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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Noch bis zum späten Nachmittag dauerte die Vernehmung der Belastungszeugen. Ihre Aussagen dienten sämtlich dazu, den Verdacht gegen den Angeklagten zu verschärfen, so daß sich der günstige Eindruck, den seine Persönlichkeit auf alle Anwesenden gemacht hatte, mehr und mehr verlor.

Wenn Orkutt sich nun nicht bald zusammennimmt, wird er für seinen Klienten nichts mehr ausrichten können, äußerte ein Zuhörer im Vorsaal des Gerichtsgebäudes.

Endlich war der Augenblick gekommen, da der Rechtsanwalt die Verteidigungsrede beginnen sollte. Ruhig und siegesgewiß stand er da. Obgleich von Natur weder besonders wohlgestaltet noch imponierend, gehörte Orkutt doch zu den Menschen, welche verstehen, jeder Gelegenheit gerecht zu werden. Im entscheidenden Augenblicke war es stets, als wüchse seine Schlagfertigkeit; seine Worte sprühten von Geist und Leben, und dabei schien selbst seine äußere Erscheinung eine Kraft und Größe zu gewinnen, die ihr für gewöhnlich abging.

Welche Gefühle ihn auch heute bewegen mochten, von dem Augenblick an, da er sich erhob, um Mansells Sache zu führen, kannte er kein anderes Bestreben, als den Angeklagten zu retten und als Sieger aus dem Kampfe hervorzugehen.

Meine Herren Geschworenen, begann er, es liegt heute nicht in meiner Absicht, mit dem verehrten Herrn Bezirksanwalt über das Beweismaterial zu streiten, das er uns mit so viel Scharfsinn vorgeführt hat. Die Pflicht, welche ich zu erfüllen habe, ist eine weit einfachere. Ich will Ihnen zeigen, daß der Angeklagte völlig unschuldig ist, trotz aller Beweisgründe, die sich bergehoch gegen ihn auftürmen und obgleich es ihm weder an Beweggründen noch an Gelegenheit gefehlt hat, das Verbrechen zu begehen. Mit anderen Worten: die Verteidigung bestreitet nicht etwa die Tatsachen, welche zu unserer Kenntnis gekommen sind, sondern die Folgerung, die der Herr Bezirksanwalt und vielleicht auch andere daraus gezogen haben. Hier schweifte Orkutts Blick nach der Zeugenbank hin; dann fuhr er fort: Es kann nicht die Hand des Angeklagten gewesen sein, die den Mordstreich auf die Witwe Klemmens geführt hat, dem steht eine physische Unmöglichkeit im Wege. Ja, meine Herren, der Angeklagte gibt zu, daß er ein großes Verlangen nach jener Geldsumme trug, daß er sich nach Sibley begab, in der Hoffnung, seine Tante werde sie ihm vorstrecken. Er kam heimlich dahin und auf dem bezeichneten Umwege. Die Zusammenkunft im Walde hat wirklich stattgefunden und auch die Angaben über den Inhalt seiner Unterredung mit dem Mädchen, das er zum Weibe begehrte, bestreitet mein Klient nicht. Es ist richtig, daß er den Diamantring Fräulein Dare an den Finger steckte und daß sie ihn wieder abzog, auch trotz seiner Bitten bei ihrer Weigerung, ihn anzunehmen, beharrte. Auf welche Weise sie ihm sein Geschenk wieder gegeben hat, vermag er nicht zu sagen, denn es ist ihm nur erinnerlich, daß er ihre Hand mit dem Ringe fortschob, als sie auf der Rückgabe bestand. Der Angeklagte hat in der von den Zeugen beschriebenen Hütte geschlafen und sich noch bis zum nächsten Mittag dort und im Walde aufgehalten. Dies alles gibt er zu, ohne Vorhalt. – Aber, meine Herren, was mein Klient bestreitet und nun und nimmermehr zugeben wird, ist, daß er den Mordstreich geführt hat, durch welchen die Witwe Klemmens ihres Lebens beraubt wurde. Hiefür bin ich bereit, den Beweis anzutreten:

Durch die Aussage der Belastungszeugen ist erwiesen, daß der Mordanfall auf Frau Klemmens am Dienstag den 26. September, früher als drei Minuten nach zwölf Uhr erfolgte. Zuerst wünsche ich festzustellen, daß die Witwe zehn Minuten vor zwölf noch unverletzt und im besten Wohlsein war. Zu dieser Zeit sah sie ein Zeuge und sprach mit ihr; folglich muß der Schlag, welcher die Ursache ihres Todes wurde, später geführt worden sein, als zehn Minuten vor zwölf. Nun hat aber das Zeugenverhör gleichfalls ergeben, daß der Angeklagte am selben Tage, zwanzig Minuten nach ein Uhr, den Eisenbahnzug auf der Station beim Steinbruch vor Monteith bestieg. Der Weg, den er dorthin einschlug, war erwiesenermaßen derselbe, auf welchem er sich tags zuvor heimlich und verstohlen dem Hause der Witwe Klemmens genähert hatte: nämlich der Pfad durch den Wald, der einzige, wie ich hier gleich erwähne, auf welchem man von der Station die Rückseite des bewußten Hauses erreichen kann. Aber, meine Herren, was sich bei dem Verhör nichtherausgestellt hat und was ich Ihnen jetzt zu zeigen beabsichtige, ist der Umstand, daß kein Mensch jenen Pfad benutzen kann, ohne auf die größten Hemmnisse und Schwierigkeiten zu stoßen. Dorngestrüpp und Steingeröll verhindern sein schnelles Vorwärtskommen; beim Abweichen nach der einen oder andern Seite gerät man in Sumpfboden, der mit dicht verwachsenem Unterholz bestanden ist; einen Richtweg durch den Wald zu nehmen ist daher ein Ding der Unmöglichkeit. Bleibt man aber auf dem Pfade und folgt allen seinen Biegungen und Windungen bis an die Hauptstraße, welche zu der Station am Steinbruch führt, so kann man diesen Weg nicht in der kurzen Zeit zurücklegen, die zwischen der Mordtat und dem Augenblick lag, als der Angeklagte auf der Station gesehen wurde. Meine Zeugen für diese Behauptung sind zwei Neuyorker Schnelläufer, welche auf der Strecke selbst den Versuch angestellt und ihren Aussagen zufolge eine größere Minutenzahl dazu gebraucht haben, als dem Angeklagten zur Verfügung stand. Hat er also, wie erwiesen ist, den Zug nach Buffalo benutzt, so kann er zur Zeit, als der Mordstreich fiel, unmöglich im Hause der Frau Klemmens gewesen sein; er muß sich auf dem Wege nach dem Bahnhof befunden haben und nirgends anders. – Meine Herren, dies ist unsere Antwort auf die furchtbare Anklage, die gegen meinen Klienten erhoben worden ist. Auf diese einfache, aber folgenschwere Behauptung stützen wir unsere Verteidigung wie auf einen Felsengrund.

Orkutt verbeugte sich vor dem Gerichtshof und nahm seinen Platz wieder ein. Es war inzwischen spät geworden, und die Verhandlung wurde vertagt.


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