Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte. Ausgabe letzter Hand
Johann Wolfgang von Goethe

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Rinaldo

Chor

    Zu dem Strande! zu der Barke!
    Ist euch schon der Wind nicht günstig,
    Zu den Rudern greifet brünstig!
    Hier bewähre sich der Starke:
    So das Meer durchlaufen wir.

Rinaldo

O laßt mich einen Augenblick noch hier!
Der Himmel will es nicht, ich soll nicht scheiden.
Der wüste Fels, die waldumwachsne Bucht
Befangen mich, sie hindern meine Flucht.

Ihr wart so schön, nun seid ihr umgeboren,
Der Erde Reiz, des Himmels Reiz ist fort.
Was hält mich noch am Schreckensort?
Mein einzig Glück, hier hab ich es verloren.

    Stelle her der goldnen Tage
    Paradiese noch einmal,
    Liebes Herz! ja schlage, schlage!
    Treuer Geist, erschaff sie wieder!
    Freier Atem, deine Lieder
    Mischen sich mit Lust und Qual.

    Bunte reich geschmückte Beete
    Sie umzingelt ein Palast;
    Alles webt in Duft und Röte,
    Wie du nie geträumet hast.

    Rings umgeben Galerien
    Dieses Gartens weite Räume;
    Rosen an der Erde blühen,
    In den Lüften blühn die Bäume.

    Wasserstrahlen! Wasserflocken!
    Lieblich rauscht ein Silberschwall;
    Mit der Turteltaube Locken
    Lockt zugleich die Nachtigall.

Chor

Sachte kommt! und kommt verbunden
Zu dem edelsten Beruf:
Alle Reize sind verschwunden,
Die sich Zauberei erschuf.
Ach, nun heilet seine Wunden,
Ach, nun tröstet seine Stunden
Gutes Wort und Freundesruf.

Rinaldo

    Mit der Turteltaube Locken
    Lockt zugleich die Nachtigall;
    Wasserstrahlen, Wasserflocken
    Wirbeln sich nach ihrem Schall.

    Aber alles verkündet:
    Nur Sie ist gemeinet;
    Aber alles verschwindet,
    Sobald sie erscheinet
    In lieblicher Jugend,
    In glänzender Pracht.

    Da schlingen zu Kränzen
    Sich Lilien und Rosen;
    Da eilen und kosen
    In lustigen Tänzen
    Die laulichen Lüfte,
    Sie führen Gedüfte,
    Sich fliehend und suchend,
    Vom Schlummer erwacht.

Chor

Nein! nicht länger ist zu säumen,
Wecket ihn aus seinen Träumen,
Zeigt den diamantnen Schild!

Rinaldo

Weh! was seh ich, welch ein Bild!

Chor

Ja, es soll den Trug entsiegeln.

Rinaldo

Soll ich also mich bespiegeln,
Mich so tief erniedrigt sehn?

Chor

Fasse dich, so ists geschehn.

Rinaldo

Ja, so seis! Ich will mich fassen,
Will den lieben Ort verlassen
Und zum zweiten Mal Armiden.
Nun so seis! so seis geschieden!

Chor

Wohl, es sei! es sei geschieden!

Teil des Chors

    Zurück nur! zurücke
    Durch günstige Meere!
    Dem geistigen Blicke
    Erscheinen die Fahnen,
    Erscheinen die Heere,
    Das stäubende Feld.

Chor

    Zur Tugend der Ahnen
    Ermannt sich der Held.

Rinaldo

    Zum zweiten Male
    Seh ich erscheinen
    Und jammern, weinen
    In diesem Tale
    Die Frau der Frauen.
    Das soll ich schauen
    Zum zweiten Male?
    Das soll ich hören,
    Und soll nicht wehren
    Und soll nicht retten?

Chor

    Unwürdige Ketten!

Rinaldo

    Und umgewandelt
    Seh ich die Holde;
    Sie blickt und handelt
    Gleichwie Dämonen,
    Und kein Verschonen
    Ist mehr zu hoffen.
    Vom Blitz getroffen
    Schon die Paläste!
    Die Götter-Feste,
    Die Lustgeschäfte
    Der Geisterkräfte,
    Mit allem Lieben
    Ach, sie zerstieben!

Chor

    Ja, sie zerstieben!

Teil des Chors

    Schon sind sie erhöret,
    Gebete der Frommen.
    Noch säumst du zu kommen?
    Schon fördert die Reise
    Der günstigste Wind.

Chor

    Geschwinde, geschwind!

Rinaldo

    Im Tiefsten zerstöret
    Ich hab euch vernommen;
    Ihr drängt mich zu kommen.
    Unglückliche Reise!
    Unseliger Wind!

Chor

    Geschwinde, geschwind!

*

Chor

    Segel schwellen.
    Grüne Wellen,
    Weiße Schäume,
    Seht die grünen
    Weiten Räume,
    Von Delphinen
    Rasch durchschwommen.

Einer nach dem andern

    Wie sie kommen!
    Wie sie schweben!
    Wie sie eilen!
    Wie sie streben!
    Und verweilen
    So beweglich,
    So verträglich!

Zu Zweien

    Das erfrischet,
    Und verwischet
    Das Vergangne.
    Dir begegnet
    Das gesegnet
    Angefangne.

Rinaldo

    Das erfrischet,
    Und verwischet
    Das Vergangne.
    Mir begegnet
    Das gesegnet
    Angefangne.

Wiederholt zu Dreien

Alle

Wunderbar sind wir gekommen,
Wunderbar zurückgeschwommen,
Unser großes Ziel ist da!
Schalle zu dem heiligen Strande
Losung dem gelobten Lande:
Godofred und Solyma!

 


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