Paul Grabein
Der König von Thule
Paul Grabein

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XVII.

Zur vereinbarten Zeit legte das Boot, das Amthor und Eva Söllnitz von der »Hamburg« herüberbrachte, bei dem kleinen Dampfer an, der schon unter Feuer lag. Während die Schiffsleute das Gepäck an Deck schafften, geleitete Amthor Eva in den engen Kajütenraum, sonst die Kabine des Kapitäns, die jetzt in aller Eile notdürftig zu ihrer Unterkunft hergerichtet war.

Nur wenige flüchtige Minuten waren den beiden noch vergönnt; denn er konnte ihr ja natürlich nur bis hierher das Geleit geben und mußte wieder an Bord der »Hamburg« zurück. Nun war der Mann, der Evas Handgepäck in die Kajüte getragen hatte, auch hinausgegangen, und sie waren allein. Es hieß Abschied nehmen.

Unbeweglich stand Amthor nahe der Tür, den Blick vor sich hin geheftet, wie sonderbar das doch war: Er hatte gemeint, es müsse ihn ein unerhörter Schmerz zerreißen, ihn zu verzweifeltem Ausbruch treiben – und nun nichts davon! Eine starre Ruhe war vielmehr über ihn gekommen, als ginge ihn das hier gar nichts an. War er es denn wirklich, der hier Eva Söllnitz gegenüberstand, der geliebten Frau, um die er übermenschliches Leid getragen hatte und die er nun zum letzten Male vor sich sah? Wie konnte er so gelassen, so gefühllos ruhig, vor ihr stehen?

Langsam hob er den Blick zu ihr, die weiter drinnen in dem dämmrigen Raum stand, halb von ihm abgewandt, nahe dem kleinen Sofa, das in die Rückenwand eingebaut war. Im Hut und Schleier, den Reisemantel angetan, sah er sie da vor sich, das Antlitz über ein Täschchen gebeugt, an dem sie wortlos, mit zitternden Fingern schloß; noch immer, obschon der Matrose ja nun hinaus war, um dessentwillen sie diese äußerliche Beschäftigung vorgeschützt hatte, um den Blick von ihrem Seelenzustand abzulenken.

Aber nun warf sie die Tasche plötzlich vor sich auf den Tisch und mit einem fassungslosen Aufschluchzen brach sie auf dem Sofa zusammen, ihr Gesicht in den Händen verbergend.

Da tobte der Schmerz in Amthor auf, daß er hätte aufschreien mögen. Im nächsten Augenblick kniete er vor ihr und vergrub, ihren Leib umfangend, sein Gesicht in ihrem Schoß.

Atemlos hatte es sie ja in diesen letzten Stunden umgetrieben: Die sich überstürzenden Ereignisse und furchtbaren Seelenspannungen, dann die Hetze der Reisevorbereitungen – da waren sie beide nicht zur Besinnung gekommen. Aber nun wurde es ihnen plötzlich voll bewußt, was diese Minute bedeutete – den Abschied für immer!

Wortlos hielten sie sich lange umschlungen. Nur ihre zuckenden Herzen, ihre fiebernden Hände sprachen, erschütternder als Worte.

Dann sprang Amthor empor. Noch einmal drückte er ihr seine Lippen auf die Stirn in einem leidenschaftslosen, segnenden Kusse.

»Leb wohl!«

Eva Söllnitz hob die tränenfeuchten Blicke, aus denen haltlose Verzweiflung klagte, zu ihm auf. Sie sah in ein blasses, feierlich ernstes Antlitz, von dem es wie eine Verklärung leuchtete, die Hoheit des Leidens, das sich selbst überwunden hat. Da geschah ihr wie ein Wunder: Auch ihr wurde es plötzlich still im Herzen, und nur die große, für sich nichts mehr begehrende Liebe blieb.

»Hjalmar – nur einmal noch sag' mir das Wort, das du mir nie hättest sagen sollen,« bat sie.

Er zögerte einen Moment, dann tat er nach ihrem Wunsch.

»Ich liebe dich, Eva – in alle Ewigkeit.«

Kaum vernehmbar flüsterte er es, aber der bebende Hauch drang durch den lautlosen Raum in schlichter Feierlichkeit.

Mit geschlossenen Augen, einen seligen Ausdruck in den Zügen, lauschte sie dem Bekenntnis. Dann griff sie nach seiner Rechten und plötzlich, ehe er es ihr wehren konnte, riß sie sie an ihren Mund. Heiß fühlte er die zuckenden Lippen, noch heißer die Tränen auf seiner Hand brennen.

»Hab' Dank, unsagbaren Dank, für alles, was du mir gabst! – Und nun geh. Ich kann nicht mehr.«

Es schoß ihm glühend in die Augen, er meinte, sein Herz müsse brechen in diesem Augenblick. Was hatte er ihr nicht wenigstens noch alles sagen wollen – aber sie drängte ihn mit letzter Kraft zur Tür.

»Geh,« flehte sie noch einmal, sie war ja am Ende.

Da ging er schnellen Schrittes hinaus, ohne noch einmal zurückzusehen. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, wußte er: Nun sank sie da drinnen hilflos zusammen in ihrem Herzeleid.

Eine Minute später saß Amthor unten im Boot, den Blick starr in die Ferne geheftet, und die eiligen Ruderschläge führten ihn von Mal zu Mal weiter ab von dem Schiff, das mit seinen zertrümmerten Hoffnungen nun hinaus fuhr in die unermeßliche Ferne.

 


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