Adolf Glaser
Masaniello
Adolf Glaser

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Salvatore trägt die erschöpfte Cornelia durch den Gebirgswald

Salvatore trägt die erschöpfte Cornelia durch den Gebirgswald.

Elftes Kapitel.

Das Raubnest der Banditen.

Das Hochland der Abruzzen war in früheren Jahrhunderten in jeder Hinsicht eine wichtige Gegend, nicht etwa seiner wilden Schönheit wegen, um welche sich damals niemand kümmerte, sondern hauptsächlich deshalb, weil alle Verbindung zwischen dem nördlichen und südlichen Italien ihren Weg darüber nahm. Es war daher auch ganz natürlich, daß gerade in den Abruzzen die Banditen und Räuber ihre Schlupfwinkel hatten und eigentlich von dort aus ihre Organisation fanden. Denn das Räuberwesen war in gewisser Weise organisiert, und wenn es komisch berührt, daß die Banditen und Briganten, bevor sie ihre Raubzüge unternahmen, die Heiligen um Beistand anflehten und geweihte Medaillen auf der Brust trugen, oder wenn erzählt wird, daß sie große Dichter und Künstler, deren 180 Name oder Werke ihnen bekannt waren, unbehindert oder sogar noch mit einer Schutzwache begleitet ihres Weges ziehen ließen, so ist dies vollkommen ernst gemeint, denn die Briganten glaubten sich zu ihren räuberischen Unternehmungen genau ebenso berechtigt, wie im Mittelalter bei ihren Beutezügen die deutschen Raubritter, die auch mitunter ganz ehrbare und gottesfürchtige Leute waren und das Recht zu haben glaubten, von den Kaufleuten, die an ihren Burgen vorüberkamen, zwangsweise eine Abgabe zu erheben. Wenn einzelne Mitglieder der verkommenen deutschen Raubritterschaft sich zu hoch und edel dünkten, um irgend ein Gewerbe zu ergreifen und lieber bis zum Schnapphahn und Buschklepper herabsanken, so gilt dies in ganz ähnlicher Weise von den italienischen Briganten, die ihre persönliche Freiheit nicht opfern wollten und lieber den Dolch und das Messer handhabten als irgend ein gemeines Arbeitsgerät. Allerdings wird die Ordnung in der menschlichen Gesellschaft unter solchen Anschauungen nie bestehen können, denn wer Rechte beansprucht, muß überall auch Pflichten übernehmen, und deshalb werden die Wächter des Gesetzes gegen die Wegelagerer und Räuber jeder Kategorie streng zu Felde ziehen und ihnen das Handwerk legen oder sie gewaltsam vertilgen. Aber ebenso sehr, wie sich der mittelalterliche Raubritter vom gemeinen Diebe und Mörder unterscheidet, war dies auch in früherer Zeit mit dem echten italienischen Banditen der Fall, denn dort wie hier gab ein vermeintliches Recht den Impuls, man glaubte sich gewaltsam nehmen zu müssen, was die Allgemeinheit verweigerte. Nur die sogenannten Bravi, welche sich zum Morde verdingten, wurden vom Volke verachtet. Es lag eine Art von sozialdemokratischer Ansicht diesem Räuberwesen zu Grunde, denn die Leute glaubten nur das zu nehmen, was ihnen zukam und nach ihrer Ansicht ihnen ungerechterweise vorenthalten wurde.

Selbstverständlich liegt jedoch in solchen Ansichten der Keim allgemeinen Verderbens, denn die menschliche Natur neigt zur Trägheit und greift gern nach jeder Entschuldigung, um sich die Arbeit vom Halse zu schaffen. Und ganz besonders ist dies in südlichen Ländern der Fall, wo überdies das rasch aufflammende Temperament bei allen Streitigkeiten leicht das Messer in die Hand drückt.

So hatte denn auch das Beispiel der Briganten in den Abruzzen, die auf die schweren Frachtwagen und Reisekarawanen lauerten, auf allen übrigen Landstraßen in Italien und namentlich in der Nähe der großen 181 Städte eine Unzahl von Banditen erzeugt, welche ihr gefährliches Handwerk nicht nur mit der größten Frechheit, sondern auch mit überflüssiger Grausamkeit ausübten. Unter sich hielt dies gefährliche Gesindel zusammen und arbeitete sich gegenseitig in die Hände.

Auch nach dieser Richtung hin hatte die spanische Fremdherrschaft böse Früchte gezeitigt, denn viele junge Männer entflohen dem verhaßten Militärdienst oder suchten aus andern Gründen das Weite und ergaben sich dann dem Banditenwesen, so daß bald selbst die harmlosen Spaziergänger vor den Thoren der Stadt Neapel ihrer Habe und ihres Lebens nicht mehr sicher waren. Es war ein förmlicher Beruf daraus geworden, Menschen wegzufangen, sie in verborgenen Spelunken festzuhalten, mit Tod oder Verstümmelung zu bedrohen und sie zu zwingen, von ihren Angehörigen ein schweres Lösegeld für ihre Bedränger zu erpressen.

Jede Reise wurde dadurch zur Lebensfrage, und man unternahm selbst Ausflüge in die nächste Umgegend nur mit starker militärischer Bedeckung. Als daher die Ärzte der jungen Gräfin Cornelia Mendoza zur Wiederherstellung ihrer angegriffenen Gesundheit im nächsten Frühling einen mehrwöchentlichen Aufenthalt im Gebirge verordneten, mußten nicht nur ihr Vater und Tebaldo sowie die sie begleitende männliche Dienerschaft stark bewaffnet sein, sondern eine ziemlich zahlreiche militärische Eskorte war den Reisenden zum Schutze beigegeben worden. Corneliens Freundin, Donna Ines de Arcos, sah selbst ein, daß eine Luftveränderung für das junge Mädchen nötig war, und so war alles angeordnet worden, als handle es sich um die nächste Verwandte des vizeköniglichen Paares selbst. Ein sicherer Aufenthalt im Gebirge war nur in einem befestigten Schlosse oder in einer Festung selbst möglich, und so wurde die Bergstadt Aquila dazu erkoren, weil dort alle Bequemlichkeiten zu finden und zugleich die größte Sicherheit zu erwarten war. Es befand sich daselbst ein Regierungsgebäude, welches hinlänglich Raum bot und bei der hohen Lage der Stadt war die Luft doch erheblich frischer als in dem herrlichen, aber übervölkerten Neapel, und überdies konnten mit einiger Vorsicht prächtige Ausflüge in die Wälder und Schluchten der Abruzzen unternommen werden.

Diese Schluchten und Wälder eben waren es, welche dem Gebirge seinen ungemein romantischen, aber auch gefährlichen Charakter gaben. Das zerklüftete Terrain bildete überall willkommene Schlupfwinkel und geeignete Punkte, um plötzlich hervorbrechen und ahnungslose Reisende überfallen zu 182 können. Ganz in der Nähe von Aquila befanden sich mehrere ausgebrannte Krater, schroffe Gebirgskämme mit unzugänglichen Klüften, aber sonst zeigte sich überall üppiger Baumwuchs, an den höheren Stellen prangten mächtige Eichen und Ulmen, an den Abhängen ganze Wälder von Kastanien und in den Thälern breiteten sich Olivenwaldungen aus. Tiefer im Gebirge traf man entzückende Partien mit Wasserfällen, steil abfallenden Felsengruppen und allem Zauber gewaltiger Waldeinsamkeit. Selten hatte ein für diese Schönheiten empfängliches Auge die Gegend gesehen, denn die Reisenden hielten sich alle ängstlich auf der Heerstraße und waren froh, wenn sie wieder in belebte und volkreiche Strecken gelangten.

So war es gekommen, daß diese wunderbaren und großartigen Naturschönheiten bis vor kurzem eigentlich noch unentdeckt geblieben waren. Erst jetzt hatte ein mit sich und der Welt zerfallenes Gemüt, ein wild zerrissenes Herz, dessen Glauben und Hoffen gestört war und dem es daher gleichgültig schien, ob es mitten unter Gefahren weilte oder einsam in der Öde verschmachtete, diese machtvoll ergreifende Welt entdeckt, und ein verstoßener Genius hatte hier gleichsam seine Heimat gefunden und sich aus der Verzweiflung vergeblichen Ringens zur vollen Größe seiner Schaffenskraft emporgearbeitet. Seit vielen Monaten durchstreifte Salvatore Rosa die Abruzzen. Angeekelt von dem Treiben der verschiedenen Parteien in Neapel, zerfallen mit sich und der Welt, unbefriedigt in seinem Schaffen und endlich an seiner Kraft verzweifelnd, war er damals in jener Nacht der schmeichelnden Luft des zauberischen Golfes entflohen, hatte lange Zeit die unvergleichliche Schönheit der Bucht von Amalfi genossen, dann aber auch diese und die erhabenen griechischen Tempel zu Pästum hinter sich gelassen und war, wie von Furien getrieben, immer mißvergnügter geworden, bis er endlich seinen Weg in die hohe Gebirgsregion genommen und in den schluchtenreichen Waldungen der Abruzzen Halt gemacht hatte. Wie eine Offenbarung des Himmels war ihm hier plötzlich aufgegangen, was seiner dürstenden Seele gefehlt hatte. Seine eigenartige Künstlernatur fand hier zum genialen Schaffen den entsprechenden Stoff. Wie mit Allgewalt ergriff ihn der Trieb zur schöpferischen Thätigkeit und er begann zuerst sich mit Skizzen und Entwürfen zu beschäftigen, um mit den Eigentümlichkeiten der ihn umgebenden Natur vertrauter zu werden. Sein leidenschaftliches Gemüt versenkte sich in diese von ungeheuren Naturmächten zerrissene und doch so charakteristisch gestaltete Landschaft, sein Leben hatte plötzlich einen 183 großen Inhalt gewonnen. Alle weiteren Wünsche und Gedanken schwiegen, wenn er zwischen diesen mächtigen Baumriesen, diesen gewaltigen Felsspaltungen umherwandern, sie nachzeichnen und in seiner Weise ergänzen konnte. Oft verirrte er sich, aber das war ihm gerade recht, denn je weiter er umherschweifte, um so mehr erschlossen sich ihm die verstecktesten Reize der unerschöpflich reichen Gegend. Oft mußte er sein Brot an den Pforten einsamer Klöster erbitten und manche Nacht kampierte er unter freiem Himmel. Da er nichts sein eigen nannte als die dürftigen Kleider, die er am Leibe trug, die Zeichenmappe und eine Laute, die an einem Bande über seiner Schulter hing, so fürchtete er sich auch nicht vor den umherstreifenden Räubern, und mit der Zeit lernte er viele von ihnen persönlich kennen. Oft machte da des Abends, wenn sie um ihre Feuer saßen, sein Lautenspiel die wilden Gesellen ergötzen, wofür sie ihm dann Schutz gewährten und ihm zugleich als Modelle dienten zur Belebung seiner Landschaften. So wurde er immer besser mit ihnen bekannt und sein verbittertes Gemüt ergötzte sich zuweilen an ihrer wilden Art, die mit der zivilisierten Welt im Kampfe lag. Manchmal auch zeichnete er Gruppen von spanischen Soldaten, deren vorgeschobene Posten in der Nähe der Heerstraße lagerten.

So hatte er lange Zeit ein abenteuerliches Leben geführt, das seinem Geiste Nahrung und Abwechselung bot und seinem Talente eine neue Welt erschloß. Er war bereits mit den Verhältnissen der Gebirgsbewohner so vertraut, daß er alle ihre Pläne und Schliche genau kannte. So ergiebig war das Brigantenleben nicht, daß sie ausschließlich davon hätten existieren können, aber der Wald gab Wild und die ungemein üppige Natur reichte ihre Gaben an Kastanien, Oliven und andern Früchten in reicher Fülle. Brachte dann von Zeit zu Zeit ein gelungener Streifzug Beute an Geld oder Waren, so wurden andre Bedürfnisse gedeckt und es gab reichliche Schmausereien, bei denen es an nichts fehlte und die der beliebte Maler durch sein Lautenspiel belebte.

Neuerdings brachten nun die Kundschafter die Nachricht von der Ankunft eines vornehmen und reichen spanischen Edelmanns mit Familie und zahlreichem Gefolge, der in dem befestigten Aquila Aufenthalt genommen hatte, aber jedenfalls oft genug die Gegend durchstreifen werde. Nach und nach erweiterten und ergänzten sich die Mitteilungen. Man hatte Verbindungen in der Stadt und erfuhr, was man wissen wollte. Anfangs 184 hieß es, der Vizekönig sei es selbst, der mit seiner Tochter, welche erkrankt und der Gebirgsluft bedürftig sei, in Aquila Wohnung genommen habe, dann aber stellte sich heraus, daß dies ein Irrtum war. Die Gefahr bei einem etwaigen Unternehmen schien also nicht allzugroß. Wohl gab es auch unter den Banditen sowohl vorsichtige wie tollkühne und unbesonnene Menschen. Es wurde viel und oft über die Anwesenheit des vornehmen Spaniers verhandelt, aber bald kam man dahinter, wie überflüssig dies alles war, denn die Ausflüge, die von der vornehmen Gesellschaft in der Umgegend unternommen wurden, geschahen stets unter Begleitung der angesehensten Offiziere und unter so zahlreicher militärischer Bedeckung, daß gar kein Gedanke daran war, ihnen etwas anhaben zu können.

So geschah es, daß nach einiger Zeit das Interesse für die Spanier bei den Banditen erkaltete. Da die letzteren nichts so sehr scheuten, als ein zahlreiches militärisches Aufgebot, zogen sie sich in der Nähe der Stadt vollständig in ihre Schlupfwinkel zurück und verrieten durch nichts, daß sie überhaupt Kenntnis von der Anwesenheit jener Gäste hatten. Dies bewirkte wieder, daß man auf der andern Seite sich immer mehr in Sicherheit wiegte und schließlich die Gerüchte von den Gefahren durch Banditen für sehr übertrieben hielt.

Namentlich waren die jungen Leute geneigt, sich die Sache nach ihrer Weise zurecht zu legen, ja es kam sogar schließlich dahin, daß Cornelia scherzweise zu Tebaldo sagte, man habe ihr so viel von dem Brigantenwesen erzählt und ihre Neugierde gereizt, und nun hoffe sie vergeblich von Tag zu Tag endlich einmal eine Gruppe dieser gefährlichen und romantischen Menschen zu erblicken oder selbst in ein kleines Abenteuer mit ihnen verwickelt zu werden. Entsetzt warnte Tebaldo vor solchen Wünschen, deren Erfüllung unter Umständen die Quelle unsäglichen Jammers werden könne, aber Cornelia, deren Gesundheit in der heilsamen Gebirgsluft sich wirklich gekräftigt hatte, so daß ihre heitere Laune sich vollkommen wieder einfand, neckte den Gespielen ihrer Kindheit und meinte, er fürchte sich wohl vor einem Zusammentreffen mit Banditen, und sie dürfe daher auf ihn nicht zählen, wenn es ihr einmal einfallen sollte, auf Abenteuer auszugehen. Es war ein Scherz, aber in Wirklichkeit hätte sie ganz gern einmal eine Gruppe von Räubern in malerischer Vereinigung gesehen, etwa wie man gefährliche wilde Bestien von sicherem Standpunkte aus gern in ihren Eigentümlichkeiten mit leisem Schauder beobachtet.

185 Wirklich wagten die jungen Leute nach und nach einige Spaziergänge in der Umgegend der Stadt mit ganz geringer Bedeckung. Bei solchen Gelegenheiten nahm Tebaldo seine Laute mit, man ließ sich an irgend einer besonders schönen Stelle nieder und ergötzte sich abwechselnd an der Musik und dem Blicke in die Gegend. Der Graf hatte ungern zu diesen Spaziergängen seine Zustimmung gegeben, aber Cornelia wollte doch auch einmal ihren eignen Willen haben, und so gab der besorgte Vater nach, nicht ohne heimlich Vorkehrungen zu treffen, damit im Notfall augenblicklich Schutz und Hilfe zur Hand sei.

Die kleinen Exkursionen waren von Landleuten bemerkt worden und durch diese wurden auch andre Menschen aufmerksam. Überhaupt war kaum ein Unterschied zwischen den ruhig lebenden Landleuten und den waghalsigen Banditen. Es gab Männer, die in früherer Zeit jahrelang mit Flinte und Dolch gearbeitet und, wenn es darauf ankam, auch einmal einem Reisenden die Kehle abgeschnitten hatten und jetzt friedlich mit Weib und Kind ihren Acker bestellten. Das Brigantenwesen galt einmal weder für ein Verbrechen noch für eine Schande, und jeder Bergbewohner würde es für eine Schlechtigkeit gehalten haben, einen Freund oder Landsmann, der mit dem Messer arbeitete, der Behörde zu verraten, im Gegenteil bestand ein festes Übereinkommen, nach welchem ein solcher Verräter sofort von den entrüsteten Genossen selbst mit dem Messer aus der Welt geschafft worden wäre.

Hatte Cornelia gewünscht, einmal eine Gruppe von Räubern beobachten zu können, so fand sie nun gar nichts Auffallendes darin, wenn einzelne harmlose Landleute, Männer und Frauen sich in ihrer Nähe zu schaffen machten, um sie zu betrachten und dem Lautenspiele und Gesang ihres Begleiters zu lauschen. Die Männer in ihrer Tracht aus uralter Zeit, den Jacken von Schafsfell mit den spitzen bandumwundenen Hüten, der primitiven Fußbekleidung, die Frauen in den bunten Röcken und absonderlichen Kopftüchern waren der Bevölkerung von Neapel gar wohl bekannt. Kamen diese Gebirgsbewohner doch in den Festzeiten, namentlich vor Weihnachten, in kleinen Trupps in die Stadt, um vor den Heiligenbildern als Pifferari ihre eintönigen Weisen auf der Schalmei und dem Dudelsack zu spielen. Und nun konnte man sie einmal in ihrer eignen Heimat beobachten, wie sie ihre Felder bestellten, ihre Schafe auf die Gebirgsweiden trieben und in ihren einfachen Hütten ein genügsames Leben führten. Banditen mußten 186 anders aussehen, dachte Cornelia, und wenngleich Tebaldo nach den Erfahrungen seiner Kindheit weniger geneigt war, Gutes von diesen rauhen Bewohnern der Abruzzen zu denken, konnte er doch Corneliens Zutrauen nicht ändern und er mochte es auch gar nicht, da es ihm schmerzlich gewesen wäre, ihre Unbefangenheit und frohe Laune zu stören.

Aber diese arglose Freude an der Natur und den Menschen sollte ein schreckliches Ende finden. Ohne Harm überließen sich die jungen Leute ihrer Stimmung und niemand bemerkte, wie nach und nach ein Netz um sie gesponnen wurde, das endlich vorsichtig genug ausgeführt war, um zu einem Hauptschlage benutzt werden zu können. Während sich eines Tages scheinbar harmlos eine kleine Gruppe von Frauen und Kindern um sie versammelt hatte, um auf das Lautenspiel und den Gesang Tebaldos zu hören, während einige Burschen scheinbar ganz zufällig lebhaft mit den etwas entfernter gelagerten Dienern und Begleitern der jungen Gräfin plauderten, fielen plötzlich aus einem Hinterhalt mehrere starke Männer über Cornelia und Tebaldo her, warfen ihnen in wohlberechneter Weise dichte Tücher über die Köpfe, so daß jeder Aufschrei erstickt wurde, hoben sie mit kräftigen Armen auf und trugen sie dann eilig in eine nahegelegene Schlucht. Cornelia hatte sofort die Besinnung verloren, und als Tebaldo sich mit verzweifelter Wut gegen die Angreifer wehrte, zogen sie das verhüllende Tuch so fest um seinen Hals zusammen, daß auch er unfähig wurde, länger Widerstand zu leisten.

Inzwischen hatten die Spießgesellen der Räuber es geschickt einzurichten gewußt, daß die Begleiter der unglücklichen jungen Leute noch eine ganze Weile hingehalten wurden und als letztere darauf bemerkten, was geschehen war, stellten sich die Landleute selbst im höchsten Grade überrascht und unterstützten sie scheinbar bei ihren Nachforschungen. Es währte jedoch nur wenige Minuten, so waren die biederen Landbewohner einer nach dem andern verschwunden, auch die Frauen und Kinder hatten sich spurlos entfernt und bald war die ganze Gegend völlig menschenleer. Die wenigen Diener und Soldaten durften nicht wagen, sich in die gefährlichen Felsschluchten zu begeben und ebensowenig konnten sie die nächsten Dörfer durchsuchen, denn dazu gehörte mehr Mannschaft und stärkere Bewaffnung. Vergeblich war alles Rufen, alle Verzweiflung der Diener, welche mit Schrecken daran dachten, welche Wirkung die Nachricht auf den Grafen haben werde.

187 Während einige Leute zurückblieben und die nächste Umgegend eifrig durchforschten, eilten die andern in die Stadt, um das Geschehene daselbst zu verkünden, damit der Graf selbst alles anordne, was bei so gefährlicher Sachlage zu thun war. Es war außer Frage, daß vorläufig an keine Lebensgefahr für die beiden Gefangenen zu denken war, und es handelte sich nur darum, auf welche Weise man sie am schnellsten unversehrt aus der Gewalt der Briganten befreien konnte.

Worte können unmöglich die Verzweiflung schildern, welche den Grafen erfaßte, denn er wußte nur zu gut, daß die äußerste Vorsicht nötig war, um sein Kind nicht der grausamen Rache jener rohen Gesellen zu opfern. Diese suchten darin eine Rechtfertigung ihres schmählichen Gewerbes, daß sie ihre Gefangenen gut hielten, solange die Verhandlung wegen des Lösegeldes geführt wurde, dagegen mit raffinierter Grausamkeit verfuhren, sobald man die bewaffnete Macht gegen sie aufbot oder sie zu überlisten suchte.

Während nun in der Stadt über die Maßregeln zur Befreiung beraten wurde, brachte man die beiden Gefangenen gebunden und geknebelt, so daß sie sich weder rühren noch schreien konnten, auf ganz geheimen, schwer zugänglichen und nur den Bergbewohnern bekannten Pfaden nach den Ruinen einer alten verlassenen Sarazenenburg, deren halb verfallenes Gemäuer notdürftig zu Wohnungen hergerichtet war. Diese Burgen fanden sich sowohl im Gebirge wie namentlich an den Küsten. Ehemals hausten daselbst die Sarazenen, jene furchtbare Plage des Mittelmeeres; auf uneinnehmbaren Höhen setzten sie sich fest, von dort aus in jäher Schnelle über die Schiffe auf dem Meere, die Städte der Küste herzufallen, Tod oder Sklaverei den Bewohnern bringend. Dort herrschte nun gewissermaßen als Besitzer und zugleich als eine Art Befehlshaber der sogenannte schwarze Beppo, ein Bravo, der in allen wichtigen Angelegenheiten das entscheidende Wort sprach und Rat erteilte. Beppo war ein Mann von etwa vierzig Jahren. Obgleich alle Bewohner der Abruzzen von dunkler Gesichtsfarbe waren und tiefschwarze Haare hatten, wurde er doch vorzugsweise »der schwarze« genannt, weil seine dichten und zusammengewachsenen Augenbrauen in Verbindung mit dem starken Barte ihm ein auffallend schwarzes Aussehen gaben. Er war ein allgemein bekannter und gefürchteter Bandit, und da er bereits einmal zum Galgen verurteilt gewesen, aber durch die Flucht aus dem Gefängnisse dem Tode entgangen war, so stand ihm eine Erfahrung zur Seite, die ihn über die übrigen Briganten erhob. Seine 188 Stellung zu den andern Bravi, wie sich die Banditen selbst nannten, brachte es mit sich, daß er fortwährend von allen Seiten aufgesucht wurde, und da überdies eine Anzahl von Weibern und Kindern in dem alten sarazenischen Raubnest hausten, so war dort fortwährend ein buntes Treiben. Die Ruine war ganz uneinnehmbar, denn sie war ringsum von furchtbaren Abgründen umgeben und nur wenige lebensgefährliche Fußsteige, die zuletzt in schmale Kettenbrücken endigten, führten hinauf.

Außer den bewährtesten Briganten und ihren Angehörigen war gewiß seit hundert Jahren niemand freiwillig dort hinaufgekommen, bis kürzlich der Maler Salvatore Rosa es durchgesetzt hatte, daselbst Zutritt zu erhalten, um eine Art Atelier aufzuschlagen. Er war nach und nach mit allen Lebensgewohnheiten der Räuber vertraut geworden und hatte es namentlich verstanden, sich bei ihren Festen unentbehrlich zu machen. Meilenweit umher kannten ihn die Frauen und Kinder und betrachteten ihn als ganz ungefährlich. Was hätte er ihnen auch schaden können? Ihre verborgensten Schlupfwinkel kannte er doch nicht; das Spionieren wurde ohnehin fortwährend von Soldaten betrieben und die Briganten glaubten nicht einmal, daß man aus allgemeinen Sittlichkeitsgründen an ihrem Treiben ein Ärgernis nehmen könne. Sie betrachteten deshalb den harmlosen Maler wie einen Freund, vor dem man kein Geheimnis zu haben braucht, und sie fanden auch nichts Bedenkliches darin, ihn jetzt zum Zeugen der Einbringung jener zwei Gefangenen zu machen, bei deren Überfall sie weiter nichts im Auge gehabt hatten, als ein Geschäft zu machen, indem sie ein möglichst hohes Lösegeld zu erpressen suchten.

Einzug der Banditen in ihr Raubnest

Einzug der Banditen in ihr Raubnest.

Salvatore war gerade beschäftigt, eine Gruppe von Räubern mit ihren Frauen zu zeichnen. Der schwarze Beppo saß in seiner Nähe und blickte ihm zu, als der kleine Trupp mit den beiden Gefangenen ankam. Es war für den Maler fast wie eine unwillkommene Störung. Die Ankommenden ließen durch ihre Ausrufe und Anordnungen sofort erkennen, daß ihnen ein höchst wichtiger Fang gelungen sei. Einer davon, ein herkulischer Mann, trug das noch immer ohnmächtige Mädchen wie ein Kind auf den Armen, während zwei andre den jungen Mann nachschleppten, der sich zuerst wie rasend gebärdet, dann aber in sein Schicksal ergeben hatte. Neugierig drängten sich nun die Weiber und Kinder herbei, und nachdem man die Hüllen von den Köpfen der Gefangenen entfernt hatte, wurden viele Bemerkungen über deren Aussehen laut.

190 Das blasse zarte Gesicht Corneliens, ihre zierliche schlanke Gestalt war nicht nach dem Geschmack dieser Bergbewohner, die an derberen Formen Gefallen fanden, und es war gut, daß das arme Mädchen selbst die Urteile nicht vernahm, welche über sie ausgetauscht wurden. Die Männer brachten Tebaldo vorläufig in ein wohlverwahrtes Turmgemach, wo sie für ihn nach ihrer Ansicht ausreichende Bequemlichkeit schufen; inzwischen nahmen sich die Weiber der erwachenden Cornelia an, und da der schwarze Beppo zuerst im Innern der Burg eine ausführliche Erzählung des Hergangs von seinen Genossen verlangte, blieb der Teil des Burghofes, wo sich die Frauen um Cornelia geschart hatten, vorläufig für längere Zeit von den Männern unbetreten. Nur Salvatore Rosa war daselbst zurückgeblieben.

Er hatte anfangs seinen Augen nicht getraut, als er die Gesichtszüge der beiden Gefangenen erblickte, und es war ein Glück für ihn, daß in diesem Augenblicke alle Aufmerksamkeit sich auf die Gefangenen richtete, denn es gelang ihm nur mit Mühe, einen Ruf der Überraschung zu unterdrücken und sich vor einem unbesonnenen Schritte zu wahren. Der wunderbare Zauber, den Cornelia damals auf ihn ausgeübt hatte, als er sie zum erstenmal beim Begräbnisse ihrer Mutter sah, sein vergebliches Ringen gegen die wachsende Leidenschaft, alle Qualen des Schmerzes und der Eifersucht wurden wieder in ihm rege und dazu gesellte sich der Schreck über ihr gegenwärtiges Schicksal und die Besorgnis vor dem, was mit ihr geschehen konnte. Er hatte am Ende die günstigste Meinung von den Briganten und wußte, daß sie ihre Gefangenen als kostbare Pfänder schonten, wer aber verbürgte, daß Corneliens Vater seine Tochter nicht mit Gewalt zu befreien trachten werde? Dann konnte ihr Los ein grauenvolles werden und schon der Gedanke an die Möglichkeit dieses Falles ließ sein Blut erstarren.

Während die Frauen der Räuber im angebornen weiblichen Mitgefühl sich um Cornelien wie um ein krankes Kind bemühten, durchkreuzten tausend wirre Gedanken das Gehirn des Malers und brachten ihn bereits zur Überlegung eines Planes, wie er Cornelia sobald als möglich befreien könne. An ihren Begleiter dachte er dabei gar nicht und es machte ihm nicht die geringste Sorge, denselben seinem Schicksale in den Händen der Räuber zu überlassen.

Cornelia war inzwischen völlig zum Bewußtsein erwacht. Sie hatte sich erstaunt und verwirrt umgesehen. Nach und nach entsann sie sich des Geschehenen und nun schlug sie die Hände vor das Gesicht und brach in 191 bitterliches Weinen aus. Die Frauen bemühten sich, sie zu beruhigen; sie redeten ihr ermutigend zu, gaben ihr die Versicherung, es solle ihr nichts Übles widerfahren und sprachen die zuversichtliche Hoffnung aus, ihre Angehörigen würden gewiß bald das Lösegeld für ihre Freiheit zahlen. Eine Weile dauerte es, dann ließ sich Cornelia die Hände schmeichelnd vom Gesichte ziehen, und blickte sich etwas beruhigter um. Sie sah die freundlichen, teilnehmenden Mienen der fremden Frauen, sie bemerkte auch die scheuen und neugierigen Blicke der Kinder und endlich entdeckte ihr Auge den etwas entfernt stehenden, städtisch gekleideten jungen Mann, in dessen Zügen sie den unverkennbaren Ausdruck des Mitgefühls, ja sogar der aufrichtigsten Bewunderung las. Nichts begegnete ihrem Auge, was sie besonders hätte erschrecken können. Sie war auch keine allzu zaghafte Natur, und da sie weiter um sich schaute und die Ruinen erblickte sowie die seltsamen Behausungen, welche hier zurecht gemacht waren, wuchs ihr Mut und ihr unerfahrener, kindlicher Sinn ließ sie glauben, hier werde ihr nichts Schlimmes begegnen und es könne sich höchstens darum handeln, ob ihre Gefangenschaft von kurzer oder längerer Dauer sein werde.

Bei der Lebhaftigkeit seines Temperaments hatte Salvatore Rosa sich inzwischen wirklich einen Plan zur Rettung des holden Geschöpfes ausgesonnen. Da er sah, wie sehr sich die Frauen um Cornelien bemühten und wie das zarte und kindliche Wesen der jungen Dame auf die rohen Herzen einen besonderen Eindruck machte, beschloß er, mit einer schlau erdachten List auf sein Ziel loszusteuern.

»Hat sie nicht das liebliche Gesicht einer Madonna?« wendete er sich an die älteste und einflußreichste der Frauen, und da man längst gewohnt war, seiner Meinung in solchen Dingen unbedingt beizupflichten, so waren bald alle Frauen und Kinder überzeugt, so und nicht anders müsse die Madonna ausgesehen haben. In diesem Augenblicke kam auch der schwarze Beppo aus dem Innern der Burg. Er wollte sich nur überzeugen, ob die Gefangene ihr Bewußtsein wiedererlangt habe, und beabsichtigte dann, sofort wieder zur Beratung der Männer zurückzukehren. Bei seinem Anblick bebte dem jungen Mädchen denn doch das Herz und sie blickte scheu und ängstlich nach ihm hin. Auch ihn bestürmten nun die Frauen und verlangten, er solle seine Meinung abgeben, ob die junge Dame nicht das Ebenbild der Madonna sei. Der Räuber lachte über diesen Einfall und meinte, der Meister – darunter verstand er Salvatore Rosa – werde 192 das wohl selbst am besten wissen und wenn derselbe Lust dazu verspüre, könne er ja immerhin ein Bild von der Donna malen, was sie dann später, nachdem sie ihnen ein recht hohes Lösegeld eingebracht habe, gern als das Porträt der gebenedeiten Jungfrau verehren wollten.

Nachdem er diesen rohen Scherz lachend ausgesprochen hatte, begab er sich wieder in das Innere der Burg zurück. Nun drängten die Frauen auf Salvatore ein und verlangten, daß er ihnen die versprochene Madonna malen solle. Wie alle ungebildeten Menschen hatten sie keinen Sinn für Landschaftsbilder, aber die Gruppen und Figuren gefielen ihnen, und der Gedanke, ein schönes Madonnenbild zu besitzen, vor dem sie ihre Andacht verrichten konnten, brachte sie sämtlich in Aufregung. Salvatore jubelte innerlich über das Gelingen seiner List, aber er meinte, es komme doch darauf an, ob die junge Signora damit einverstanden sei, und vor allen Dingen sei es nötig, daß dieselbe sich ausruhe und erhole, dann wolle er selbst mit ihr darüber reden. Alles dies sahen die Frauen ein und bemühten sich nun doppelt um das junge Mädchen.

Beppo kam darauf mit den Männern zurück, und es entspann sich eine lange Verhandlung, nach welcher endlich der Gefangenen der beste verfügbare Raum so bequem als möglich eingerichtet wurde. Natürlich wurden sowohl vor diesem wie vor Tebaldos Gefängnis Wachen aufgestellt.

Einige Stunden darauf ging einer der Räuber in das Innere der Ruine und zog eine Mönchskutte an, worauf ein andrer, der des Schreibens kundig war, einen Brief an den Grafen Mendoza schrieb, in welchem diesem mitgeteilt wurde, er könne seinen Sohn und seine Tochter – die Räuber hielten Tebaldo und Cornelia für Geschwister – gegen ein sehr hohes Lösegeld unversehrt und wohlbehalten wiedererlangen, man warne ihn jedoch, irgend welche Schritte zur gewaltsamen Befreiung der Gefangenen zu thun, da er sich sonst die Folgen selbst zuzuschreiben habe. Es wurde dann genau auseinander gesetzt, an welchem Tage und zu welcher Stunde der Graf durch eine unbewaffnete Person das Geld an einen bestimmten Ort senden solle, um dann gleich darauf die Gefangenen ausgeliefert zu erhalten.

Solche Briefe wurden auf Umwegen durch zweite und dritte Hand an ihre Bestimmung befördert, aber alles war so vorsichtig berechnet und genau angegeben, daß man sicher auf vollständige Erfüllung zählen konnte. Die Räuber wußten überdies, daß sie eine Macht waren, mit welcher niemand gern in offenen Kampf trat.

193 Daß der Aufenthalt der Gefangenen selbst im günstigsten Falle mehrere Tage währen würde, wußte Salvatore Rosa ganz genau und er richtete danach seinen Plan ein. Die ganze Räubergesellschaft war an diesem Abend über den glücklichen Fang besonders heiter gestimmt, und der Maler versäumte nicht, sich den Anschein möglichster Unbefangenheit zu geben und durch sein Lautenspiel und den Vortrag launiger Gesänge zur Erhöhung der Freude beizutragen. Er wußte es dann so einzurichten, daß er gelegentlich auf sein Versprechen, ein Madonnenbild zu malen, zurückkam und dabei äußerte er, am andern Morgen werde er die junge Dame für seine Absicht zu gewinnen suchen. Er müsse dann aber einen Ort wählen, wo er gutes Licht habe und ungestört arbeiten könne. In der obwaltenden Stimmung argwöhnte niemand etwas und man begab sich später in ausgelassener Heiterkeit zur Ruhe.

In der darauf folgenden Nacht fanden Tebaldo und Cornelia in ihren verschlossenen Kerkern wenig Schlaf. Tebaldo dachte an schreckliche Gefahren, die dem jungen Mädchen drohen könnten, und sein Gemüt war in furchtbarer Verzweiflung. Cornelia weinte stundenlang aus Angst und Sehnsucht nach ihrem Vater, dessen besorgte Stimmung sie sich denken konnte.

Der Maler that gleichfalls kein Auge zu, denn sein Gehirn arbeitete unaufhörlich an dem Plane, den er zur Befreiung Corneliens bis in jede Einzelheit entwarf. Obgleich er wußte, daß keine direkte Gefahr für das junge Mädchen vorhanden war, dachte er doch mit Entsetzen daran, was alles geschehen konnte, wenn durch ein Mißverständnis oder eine zufällige Versäumnis die Verhandlungen mit ihrem Vater sich zerschlugen, oder die Räuber durch irgend einen Umstand zur Rache gereizt wurden. Salvatore hätte gern noch in dieser Nacht einen Rettungsversuch gemacht, so schreckliche Dinge gaukelte ihm seine Phantasie vor, aber es war unmöglich und würde alle Beteiligten in die schlimmste Lage gebracht haben.

Am andern Morgen ließ er durch eine der Frauen bei Cornelia anfragen, ob er sie sprechen könne. Er wendete sich absichtlich weder an Beppo noch an einen der andern Männer, weil er die Sache als abgemacht und ganz unbedenklich behandeln wollte. Cornelia bewilligte ihm die Unterredung, und er wußte es einzurichten, daß man ihn mit ihr allein ließ.

Er fand das junge Mädchen gefaßt, zwar niedergeschlagen, aber doch ohne Ahnung der furchtbaren Gefahr, in welcher sie schwebte. Wohl hatte 194 sie zuweilen davon gehört, daß man harmlose Reisende in ähnlicher Weise wie sie überfallen, aber ihre Ohren waren verschont geblieben von den Mitteilungen einzelner Greuelthaten, welche von Zeit zu Zeit durch die Banditen verübt wurden.

Als Salvatore Rosa sie nun bat, alle ihre Selbstbeherrschung aufzubieten, um durch nichts zu verraten, worüber er mit ihr zu sprechen beabsichtige, wurde sie blaß wie eine Leiche und ihr Blick hing angstvoll an dem seinigen. Sie erinnerte sich nicht, ihn jemals bemerkt zu haben, aber um ihr Vertrauen rascher zu gewinnen, erzählte er ihr, wie er sie zuerst beim Begräbnis ihrer Mutter und dann wiederholt gesehen habe; er bezwang sich selbst, um ihr nicht zu gestehen, daß ihr Bild sein Herz ganz erfüllte und daß Eifersucht und Verzweiflung ihn aus Neapel fortgetrieben hatten, aber er gab ihr dafür einige Andeutungen über die Gebräuche der Banditen und die Gefahren, denen sie unter gewissen Umständen entgegengehen würde. Als er dann sah, wie ihre Seele von Angst gefoltert wurde, bat er sie aufs neue, sich zu fassen und gab ihr die Versicherung, er werde alles aufbieten, sie so schnell als möglich zu befreien und zu ihrem Vater zurückzubringen. Cornelia faltete die Hände und sah ihn mit einem so dankbaren Blicke an, daß er gern für sie in diesem Moment sein Leben geopfert hätte. Sie fragte ihn, ob er auch ihren Begleiter retten könne, und diese Worte regten in ihm wieder alle Dämonen der Eifersucht auf, aber es bedurfte nur weniger Fragen von seiner und Erklärungen von ihrer Seite, um ihm zu zeigen, daß seine Vermutungen irrig waren und er nicht den geringsten Grund zur Eifersucht hatte. Er erklärte ihr jedoch, daß er nur sie allein retten könne und setzte hinzu, jener sei ein Mann und werde im schlimmsten Falle selbst an seine Rettung denken können, jedenfalls würde sein Los das gleiche sein, ob sie in der Gefangenschaft bleibe oder nicht. Er verständigte sie dann noch rasch über seinen Plan. Sie sollte sich schon heute einverstanden erklären, ihr Bild von ihm malen zu lassen, und dann wollte er es einzurichten suchen, daß er sie auf ganz geheimen, ihm bekannten Pfaden aus der Burg und ins Freie geleiten könne. Allerdings dürften sie nicht wagen, den Weg nach Aquila einzuschlagen, aber er werde sie nach Terracina führen, wo er sie bei braven Leuten sicher unter Obhut stellen und dann ihrem Vater Nachricht bringen wolle. Zwar war der Weg dahin sehr weit und beschwerlich, aber es blieb einmal keine weitere Wahl.

Alle diese Verabredungen waren rasch erfolgt und der Ausdruck von 195 Wahrheit in den Worten des Malers ließen an seiner aufrichtigen Gesinnung gar keinen Zweifel. Cornelia klammerte sich mit ihrer ganzen Seele an seine tröstenden Worte und fühlte sich schon geborgen, wenn sie den zuversichtlichen Ausdruck seiner Mienen sah. Ihr kindliches Herz glaubte ihm unbedingt und sie dachte gar nicht einmal daran, daß sie auch hier wieder hintergangen werden und ihr möglicherweise neue Gefahren drohen könnten.

Ganz von dem einen Gedanken der Rettung beherrscht, ordnete Salvatore Rosa scheinbar alles an, um das Madonnenbild zu malen, in Wahrheit aber wählte er den geeignetsten Raum und traf alle weiteren Vorkehrungen nur vom Gesichtspunkte der Flucht aus. Er spannte eine Leinwand und mischte seine Farben, als sei er nur darauf bedacht, sein Werk sofort zu beginnen. Dann bat er, man möge ihn möglichst ungestört lassen, damit er die Arbeit rascher fördern könne.

Salvatore wußte, daß die Räuber ihn nicht für lange Zeit außer acht lassen würden, selbst wenn sie sich den Anschein gaben, ihn nicht stören zu wollen, schon die quecksilberne Lebendigkeit dieser Menschen gestattete ihnen kein längeres Zurückbleiben, aber er kannte alle Winkel und Gänge des alten sarazenischen Raubnestes so genau, daß er trotzdem die Flucht wagen durfte.

Er hatte die Mappe mit seinen zahlreichen Skizzen und seine Laute zu sich genommen, nun redete er Cornelien Mut ein, schickte selbst für sich und das Mädchen ein Bittgebet zum Himmel und wagte dann vorsichtig mit ihr durch die selten oder nie betretenen Teile der Ruinen fortzuschleichen.

Der Maler war sich ganz genau bewußt, daß es ihn das Leben kosten konnte, wenn er ertappt wurde, aber Cornelia blieb alsdann ungefährdet und wurde höchstens etwas strenger bewacht, bis man Gewißheit wegen der Zahlung des Lösegeldes hatte. Der Bote war noch lange nicht zurück zu erwarten, und bevor dies geschah, konnte ein guter Vorsprung gewonnen sein.

Alles gelang wider Erwarten gut. Zitternd folgte Cornelia ihrem Führer; sie gelangten ins Freie und schlichen geduckt und ohne einen Laut durch die Gebüsche.

Es vergingen Stunden, bevor die Räuber bemerkten, was vorgegangen war. Dann entstand natürlicherweise ein ungeheurer Tumult in der Burg. Zuerst suchte sich Beppo zu überzeugen, ob Tebaldo noch in seinem Gefängnisse sei, dann begann ein lebhafter Meinungswechsel über das Ziel der Flucht, wobei natürlich fast allgemein zur Geltung kam, daß die Richtung 196 nach Aquila von den Flüchtlingen eingeschlagen sei. Aber konnten sie sich nicht in der Burg selbst oder ganz in der Nähe vorläufig verborgen halten? Man durchsuchte jeden einzelnen Raum und während all dieser Zeit stieg die Wut und Aufregung auf den höchsten Grad, so daß einige der Briganten bereits den Vorschlag machten, an dem zurückgebliebenen Tebaldo Rache zu nehmen und ihm einen martervollen Tod zu bereiten. Da sie den jungen Mann jedoch für Corneliens Bruder hielten, mäßigten sie ihren Rachedurst und beschlossen, für seine Freilassung nur ein um so höheres Lösegeld zu fordern. Ja, dieser Umstand wirkte nach und nach sogar einigermaßen befriedigend auf die habgierigen Räuberseelen, und während ein Teil der Männer sich auf die Verfolgung der Flüchtlinge begab, blieben die andern zur um so strengeren Bewachung Tebaldos zurück.

Inzwischen führte Salvatore das junge Mädchen auf den verstecktesten und nur ihm bekannten Wegen immer weiter von der Burg ab in der Richtung nach Terracina zu. Es gereichte ihm nun zum Vorteil, daß er in den verschiedenen Jahreszeiten zu jeder Stunde des Tages und der Nacht das Dickicht des Waldes durchstreift hatte. Da die Räuber bei ihren Ausflügen immer bestimmte Ziele im Auge hatten, so schlugen sie auch stets dieselben Wege ein, während Salvatore die geheimnisvolle Schönheit des Waldes oft tage- und wochenlang durchforschte, ohne einen andern Zweck, als neue Reize der Landschaft zu entdecken und sich immer mehr in deren Untersuchung zu vertiefen.

Der junge Maler war nicht ganz ohne Waffen, denn er trug ein gutes Dolchmesser bei sich, und sie brauchten die Kugeln der Verfolger im dichten Walde nicht allzu sehr zu fürchten. Es kamen nun Stunden, die sein Gemüt in einen wunderbaren Zustand von namenloser Angst und doch auch von ungeahnter Seligkeit versetzten. An seiner Seite, von seinem Arm gestützt, ganz auf seine Hilfe vertrauend, schritt das holde Wesen, bei dessen Anblick er zuerst die Wonnen und Qualen der Liebe in ihrer ganzen Macht kennen gelernt hatte; er hatte kaum gehofft, sie jemals wiederzusehen, und seine kühnsten Wünsche hatten sich bis jetzt noch nicht bis zur Berührung ihrer Hand verstiegen, und nun lehnte sie ihren Arm an seine Schulter, er fühlte das süße Gewicht ihres Körpers, und der Hauch ihres Mundes berührte seine Wangen. Es waren Augenblicke, in denen er wie im Traume dahinschritt und alles vergaß, nur nicht ihre Nähe.

Zuweilen freilich schreckte er plötzlich wieder aus solchem seligen 197 Versunkensein empor und gedachte der furchtbaren Gefahr, in welcher sie schwebten. Dann durchfuhren verzweifelte Gedanken sein Gehirn und seine Hand griff nach dem Messer, da er den Mut in sich fühlte, das geliebte Mädchen gegen eine Schar von Feinden zu verteidigen.

Sie eilten rasch vorwärts, und es verging eine lange Zeit, während welcher kein Wort gesprochen wurde. Endlich bemerkte der Maler, daß die Kraft Corneliens nachließ, ihre Schritte unsicher und langsamer wurden und ihr Atem fieberhaft schnell ging. Sein eignes Herz klopfte fast zum Zerspringen unter dem Widerstreit seiner Empfindungen. Nun hielt er an und blickte in das Gesicht seiner Begleiterin. Völlig erschöpft, war sie nahe am Umsinken und er mußte ihre zarte Gestalt mit seinem Arm umfangen, um sie zu stützen. Einige Worte der Teilnahme von seiner Seite, eine kaum vernehmbare Klage aus ihrem Munde und sein Entschluß war gefaßt. Noch durften sie nicht Halt machen, denn solange die Sonne am Himmel stand, waren sie nicht sicher vor den spähenden Augen ihrer Verfolger. Salvatore nahm die zarte Gestalt auf seine Arme, um sie zu tragen. Halb bewußtlos vor Erschöpfung, legte sie wie ein müdes Kind ihre Arme um seinen Hals und neigte den Kopf auf seine Schulter. Die Last dünkte ihm leicht, und so groß auch die Not des Augenblicks im Bewußtsein der drohenden Gefahr ihm erscheinen mußte, fühlten doch seine Nerven sich gestärkt durch die unmittelbare Nähe des holden Geschöpfes, und das beseligende Gefühl, ihr alleiniger Schutz und Schirm zu sein, hob ihn über alle Mühseligkeit hinweg.

Nach einer Weile verlangte Cornelia, die sich etwas erholt hatte, mit flüsternder Stimme, daß er sie wieder selbst ihre Schritte fortsetzen lasse. Er empfand kaum, daß er wirklich bereits aufs äußerste erschöpft war, aber er gehorchte ihrem Begehren, und sie setzten ihren Weg durch das meilenweite Dickicht fort. Je weiter sie vorwärts kamen, mit um so größerer Sicherheit hoffte er auf die Rettung. Die Wanderung sollte bis zum Rande des Waldes am äußersten Abhange des Gebirges gehen, daselbst wollten sie einige Stunden der Nacht ruhen und dann beim ersten Strahl der Sonne vorsichtig das Dickicht nach der Richtung zum Meere verlassen. Dort schweifte dann der Blick zu der Bucht, an deren Ufer Terracina lag. Man hätte ein Dorf erreichen können, um dort zu übernachten, aber das wäre gewagt gewesen, da die Briganten überall ihre Helfershelfer hatten. Nur in Terracina wußte Salvatore sich in Sicherheit, da ihm bekannt war, 198 daß der Gastwirt Matteo, auf den er sich vollständig verlassen konnte, inzwischen dort eingezogen war.

Tritt die Dunkelheit in jenen Gegenden ohnehin rasch ein, so sank sie im Dickicht des Waldes fast plötzlich auf die Erde nieder. Salvatore mußte die Vorkehrungen für die Nacht treffen. Er brach eine Menge Zweige ab und schichtete sie zum Lager für Cornelien. Mehr konnte er nicht thun, um für ihre Bequemlichkeit zu sorgen und er vertröstete sie auf den nächsten Morgen, wo sie ihren Durst stillen und etwas Nahrung zu sich nehmen könne. Er selbst entfernte sich dann einige Schritte von ihr und ließ sich in dem Schatten eines gewaltigen Baumes nieder, scheinbar um zu schlafen, in Wahrheit aber, um gegen die Müdigkeit anzukämpfen und in der Stille der Nacht über die Sicherheit der Geliebten zu wachen. Die erschöpfte Natur brachte endlich für beide einen kurzen tiefen Schlummer.

Sie setzten am andern Morgen ihren Weg fort. Salvatore wußte, daß das Ziel noch weit entfernt war. Nur die Gewalt der Umstände gab Cornelien eine Ausdauer, wie sie das arme Mädchen sich selbst nicht zugetraut hätte. In der Nähe eines Dorfes ließ Salvatore sie in einer kleinen Kapelle, die am Wege stand, warten, während er selbst ging, um etwas Speise und Trank herbeizuschaffen. Ein unsägliches Glücksgefühl durchströmte den jungen Maler, als er nach kurzem angstvollen Entferntsein zurückkehrte und dann sah, wie sie sich an den mitgebrachten Lebensmitteln erquickte. Der lange Marsch durch das Dickicht und der Nacht unter freiem Himmel hatten an ihren Kleidern und Haaren Spuren hinterlassen, aber gerade das Bewußtsein, daß die gemeinsame Gefahr sie über die gewohnten Lebensformen hinweggerissen und zu einer ungeahnten Vertraulichkeit geführt hatte, vermehrte in der Brust des jungen Mannes das Gefühl einer echt ritterlichen Liebe. Das unschuldsvolle Wesen war seinem Schutze anvertraut, dieses Bewußtsein verklärte seine Leidenschaft und nahm ihr jeden irdischen Beigeschmack.

Liegt es schon überhaupt in der menschlichen Natur, ein ersehntes Ziel, dem man mit allen Kräften entgegenstrebt, sich möglichst nahe zu denken, so ist dies in gesteigertem Maße der Fall, wenn die ungeduldige Jugend sich drohenden Gefahren gegenüber befindet, denen sie zu entgehen hofft. Auch Cornelia täuschte sich sowohl über das Ziel ihrer Wanderung, wie namentlich über ihre eigne Ausdauer. Noch war Terracina meilenweit entfernt. Salvatore bemerkte die Ermattung Corneliens, und nachdem ihr 199 wankender Gang keinen Zweifel mehr über die gänzliche Erschöpfung der Kraft ließ, erbot er sich mit hochklopfendem Herzen, sie wieder eine Strecke weit zu tragen. Aber Cornelia weigerte sich unter dem Vorwande, er müsse selbst seine Kräfte sparen, damit sie nicht schließlich beide vor Ermüdung erliegen möchten. So ging es wieder eine Weile fort, bis endlich die völlige Unfähigkeit des Mädchens ihren Widerstand besiegte, sie halb willenlos seinem abermaligen Vorschlage nachgab und sich wieder von ihm tragen ließ. Das wonnige Gefühl, die süße Last wieder in seinen Armen zu halten, stählte aufs neue die Kraft des Malers und es schien ihm fast, als unterstütze ihn selbst eine unsichtbar mit ihm wandelnde Macht. War es nur die Übermüdung oder gleichfalls ein neues ungekanntes Gefühl, was bei Cornelia eine süße Ermattung über ihr Wesen ausbreitete? Sie hatte ihre Arme wieder um seinen Hals geschlungen und ihr Kopf ruhte an seiner Brust. Ihre Augen waren geschlossen und ihr erregter Atem hob und senkte die sanfte Wellenlinie ihres Busens. Soviel es der anstrengende Weg gestattete, versenkte sich Salvatore in den Anblick der lieblichen Gestalt. Das Gefühl durchdrang ihn, daß diese Augenblicke, so voll sie auch an Besorgnis, geistiger und körperlicher Anstrengung und drohender Gefahr waren, doch unzweifelhaft die beseligendste Wonne seines ganzen Lebens in sich faßten und daß er weder vorher etwas erfahren hatte, noch jemals wieder erleben werde, was sich in der Erinnerung mit diesen Momenten reinster Seligkeit vergleichen ließ. Dieses Bewußtsein überkam ihn wie eine Art Betäubung, und als er wieder einmal auf das reizende Gesicht mit den knospenhaft geöffneten Lippen niederblickte, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, dem Reize des Augenblicks Erfüllung zu gewähren und einen Kuß auf Cornelias zarten Mund zu drücken.

Erschreckt schlug sie die großen Augen auf und hoch erglühend suchte sie sich aus seinen Armen frei zu machen. Es war der erste Kuß, den ein fremder Mann auf ihre Lippen gedrückt hatte. Sie wußte in diesem Augenblicke nicht, welchem Gefühle sie instinktiv folgte, als sie über und über rot ihn mit Bestimmtheit versicherte, ihre Ermüdung sei gewichen, und sie werde ganz gut im stande sein, den Weg zu Fuße weiter fortzusetzen.

Salvatore geriet in Verwirrung, denn er mußte glauben, seine Kühnheit habe sie verletzt. Aber seine Leidenschaft war aufs höchste gesteigert, und da Cornelia darauf bestand, zu Fuße zu gehen, trieb ihn sein ungestümes Herz, ihr das Geständnis zu machen, daß er sie vom ersten 200 Augenblicke an, da er sie gesehen, auch mit voller Glut geliebt habe und schon damals von Eifersucht verzehrt worden sei. Dann erzählte er ihr weiter, wie ihn die Eifersucht auch aus Neapel und bis hierher in die Wildnis getrieben habe, da er gesehen, wie der junge Mann, den die Räuber jetzt mit ihr gefangen hatten, in ihrer Nähe leben, täglich ihre Züge sehen, ihre Stimme hören und sich an der Lieblichkeit ihres ganzen Wesens erfreuen durfte.

Cornelia hatte seinen Worten in großer Erregung gelauscht. Seitdem sie sich an seine Brust geschmiegt und durch seinen Kuß erschreckt worden war, hatten sich auch in ihrem Herzen stürmische Gefühle geregt; ihre jungfräuliche Zurückhaltung suchte daher nach einem Rettungsanker, um sich nicht in dieser Einsamkeit dem Manne zu verraten, dessen leidenschaftliche Glut mit Allgewalt hinreißend auf sie wirkte. Um dem Gespräche eine andre Wendung zu geben, klammerte sie sich an die letzten Worte, die er gesprochen, und da ihre kindliche Seele niemals daran gedacht hatte, daß zwischen ihr und Tebaldo etwas andres als geschwisterliche Freundschaft bestehen konnte, sagte sie in kindlicher Verwunderung:

»Eifersüchtig auf Tebaldo? Wie ist das möglich?«

Sie hatte dabei zum erstenmal den Namen des jungen Mannes genannt, und dieser Name traf nicht nur das Ohr Salvatores, sondern er hallte in seiner Seele wider, als ob das Rollen eines ganz fernen leisen Donners an heiterem Sommerhimmel das Heranziehen eines Gewitters verkünde. Eben noch ganz versunken in die zärtlichen Gefühle, welche er seiner Begleiterin gestand, wurde er plötzlich wie aus süßem Traume durch eine ängstliche Ahnung aufgeschreckt und stieß die Frage hervor:

»Tebaldo heißt er? Und woher stammt er? Wie kam er in das Haus Eures Vaters? Ist er ein Spanier?«

Cornelia atmete erleichtert auf, denn sie glaubte, es sei ihr gelungen, die schwüle Stimmung der vorhergehenden Augenblicke durch ihre leicht hingeworfene Bemerkung zu verscheuchen. In diesen Gedanken versunken, bemerkte sie denn auch nicht, mit welcher Hast und Aufregung Salvatore jene Fragen hervorgestoßen hatte. Im einfachen Plaudertone erklärte sie ihm, daß Tebaldo ein Neapolitaner sei, das verlassene Kind armer, unbekannter Eltern, von ihrem Vater aus Erbarmen von der Straße in das Haus genommen, von der Mutter freundlich gepflegt und von ihr als Ersatz für den verstorbenen Bruder Rodrigo betrachtet. Sie erzählte weiter von 201 seinem Talente für die Musik, von ihren gemeinschaftlichen Studien, und sie bemerkte in ihrem Eifer gar nicht, daß Salvatore nur noch ihre Stimme vernahm, während seine Gedanken ihren Worten nicht mehr folgten und den eignen Weg gingen. Der Name Tebaldo in Verbindung mit der erhaltenen Auskunft hatte ihm vollkommen und fast unzweifelhaft klar gemacht, daß jener Jüngling, den er vom ersten Augenblicke an, da er seiner ansichtig wurde, mit Haß verfolgt und den er jetzt, um das geliebte Mädchen aus der Gefahr zu retten, mitleidslos in der Gewalt der Räuber gelassen hatte, sein verloren geglaubter Bruder sei, dem er lange vergeblich nachgespürt und den er nun unter so wunderbaren Umständen entdeckt hatte. Es war ein Glück, daß Cornelia, in dem Bedürfnis, die Unterhaltung in scheinbar harmloser Weise noch eine Weile fortzuführen, weiter sprach und auf Salvatores gedankenvolles Wesen nicht achtete, so konnte er sich inzwischen sammeln und die niederdrückende Erfahrung, die er gemacht hatte, im Geiste zurecht legen. Was war natürlicher, als daß er sich über seine letzte Handlungsweise zu beruhigen suchte, indem er sich einredete, die Räuber würden dem jungen Manne nichts zuleide thun und ihn jedenfalls in der Hoffnung auf ein gutes Lösegeld aussparen? Er rief sich alle Fälle in das Gedächtnis zurück, wo Gefangene von den Räubern gut gehalten worden waren, bis man sie befreit hatte, und er gelobte sich, sobald Cornelia in Sicherheit gebracht sei, alles aufzubieten, um Tebaldo zu retten.

Nach und nach gelang es ihm, seine heitere Stimmung vollkommen wieder zu gewinnen, denn im Grunde durfte er dieser ganzen Kette von Vorgängen vielleicht die endliche Nachricht über den Bruder danken und er vertraute sicher auf dessen unversehrte Rückkehr aus der Gefangenschaft.

Somit ging er auf Cornelias Gespräch mit vollkommen wiedergewonnener Fassung ein, und je näher sie ihrem Ziele kamen, um so sicherer vertraute er auf die Zukunft.

Fast zu Tode erschöpft, aber beruhigt aufatmend langten sie endlich in Terracina an, wo Salvatore im Hause der Familie des Matteo mit der alten Herzlichkeit, wenn auch nicht geringem Erstaunen empfangen wurde. Er überließ Cornelia der Frau des Wirtes und zog sich selbst in eine Kammer zurück, um sein Äußeres ein wenig in Ordnung zu bringen.

Nun erst, da Cornelia geborgen war, konnte er nachdenken über das Ereignis, welches plötzlich und unerwartet wieder in sein Leben eingegriffen und eine Periode desselben abgeschlossen hatte. Seit gestern war er in 202 einem Zustande der höchsten Spannung gewesen und hatte gar nicht überlegen können, wie das alles gekommen und was darauf folgen werde. Nun bestürmten tausenderlei Gedanken seinen Geist. Er hatte allen Spaniern Todfeindschaft geschworen, und nachdem er sein Herz von Neapel losgerissen, glaubte er auch die Leidenschaft für Cornelia begraben zu haben. Und nun war sie mit stärkerer Gewalt neu erweckt worden und hatte sich seines ganzen Seins bemächtigt. Wieder von ihr zu lassen, schien ihm undenkbar, und doch sah er voraus, daß er in ein Chaos von Empfindungen geraten mußte, wollte er wirklich an eine Verbindung mit ihr denken. Sein Talent würde ihm den Weg zu Ansehen und Stellung in der Welt bahnen können, davon war er überzeugt, aber wenn er mit dem Grafen Mendoza in verwandtschaftliche Beziehungen treten wollte, war sein Leben verwirkt und er fiel unfehlbar dem Rachedolch seiner Parteigenossen anheim. Einen Augenblick faßte er den tollkühnen Gedanken, mit Cornelia zu fliehen und auf diese Weise ihr Schicksal ganz an das seine zu ketten. War sie ihm nicht bis hierher gefolgt? Hatte sie ihm nicht das unbedingteste Vertrauen bewiesen, ihn zu ihrem Begleiter und Schützer durch die Wildnis angenommen und ihre Ehre in seine Gewalt gegeben? Aber freilich, sie hatte nicht Zeit gehabt, dies alles zu überlegen und hatte in der Verzweiflung ihrer Lage den einzigen Rettungsweg ergriffen, ohne in ihrem kindlichen Geiste weiter nachzudenken. Sie vertraute ihm, das war außer allem Zweifel, aber ob sie ihn liebte, mit jener Liebe, die alles daran gibt, um mit dem Gegenstand ihrer Neigung vereinigt zu sein, darüber war er durchaus nicht klar. Aber er wollte und mußte Klarheit haben, und zwar sofort beim nächsten Wiedersehen.

Als sie ihm dann aber in der ganzen Reinheit und Anmut ihrer Jugend entgegentrat, war wieder alles anders. Sie hatte sich erfrischt und ihre Kleider geordnet. Zwar trug ihr liebliches Gesicht die Spuren der Abspannung, aber ihr Auge blickte so aufrichtig dankbar und um ihren Mund spielte ein so herzgewinnendes Lächeln, als sie ihm die kleine Hand entgegenstreckte, daß er vor ihr niedersinken und wie zu einer Heiligen zu ihr hätte beten können. Wie konnte er glauben, daß ein so reines, holdseliges Geschöpf in blinder Leidenschaft den Pflichten der Kindesliebe untreu werden konnte? Auch der letzte Zweifel mußte schwinden, als sie ihn bat, nun so schnell als möglich ihren Vater zu benachrichtigen, damit er nicht länger ihretwegen in Angst und Unruhe schwebe. Wohl hatte sie Vertrauen zu 203 ihrem Retter, unbedingtes, grenzenloses Vertrauen, aber sie sah in ihm den edeldenkenden Menschen, der sich ihrer erbarmt hatte, wie die Heiligen sich der Notleidenden erbarmen und gute Menschen es ihnen nachthun sollen. Sie würde ihn lieben können, gewiß, das sagte zuweilen ihr Erröten bei seinem Blicke, aber mit der Zustimmung ihres Vaters und ohne in einen Zwiespalt gerissen zu werden, dem ihr weiches Gemüt nicht gewachsen war. Alles dies sah er ein, als er ihrem Auge begegnete und die Worte des Dankes und der Bitte vernahm, aber die Überzeugung, daß es so sei, zerriß ihm das Herz und überlieferte ihn aufs neue den Dämonen heftigster Leidenschaft.

Trotzdem gönnte er sich kaum die notwendigste Zeit zur Vorbereitung auf die Reise nach Aquila. Der Gedanke an Tebaldo trieb ihn zur Eile, wenn er zögern wollte. Er mietete ein Pferd und mußte sich abermals der Gefahr aussetzen, von Briganten überfallen zu werden. Aber er dachte nicht daran, denn sein Geist weilte unaufhörlich bei Cornelia oder bei dem Bruder. Wie mit Geierkrallen griff dabei die Erinnerung an die letzten Stunden zuweilen in sein Herz, denn wenn sein besseres Selbst auch im Gedächtnis an die qualvoll süßen Stunden der Flucht schwelgte, packte ihn doch wieder die Pein der Reue. Er machte sich Vorwürfe, daß er die Gelegenheit nicht besser benutzt, Cornelia nicht gewaltsam entführt und zur Liebe gezwungen habe. Solche widersprechende Empfindungen tobten in seinem Innern, während er ohne Rast und Ruhe dahinjagte, um nur ihren Willen zu vollführen und sie sobald wie möglich mit dem Vater zu vereinigen.

Er traf den Grafen Mendoza in ratloser Verzweiflung. Durch die Flucht Cornelias waren die Pläne der Räuber über den Haufen geworfen und sie hatten andre Vorkehrungen getroffen. In der Meinung, der verräterische Maler habe ihre Gefangene zu dem Vater zurückgebracht, änderten sie nun ihre Taktik dahin, daß sie dem Grafen die sofortige Befreiung seines vermeintlichen Sohnes gegen ein sehr hohes Lösegeld anboten, und der unglückliche Vater, der nicht ahnen konnte, was mit Cornelia geschehen, befand sich nun erst recht einem qualvollen Rätsel gegenüber. Die Erscheinung Salvatore Rosas, welcher die beruhigende Aufklärung brachte, versetzte ihn daher in große Freude, und es war ganz natürlich, daß die Hoffnung, sein einziges geliebtes Kind bald wieder ans Herz drücken zu können, alle übrigen Gedanken und Überlegungen in den Hintergrund drängte. War doch von Anfang an eine leise Verstimmung gegen Tebaldo in ihm 204 aufgetaucht, da dieser gewissermaßen bei den Ausflügen im Gebirge als Hüter und Schutz für Cornelia betrachtet wurde.

Nichtsdestoweniger beauftragte der Graf sofort den Kommandanten der Festung Aquila, an welchen ihn der Vizekönig empfohlen hatte, die Sache der Auslösung Tebaldos in die Hand zu nehmen, und sorgte dafür, daß die beträchtliche Summe in möglichst kurzer Zeit erhoben werden konnte. Wer konnte es dem Vater verdenken, daß er dies alles rasch erledigte und dann sofort zu seiner Tochter eilte, nach welcher sein Herz sich sehnte?

In Begleitung Salvatore Rosas trat er die Reise an und diesmal folgte ihnen nicht nur die Dienerschaft, sondern auch eine militärische Bedeckung, welche den Auftrag hatte, den Grafen zuerst nach Terracina, und von dort nach Neapel zu begleiten, da Graf Mendoza die Absicht hatte, mit seiner Tochter dorthin zurückzukehren.

Wer beschreibt den Jubel des väterlichen Herzens, als der Graf die ihm nach soviel Angst und Verzweiflung wiedergeschenkte Tochter in die Arme schloß. Seit dem Tode seiner Gattin war dies Kind das einzige Kleinod, welches er besaß und wodurch ihm das Leben lieb wurde. Cornelia weinte Freudenthränen an seinem Halse, und nun erst löste sich völlig der lastende Druck, der während dieser ganzen Zeit ihre Brust beengt hatte. Weder sie noch ihr Vater dachten weiter darüber nach, ob ohne Salvatores Dazwischentreten nicht am Ende ihre Befreiung unter geringeren Gefahren hätte bewerkstelligt werden können, sie sah in ihm nur den Retter aus feindlicher Gewalt, den Erlöser aus unerträglichem Zwang und daß er dieses Werk der Befreiung unter eigner Lebensgefahr gewagt hatte, erhöhte nur das Gefühl der tiefen Erkenntlichkeit.

Aber je mehr sie beide sich in Ausdrücken des Dankes erschöpften, um so düsterer umwölkte sich Salvatores Gemüt. Es war nicht mehr Cornelia, die Tochter einer Neapolitanerin aus dem Hause Cortesi, das hilflose, von Gefahr umringte Mädchen, das in der Einsamkeit des Waldes ihm nicht nur ihr Leben, sondern auch die Ehre anvertraut und in diesem Vertrauen in seinen Armen geruht hatte, es war Cornelia Mendoza, die Tochter eines spanischen Edelmanns, seines Todfeindes, die an der Seite und unter dem Schutze ihres Vaters dem Retter Dank sagte und ihm mit jedem Worte gleichsam den Dolch ins Herz stieß. Schon als er die Begrüßung zwischen Vater und Tochter gesehen hatte, mußte jeder Zweifel an der völligen inneren Übereinstimmung derselben aus seinem Herzen schwinden.

205 Vergeblich bot ihm der Graf an, sich ihnen bei der Reise nach Neapel anzuschließen und dort so lange sein Gast zu sein, als es ihm beliebe, er entschuldigte sich damit, daß er dem gefangenen Tebaldo nachspüren und dann erst daran denken wolle, seine Studien zu beenden, um nach einiger Zeit in seine Vaterstadt zurückzukehren. Daß sein Herz bei solchen Worten blutete, ahnte Graf Mendoza nicht. Der Abschied war von beiden Seiten scheinbar gleich herzlich. Der Graf nahm dem Maler das feste Versprechen ab, ihn in seinem Palaste zu besuchen, aber weder Cornelia noch ihr Vater hatten eine Ahnung davon, welch ein trostloses Gefühl der Verlassenheit den unglücklichen Salvatore ergriff, als er ihrem Zuge nachblickte. Zum zweitenmal mußte er diesen Schmerz durchkämpfen. Wie ein Irrsinniger lief er am Ufer des Meeres und in der Umgegend von Terracina umher, ringend mit der Gewalt der Leidenschaft, die nahe daran war, seinen Geist zu zerstören.

Erst nach und nach gewannen die guten einfachen Menschen, in deren Gesellschaft er sich befand, und die Einwirkung der Naturschönheiten, für welche sein Herz niemals die Empfänglichkeit verlor, wieder größere Gewalt über ihn, aber wie ein Schwerverwundeter nur langsam genesen kann und kaum jemals völlig wieder hergestellt wird, so blickte auch er fast hoffnungslos in die Zukunft.

Inzwischen war der Graf Mendoza mit Cornelia in Neapel angelangt und es machten sich in der nächsten Zeit die Folgen der übergroßen Anstrengungen bei dem jungen Mädchen doch so ernsthaft bemerklich, daß ihr Vater abermals in große Sorgen geriet. Es mußte ihr daher auch verheimlicht werden, daß die Nachrichten aus Aquila in bezug auf Tebaldo sehr ungünstig lauteten.

Der Kommandant daselbst hatte es denn doch zu sehr seiner militärischen Würde widersprechend gefunden, mit den Räubern in friedliche Verhandlungen zu treten, um so mehr, da er wußte, daß es sich auf der einen Seite gar nicht um einen Sohn des Grafen und auf der andern um eine geradezu kolossale Summe handelte. Überdies wußte man ja auch durch Salvatore Rosa, wo sich der schwarze Beppo mit dem Gefangenen befand. Der Kommandant ließ also eine Abteilung Soldaten, den Boten der Räuber mit sich führend, nach der alten Sarazenenburg abmarschieren.

Diese wollten sich auf keine Vermittelung einlassen und trotzten auf die Unnahbarkeit ihres Zufluchtsortes.

206 Der Kommandant dagegen, dem das Freundschaftsverhältnis zwischen dem Grafen Mendoza und dem Vizekönig bekannt war, glaubte hier einmal eine Gelegenheit zu besonderer Auszeichnung zu finden. Obgleich er einige Leute verlor, ließ er nicht nach, die alte Burg Tag und Nacht belagern zu lassen und von Zeit zu Zeit die Zugänge anzugreifen. Nachdem dies eine Weile gewährt hatte, bemerkten die Soldaten eines Tages, daß niemand mehr Widerstand leistete, und als sie vorsichtig die Spitze des Berges erklommen und in die Ruinen eintraten, fanden sie daselbst nur zerschlagenes Gerümpel und Lumpen, aber keine lebende Menschenseele vor. Nur ein Zettel wurde entdeckt, auf welchem die Worte standen:

Da der Graf Mendoza die Summe für seinen Sohn nicht zahlen wolle, müsse letzterer darauf verzichten, seinen Vater jemals wiederzusehen. Das Leben würde man ihm nicht nehmen, aber ihre Rache werde darum doch an ihm vollzogen.

Offenbar war es ihnen also gelungen, die Burg vorläufig zu räumen, aber es war anzunehmen, daß sie jedenfalls nach einiger Zeit zurückzukehren gedachten, denn ein Schlupfwinkel, der so große Vorzüge bot und den sie trotz der genauen Bewachung unbemerkt und spurlos hatten verlassen können, fand sich so leicht nicht wieder.

Graf Mendoza bot außer dem Lösegeld noch eine beträchtliche Summe als Belohnung für denjenigen, welcher die Spur des verlorenen Tebaldo entdecken werde, aber es kam niemals eine Nachricht von dem unglücklichen jungen Manne und nach und nach mußte selbst die letzte Hoffnung schwinden, ihn jemals wiederzusehen. 207

 

 


 


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