Paul Grabein
Der König von Thule
Paul Grabein

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II.

Den ganzen Tag war das schnell segelnde Schiff angesichts der isländischen Küste gefahren. Endlos streckte sich nach rechts und links, den Horizont entlang, die riesige Kette der Randgebirge, die unmittelbar aus dem grauen Meer auftauchten. In ihrem oberen Teil, durch den weißgrauen schweren Wolkenvorhang in einer ebenmäßigen gewaltigen Linie abgeschnitten, glichen die schwarzen Berge in ihrer abgestumpften Gestalt gigantischen, düsteren Särgen, einer hinter dem anderen aufgebahrt, in unabsehbarer Reihe – wie bei einem Titanenbegräbnis. Keine Spur von Leben, von menschlichen Ansiedlungen zeigte sich von Bord aus dem Auge. So näherte man sich dem sagengrauen unwirtlichen Eilande der Edda, dem Tummelplatz ungefüger Reif- und Nebelriesen, allerhand finsterer Naturgewalten.

Erst als die »Hamburg« Kap Reykjanes umfahren, wurde das Bild ein wenig minder starr in seiner wuchtigen Größe. Die Berge fielen in gewaltigen, dunkeln Stufen zur Ebene ab, und hier und da nahm ein aufschimmernder grüner Uferstreifen der Landschaft das Grausige und Tote. Einmal zog ein Geysir aller Augen auf sich, dessen silberweiße Wasserdampffontaine, bald steigend, bald fallend, hinter einer Bodenfalte aufschoß; dann wieder ein Vogelberg. Vom Böllerschuß des Schiffes aufgeschreckt, erhob sich plötzlich eine dichte Wolke, Millionen von aufflatternden Möwen, vom grauschwarzen Felsen, und wie ein weißer Schleier zog es minutenlang vor der Bergwand auf und nieder.

Wieder eine lange Fahrt – der Lunch, der Tee war genommen, es ging schon der Dinerzeit entgegen – da endlich fuhr das Schiff in die Bucht von Reykjavik ein. Auf grünem Wiesenplan erschienen plötzlich über der See weiße, rote, gelbe, grüne Flecke, die Häuser der alten Hauptstadt der Insel. Um den bunten Teppich herum dehnte sich das öde Sandbraun der Lavafelder, und drüberhin, die Schneehäupter des graublauen Bergrings um die Stadt verhüllend, lagerte schwer eine weiße, wrasige Wolkenschicht, soweit das Auge reichte.

»Die alte Rauchbucht – das bedeutet Reykjavik auf deutsch – macht ihrem Namen wirklich Ehre,« bemerkte Kapitän Neidhardt, zu Frau Söllnitz und dem kleinen Kreis ihrer Bekannten tretend, die erwartungsvoll auf die nun schon so nahe Küste schauten.

Ein krachender Schuß machte plötzlich die Damen zusammenfahren.

»Waren wir das?« erschrocken fragte es die junge Frau.

»Gewiß, gnädige Frau,« lachte der alte Seemann. »wir müssen doch der dänischen Flagge die Honneurs machen.«

Und weiter hallte der donnernde Salut. Dann stieg langsam am Vormast der Danebrog, das weiße Kreuz im roten Felde, und die feierlichen Klänge der dänischen Nationalhymne ertönten vom unteren Promenadendeck, wo die Schiffskapelle der »Hamburg« sich aufgestellt hatte. So segelte langsam und majestätisch das stolze Schiff, die endlose weiße Schleppe kräuselnden Kielwassers hinter sich, in den Hafen von Reykjavik ein.

Eine kleine Pinaß schoß dann von der Küste her dem riesigen Gast entgegen; nun war sie heran – sie beherbergte den deutschen Konsul – und ließ zum Gruß die deutsche Nationalhymne ertönen.

Wie ein Ruck ging es durch die Reihen der Passagiere. Die Herren zogen die Mützen vom Kopf, und heller leuchteten die Augen auf: »Heil dir im Siegerkranz!« Man fühlte sich stolz als Angehöriger der machtvollen Nation, die hier ihre Flagge mit so herrlichem Schiff zeigen durfte. Gottlob, daß die Zeit armseliger Krähwinkelei vorüber war! Deutschland stand nun in erster Reihe des Weltverkehrs. Mit freudig gehobener Brust fühlte es jeder in diesem Augenblick.

Inzwischen war der Danebrog wieder niedergegangen, und das geliebte Schwarz-Weiß-Rot grüßte schlicht und doch stolz vom Mast. Zugleich setzte die Kapelle der »Hamburg« wieder ein, mit machtvoll anschwellenden Akkorden: »Es braust ein Ruf wie Donnerhall!« – Die Wacht am Rhein! Sturmgewaltig rollten die wuchtigen Tonwellen über das Meer hin bis zur Küste. Im fernen Norden, an der Grenze des Polarkreises, tönte so zu dem weltentlegenen Gestade das prachtvolle, schmetternde Lied, das jedem Deutschen das Herz höher schlagen macht.

Mit dem Kapitän, dessen Augen erinnerungsfroh aufleuchteten, standen die anderen Reisegefährten, ganz dem erhebenden Schauspiel hingegeben. Diese Situation benutzte der Regierungsrat Görtz, sich Frau Söllnitz zu nähern. Er wollte doch einmal bei ihr vorsichtig das Terrain sondieren; den ganzen Nachmittag hatte er schon auf eine solche Gelegenheit gewartet.

»Famoser Moment – so was! Nicht, meine Gnädigste?« wandte er sich an die junge Frau, die interessiert auf das belebte Hafenbild schaute. »Das Reisen bleibt doch entschieden der vornehmste aller Genüsse, besonders so an Bord eines Schiffes, wo man, sozusagen, das Welttheater aus der Ersten Rang-Loge betrachten kann.«

»Gewiß.« Frau Söllnitz sagte es, ohne ihn anzusehen.

Die einsilbige Antwort, die nicht gerade zur Konversation aufmunterte, entmutigte aber Görtz nicht.

»Und doch gibt es Leute, die dem Reisen sonderbarerweise keinen Geschmack abgewinnen können.«

»Ein wahrer Segen! Es liefen einem sonst nur noch mehr überflüssige Menschen über den Weg.«

Es war dem Regierungsrat fast, als ob das so eine kleine Anspielung sein sollte; aber er zog es vor, den ironischen Unterton zu überhören.

»Sie reisen immer allein, gnädige Frau?«

»Wieso?« Stutzig geworden, wandte sie ihm plötzlich das Gesicht zu, mit einem forschenden Blick.

»Ich meine, Ihr Herr Gemahl findet wohl weniger Geschmack am Reisen, oder hält ihn sein Beruf ab?«

Der Regierungsrat bemühte sich, eine recht gleichgültige Miene während dieser im leichten Konversationston geäußerten Worte zu zeigen.

Ein leises Fältchen erschien einen Augenblick zwischen den feinen Augenbrauen der jungen Frau, und ihr Blick drang scharf in den seinen. Dann kam nach kurzer Pause ihre Antwort:

»Allerdings – mein Mann ist nicht abkömmlich.«

Völlig gelassen sprach sie es und sah dann wieder auf den Hafen hin. Die »Hamburg« hatte inzwischen ihre Fahrt ganz verlangsamt und stand nun still, um vor Anker zu gehen.

Görtz merkte sehr wohl, wie sie seiner Unterhaltung ausweichen wollte; aber er blieb beim Thema.

»Ah – das ist ja sehr bedauerlich. Sie würden gewiß noch viel mehr Freude an der Reise haben, wenn Ihr Herr Gemahl sie mit Ihnen teilen könnte.«

»Ohne Zweifel – aber man muß sich eben in die Verhältnisse schicken.«

Mit ruhiger Miene erwiderte sie es; doch an der Art, wie ihre Finger etwas nervös die kostbare Blaufuchsboa über dem Kostüm zurechtzupften, merkte er ihre innere Erregung. Eine geheime, prickelnde Freude stieg in ihm auf, wie in dem Jäger, der merkt, daß er auf richtiger Fährte ist.

»Ihr Herr Gemahl konzertiert also auch im Sommer? Gönnt er sich denn gar keine Erholung? Da pausieren die Herrschaften von der Kunst ja doch sonst alle?«

Es zuckte leise in Frau Söllnitz' Gesicht auf. Der Abscheuliche, wie er sie quälte! Sie wußte natürlich längst, worauf das hinaus sollte: Der Klatsch über sie war also auch hier wieder im Gang, war ihr aufs Schiff gefolgt. Nun hatte die Meute Wind bekommen und hetzte wieder hinter ihr her. Ah! Sie hätte aufschreien können vor Zorn und Qual: Was hab' ich euch denn getan? Kann ich mich denn nirgends hinflüchten, wo ich Ruhe habe?

Ihr ganzer Körper flog vor geheimer Erregung; aber sie wahrte ihre Fassung.

»Mein Mann hat sich für eine Konzerttournee in amerikanischen Seebädern verpflichtet. Daher kann er sich dies Jahr einmal nicht ausruhen.«

Dann aber brach sie die Unterhaltung ab. Das Niederrasseln der Ankerkette bot ihr den willkommenen Anlaß dazu. Sie wies nach vorn.

»Aber sehen Sie – wir gehen vor Anker.« Und sie wandte sich nach dem Vorderschiff zu, mit etwas hastigen Schritten.

 


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