August Neidhardt von Gneisenau
1813 - Briefe
August Neidhardt von Gneisenau

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60. An die Gattin

Frankfurt a. Main, den 11. November 1813.

Nach der glücklichen Wendung, die der Krieg genommen hat, ist es gewiß, daß ich, sofern ich ihn überlebe, meinen Aufenthalt in Berlin nehme, nicht etwa, wie Du denken möchtest, um dort in der großen Welt, sondern vielmehr in Stille und Eingezogenheit und in meinem Amte zu leben, das mir dieses gestattet. Einer Aufenthaltsveränderung kannst du demnach entgegensehen. Hirschberg bietet für die Jahre unserer Töchter nicht die Ausbildungsmittel dar wie Berlin. So sehr viel ist hierin bereits versäumt; ich will es Dir daher nicht verhehlen, daß es mein Wunsch ist, Du mögest Deinen Aufenthalt schon jetzt in der Hauptstadt nehmen, um Vorteil von den mannigfachen Hilfsmitteln für eine gute Erziehung zu ziehen, die selbige darbietet. Für Agnes ist dies besonders die höchste Zeit. Die Gründe, die Du meinem Wunsch entgegenstellen könntest, kenne ich. Keiner derselben ist wichtig genug, um den Vorteilen zu entsagen, die ein solcher Entschluß uns gewährt. Wenn Deine Töchter bestimmt sind, in der Hauptstadt zu leben, so müssen sie auch die Kultur derselben annehmen, folglich dafür erzogen werden. Dies ist unerläßlich. Erwäge dies reiflich, und was Du beschlossen hast, bringe bald zur Ausführung.

Seit acht Tagen bin ich für meine Person hier. Die Rollen zum neuen Trauerspiel werden hier verteilt. Es wird noch größer werden als das bereits abgespielte: gebe Gott, daß es auch ebenso glücklich sei; dann wird die erschütterte Welt sich etwas erholen können. Unsere Armee ist sehr geschmolzen und leidet den bittersten Mangel an Kleidungsstücken. Barfuß und in leinenen Hosen müssen viele der wackeren Soldaten durch die grundlosen Wege waten. Bei Eisenach trat auf einmal eine solche Kälte ein, daß uns viele Leute erfroren.

Die Landwehrmänner des Hirschberger Kreises haben sich ganz ungemein tapfer betragen, sowohl bei Wartenburg am 3. als in der Schlacht von Möckern am 16. Oktober. Du kannst dies dort nicht genug wiederholen. Major von Sommerfeld ist ein ausgezeichneter, vortrefflicher Offizier. Zedlitz kann recht stolz darauf sein, einen solchen Schwiegersohn zu haben.

Frankfurt ist für uns eine gefährliche Klippe. Niemand will da heraus. Vieles ist schon versäumt hier sowie unterwegs, wo wir, wäre alles gehörig angeordnet und das, was angeordnet war, gehörig befolgt worden, den Feind gänzlich aufgerieben hätten. Nun müssen wir die Entronnenen nochmals bekämpfen, das wird uns noch manchen wackeren Mann kosten. Jenseits dem Rhein ist alles in größter Verwirrung. Die französischen Familien flüchten nach Paris. Das Volk hat den Mut, nicht mehr zu gehorchen, und die französischen Regierungspersonen nicht mehr den, den Gehorsam zu gebieten. Man erwartet uns mit Ungeduld, um das verhaßte Joch abzuwerfen, und hier treibt man sich in Festen und Mahlzeiten herum. Ich für mein Teil lebe hier sehr einsam und predige schriftlich Lehren, die unbequem sind. Bei den Konferenzen schreit alles durcheinander und da werden Dinge beschlossen, die sich gut auf dem Papier ausnehmen, praktisch aber unausführbar sind. Durch Ärger und Stubenluft bin ich schon halb krank.


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