Adolf Glaser
Masaniello
Adolf Glaser

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Am Strand bei Amalfi

Am Strand bei Amalfi.

Fünftes Kapitel.

Die Kindheit unsres Helden.

Die Lage der kleinen Stadt Amalfi ist wunderschön. Die Art, wie die Häuser in ein schroffes Thal hineingebaut sind, das scheinbar ganz Zufällige in der Anlage, macht einen überaus traulichen Eindruck; aus allen Gärten grüßen die goldig schimmernden Orangen und Zitronen – und am Ufer der rauschenden See, im Schatten der malerisch ragenden Berge sieht man die geschäftigen Fischer, wie sie sich mit ihren Netzen und Barken zu thun machen. Nahe bei der Stadt, hart am Meere, führt eine in den Felsen gehauene Treppe zu dem Kloster des heiligen Antonius, dessen Kreuzgang so recht das Bild eines in sich abgeschlossenen gesammelten Daseins wachruft. Es ist eine vierseitige Allee schlanker Säulen, die anmutige maurische Bogen stützen und einen quadratischen Fleck Erde umschließen, der prachtvolle Rosen und Zitronen trägt. 92 Von den Zellen des Klosters aus blickt man auf die unendliche See, die ihre kristallreinen Wogen bis zu den Füßen des schmucken Städtchens rollt.

Der neapolitanische Maler Salvatore Rosa fand in dem Kloster gastliche Aufnahme und sein Gemüt kam hier einigermaßen zur Ruhe. Es schien, als liege eine geraume Zeit zwischen der Gegenwart und seinen letzten bitteren Erlebnissen in der Vaterstadt. Nur leise zitterte noch der Nachklang an die Schmerzen seiner Liebe und die herbe Erfahrung vor dem stolzen Palaste des spanischen Adelsgeschlechts in seiner Seele. Wenn er solchen Gedanken nachhing, verstärkte sich das Gefühl der Leidenschaft für Cornelia und des Hasses für den jungen Mann in ihrer Nähe. Wenn es ihm dereinst gelang, als Künstler sich eine hervorragende Stellung zu schaffen, so sollte sein Herz in Liebe und Haß doch noch befriedigt werden. Aber auch der Genius seiner Kunst schien ihm ungetreu geworden zu sein, denn vergeblich suchte er hier und da sich ein Motiv aus der herrlichen Landschaft abzugrenzen, es fehlte ihm der Schaffensdrang und die rechte Lust zur Arbeit.

Eines Tages gelangte er auf seinen Spaziergängen in der Umgegend von Amalfi bis nach Atrani, das gleichfalls dicht am Golfe lag. Dort befand sich noch mancherlei altes Gemäuer, und dicht dabei, etwas abseits vom Ufer, lag eine gemauerte Rotunde, die wahrscheinlich von einem antiken Amphitheater herrührte. Der Maler betrachtete alles genau und kehrte dann längs des Meerufers zurück, wo eine Anzahl Kinder sich jubelnd im Wasser umhertummelten und in ihrer lebhaften Art sich über die Muscheln und Seetiere, die sie fanden, unterhielten und wohl auch zuweilen heftig stritten. Die Knaben waren zum größten Teil unbekleidet oder trugen nichts als ein ganz kurzes Beinkleid, das am Körper schnell wieder trocknete, wenn es durchnäßt wurde.

Es schien sich gerade eine etwas heftige Szene unter dem kleinen Völkchen zu entwickeln. Ein Knabe von etwa zehn Jahren gestikulierte lebhaft und zankte mit einem etwas jüngeren Mädchen, das ihm heftig widersprach.

»Du willst es der Mutter sagen, Berardina«, rief der Junge, »gut, laufe nur hin, aber bis du sie hierher geholt hast, bin ich längst weit fort, und habe Zeit genug, zu tauchen und zu schwimmen, so weit es mir gefällt.«

Damit lief der muntere Bube zu einem etwas vorspringenden Felsstück und sprang kopfüber in das Meer, während das kleine Mädchen in höchster Aufregung und laut vor sich hin scheltend nach Amalfi lief.

93 Der Maler blickte hinaus aufs Meer und war neugierig, zu beobachten, wann der Junge wieder auftauchen werde. Aber dies dauerte ungewöhnlich lange. Mit der ihrem Alter eignen Gedankenlosigkeit setzten die Kinder am Strande ihre Spiele fort und kümmerten sich nicht weiter um ihren Gespielen und sein Schicksal. Salvatore geriet wirklich bereits in ernste Besorgnis, denn es waren mehrere Minuten vergangen, ohne daß eine Spur von dem Jungen zu sehen war; da wurde seine Aufmerksamkeit nach der andern Seite gelenkt, woher das kleine Mädchen zurückkam, indem es eine junge, sehr hübsche Frau am Rocke heranzerrte, welche eine Spindel unter dem Arme trug. Das große lebhafte Auge des einfachen Fischerweibes, dessen Gesicht und Gestalt von jener ausdrucksvollen Schönheit war, wie sie selbst das gewöhnlichste Volk in jener Gegend zur Schau trägt, blickte besorgt auf das Meer, hielt die eine Hand über die Augen und schaute forschend hinaus. Offenbar war sie weit weniger beunruhigt als das kleine Mädchen an ihrer Seite, das unaufhörlich zu ihr redete und dabei sein allerliebstes Kindergesichtchen sehr ernsthaft auf sie richtete. Die Frau stand endlich dicht neben Salvatore, als gerade ziemlich entfernt aus der Flut der krause Kopf des kühnen Knaben wieder auftauchte. Ein lauter Ruf freudiger Überraschung entfloh den Lippen des Kindes und zugleich des Malers, und da vorläufig die Furcht von allen hinweggenommen war, blickte die Mutter den fremden jungen Mann, der ihrem Sohne Teilnahme schenkte, lächelnd an und ließ dabei eine Reihe glänzender Zähne zwischen kirschroten Lippen sehen.

»Er ist ein wahrer Teufel, der Maso«, sagte sie, und zwar gegen den Fremden gewendet, so daß dieser das Gespräch aufnehmen konnte, wenn er wollte. Er that es, indem er sagte:

»Ein tollkühner Junge, kann tauchen wie eine Ente oder noch besser, denn ich habe noch nie erlebt, daß ein Mensch so lange unter Wasser geblieben ist. Ich war selbst in großer Angst um ihn.«

»Ja«, entgegnete die Mutter, und statt der Besorgnis leuchtete nun wieder der Stolz aus ihren Blicken, »keiner thut es ihm gleich, weder Knabe noch Mann; aber man hat seine Not dabei, denn er will es immer besser machen und strengt sich dabei so übermäßig an, daß er erst vorgestern eine ganze Stunde lang ohnmächtig gewesen ist, als er wieder an das Land kam.«

»So ist es«, warf das kleine Mädchen lebhaft ein; »ich selbst war 94 dabei und die Nina und der Tonio und der Cinto und noch viele andre auch. Er war eine ganze Stunde tot und wird gewiß nicht eher ruhen, bis er wirklich ganz tot ist.«

»Wenn ihn sein Vater erst mitnimmt auf den Fischfang, wird er seine Thorheiten wohl lassen, und es soll bald geschehen, das ist ihm schon angedroht worden. Die schwere Arbeit wird ihm die tollen Gedanken aus dem Kopfe treiben, denn es ist nichts als Eitelkeit und allerlei Aberglaube, was ihn zu diesem maßlosen Schwimmen und Untertauchen treibt.«

»Ist es denn nicht allgemein Gebrauch bei Euren Knaben, daß sie möglichst viel schwimmen und tauchen, oder macht Euer Maso eine Ausnahme?« fragte Salvatore, dem die Unterhaltung mit der schönen jungen Frau ganz wohl gefiel.

»Mit dem Maso kann sich keiner vergleichen«, entgegnete diese und sie begann die Spindel in der Hand zu drehen, die sie, wie alle italienischen Frauen, fortwährend mit sich trug, »das ist eine eigne Sache mit dem Jungen, und wenn ich Euch alles erzählen sollte, was damit zusammenhängt, müßtet Ihr lange Zeit haben, mich anzuhören.«

»Zeit habe ich, und wenn Ihr Lust habt, mir von Eurem Maso zu erzählen, werde ich gewiß nicht müde werden, Euch anzuhören«, versetzte der Maler.

»Hier geht das nicht an«, meinte darauf die Frau, »aber wenn Ihr mitkommen wollt zu unserm Hause, wo die Leute sehen und hören können, was wir zusammen haben, da will ich Euch alles berichten. Wir wohnen dicht bei Amalfi. Vor unserm Häuschen ist eine Bank von Stein, darauf kann ich sitzen und die Spindel drehen, während Ihr zuhört. Auf den Maso müssen wir nun so wie so warten und die Berardina spielt schon wieder mit den andern Kindern. Wenn Ihr also wollt, können wir gehen.«

Gern folgte Salvatore. Um etwas zu sagen, fragte er unterwegs, ob Maso und Berardina Geschwister seien, aber die Frau belehrte ihn, dies sei nicht der Fall; wohl habe Maso noch jüngere Geschwister, aber Berardina sei ein Nachbarskind; sie halte sich immer in Masos Nähe, obgleich dieser sie schlecht behandle und oft sogar schlage.

Immer die Spindel drehend, kam die junge Frau mit ihrem Begleiter zu ihrem Häuschen, das freundlich genug aussah. Die Nachbarinnen machten große Augen, aber da sich die Frau unbefangen mit ihrem Gaste niedersetzte und die Unterhaltung mit ihm ganz laut führte, fand niemand etwas 95 in diesem Vorgange. Überdies waren auch die Männer und darunter Masos Vater ganz in der Nähe mit ihren Rudern und Netzen beschäftigt, so daß nichts Arges gedacht werden konnte. Die kleine Berardina war spielend am Strande zurückgeblieben.

»Seht«, begann die Frau, »unser Maso war von jeher ein kluges Kind, und so kam es denn, daß er sich frühzeitig gern erzählen ließ und sich bei allem, was er hörte, seine eignen Gedanken machte. Nun gibt es in der Gegend hier mancherlei alte Sagen und Legenden, denn zu Amalfi haben die Zeiten gar wunderbare Veränderungen hervorgebracht und manches ist im Gedächtnis der Menschen zurückgeblieben. So sollen in uralter Zeit Meerkönige daselbst geherrscht haben, und einer derselben hatte in seiner Gefolgschaft einen Menschen, der Fisch hieß und seinem Namen insofern entsprach, als er ganze Tage und Wochen lang im Wasser leben, meilenweit ohne Ermüdung schwimmen und auch unter dem Wasser bleiben konnte, solange es ihm beliebte. Man erzählt, einer der Meerkönige, die von andern auch Normannen genannt werden, habe um eine Prinzessin aus fernen Landen freien lassen, und diese sei in einem prachtvollen Schiffe nach ihrer neuen Heimat gefahren. Auf offenem Meere habe man plötzlich bemerkt, daß ein Geschöpf im Wasser um das Schiff herumschwamm und dasselbe begleitete, welches ganz die Gestalt eines Menschen gehabt, aber an vielen Stellen des Körpers mit Schuppen bedeckt gewesen sei. Die Bemannung des Schiffes rief diesen Fischmenschen an, und da er antwortete, konnte man sich in ein richtiges Gespräch mit ihm einlassen. Der schönen Prinzessin im Schiffe war von diesem wunderbaren Wesen Nachricht gegeben worden, und sie erteilte den Befehl, man solle den Fischmenschen an Bord nehmen, mit Kleidern versehen und ihr alsdann vorstellen. Dies geschah, und der Mann war so manierlich und sah so sehr einem jungen, hübschen Menschen gleich, daß die Prinzessin ihn in ihre Dienste nahm und mit nach Amalfi brachte. Dort hat er jahrelang gelebt und alle Welt hat ihn seiner seltsamen Natur wegen angestaunt. Die Prinzessin soll ihn ganz besonders bevorzugt haben, was gar kein Wunder war, da er ihr zuerst in ihrer neuen Heimat entgegen gekommen war. Er ist dann aber plötzlich verschwunden, als neidische Menschen dem Könige den Verdacht ins Ohr flüsterten, er sei kein getaufter Christenmensch, sondern ein Elementarwesen und könne zaubern. Wie gesagt, er verschwand im Meere und kam niemals wieder.«

96 »Und nun hat sich Euer Maso in den Kopf gesetzt, daß er gleichfalls im Tauchen und Schwimmen zur höchsten Vollkommenheit gelangen und eine Art Fischmensch werden will?« fragte Salvatore. »Aber dazu gehören dann auch Schuppen und die werden ihm wohl so leicht nicht wachsen; oder habt Ihr schon etwas davon bemerkt?« setzte er lachend hinzu.

Das junge hübsche Weib zürnte ein wenig. »Ihr wollt Euren Scherz mit mir treiben«, erwiderte sie, »aber die Sache ist ernsthaft genug, und ich habe Euch noch lange nicht alles mitgeteilt. Es gehört noch eine Geschichte dazu; aber es ist besser, wenn mein Mann, den ich dort eben herankommen sehe, Euch das übrige erzählt, denn der versteht es besser als ich. Ich muß überdies in die Küche, und wenn ich hier länger mit Euch sitze und plaudere, komme ich am Ende noch in schlimmen Verdacht.«

Sie sprang auf, und da ihr Mann gerade herantrat, erzählte sie ihm lachend und in überaus lebhafter Weise, wie sie die Bekanntschaft des Fremden gemacht und was sie ihm erzählt habe. Der Fischer war gerade kein hübscher Mann, aber seine Glieder zeigten jene kräftige Geschmeidigkeit des Südländers, und nachdem er begrüßend die Mütze gerückt hatte, setzte er das Gespräch da fort, wo es seine Frau abgebrochen hatte.

»Wenn es den Herrn interessiert«, meinte er, »so können wir nach dem Orte hingehen, wo sich die Begebenheit zutrug, die ich berichten will. Wir werden dann auch zugleich das Meer im Auge behalten und die ganze Bucht übersehen, um sofort zu bemerken, wenn der Bengel zurückkommt. Bleibt er wieder zu lange aus, so setzt es etwas; aber das hilft doch alles nichts, und das einzige Mittel wird sein, daß er nun regelmäßig an die Arbeit muß. Dann werden ihm die Flausen und Grillen schon vergehen.«

Der Maler ging mit dem Fischer, und da er sich nun einmal durch den Anblick der reizenden Frau hatte verleiten lassen, auf die Mitteilungen über den schwimmlustigen Fischerjungen zu lauschen, mußte er auch die Fortsetzung über sich ergehen lassen. Der Fischer führte ihn zu einer erhöhten Stelle des Ufers, wo man bei einer Biegung plötzlich vor den Ruinen eines uralten Klosters stand. Es mochte durch die Sarazenen zerstört sein, aber an dem einzigen Raume, der noch von Mauern umschlossen war, ließ sich der eigentümliche Stil erkennen, der zur Zeit der Herrschaft der Normannen hier gebräuchlich war: große gewölbte Räume mit weiten Spitzbogen.

»In diesem Gemäuer«, begann der Fischer nun, »hausen Geister oder Teufel, wie Ihr wollt. Ich selbst glaube nicht daran, aber die Bewohner 97 von Amalfi wagen nicht, den Raum des Nachts zu betreten. Nun ereignete es sich vor kurzer Zeit, daß zwei Amalfitaner den Wunsch aussprachen, einmal zu untersuchen, wie es sich mit dieser Sache verhalte, und sie forschten nach einem Menschen, der die Beschwörung vornehmen könnte. Nun lebt in Bajä bei Neapel ein Mann, der sich auf die Arzneikunde versteht und mit seinen Mixturen auch zuweilen in unsre Gegend kommt. Dieser Mann, er heißt Scaratuli, gibt sich das Ansehen, als verstehe er mehr als andre Menschen, und die alten Weiber sind fest überzeugt, daß er zaubern könne. Jedenfalls versteht er es, uns schlichten Leuten so viel Hokuspokus vorzumachen und so viele fremdartige Redensarten anzubringen, daß man ganz wirr im Kopfe dabei wird. An ihn wendeten sich die beiden Amalfitaner, und er erklärte sich bereit, die Beschwörung zu übernehmen, da er früher in Ägypten gelebt und dort die Kunst der Zauberei gelernt habe. Er langte an, und die drei Männer verfügten sich nun eines Abends in diese Ruine, wo sie ihr Werk in dem großen Raume, der früher das Refektorium gewesen war, beginnen wollten. Der Zauberer kleidete sich nach Art der ägyptischen Zauberer, zeichnete Zirkel und Figuren auf die Erde und beobachtete dabei die wunderbarsten Zeremonien von der Welt. Sie hatten allerlei Räucherwerk, sowohl köstliches, wie auch durchdringend und sogar abscheulich duftendes, mitgebracht.

»Nachdem der Zauberer alles geordnet hatte, zeichnete er einen Eingang in die Zirkel und führte die beiden Männer an seiner Hand hinein. Diese mußten nun das Feuer in der Mitte unterhalten und ihm bald von dem einen, bald von dem andern Räucherwerk darreichen, worauf er zuerst mit leiser, dann mit immer stärkerer Stimme seine Beschwörungen begann, welche länger als eine Stunde dauerten. Darauf erschienen eine Menge Geister, in allerlei undeutlicher Gestalt, so daß das Refektorium ganz voll davon wurde. Als der Zauberer diese vielen Teufel bemerkte, wollte er mit ihnen reden, und verlangte, daß sie sich ihm nennen sollten, aber die Geister gaben keine Antwort und somit kam das Werk nur halb zustande.

»Aber nun ließ es den beiden Männern keine Ruhe; sie wollten stärkere Beschwörungen kennen lernen und mehr von den Geistern wissen. Der Zauberer behauptete, sie müßten an einem andern Abend das Werk noch einmal beginnen und die Geister würden ihnen dann zu Willen sein, wenn sie einen unschuldigen Knaben mitbrächten, den er selbst für tauglich dazu erklären würde. Niemand in Amalfi würde von der ganzen Sache etwas 98 erfahren haben, wären die Herren nicht einige Tage darauf wiedergekommen, um sich unter unsern Kindern eines für ihre Zwecke auszusuchen. Kaum sah der Zauberer am Strande unsern Tomaso Aniello, als er sofort erklärte, dieser Junge müsse es sein. Um ganz sicher zu gehen, wendeten sie sich an mich, versicherten, daß dem Kinde nichts Übles geschehen solle und versprachen reichliche Belohnung. Ich hielt es für das Beste, meiner Frau nichts von der Geschichte zu verraten und gab meine Einwilligung.

»Der Zauberer zog wieder seine Zirkel und richtete alles mit dem Feuer und Räucherwerk wie vorher, nur mit noch größerer Sorgfalt ein. Nachdem er die beiden Männer und unsern Knaben nach seiner Art wieder in die Kreise geführt hatte, berührte er mit seinem Stabe den Scheitel Tomasos und begann seine Beschwörung. Er gebot den Geistern im Namen und mit der Gewalt Gottes, des unerschaffenen lebendigen und ewigen, und sprach dies alles in hebräischen oder ägyptischen Worten. Darauf erschienen wieder eine Menge Geister, viel mehr als das erste Mal, und es war den Männern, als ob sie drohend auf sie eindringen wollten.

»Nun fing unser Knabe unter dem Zauberstabe zu jammern an, und sagte, es seien wohl tausend unheimliche Gestalten beisammen, die alle mit Dolchen und Messern außerhalb des Kreises sich zusammendrängten und drohende Gebärden gegen ihn machten. Der Zauberer und die beiden Männer gerieten gleichfalls in Furcht, so daß sie zitterten; ersterer sprach seine Beschwörungsformeln mit leiser und eindringlicher Stimme, während die andern unaufhörlich Räucherwerk in das Feuer warfen. Der Knabe war auf die Erde gesunken, steckte den Kopf zwischen die Kniee und sagte: so will ich sterben, denn wir kommen doch alle nicht wieder mit dem Leben davon. Da sprach der Zauberer zu ihm: diese Gestalten sind alle in dir und was du siehst, ist Rauch und Schatten, hebe nur die Augen ohne Furcht auf. Darauf blickte Tomaso von neuem hin, aber rasch hielt er wieder die Hände vors Gesicht und rief, er sei schon tot und wolle nichts mehr sehen. Alle Geister hätten die Blicke auf ihn gerichtet und deuteten mit Fingern nach ihm hin. Einer aber, ein riesengroßer gewappneter Mann, halte ihm eine Krone entgegen und fordere ihn mit Winken und Bewegungen auf, danach zu greifen. Darauf verbarg er wieder das Gesicht und wollte durchaus nichts mehr sehen. Der Zauberer redete den beiden Männern zu, sie sollten nur nicht zaudern und rasch von dem andern Räucherwerk, das er ihnen bezeichnete, auf die Flammen streuen. Beide waren mehr tot 99 als lebendig, und es muß wirklich die höchste Zeit gewesen sein, daß sie aus dem Zauberkreis herauskamen, wenn sie ihr Leben und ihre Gesundheit retten wollten.

»Nachdem das andre Räucherwerk seine beruhigende Wirkung gethan hatte, beendete der Zauberer seine Zeremonien, und nun erholte auch Tomaso sich von seiner Furcht, blickte auf und sagte, die Geister zögen sich allgemach zurück.

»Ich hatte draußen im Freien gewartet und von dem ganzen Spuk nichts gesehen und gehört. Die Morgenglocke drüben im Kloster fing eben zu läuten an, als sie herauskamen. Der Zauberer hatte wieder seine gewöhnliche Kleidung angezogen und alle sahen bleich aus wie der Tod. Mein Knabe hatte sich zwischen die andern gedrängt und hielt sich an ihren Kleidern fest. Beständig behauptete er und blieb auch mir gegenüber dabei, daß der gewappnete Mann vor ihm her schwebe und die Krone in der Hand halte. Es sei die Krone des Meerkönigs, und der Mann zeige sie ihm. Endlich, als ich den zitternden Jungen aufhob, um ihn nach Hause zu tragen – die Herren hatten mir inzwischen das ausbedungene Geld richtig abgeliefert – schrie er plötzlich auf und sagte, der Mann habe ihn böse angesehen, sei dann über die Meeresbucht geflogen und habe die Krone hinabgeworfen ins Wasser. Darauf verließ ihn die Besinnung und er hing wie tot in meinen Armen. Ich hörte noch, wie der Zauberer den beiden Herren sagte, so oft er auch schon seine Kreise gezogen, sei ihm nie so etwas Merkwürdiges vorgekommen, wie mit diesem Kinde; seine Geister sollten ihm doch noch die Schätze anzeigen, deren die Erde hier voll sei.

»Damit entfernten sie sich; ich aber trug meinen bewußtlosen Knaben nach Hause, wo die Mutter in Angst und Sorge um uns beide kein Auge zugemacht hatte. Es blieb mir nichts andres übrig, als ihr alles zu erzählen. Anfangs schmälte sie über solches Teufelswerk, als ich ihr aber sagte, daß es der Zauberer Scaratuli gewesen, der sein Werk mit dem Namen Gottes begonnen habe, und nachdem ich ihr das schöne Stück Geld eingehändigt hatte, beruhigte sie sich. Wir kamen überein, über die Sache zu schweigen und dem Knaben einzureden, es sei alles ein Traum gewesen. Und so geschah es, aber seitdem ist der Tomaso noch mehr als früher auf das Tauchen und Schwimmen versessen, weil er sich in den Kopf gesetzt hat, die Krone der alten Meerkönige liege im Golf, und er sei ausersehen, sie zu finden und zu heben.«

100 Salvatore hatte die Geschichte mit Teilnahme gehört, denn sie war abenteuerlich genug. Als er nun den Fischer wieder nach seinem Hause begleitete, war auch Maso dort angelangt und schien von seiner Wasserexkursion kaum ermüdet, aber sehr hungrig zu sein. Er hieß eigentlich Tomaso Aniello, die Mutter nannte ihn Maso, der Vater und die Gespielen aber zogen beide Namen zusammen und sagten Masaniello zu ihm. Er war durchaus kein hübscher, aber ein klug aussehender Junge mit kräftigen Gliedern. Die kleine Berardina hatte ihn nach Hause begleitet und war dann zu ihren Eltern gelaufen.

Salvatore verabschiedete sich und kehrte nach seinem Kloster zurück, aber die Geschichte des kleinen Maso beschäftigte noch stundenlang seine Gedanken. In den nächsten Tagen hatte er wieder Gelegenheit, den kleinen Schwimmkünstler zu sehen, und kaum bemerkte dieser, daß der fremde Herr ihn beobachte, als er alle seine Geschicklichkeit aufbot, um demselben ein beifälliges Lächeln zu entlocken. Salvatore hatte an dem aufgeweckten und tollkühnen Wesen des Fischerknaben seine Freude, und da er das hübsche Weib des Fischers zwar gern sah, aber niemals zudringlich war, währte es nicht lange, so war er auch im Hause der Eltern ein stets gern gesehener Gast. Es waren Leute aus dem Volke, wie sie der junge Maler oft und viel in Neapel kennen gelernt hatte. Wenn sie nicht Not litten oder krank waren, verfloß ihr Leben in kindlicher Sorglosigkeit. Masaniello war der älteste Knabe, ein jüngerer Bruder und eine Schwester arteten nach den übrigen Kindern des Strandes und hatten weder den Ehrgeiz noch die phantastische Ader des ältesten.

Auch die Eltern der kleinen Berardina lernte Salvatore kennen. Der Vater war ein sehr bekannter Mann in Amalfi, der Gastwirt Matteo, bei welchem die Fischer einkehrten und wo der junge Maler manche Gruppe von lustigen Zechern beobachten konnte. Matteo war eine unruhige Seele; er hatte schon an vielen Orten in der Umgegend gewohnt und kam seiner ewigen Wanderlust wegen auf keinen grünen Zweig. Man erzählte sich, daß er wieder beabsichtige, den Wohnort zu wechseln, und es kostete die kleine Berardina viele Thränen, so oft davon geredet wurde. 101

 


 


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