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In der Zwischenpause, welche entstand, während die Zeugin Emilie Firman sich zurückzog, verwandte Byrd kein Auge von der Türöffnung, in welcher der Ellenbogen des unsichtbaren Individuums sich lebhaft hin und her bewegte, wie um sich Raum zu schaffen. Jetzt kam statt des Ellenbogens eine Hand zum Vorschein, die sich nach dem Hut ausstreckte, der in der Ecke am Boden stand. Byrd konnte nicht umhin, die Hand zu betrachten. Die muß einem besseren Herrn angehören, dachte er; sie war groß, weiß, schön geformt und trug am kleinen Finger einen auffallend schweren Siegelring. Sie langte nach dem Taschentuch, das im Hute lag, und verschwand damit hinter dem Türpfeiler, der sie den Blicken des Detektivs entzog. Als die Hand abermals erschien, um das Tuch in den Hut zurückzulegen, bemerkte jener zu seiner Ueberraschung den Ring nicht mehr, der einen Moment zuvor seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Der feine Herr hatte ihn abgezogen. Warum wohl? Fürchtete er sich etwa? – Ob wohl der Mann, den Byrd für den zweiten Detektiv, für seinen Nebenbuhler hielt, den Vorgang auch bemerkt haben mochte? – Rasch blickte er nach ihm hin; er stand ruhig, anscheinend teilnahmlos am Pfeiler, sich das Kinn mit der Hand streichelnd.
Jetzt nahm der Coroner wieder das Wort: Wir haben soeben aus dem Zeugnis von Frau Klemmens' bester Freundin ersehen, was die Ursache der geheimen Befürchtungen gewesen sein kann, welche die Ermordete für ihre Sicherheit hegte. Wir dürfen zwar, meine Herren, solchen Gefühlen einer einsam lebenden, vielleicht menschenscheuen Frau kein allzugroßes Gewicht beilegen, doch möchte ich Ihnen noch eine schriftliche Aufzeichnung der Witwe unterbreiten, welche –
Hier wurde der Vorsitzende durch die Ankunft eines Boten unterbrochen, der ihm ein Telegramm einhändigte. Während der Coroner die Depesche las, kam Byrd plötzlich ein Gedanke. Er riß ein Blatt aus seinem Taschenbuch und schrieb einige Zeilen des Inhalts darauf, daß er es für ratsam halte, den Wirt des Osthotels über Stand und Namen der Fremden zu vernehmen, welche am Tage der Mordtat bei ihm eingekehrt seien. Nachdem er seine Anfangsbuchstaben H. B. unterzeichnet, gab er das Blatt einem Knaben in seiner Nähe mit dem Auftrag, es dem Coroner zu überbringen.
Die Botschaft langte glücklich drinnen bei Doktor Tredwell an; er las sie mit zustimmendem Kopfnicken und einem Ausdruck der Befriedigung, dessen Ursache Byrd leicht erriet, sandte dann einen Polizeidiener ab und nahm die Verhandlung wieder auf.
Das erwähnte Schriftstück fand sich beim Suchen nach Fräulein Firmans Adresse in einem Fach von Frau Klemmens' Schreibtisch, fuhr der Coroner in seiner Rede fort. Es steckte unter einem Haufen alter Rechnungen in einem unversiegelten Umschlag; die Schrift stimmt mit der des angefangenen Briefes überein, und es ist »Marie Anna Klemmens«unterzeichnet. Ich ersuche den Geschworenen Black , die Anwesenden mit dem Wortlaut bekannt zu machen.
Herr Black kam der Aufforderung nach und las wie folgt:
»Im Fall meines plötzlichen oder gewaltsamen Todes fordere ich die Behörden auf, zu untersuchen, ob der strafbare Urheber desselben nicht ein Herr namens Valerian Hildreth ist, wohnhaft in Toledo, Ohio. So lange ich lebe, kann er nicht in den vollen Besitz seines Vermögens gelangen, und da er ein gewissenloser Mensch ist, wird er kein Mittel unversucht lassen, mich aus dem Wege zu räumen. Sterbe ich auf gewaltsame Weise, so geschieht es durch seine Hand, dessen bin ich überzeugt.
Marie Anna Klemmens.
Sibley N.-Y.«
Eine schwere Anschuldigung, bemerkte der Coroner, die wohl zu beachten ist. Auf meine Nachfrage hat mir der Polizeiinspektor von Toledo mitgeteilt, daß Herr Hildreth sich gegenwärtig nicht dort befindet, sondern irgendwo in hiesiger Gegend. Tredwell nahm eine Depesche vom Tisch und las:
»Der Gesuchte von Toledo abwesend. Reiste mit dem Nachtzug am Mittwoch den 27. nach dem Osten. Letzte Nachrichten aus Albany. Hat ausschweifend gelebt und ist, wie allgemein bekannt, in großer, dringender Geldverlegenheit. Näheres durch Brief.«
Dieses Telegramm, meine Herren, erhielt ich gestern abend, ihm ist soeben ein zweites gefolgt. Er nahm die zuletzt eingegangene Depesche zur Hand:
»Neuere Nachrichten. Der Mann, den Sie suchen, sprach neulich im Klub von Selbstmord; schien in verzweifelter Lage und meinte, wenn nicht bald etwas geschehe, sei er verloren. Hasardspiel, Wetten und allerlei unglückliche Spekulationen haben ihn zugrunde gerichtet. Alles was er besitzt oder zu erwarten hat, reicht, wie es heißt, kaum hin, seine Schulden zu bezahlen.«
Darunter steht noch:
»Er soll in Ihrer Stadt gewesen sein.«
Byrd sah sich nach dem Ellenbogen in der Türöffnung um: er verharrte völlig unbeweglich, wie von plötzlichem Schrecken gelähmt. Die seltsamste Veränderung war jedoch mit dem Mann am Türpfeiler vorgegangen, der bisher so gleichgültig dreingeschaut hatte. Seine Augen funkelten, er sah drohend und kampfbereit aus, wie ein Panther, der auf seine Beute lauert und sich zum Sprunge anschickt.
Der Zeuge, den ich jetzt aufrufen werde, fuhr inzwischen der Coroner fort, ist der Eigentümer des Osthotels, – Ah, da sind Sie ja, Herr Symonds. Haben Sie das Fremdenverzeichnis der letzten Woche mitgebracht?
Hier ist es, erwiderte der neue Ankömmling mit unverkennbarer Unruhe und Verlegenheit in Miene und Gebärde. Er händigte dem Coroner eine Liste ein, die den Geschworenen zur Prüfung übergeben wurde.
Da steht ein Klemens Smithaus Toledo, bemerkte einer derselben, indem er fragend zu dem Wirt aufsah.
Smith – Smith? wiederholte Symonds mit unsicherer Stimme. Ach ja, der Herr kam gestern. Er – er ist noch im Hotel.
Hier beobachtete Byrd ein kleines, ihm höchst interessantes Zwischenspiel: im Augenblick, als der Zeuge den Namen Smith aussprach, hatte der Mann am Pfeiler sein Taschentuch mit einem so kräftigen Schwung herausgezogen, daß es ihm aus der Hand auf den Boden fiel. In der Eile, es aufzuheben, stieß er zur großen Belustigung der Umstehenden den in der Ecke stehenden Hut um. Das darin befindliche Taschentuch fiel dabei auch heraus, worauf der Mann, sich vielmals entschuldigend, beide Tücher aufhob, sie besah, und das eine in seine Tasche steckte. Das andere legte er in den Hut zurück, bei welcher Gelegenheit er diesen so weit auf die Seite stellte, daß der Herr seiner Kopfbedeckung nur habhaft werden konnte, wenn er aus dem verborgenen Winkel heraustrat. Byrd verstand das kleine Manöver seines Kollegen, auch sah er, daß dieser nunmehr seinen Standpunkt in dichtester Nähe des unsichtbaren Herrn eingenommen hatte.
Jetzt im Hotel, wiederholte der Coroner, und gestern angekommen? – Warum machten Sie denn ein so verlegenes Gesicht bei meiner Frage?
Weil – weil – stammelte der Wirt, der Herr schon einmal vorher da war.
Wann denn?
Am Dienstag, sagte jener entschlossen, als sehe er ein, daß es nutzlos sei, länger mit der Wahrheit zurückzuhalten.
Am Tage der Mordtat? – Und warum ist sein Name nicht verzeichnet?
Weil er nur kurze Zeit da war, nur um sich bei mir zu erkundigen.
Wonach?
Nach der Wohnung der Witwe Klemmens.
Die Antwort brachte endlich Licht in das Dunkel. Der lange gesuchte Zeuge war gefunden. Die Blicke des Coroners und der Geschworenen erhellten sich, und durch die Menge lief ein erwartungsvolles Gemurmel. Unabwendbar nahte das Verhängnis.
Wieviel Uhr war es, als Sie den Herrn nach dem Hause der Frau Klemmens wiesen?
Halb zwölf Uhr mittags.
Und wann sahen Sie ihn wieder?
Erst gegen abend. Er kam mit dem Fünfuhrzug an, aber da ich den ganzen Nachmittag auswärts war, sah ich ihn erst spät abends im Gastzimmer. Ich brachte ihm gleich das Fremdenbuch zum Einschreiben und begleitete ihn dann auf sein Zimmer. Er war sehr wortkarg: den Zweck seines Kommens und Gehens habe ich nicht erfahren.
Weshalb aber verschwiegen Sie, daß ein unbekannter Herr am Tage der Mordtat bei Ihnen eingekehrt ist, um sich nach der Witwe zu erkundigen?
Symonds sah verlegen zu Boden.
Ich bringe mich nicht gern in Ungelegenheiten – –
Aus dem Blick, den der Coroner ihm zuwarf, sprach keine Anerkennung für solche weise Vorsicht. Jetzt wandte er sich an den Polizeidiener:
Wir werden Herrn Smith als Zeugen vorladen müssen, sagte er. Er soll sich noch im Hotel aufhalten; bringen Sie ihn unverzüglich hierher!
Das wird kaum nötig sein, ließ sich hier eine laute Stimme aus der Mitte der Zuhörer vernehmen. Zugleich erschien der untersetzte Mann, dem Coroner sichtbar, im Türeingang. Er legte die Hand auf den Ellenbogen, der so lange schon der Gegenstand von Byrds Aufmerksamkeit gewesen war. Ein Ruck – und der stattliche, blonde Fremde vom vergangenen Abend kam plötzlich hinter dem Pfeiler zum Vorschein.
Was soll das heißen? schrie er, rot vor Wut, den gewalttätigen Detektiv an.
Sie werden es gleich erfahren, versicherte jener ruhig, treten Sie nur gefälligst etwas mehr in den Vordergrund.
Ohne Widerstand zu leisten, schritt der Fremde durch die Menge nach dem Eingang des Zimmers hin, in dem sich der Coroner und die Geschworenen befanden.
Nun, rief er, sich hoch aufrichtend, was wollen Sie von mir?
Der Detektiv stand hinter ihm, einen bedeutsamen Blick mit Doktor Tredwell wechselnd, der sich an den Gastwirt mit der Frage wandte:
Kennen Sie diesen Herrn?
Es ist Herr Klemens Smith.
Das Gesicht des Fremden glühte, ob vor Zorn oder Verwirrung war schwer zu unterscheiden, doch erwiderte er kein Wort.
Einen Moment zögerte der Detektiv, dann sagte er bestimmt:
Das beruht wohl auf einem Irrtum. Es wird richtiger sein, den Herrn jetzt Valerian Hildreth zu nennen.
Die Röte in dem Antlitz des Fremden wich urplötzlich einer verräterischen Blässe.
Wie kommen Sie darauf? fragte er, den Detektiv von Kopf zu Fuß betrachtend, so viel ich weiß, habe ich nicht die Ehre Ihrer Bekanntschaft.
Ganz richtig, entgegnete der Angeredete, das Taschentuch herausziehend, das er vorhin eingesteckt hatte, und es dem andern mit einer Verbeugung überreichend. Ich habe aber Ihr Monogramm gesehen und das ist –
Genug! fiel ihm jener mit verächtlichem Ton ins Wort. Ich sehe, ich bin einer schlauen Spionage zum Opfer gefallen. Dann trat er stolz über die Schwelle des Gerichtszimmers und sagte zu dem Coroner gewandt:
Mein Name ist Valerian Hildreth und ich komme aus Toledo. Was wollen Sie von mir? –