. Er zweifelte nun nicht länger daran, daß es Mansell sei.

Seltsamerweise veränderten sich Herrn Mansells Mienen in dem Moment, als sich ihre Augen begegneten, trotzdem sie einander doch völlig fremd waren. – Byrd fühlte, daß er nicht bloß Beobachter war, sondern selber beobachtet wurde, und bedauerte sehr, keine Verkleidung angenommen zu haben, ehe er das Kosthaus betrat. Er vermied es nun geflissentlich, nach jenem hinzublicken, und ließ sich's eifrig angelegen sein, sich seinen beiden Tischnachbarinnen, der Tochter des Hauses und einem älteren Fräulein, so angenehm wie möglich zu machen. Das Mahl war schon zur Hälfte vorüber, als eine junge Dame in seiner Nähe mit lauter Stimme sagte: Wie spät Sie kommen, Herr Mansell!

Byrd erkannte, daß er sich getäuscht hatte, sah nach dem Eintretenden hin und konnte sein Staunen kaum verbergen. – Ja, dies war das richtige Urbild seiner Skizze: das ausdrucksvolle düstere Gesicht, die herkulischen Glieder, die kräftige Gestalt, mit der sich keiner der anwesenden Männer messen konnte. Kein Zweifel, dies war der Mann, den Imogen Dare im Bahnhof von Syrakus getroffen. Vergebens hoffte Byrd aber aus der Art seiner Unterhaltung Aufschluß über seinen Charakter zu erhalten; der neue Ankömmling zeigte sich ungewöhnlich schweigsam und schien durchaus nicht in der Stimmung, an dem heiteren oberflächlichen Gespräch teilzunehmen, welches an Frau Harts Mittagstafel im Gange war. So mußte sich denn der junge Detektiv damit begnügen, Mansell genau zu betrachten, und er mußte sich gestehen, daß aus diesen Zügen keine kalte, grausame Verbrechernatur sprach. Wenn er, einer starken Versuchung unterliegend, wirklich den Mordstreich geführt hatte, so konnte dies nur in einem Moment sinnlos heftiger Aufwallung geschehen sein, welchem die bitterste Reue sofort auf dem Fuße gefolgt sein mußte.

Das änderte jedoch nichts in bezug auf Byrds Pflicht, den Schuldigen zu entlarven und den Unschuldigen zu retten, mochte auch Hildreth nach seinen sonstigen Charaktereigenschaften noch so tief unter Mansell stehen.

Die erste Frage war gelöst; jetzt kam die zweite an die Reihe: Byrd mußte sich ohne Säumen Gewißheit verschaffen, ob der junge Mann zurzeit der Mordtat in der Nähe des Hauses seiner Tante verweilt habe. Wer war aber der Mann mit dem Schnurrbart, den er zuerst für Mansell gehalten?

Am Abend versammelten sich Frau Harts Kostgänger gewöhnlich in den Gesellschaftsräumen. Von sieben bis zehn Uhr herrschte daselbst ein fröhliches Treiben, und man verbrachte die Zeit aufs angenehmste. Byrd schloß sich ohne Zaudern dem heitern Kreise an und war bald mit einer freundlichen jungen Dame in vertraulichem Gespräch begriffen.

Man scheint hier im Hause ein sehr geselliges Leben zu führen und sich vortrefflich zu unterhalten, äußerte er.

Q ja, war die ihm höchlich willkommene Antwort, wir sind alle gut gelaunt – nur Herr Mansell macht eine Ausnahme. Aber das ist wohl natürlich und kaum anders zu erwarten.

Herr Mansell? fragte Byrd mit innerer Befriedigung über den schnellen Erfolg seines Plans, wohl der Herr, der so spät zu Tische kam?

Ja, er ist in sehr bedrückter Stimmung wegen des schrecklichen Todes seiner Tante, die vor einigen Tagen in Sibley ermordet wurde. Sie haben wohl davon gehört. Ein gewisser Hildreth hat den Mord begangen. Ehe sie starb, hat sie nur noch einige Worte sprechen können – etwas von einem Ringe; man glaubt, sie habe den Mörder beschreiben wollen.

Wirklich, eine gräßliche Geschichte – und dieser Mansell ist ihr Neffe? Da hat er Ihnen wohl alle Einzelheiten erzählt?

Bewahre! Dazu brächte ihn nichts in der Welt. Er spricht überhaupt nicht gern. Auch weiß er sicher nicht mehr als andere Leute davon zu berichten. Nach Sibley ist er gar nicht gereist.

Ging er denn nicht zum Begräbnis hin?

Nein, er war gerade krank, stark erkältet, glaub ich, und mußte das Zimmer hüten. Seine Tante hat ihm ihr Vermögen hinterlassen, aber er ist nicht nach Sibley gegangen, um die Erbschaft in Empfang zu nehmen. Manche wundern sich darüber, aber ich – –

Sie brach mitten in ihrer Rede ab und lächelte einem Herrn verbindlich zu, welcher soeben aus dem Nebenzimmer eintrat. Byrd erkannte den Mann, den er zuerst für Mansell gehalten.

Sie entschuldigen, begann dieser eilfertig, die Gesellschaft hat drinnen ein Spiel vor, an welchem sich Fräulein Klayton unbedingt beteiligen muß.

Lassen Sie mich Ihnen zuerst Herrn Byrd vorstellen, Herr Brown, sagte die junge Dame mit anmutiger Leichtigkeit, da Sie beide noch fremd sind in unserem Kreise, freut es mich, Sie miteinander bekannt zu machen. Die Herren verbeugten sich, dann reichte Brown dem Fräulein den Arm und verschwand mit ihr im Nebenzimmer.

Byrd, der allein blieb, blickte dem unwillkommenen Störenfried mit nicht sehr freundlichen Gefühlen nach. Bisher war alles so gut gegangen, die Unterhaltung hatte so vielversprechend begonnen, nun kam dies erste Hemmnis!

Um einen neuen Versuch zu machen, näherte er sich seiner früheren Tischnachbarin, der etwas schüchternen Tochter vom Hause, die in einer Nische hinter dem Klavier Platz genommen hatte.

Der große, schwarze Herr, sagte er, der so spät kam, hat sich sehr früh wieder zurückgezogen.

Sie meinen Herrn Mansell? – Der ist in Trauer. Eine Verwandte von ihm ist neulich auf geheimnisvolle Weise umgebracht worden. Es war eine Frau Klemmens, die in Sibley wohnte. Sie werden es aus der Zeitung wissen.

Jawohl, und der Herr ist ihr Neffe? – Eine merkwürdige Erscheinung; wie mir scheint, wenig gesprächig.

Er ist sehr klug und geschickt, besonders interessiert er sich für Maschinen und hat eine Erfindung gemacht –

O komm, Klara, rief in diesem Augenblick eine muntere Stimme, du mußt mitspielen und kannst nicht da hinten sitzen bleiben, bringe nur den Herrn auch gleich mit! Das junge Mädchen, das die Säumigen herbeiholen sollte, lief auf ihren Platz zurück, neben den gleichen Herrn Brown, der sich dem jungen Detektiv schon vorhin lästig erwiesen.

Wieder ein Hindernis, dachte er, der Mensch ist mir ja überall im Wege.

So sah sich Byrd sehr wider Willen mit in das Spiel hineingezogen; erst nach einiger Zeit gelang es ihm, sich unbemerkt zu entfernen. Zunächst suchte er nun die Wirtin, Frau Hart, selbst in ihrem Wohnzimmer auf und wußte sie gleichfalls geschickt auf das Thema zu lenken, das ihn einzig und allein beschäftigte. Er hatte eben von ihr erfahren, daß Mansell zurzeit der Mordtat vom Hause entfernt gewesen sei, als an die Tür geklopft wurde. Mit höflicher Verbeugung, einen schnellen, überraschten Blick auf Byrd werfend, trat der unvermeidliche Herr Brown ins Zimmer, offenbar mit der Absicht, seine Aufwartung zu machen.

Diese dritte Störung war Byrd ausnehmend ärgerlich, doch ließ er sich nichts merken, empfahl sich bei Frau Hart, trotz ihrer liebenswürdigen Aufforderung zu längerem Bleiben, und kehrte ins Gesellschaftszimmer zurück.

Die letzten Gäste waren aber soeben fortgegangen, er fand nur leere Räume und mußte sich entschließen, sein eigenes Zimmer im vierten Stock aufzusuchen.

In dem langen Gang reihte sich Tür an Türe. Er glaubte sich zu erinnern, daß die seinige die dritte von der Treppe sei und öffnete diese ganz zuversichtlich. Sofort erkannte er, daß er in ein falsches Zimmer geraten sei und zwar in Mansells. Dies zeigte schon das zierliche Modell einer kleinen Maschine, das auf dem Tische stand. Aber auch der Erfinder selbst war zugegen. Er saß mit dem Rücken nach der Tür, die Arme auf dem Tisch und den Kopf darauf gelegt, wie gebeugt von Jammer oder Verzweiflung. Rasch wollte sich Byrd wieder zurückziehen, aber die Gestalt verharrte so still, so regungslos, daß ihn ein Schauder ergriff; er trat vor, nannte des jungen Mannes Namen, und da er keine Antwort erhielt, berührte er seine Schulter.

Dies wirkte. Craik Mansell schnellte in die Höhe und stand schon im nächsten Augenblick vor dem unberufenen Eindringling. Was haben Sie hier zu suchen? rief er mit finster gerunzelten Brauen. Die ganze Heftigkeit seiner Natur sprühte aus den zornigen Augen.

Entschuldigen Sie, bat Byrd höflich, ich habe mich im Zimmer geirrt – –. Sprachlos hielt er inne, kaum seinen Augen trauend: in Mansells rechter Hand erblickte er ein Bild – die Photographie von Imogen Dare. Quer über Gesicht und Gestalt waren unbarmherzig zwei dicke schwarze Striche kreuzweise gezogen. – Sie saßen so unbeweglich da, als ich eintrat, fuhr er fort, ich fürchtete, es sei Ihnen etwas zugestoßen, deshalb rief ich Sie beim Namen.

Mansell verneigte sich kalt. Ich bin Ihnen sehr verbunden, sagte er, sich unwillig abwendend.

Byrd sah, daß er allein sein wollte, und mochte sich daher nicht aufdrängen, wie wichtig es ihm auch gewesen wäre, das Gespräch fortzusetzen. Eben öffnete er die Tür, um sich zu entfernen, als sie plötzlich aufgerissen wurde und wiederum der überlästige Brown hereinplatzte.

Das ging über Mansells Geduld. Zornig trat er auf den zweiten Eindringling zu, wies auf die Tür und fragte, ob es nicht Sitte unter anständigen Leuten sei, anzuklopfen, bevor man ein fremdes Zimmer betrete.

Brown erschöpfte sich in Entschuldigungen; er wisse gar nicht, wie es zugegangen sei, solchen Irrtum habe er noch nie begangen; er hätte darauf geschworen, dies sei seine Zimmertür. Bitte noch tausendmal um Verzeihung, rief er, sich geräuschvoll zurückziehend.

Byrd stand starr vor Staunen; dieses seltsame Zusammentreffen ging denn doch über alle seine Begriffe. Er sah ein, wie vergeblich jeder Versuch einer Auseinandersetzung mit dem erzürnten Mansell sein würde; verwirrt und betreten stammelte er nur noch, daß er den andern Herrn nicht kenne, und entfernte sich so schnell wie möglich.


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