Paul Grabein
Der König von Thule
Paul Grabein

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XI.

Eva Söllnitz hatte sich gleich von Amthor getrennt. Auf dem Vorplatz, einem schon im Kajütenbau belegenen geschützten Raum, traf sie unvermutet auf ihre kleine Freundin Anne-Marie, die unbekümmert um das Schwanken des Schiffes mit einer Puppe auf dem weichen Smyrnateppich spielte. Etwas abseits stand das Fräulein mit zwei Damen im Gespräch.

»Tante Eva!« Mit einem freudigen Aufschrei flog das Kind der jungen Frau in die Arme.

»Mein süßer Liebling, wo steckst du denn? Ich habe dich ja gestern und heute morgen überall vergeblich gesucht?« fragte Eva Söllnitz, die Kleine zärtlich liebkosend an sich pressend.

Aber da stand plötzlich das Fräulein bei ihr.

»Anne-Marie!« mit strengem Ton zog sie das Kind an sich. »Du weißt doch, du sollst das nicht!« und schnell riß sie die Kleine an sich.

Eva Söllnitz blickte höchst verwundert und betroffen auf die Erzieherin, die es vermied, sie anzusehen, sondern mit verkniffener, fast feindseliger Miene das zerdrückte Kleidchen der Kleinen wieder glatt strich.

Was hatte das zu bedeuten? Eine Frage schwebte der jungen Frau auf der Zunge; aber da merkte sie zufällig die in leiser Schadenfreude aufleuchtenden Blicke der beiden Damen drüben, und rasch wandte sie sich mit einem kurzen, aber herzlichen »Auf Wiedersehen, meine Anne-Mie!« ab.

Im Weitergehen aber grübelte sie nach: Was war das eben? Es legte sich plötzlich etwas, so dunkel und beklemmend, auf ihr eben noch so jubelnd leichtes Herz. Sie zerbrach sich den Kopf. Hatte sie denn dem Fräulein vielleicht unwissentlich etwas getan? Vergeblich sann sie nach. Und dann die boshaften Blicke der beiden anderen da! Sie kannte die Damen gar nicht persönlich; aber freilich, sie wußte es ja längst: Sie war den meisten Frauen hier an Bord ein Dorn im Auge, weil sie sich so exklusiv verhielt und weil sich die Herren so um sie bemühten.

Aber mochten sie doch! Eva Söllnitz warf unwillkürlich den Kopf zurück. Jetzt sollte es ihr erst recht ganz gleichgültig sein, wo sie ihn an ihrer Seite wußte als ihren treuen Beschützer – bald vielleicht vor aller Welt, mit dem unbestrittenen Recht dazu!

Eine heiße Blutwelle schoß ihr bei dem Gedanken ins Antlitz. – welch Glück, daß sie schon in dem dunkeln, schmalen Korridor zu ihrer Kabine war! – Daß sie es wagte, solchen Gedanken überhaupt zu denken! war es denn nicht Torheit, Vermessenheit? Sollte sie nicht lieber solchen Gedanken noch im Keim ersticken mit aller Kraft ihrer Vernunft, anstatt ihn mit ihrem geheimsten Herzenssehnen zu nähren und zu stärken?

Sie trat in ihre Kabine ein und schloß die Tür mit fliegender Hand hinter sich. Dann preßte sie beide Hände gegen ihre fieberhaft erregt pulsende Schläfe. Wie ihr ganzes Wesen in Aufruhr stand, wie ihr Herz pochte! Alles, alles um jener flüchtigen Sekunde vorhin willen.

Nein! Leidenschaftlich jauchzte es in ihr auf. Nein, nein! Sie wollte diesen süßen Rausch nicht unterdrücken, sie wollte ihn auskosten – mehr, mehr bis zu Ende!

Ein Hornsignal, das »Siegfriedsmotiv« aus der Wagnerschen Oper, das draußen auf dem Gang hellschmetternd geblasen wurde, schreckte sie plötzlich auf. Langsam nur fand sie sich in die Welt zurück.

Ah so – es war Zeit, sich zu Tisch zurecht zu machen!

Ein neuer Gedanke ließ sie nun aufspringen. Ja, sie wollte sich schmücken, – schön, sehr schön wollte sie sein, für ihn! Und sie eilte ans Werk.

Seit langen Jahren war ihr das Toilettemachen eine so gleichgültige Sache gewesen. Ihre Gedanken waren ja so ganz andere. Aber heute machte ihr mit einem Male wieder diese natürlichste Frauenkunst eine hohe Freude. Sie wollte ihm gefallen, wollte in seinem geheimen, aufleuchtenden Blick glückselig lesen, daß er sie ein wenig hübsch fand.

So musterte sie denn eifrig ihre Toilettenschätze. Endlich hatte sie das Richtige gefunden. Zu einem glatten, schwarzen Rock eine duftige, schneeweiße Crêpe de Chine-Bluse, ganz einfach, aber mit kostbaren Valenciennes-Spitzen besetzt, die Taille umschlossen von einem echten, altisländischen Goldfiligrangürtel, den sie sich von der Insel mitgebracht hatte.

Schnell trat sie dann fort zu dem Waschtischschränkchen, das gleichzeitig auch als Frisiertoilette diente, um dort noch ihr Haar ein wenig zu ordnen. Um dabei besseres Licht zu haben, griff sie nach der Zuggardine vor dem Kabinenfenster, um diese beiseite zu schieben. Dabei fiel ihr Blick zufällig auf einen Brief, der auf dem Fensterbänkchen lag. Etwas überrascht griff sie danach: Ein Brief? An sie?

Die Aufschrift, in der Tat mit ihrer Adresse, trug ihr unbekannte Federzüge, offenbar von einer Frauenhand; das Kuvert zeigte das Wappen der »Hamburg«.

Der Brief war also hier an Bord geschrieben worden.

Schnell erbrach sie das Schreiben und überflog im Augenblick die wenigen Zeilen:

»Verehrte Dame!

Wir sind nicht länger gesonnen, Ihr unerhörtes, jeder guten Sitte ins Gesicht schlagendes Benehmen stillschweigend zu dulden. Die Komödie mit Ihrem Liebhaber, den Sie so »zufällig« auf Island getroffen haben, ist doch zu plump und durchsichtig, als daß wir Ihr schamloses Treiben nicht durchschauten. Wir lassen uns aber solchen Skandal nicht länger ungestraft bieten, und die ganze Schiffsgesellschaft wird Ihnen durch ihr Verhalten fortab zeigen, daß sie Sie moralisch gerichtet hat.

In gebührender Hochachtung

mehrere entrüstete Frauen.«

Mit totenblassem Antlitz starrte Eva Söllnitz auf das Schreiben, das ihre zitternde Hand hielt. Im ersten Moment hatte sie die volle Bosheit dieser Beschuldigung noch gar nicht begriffen. Nun aber verstand sie alles, und wankend schleppte sie sich zu dem Sofa hin, wo sie vernichtet zusammenbrach.

Man hielt sie für eine leichtfertige Frau, die mit ihrem Geliebten zusammenreiste!

Stöhnend wühlte sie den Kopf in das Polster.

Nun wurde ihr ja alles klar: Dieses stumme Ausweichen der Leute bei ihrem Kommen – das sonderbare Benehmen des Kinderfräuleins vorhin – die boshaften, schadenfrohen Blicke! – Ja, das angedrohte Urteil über sie war schon vollzogen: Sie war der allgemeinen Verachtung anheimgefallen, von der Gesellschaft geächtet, ausgestoßen! – Durch das offene Fenster hatte man ihr, der Verfehmten, das vernichtende Schriftstück dahin gelegt.

Mein Gott! Die Schande – der Schimpf!

Eine Weile war sie wie niedergeschmettert, völlig gelähmt, nur eine Beute dieses Gefühls brennender Schmach.

Dann aber rüttelte sie das zweite Hornsignal auf. Sie mußte sich fassen – soeben ging man zu Tisch, was nun?

Wild stürmten ihr die Empfindungen, die Gedanken durcheinander.

Bald schwebte ihr als einzige Möglichkeit vor, die ganze Zeit der Reise in ihrer Kabine zu bleiben, als krank im Bette liegend. So entging sie wenigstens all den Martern der Ächtung, die man über sie verhängt hatte. Bald aber bäumte es sich in ihr auf. Nein, warum sollte sie das alles schuldlos leiden? Warum sich wie ein wundgeschossenes Wild verstecken? Zum Kapitän des Schiffes wollte sie gehen, seinen Schutz anrufen, ihm die ganze Infamie mitteilen und um strenge Untersuchung gegen die Schuldigen bitten! – Aber auch das hätte ja keinen Zweck gehabt, wie sollte er die Anstifter ermitteln? Und wie sie strafen? Er hatte ja keine Macht dazu.

Dann wieder dachte sie an Amthor: wenn er den Hauptwidersacher, den Regierungsrat – denn darauf hätte sie schwören können: Er hatte das alles angezettelt! – zur Rede stellte, nötigenfalls züchtigte und ihn zur öffentlichen Abbitte zwang? Doch auch diesen Gedanken ließ sie wieder fallen. Sollte sie Amthor vielleicht ihretwegen in ein Duell hineinhetzen – womöglich mit blutigem, tödlichem Ausgang? Nein, nein, um Himmelswillen nicht das noch! Und vor allem – sie brachte es ja auch nicht übers Herz, zu ihm über die schmachvolle Verdächtigung ihrer Beziehungen zu sprechen – lieber wäre sie gestorben!

Nein, nein, – das alles ging eben nicht.

Doch was dann? Etwas mußte ja geschehen! Oder sollte sie sich wirklich in ihre Kabine vergraben? Aber gab sie denn den Verleumdern mit solcher Flucht aus der Öffentlichkeit nicht ein anscheinendes Eingeständnis ihrer Schuld?

Nein – kein feiges Verkriechen! Hinaus unter die Feinde, und mit doppelt hoch erhobenem Haupte ihnen eine lächelnde Miene gezeigt, als ob die vergifteten Pfeile aus dem Hinterhalt sie nicht getroffen hätten!

Festen Schrittes ging Eva Söllnitz zum Speisesaal hinüber.

 


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