Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte. Ausgabe letzter Hand
Johann Wolfgang von Goethe

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Neugriechisch-epirotische Heldenlieder

I

Sind Gefilde türkisch worden,
Sonst Besitz der Albanesen;
Stergios ist noch am Leben,
Keines Paschas achtet er.
Und solang es schneit hier oben,
Beugen wir den Türken nicht.
Setzet eure Vorhut dahin,
Wo die Wölfe nistend hecken!
Sei der Sklave Stadtbewohner;
Stadtbezirk ist unsern Braven
Wüster Felsen Klippenspalte.
Eh als mit den Türken leben,
Lieber mit den wilden Tieren!

II

Schwarzes Fahrzeug teilt die Welle
Nächst der Küste von Kassandra,
Über ihm die schwarzen Segel,
Über ihnen Himmelsbläue.
Kommt ein Türken-Schiff entgegen,
Scharlach-Wimpel wehen glänzend,
»Streich die Segel unverzüglich,
Nieder laß die Segel du!« –
Nein, ich streiche nicht die Segel,
Nimmer lass ich sie herab,
Droht ihr doch, als wär ich Bräutchen,
Bräutchen, das zu schrecken ist.
Jannis bin ich, Sohn des Stada,
Eidam des Bukovalas.
Frisch, Gesellen, frisch zur Arbeit!
Auf zum Vorderteil des Schiffes:
Türkenblut ist zu vergießen,
Schont nicht der Ungläubigen.
Und mit einer klugen Wendung
Beut das Türken-Schiff die Spitze;
Jannis aber schwingt hinauf sich,
Mit dem Säbel in der Faust,
Das Gebälke trieft vom Blute
Und gerötet sind die Wellen.
Allah! Allah! schrein um Gnade
Die Ungläubigen auf den Knieen.
Traurig Leben! ruft der Sieger,
Bleibe den Besiegten nun.

III

Beuge, Liakos, dem Pascha,
Beuge dem Wesire dich.
Warst du vormals Armatole,
Landgebieter wirst du nun.
»Bleibt nur Liakos am Leben,
Wird er nie ein Beugender.
Nur sein Schwert ist ihm der Pascha,
Ist Wesir das Schießgewehr.«
Ali Pascha das vernehmend,
Zürnt dem Unwillkommenen,
Schreibt die Briefe, die Befehle,
So bestimmt er, was zu tun.
Veli Guekas, eile kräftig
Durch die Städte, durch das Land,
Bring mir Liakos zur Stelle,
Lebend sei er oder tot!
Guekas streift nun durch die Gegend,
Auf die Kämpfer macht er Jagd,
Forscht sie aus und überrascht sie,
An der Vorhut ist er schon.
Kontogiakupis, der schreit nun
Von des Bollwerks hohem Stand:
Herzhaft, Kinder mein! zur Arbeit,
Kinder mein, zum Streit hervor!
Liakos erscheint behende,
Hält in Zähnen fest das Schwert.
Tag und Nacht ward nun geschlagen,
Tage drei, der Nächte drei.
Albaneserinnen weinen,
Schwarz in Trauerkleid gehüllt;
Veli Guekas kehrt nur wieder
Hingewürgt im eignen Blut.

IV

Welch Getöse? wo entsteht es?
Welch gewaltiges Erschüttern?
Sind es Stiere vor dem Schlachtbeil,
Wild Getier im grimmen Kampfe?
Nein! Bukovalas zum Kriege
Fünfzehnhundert Kämpfer führend
Streitet zwischen Kerasovon
Und dem großen Stadtbezirk.
Flintenschüsse wie des Regens,
Kugeln wie der Schlossen Schlag! –
Blondes Mädchen ruft herunter
Von dem Überpforten-Fenster:
Halte, Janni, das Gefecht an,
Dieses Laden, dieses Schießen:
Laß den Staub herniedersinken,
Laß den Pulverdunst verwehen,
Und so zählet eure Krieger,
Daß ihr wisset, wer verloren.
Dreimal zählte man die Türken,
Und vierhundert Tote lagen;
Und wie man die Kämpfer zählte,
Dreie nur verblichen da.

V

Ausgeherrschet hat die Sonne,
Zu dem Führer kommt die Menge:
Auf, Gesellen, schöpfet Wasser,
Teilt euch in das Abendbrot!
Lamprakos du aber, Neffe,
Setze dich an meine Seite;
Trage künftig diese Waffen,
Du nun bist der Kapitän,
Und ihr andern braven Krieger,
Fasset den verwaisten Säbel,
Hauet grüne Fichtenzweige,
Flechtet sie zum Lager mir;
Führt den Beichtiger zur Stelle,
Daß ich ihm bekennen möge,
Ihm enthülle, welchen Taten
Ich mein Leben zugekehrt:
Dreißig Jahr bin Armatole,
Zwanzig Jahr ein Kämpfer schon;
Nun will mich der Tod erschleichen,
Das ich wohl zufrieden bin.
Frisch nun mir das Grab bereitet,
Daß es hoch sei und geräumig,
Aufrecht, daß ich fechten könne,
Könne laden die Pistolen.
Rechts will ich ein Fenster offen,
Daß die Schwalbe Frühling künde,
Daß die Nachtigall vom Maien
Allerlieblichstes berichte.

VI

Der Olympos, der Kissavos,
Die zwei Berge haderten;
Da entgegnend sprach Olympos
Also zu dem Kissavos:
»Nicht erhebe dich, Kissave,
Türken- du Getretener.
Bin ich doch der Greis Olympos,
Den die ganze Welt vernahm.
Zweiundsechzig Gipfel zähl ich
Und zweitausend Quellen klar,
Jeder Brunn hat seinen Wimpel,
Seinen Kämpfer jeder Zweig.
Auf den höchsten Gipfel hat sich
Mir ein Adler aufgesetzt,
Faßt in seinen mächtgen Klauen
Eines Helden blutend Haupt.«
»Sage, Haupt! wie ists ergangen?
Fielest du verbrecherisch?« –
Speise, Vogel, meine Jugend,
Meine Mannheit speise nur!
Ellenlänger wächst dein Flügel,
Deine Klaue spannenlang.
Bei Louron, in Xeromeron
Lebt ich in dem Kriegerstand,
So in Chasia, aufm Olympos
Kämpft ich bis ins zwölfte Jahr.
Sechzig Agas ich erschlug sie,
Ihr Gefild verbrannt ich dann;
Die ich sonst noch niederstreckte,
Türken, Albaneser auch,
Sind zu viele, gar zu viele,
Daß ich sie nicht zählen mag;
Nun ist meine Reihe kommen,
Im Gefechte fiel ich brav.

VII Charon

Die Bergeshöhn warum so schwarz?
Woher die Wolkenwoge?
Ist es der Sturm, der droben kämpft,
Der Regen, Gipfel peitschend?
Nicht ists der Sturm, der droben kämpft,
Nicht Regen, Gipfel peitschend;
Nein, Charon ists, er saust einher,
Entführet die Verblichnen;
Die Jungen treibt er vor sich hin,
Schleppt hinter sich die Alten;
Die Jüngsten aber, Säuglinge,
In Reih gehenkt am Sattel.
Da riefen ihm die Greise zu,
Die Jünglinge, sie knieten:
»O Charon halt! halt am Geheg,
Halt an beim kühlen Brunnen!
Die Alten da erquicken sich,
Die Jugend schleudert Steine,
Die Knaben zart zerstreuen sich
Und pflücken bunte Blümchen.«

Nicht am Gehege halt ich still,
Ich halte nicht am Brunnen;
Zu schöpfen kommen Weiber an,
Erkennen ihre Kinder,
Die Männer auch erkennen sie,
Das Trennen wird unmöglich.

 


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