Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte. Ausgabe letzter Hand
Johann Wolfgang von Goethe

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Wilhelm Tischbeins Idyllen

Titelbild

Wie seit seinen Jünglings-Jahren
Unser Tischbein sich ergeht,
Wie er Berg und Tal befahren,
Stets an rechter Stelle steht;
Was er sieht, weiß mitzuteilen,
Was er dichtet, ebenfalls;
Faunen bringt er auch zuweilen,
Frauen doch auf allen Zeilen
Des poetisch-plastischen Alls:
Also war es an der Tiber,
Wo dergleichen wir geübt,
Und noch wirkt dieselbe Fiber,
Freund dem Freunde gleich geliebt.

1

Würdige Prachtgebäude stürzen,
Mauer fällt, Gewölbe bleiben,
Daß, nach tausendjährgem Treiben,
Tor und Pfeiler sich verkürzen.
Dann beginnt das Leben wieder,
Boden mischt sich neuen Saaten,
Rank auf Ranke senkt sich nieder;
Der Natur ists wohlgeraten.

2

Schön und menschlich ist der Geist,
Der uns in das Freie weist,
Wo in Wäldern, auf der Flur,
Wie im steilen Berggehänge,
Sonnen-Auf- und Untergänge
Preisen Gott und die Natur.

3

Wenn in Wäldern Baum an Bäumen,
Bruder sich mit Bruder nähret,
Sei das Wandern, sei das Träumen
Unverwehrt und ungestöret;
Doch wo einzelne Gesellen
Zierlich miteinander streben,
Sich zum schönen Ganzen stellen,
Das ist Freude, das ist Leben.

4

Mitten in dem Wasserspiegel
Hob die Eiche sich empor,
Majestätisch Fürstensiegel
Solchem grünen Waldesflor;
Sieht sich selbst zu ihren Füßen,
Schaut den Himmel in der Flut:
So des Lebens zu genießen,
Einsamkeit ist höchstes Gut.

5

Harren seht ihr sie, die Schönen,
Was durchs Ohr das Herz ergreife;
Flöte wird für diese tönen,
Für die andern Pans Gepfeife.

6

Heute noch im Paradiese
Weiden Lämmer auf der Wiese,
Hüpft von Fels zu Fels die Ziege;
Milch und Obst nach ewger Weise
Bleibt der Alt- und Jungen Speise.
Mutterarm ist Kinderwiege,
Vaterflöte spricht ans Ohr,
Und Natur ists nach wie vor;
Wo ihr huldiget der Holden,
Erd und Himmel silbern, golden.
Darum Heil dem Freunde sei,
Der sich fühlt so treu und frei!

7

Was die Alten pfeifen,
Das wird ein Kind ergreifen;
Was die Väter sungen,
Das zwitschern muntere Jungen.
O möchten sie zum Schönen
Sich früh und früh gewöhnen,
Und wären sie geboren
Den ziegenfüßigen Ohren.

8

Edel-ernst, ein Halbtier liegend,
Im Beschauen, im Besinnen,
Hin und her im Geiste wiegend,
Denkt er Großes zu gewinnen.
Ach, er möchte gern entfliehen
Solchem Auftrag, solcher Würde;
Einen Helden zu erziehen,
Wird Zentauren selbst zur Bürde.

9

Was wir froh und dankbar fühlen,
Wenn es auch am Ende quält,
Was wir lechzen zu erzielen,
Wo es Herz und Sinnen fehlt:
Heitre Gegend, groß gebildet,
Jugendschritt an Freundes-Brust,
Wechselseitig abgemildet,
Holder Liebe Schmerzens-Lust;
Alles habt ihr nun empfangen,
Irdisch wars und in der Näh;
Sehnsucht aber und Verlangen
Hebt vom Boden in die Höh.
An der Quelle sinds Najaden,
Sind Sylphiden in der Luft,
Leichter fühlt ihr euch im Baden,
Leichter noch in Himmels-Duft;
Und das Plätschern und das Wallen,
Ein- und andres zieht euch an:
Lasset Lied und Bild verhallen,
Doch im Innern ists getan.

10

Jetzo wallen sie zusammen,
Kühle kühlt und birgt die Flammen;
Tiefer unten werden Hirten
Sich zum Wonnebad entgürten;
Um den Schönsten von den dreien
Werden beide sich entzweien.
Diese fließt in offner Schwüle,
Jene, zu gewohnter Kühle,
Sucht den Liebsten in der Mühle.

11

Was sich nach der Erde senkte,
Was sich an den Boden hielt,
Was den Äther nicht erreicht,
Seht, wie es empor sich schwenkte,
Wie's auf Rohr und Ranken spielt!
Künstler-Wille macht es leicht.

12

Wenn um das Götterkind Auroren
In Finsternis werden Rosen geboren,
Sie fleucht, so leicht, so hoch gemeint,
Die Sonne ihr auf die Fersen scheint.
Das ist denn doch das wahre Leben,
Wo in der Nacht auch Blüten schweben.

13

Ohne menschliche Gebrechen,
Göttergleich mit heiterm Sinn,
Tauig Moos und Wasserflächen
Überschreitend, schwebt sie hin.
Heute floh sie, floh wie gestern,
Riß der Muse sich vom Schoß;
Ach, sie hat so lästige Schwestern,
Peinlich werden wir sie los.

14

Wirket Stunden leichten Webens,
Lieblich lieblichen begegnend,
Zettel, Einschlag längsten Lebens,
Scheidend, kommend, grüßend, segnend.

15

Ruhig Wasser, grause Höhle,
Bergeshöh und ernstes Licht,
Seltsam, wie es unsrer Seele
Schauderhafte Laute spricht.
So erweist sich wohl Natur,
Künstlerblick vernimmt es nur.

16

In dem lieblichsten Gewirre,
Wo das Bild um Bilder summt,
Dichterblick wird scheu und irre,
Und die Leier, sie verstummt.

17

Die Lieblichen sind hier zusammen,
Es ist doch gar zu viel der Flammen.
Der Überfluß erregt nur Pein,
Es sollten alle nur eine sein.

18

»Was trauern denn die guten Kinder?
Sie sind so jung, da hilfts geschwinder.«
Habt ihrs vergessen, alte Kinder?
Es schmerzt im Augenblick nicht minder.

19

Glücklicher Künstler! in himmlischer Luft
Bewegen sich ihm schöne Weiber.
Versteht er sich doch auf Rosenduft
Und appetitliche Leiber.

20

Hier hat Tischbein, nach seiner Art,
Striche gar wunderlich gepaart;
Sie sind nicht alle deutlich zu lesen,
Sind aber alles Gedanken gewesen.

21

Wie herrlich ist die Welt! wie schön!
Heil ihm, der je sie so gesehn!

 


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