Johann Wolfgang von Goethe
Gedichte. Ausgabe letzter Hand
Johann Wolfgang von Goethe

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Idylle

Es wird angenommen, ein ländliches Chor habe sich versammelt und stehe im Begriff, seinen Festzug anzutreten.

Chor

    Dem festlichen Tage
    Begegnet mit Kränzen,
    Verschlungenen Tänzen,
    Geselligen Freuden
    Und Reihengesang.

Damon

Wie sehn ich mich aus dem Gedränge fort!
Wie frommte mir ein wohlverborgner Ort!
In dem Gewühl, in dieser Menge
Wird mir die Flur, wird mir die Luft zu enge.

Chor

    Nun ordnet die Züge,
    Daß jeder sich füge
    Und einer mit allen,
    Zu wandeln, zu wallen
    Die Fluren entlang.

Es wird angenommen, das Chor entferne sich; der Gesang wird immer leiser, bis er zuletzt ganz, wie aus der Ferne, verhallt.

Damon

Vergebens ruft, vergebens zieht ihr mich;
Es spricht mein Herz; allein es spricht mit sich.

    Und soll ich beschauen
    Gesegnetes Land,
    Den Himmel den blauen,
    Die grünenden Gauen,
    So will ich allein
    Im stillen mich freun.
    Da will ich verehren
    Die Würde der Frauen,
    Im Geiste sie schauen,
    Im Geiste verehren;
    Und Echo allein
    Vertraute soll sein.

Chor

aufs leiseste, wie aus der Ferne, mischt absatzweise in Damons Gesang die Worte:

    Und Echo – allein –
    Vertraute – soll sein. –

Menalkas

Wie find ich dich, mein Trauter, hier!
Du eilest nicht zu jenen Festgesellen?
Nun zaudre nicht und komm mit mir,
In Reih und Glied auch uns zu stellen.

Damon

Willkommen, Freund! doch laß die Festlichkeit
Mich hier begehn im Schatten alter Buchen:
Die Liebe sucht die Einsamkeit;
Auch die Verehrung darf sie suchen.

Menalkas

Du suchest einen falschen Ruhm
Und willst mir heute nicht gefallen.
Die Liebe sei dein Eigentum;
Doch die Verehrung teilest du mit allen!

    Wenn sich Tausende vereinen
    Und des holden Tags Erscheinen
    Mit Gesängen,
    Freudeklängen,
    Herrlich feiern,
    Dann erquickt sich Herz und Ohr;
    Und wenn Tausende beteuern,
    Die Gefühle sich erschließen
    Und die Wünsche sich ergießen,
    Reißt es kraftvoll dich empor.

Es wird angenommen, das Chor kehre nach und nach aus der Ferne zurück.

Damon

Lieblich hör ich schon von weiten
Und es reizet mich die Menge;
Ja sie wallen, ja sie schreiten
Von dem Hügel in das Tal.

Menalkas

Laß uns eilen, fröhlich schreiten
Zu dem Rhythmus der Gesänge!
Ja sie kommen, sie bereiten
Sich des Waldes grünen Saal.

Chor

allmählich wachsend

Ja wir kommen, wir begleiten
Mit dem Wohlklang der Gesänge
Fröhlich im Verlauf der Zeiten
Diesen einzig schönen Tag.

Alle

    Worauf wir zielen,
    Was alle fühlen,
    Verschweigt, verschweiget!
    Nur Freude zeiget!
    Denn die vermags;
    Ihr wird es glücken
    Und ihr Entzücken
    Enthält die Würde,
    Enthält den Segen
    Des Wonne-Tags!

 


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