Karl Gjellerup
Antigonos
Karl Gjellerup

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Schlafstätten

Aus dem Abhang des Esquilinerhügels, der den Hintergrund vom Garten des Gnostikers bildete, ergoß ein sprudelnder Quell seinen starken klaren Wasserstrahl in ein geräumiges Marmorbecken. An einem schönen Sommerabend stieg Antigonos da hinunter, und sein Meister, der am Rande stand, rief ihn dreimal hinauf, um ihn dreimal von Herakleon mit drei neuen, ungebleichten Leinentüchern abtrocknen zu lassen. Beim ersten Male hatte das Wasser die Materie und ihre Sündhaftigkeit von ihm abgespült, das zweite Mal ertränkte den unter dem Gesetz des Baumeisters stehenden, seelischen Menschen, und das dritte Mal vereinigte den neuen geistigen Menschen mit seinem Ursprung, den Äonen, und dem höchsten Gott, der Quelle des Seins und der Weisheit. Hierauf zerbrach sein Meister ein Alabastergefäß, das Herakleon ihm gereicht hatte und nachdem er ihm kreuzförmig Stirn und Brust mit geweihtem Öl gesalbt hatte, rief er ihn, bei seinem christlichen und geistigen Namen Theophilos, wonach Herakleon ihn in einen neuen, weißleinenen Kittel kleidete. Dann gaben alle drei einander den Bruderkuß.


»Von der Gemeinde hier in Rom, die sehr groß sein soll, habe ich noch gar nichts gesehen,« sagte Antigonos, während sie bei einem einfachen Mahl aus Brot und Wein, das den Segen des Gnostikers empfangen hatte, zu Tisch lagen.

Über die Züge seines Meisters glitt ein Schatten, der sie noch stolzer machte:

»Würde es dem einsamen Schwan Apollos, der auf den Strömen des Äthers segelt und seinen Gesang mit dem der Sphären mischt, geziemen, sich zwischen alle Vöglein herabzusenken, die im Waldschatten zwitschern?«

»Ziemt es sich, nicht für den Feldherrn, seine Soldaten kennen zu lernen und ihr Treiben zu überwachen?« fragte Antigonos, der sich durch die einsame Lehre des Weisen nicht befriedigt fühlte, sondern danach verlangte, auch mit dem leiblichen Auge das Christentum als historische Macht zu sehen, als das Heer Gottes zu mustern, das die Welt überwinden sollte.

»Weil es dir so sehr am Herzen liegt, will ich nachgeben,« antwortete der Meister lächelnd. »Ist heute nicht Nereus' und Achilleus' Geburtstag, Herakleon?«

»Ja.«

»Dann wollen wir doch zur Schlafstätte gehen, wo die Gemeinde versammelt sein wird.«

Herakleon brachte zwei Wachskerzen. Sie hüllten sich in ihre Mäntel und gingen zur Stadt, die sie bei Porta Capena wieder verließen.


Der Vollmond stand hoch am Himmel. In seinem Licht streckte sich die appische Straße wie ein kreideweißer langer Steinkeil zwischen einem Gehege von zylindrischen, viereckigen und pyramidenförmigen Grabdenkmälern vor ihnen aus. Hier war es still und öde. Aus dem schmalen Schatten des hochgelegten Fußstegs streckte ab und zu ein Bettler seinen Arm hervor. Ein junger Ritter sauste an ihnen mit seinem Gespann gallischer Pferde vorüber, nach der Stadt zu; mit der Peitsche knallend stand er aufrecht im kleinen Wagen, dessen zwei Räder die glatten Tuffsteinfliesen kaum zu berühren schienen. Von hinten her kam ein verspäteter Senator an ihnen vorbeigerollt, um noch seine Villa in den Albaner Bergen zu erreichen. Sie gingen über den kleinen Almafluß. Singendes Murmeln und Plätschern mischte sich seinem melodischen Rieseln bei. Dunkle, watende Gestalten mit purpurroten Schultern, wo das Licht sie bestrahlte, unterbrachen seinen Silberstreifen. Es blitzte golden zwischen ihren Händen und im Ufergrase.

»Das sind die Kybelepriester, die ihre Götzenbilder und Tempelgefäße reinigen,« sagte Herakleon. Sie folgten jetzt dem Ardeatinerweg, der gleich danach links abbog; enger, höher und ohne Monumente an den Seiten. Rund um sie her breitete die Campagna ihre unendlich öden Weiten aus. Als sie anderthalb römische Meilen gewandert waren – der Meister schweigsam, Herakleon aber von Nereus und Achilleus, den Dienern der heiligen Flavia Domitilla, erzählend, die unter Domitian hingerichtet wurden, – betraten sie einen Feldweg, der links abführte. Sie kamen an eine Meierei, deren langgestreckter Garten eine Reihe niedriger, wellenförmiger Hügel krönte. Das Mondlicht spielte auf den säuselnden Blättern und lag weich auf den Matten der Anhöhen; von der schroffen Seite der einen wurde es mit einem grellen, blaßgrünen Schein zurückgeworfen. Der Weg führte gerade darauf zu.

Es war ein halbkreisförmiges Gemäuer, dem die Hügelwand zur Rückenstütze diente, in die hinein es sich öffnete mit einer großen Wölbung in der Mitte und ein paar kleineren zu beiden Seiten. In einer von diesen glänzte ein Springbrunnen. Sie traten hinein.

Neben dem Wasserstrahl war ein kreisförmiger Brunnen und ein Steinbecken. Sie ruhten sich einen Augenblick auf den Steinbänken längs der Wand aus, wuschen sich die Hände und zündeten die Wachskerzen an. Dann traten sie in den großen Vorraum, aus dessen Hintergrund ein gewölbter Gang ihnen finster entgegengähnte. Während sie seine gleichmäßig abfallende Bahn hinabstiegen, wurden sie in feuchte Finsternis gehüllt; die Lichter flimmerten nur matt in der erdigen Grabesluft. Es war, als ob sie der Unterwelt entgegengingen, und Antigonos murmelte unwillkürlich, die Worte Virgils: »Entsetzen ergreift die Seelen, und die Stille selbst weckt das Grauen.« In den Wänden sah er lange, viereckige Steinplatten eingelegt, die eine Reihe über der anderen, wie Schubfächer in einem Schrank, einige mit Inschriften, andere ihren Inhalt stumm verschließend; – es war ja wirklich die Wohnung der Toten, in der er wanderte, und es schien ihm als könne er durch die Platten in die engen Alkoven hineinsehen, wo sie reihenweise übereinander lagen, die steif ausgestreckten Gerippe, bauchlos mit herausstehenden, rippigen Brustkasten, während Würmer und Maden aus den lippenlosen Mundhöhlen und leeren Augenlöchern hervorkrochen. Aber gerade jetzt klang ihnen ein ferner gedämpfter Chorgesang entgegen, begleitet von einem feinen Duft, als ob der Weg zu den Asphodelenwiesen des Elysiums führte.

Durch eine Öffnung in der Decke strömte Mondlicht und frische Luft herein, ein weißliches Viereck auf dem Boden zeichnend. Die Lichter brannten klarer, und seine an die Dunkelheit gewöhnten Augen konnten einen gemalten Weinstock unterscheiden, der sich durch die Wölbung hinaufschlängelte und sich mit seinen Blättern, Trauben und Ranken zwischen den obersten Grabsteinen und um Säulen wand, während sich auf seinen gebogenen Ästen und dünnen Zweigen Tauben, Pfauen, Schmetterlinge und kleine nackte Genien wiegten. Hier und dort glitten auch große Bilder auf der Mauerfläche an ihm vorüber. Hier stand auf einem kleinen Hügel, an dem zwei Löwen in die Höhe sprangen, ein Jüngling, der die Arme nach oben streckte; auf dem nächsten war es ein Fischer, der seine Angelschnur auswarf, und ein Lamm graste unter einem Baum. In einer gewölbten Nische lagen einige Männer, mit den Ellbogen auf ein meergrünes, rundgestopftes Polster gestützt, ein Dreifuß mit Brot und Fisch stand vor ihnen, und weiterhin erkannte er den jungen Hirten mit dem Lamm auf der Schulter.

Der Gesang war jetzt verstummt. Aber, als sie wieder um eine rechtwinklige Ecke bogen, strömte ihnen vom Ende des Ganges her ein starkes Licht entgegen.

Dieser mündete in eine erleuchtete Kapelle, die in starken Farben strahlte und von poliertem Marmor und spiegelblankem Silber erglänzte. Sie war ganz mit Menschen angefüllt. Durch einen schrägen Lichtbrunnen, der die gewölbte, mit Arabesken und Blumengewinden bemalte Decke durchbrach, strömten die Mondstrahlen hernieder, blau gefärbt vom Rauche der rotlodernden Fackeln längs der Wände, und durch das Licht der funkelnden Wachskerzen in den Händen der gläubigen Menge noch verstärkt. Trotzalledem war die Luft von lieblichem Wohlgeruch erfüllt. Er entströmte großen lotosgeformten Vasen aus ägyptischem Porphyr, die an Stelle von Kapitalen die spiralkannelierten Säulen krönten, sowie auch den kostbaren Salben, die die Besuchenden über das Grab der Märtyrer ausgossen. Es lag im Hintergrund einer hochgewölbten Nische, von ihren Bildern umgeben; diese erhoben sich langgestreckt in steiffaltigen Kitteln, von unten an auf scharlachrotem, aber oben von den Schultern ab auf ebenholzschwarzem Grund mit Palmenzweigen in den Händen und Goldrädern um die Köpfe. Unten glänzte die horizontale Silberplatte des Grabes zwischen den Köpfen kniender Männer, Frauen und Kinder, die ihre Lippen an das heilige Metall drückten, während andre sich vordrängten, um auch an die Reihe zu kommen.

Mehrere der Andächtigen hatten das wettergebräunte Aussehen und die großen, groben Hände von Arbeitern und Sklaven; die Züge anderer verrieten die höheren Stände. Die Jungfrauen waren verschleiert; bei einzelnen hatte die Eitelkeit eine Goldspange, eine Agraffe aus Edelsteinen oder eine Perlenschnur befestigt. Im ganzen aber waren die Kleidungen einförmig. Die Männer trugen die Tunika. Der vereinende Glaube hatte die Rang- und Standesunterschiede ausgelöscht.

Unmittelbar vor der Grabnische vor einem goldenen Altar, auf dem die Sakramente aufgestellt waren, stand ein hagerer Mann in einer purpurnen Dalmatika über die fußlange Tunika. Antigonos erkannte in ihm den Bischof Pius. Er pries mit lauter Stimme die Heiligen, die an diesem Tag durch das Martyrium zum ewigen Leben geboren und zu Christus aufgefahren waren, ohne, wie alle anderen, seine Wiederkehr abwarten zu brauchen. Darauf bat er sie, die gekrönten Sieger, Fürbitte zu tun für die noch kämpfende und verfolgte Kirche auf dem ganzen Erdkreis, und besonders für die römische Gemeinde; während die übrige Versammlung in singendem Tone Amen rief, kniete er nieder und küßte den Altar.

Inzwischen war Antigonos durch einen breiteren und höher gewölbten kurzen Gang in einen anderen Raum gelangt, der ebenfalls erleuchtet und von Menschen angefüllt war, die keinen Platz in der Grabkapelle der Märtyrer gefunden hatten. Eine korinthische Marmorkolonnade trug die getäfelte Decke, die auf vergoldeten Balken ruhte. Kleinere gewölbte Zellen, die von silbernen Lampen erleuchtet waren, bauchten die Wände zu beiden Seiten aus. Im Hintergrunde erhob sich eine Rednertribüne, diese war jetzt leer; aber Diakonen, in blaue Pallien gekleidet, die die rechte Hälfte des Körpers von der linken Schulter bis unter die rechte Hüfte nackt ließen, trugen die Sakramente umher, und sprachen flüsternd zu den Kommunikanten.

Des großen Andranges wegen dauerte es einige Zeit, ehe Antigonos zur Grabkapelle zurückkam. Als er sich näherte, wunderte es ihn, bei einem allgemeinen Schweigen seines Lehrers Stimme zu hören. Und wie er eintrat, traf er ihn auch wirklich redend in einem großen Steinstuhl sitzend, der, ein paar Stufen über dem Boden erhöht, neben der Grabnische in Stein ausgehauen war, an deren anderen Seite Pius Platz genommen hatte. Die ganze Menge hörte ihn andächtig und bewundernd an; mit gespannten und bewegten Gesichtszügen folgte sie den wunderbaren Worten, deren Ausdrücke und Bilder nicht aus den bekannten apostolischen Schriften entnommen waren.

»Brüder,« sagte er eben, – »wir feiern das Fest des Wortes, indem wir mit göttlichen Worten die Zeugen des Wortes preisen und ihrer gedenken. Aber diese göttlichen Worte wären nicht auf unseren Lippen und in unseren Herzen, wenn sie nicht von dem ewigen wahren Wort hineingesäet wären, das im Anfang war, und war bei Gott und war Gott. Und wir feiern das Fest des Geistes, des heiligen Geistes, der die Welt überwindet; der unseren Geist über das Fleisch erhebt und das Seelische zum Leben in sich und in Gott.

Denn Gott ist Geist, und wir sollen ihn geistig anbeten. Aber ganz wie das menschliche Wort den menschlichen Geist weckt, und der Geist stumm ist ohne das Wort, so ist das ewige Wort und der heilige Geist vereinigt zu einem heiligen Paar, unzertrennlich, dem Vater entströmt, ungeschaffen. Wir feiern heute Abend auch das Fest des Kreuzes. Aber das Kreuz ist nicht unterschiedlich vom Wort und von Jesus. Das Kreuz, Brüder, ist der Grenzpfahl zwischen Gottes Reich und der gefallenen sündigen Welt; es ist der Stab auf dem engen Wege. Deshalb sagt Jesus, daß niemand zu Gott kommt, der nicht sein Kreuz auf sich nimmt und ihm nachfolgt, so wie diese Heiligen es getan haben.«

Ein bewunderndes Murmeln erklang rundherum, während mehrere weinten. »Er spricht wie ein Apostel,« flüsterten einige, und andere sagten: »Er redet mit Engelszungen«.

Der Redner aber, der das letzte gehört hatte, fuhr fort:

»Redete ich mit Engelszungen, und hätte der Liebe nicht, sagt Paulus, dann wäre ich ein tönendes Erz und eine klingende Schelle. Und hätte ich die Gabe und den Glauben des Propheten, der Berge versetzen kann, und hätte der Liebe nicht, dann wäre ich nichts. Denn Gott ist Liebe, und Jesu Jünger erkennt man daran, daß sie einander lieben. Deswegen ist Liebe und das höchste Wissen ein und dasselbe und entspricht dem geistigen Menschen. Der Glaube dagegen entspricht dem seelischen; er ist nur der Anfang und muß an den Krücken der Werke vorwärts kriechen; darin zeigt er seine Verwandtschaft mit dem Gesetz des alten Bundes, welches nicht das der Liebe, sondern das der Gerechtigkeit war. Aber wir, Brüder, wollen geistig sein ...«

»Schweige!« rief plötzlich eine scharfe durchdringende Stimme, und ein junger Mann drängte sich vor ihn hin, indem er die Menge durchbrach. »Schweige! ich erkenne dich jetzt, du, des Teufels Erstgeborener. Du bist der Alexandriner Valentinos.«

»Valentinos aus Alexandria! ... Der Gnostiker! ... Der Heresiarch Valentinos!« erklang es plötzlich mit entsetzten und rasenden Stimmen, und der Name hallte wider und verbreitete sich, pflanzte sich fort in die anstoßende Kapelle und verirrte sich hinaus in die finsteren Gänge, während die Nächststehenden zurückwichen, wie vor einem Aussätzigen, so daß Herakleon und Antigonos unversehens für sich allein zu stehen kamen. Die Ferneren drängten sich vor und reckten sich, Fackeln und Lichter emporhebend. Auch aus den Kapellen strömte die Gemeinde herbei und stand zusammengepreßt wie eine Mauer.

Antigonos blickte mit Bewunderung auf seinen Meister, dessen berühmter Name sich jetzt offenbart hatte. Er stand ruhig, auf den Stuhl gestützt und ließ seinen stolzen Blick über die Menge hingleiten.

»Und dort,« rief aufs neue der Ankläger, in dem Antigonos jetzt den Christen aus den Titusbädern wiedererkannte, »dort stehen seine Schüler Herakleon und Antigonos.«

Pius hatte sich erhoben und gebot Schweigen.

»Hast du nichts zu erwidern, Fremder? hörst du nicht, was der Diakonus Cajus gegen dich bezeugt? Antworte mir vor dem Angesicht Gottes, bist du der ketzerische und aus der Kirche verbannte Valentinos aus Alexandria?«

»Du hast es gesagt.«

Das erbitterte Geheul, welches dieses von höhnischen Lippen hinausgeschleuderte Zitat beantwortete, ließ Antigonos zusammenfahren.

»Ja, gewiß, ich bin jener Alexandriner, und wenn die Kirche nicht in Fleischlichkeit hinabgesunken und blind für geistige Kraft wäre, säße jetzt ich und nicht du auf dem Stuhle Petri.«

Aber der Lärm übertäubte ihn: »Nieder mit dem Spötter! ... Seine Seele muß vom Volke vertilgt werden!« rief es von allen Seiten, und schon drängten sich einige mit Fackeln als Waffen heran und streckten die Hände aus, um Valentinos herunterzureißen, der unbeweglich, wie eine Bildsäule dastand.

Doch unter der ausgestreckten Hand des Bischofs legten sich die aufgeregten Wogen der Menschen, wie die des Meeres unter der Hand Jesu.

»Nicht so, meine Brüder! denn wir sind die Untergebenen Cäsars und haben kein Recht über Leben und Tod. Nicht wir, Brüder, denn ›die Rache ist mein‹, spricht der Herr, ›ich will vergelten‹. Ja, mit reichlichem Maß wird er dir's vergelten, du Lügenprophet; dir, der du das große Tier bist – voller Spottnamen –, von dem der Apostel schreibt, daß es aus dem Meere steige – denn Alexandria liegt am Meere –, und euch, die ihr das Zeichen des Tieres tragt. Und weiter steht geschrieben: Und man ergriff das Tier und warf es lebend in den Feuersee, und dieser sei der zweite Tod: so wirst du zum zweitenmal aus der Arche der Kirche geworfen; und als der Nachfolger des Apostels, dem von Christus die Schlüssel der Kirche anvertraut wurden, schließe ich vor euch die Pforte der Kirche und der Erlösung ab, bis ihr als büßende Sünder anklopft,« und indem er drei Lichter auslöschte und sie auf den Boden warf, rief er: – »Wie ich diese Lichter auslösche, so lösche Gott, der Herr, eure Lichter aus für alle Ewigkeit, wenn ihr nicht Buße tut auf euren Knien!«

Während seiner Rede hatte ein tiefes und feierliches Schweigen geherrscht, und der furchtbare Bann erschütterte Antigonos, aber keineswegs Valentinos. Noch immer unbeweglich, hielt er seine Hand erhoben, und ehe das langgezogene, drohende »Amen« der Gemeinde verklungen war, hub er an:

»Und ich, ich verbanne und verweise euch aus der Äonwelt und der seligen Mitte, denn ihr seid weder geistig noch seelisch, sondern fleischlich. Seht, ich schüttele euren Staub und euch selbst von mir ab; denn Staub seid ihr, und zu Asche sollt ihr werden im Feuer der Materie!«

Dann sprang er herab, und schwang eine Fackel, die er aus einer Mauerkrampe gerissen hatte, bis die Funken um ihn her stoben. Und sich auf solche Weise durch den zusammengedrängten Haufen einen Weg bahnend, ging er, von Antigonos und Herakleon begleitet, schnell hinweg.

Die erloschene Fackel hüllte sie in Rauch, und ihre große dunkelrote Glut vermochte nicht, die Mauern des Ganges zu beleuchten, an die sie oft anstießen. Sich durch die Finsternis hindurchtappend, gelangten sie endlich außerhalb des Hügels.


Sie standen still, und Antigonos betrachtete Valentinos. Das Licht des Mondes fiel auf sein totenblasses, schmerzlich und höhnisch verzerrtes Gesicht. Wie er da vor ihm stand, groß und rank, mit stolz erhobenem Haupte, während von der zu seinen Füßen liegenden Fackel eine dichte weiße Rauchsäule vor ihm aufwirbelte, ähnelte er einem erzürnten Gott, der sich selbst ein Opfer darbringt. »Ist dein Verlangen jetzt gestillt? Hast du die Gemeinde kennen gelernt?« fragte Valentinos bitter, indem er zurück in den Vorraum zeigte, »willst du auf deinen Knien bis zur Kirchenpforte kriechen, damit Pius dir öffnen kann?«

»Du weißt ja, daß ich bei dir bleibe.«

»Aber ich bleibe nicht hier. Rom ist nicht mehr der Ort für Valentinos. Ich verlasse die Stadt, wenn ich mein Haus am Esquilinerhügel verkauft habe – vielleicht auch schon eher.«

»Wo gehst du dann hin? nach Alexandria?«

»Nein, nach Kypros; dort habe ich viele Schüler.«

»Ich folge dir,« sagte Herakleon.

»Ich ebenfalls. Oder vielleicht – hätte ich Lust meine Heimat – Thessalien – wiederzusehen.«

»Deine Heimat? – Wo man dich kennt; wo die römischen Christen dich mit Steckbriefen verfolgen werden! Und warum? – Laß dich nicht von alten Erinnerungen leiten, Theophilos, sie erschlaffen die Seele; sie gehören dir nicht mehr an. Thessalien ist die Heimat Antigonos', die von Theophilos findest du überall da, wo die Geistigen wohnen.«

»Das ist wahr – ist wahr!«

»Wenn du keine Lust für Kypros spürst, dann gehe nach Alexandria. Ein Freund von mir findet immer Freunde dort ... Nein, du tust recht darin, mir nicht zu folgen. Du kannst ja nicht andauernd mein Schüler sein, auch sind unsere Naturen zu verschieden – nein, widersprich mir nicht; ich habe Gelegenheit gehabt, in deiner Seele zu lesen. Ich bin eine abstoßende, eckige Natur. Ich bin ein einsamer Geist. Ich stehe wie ein Fels in den Wogen.«

»Du bist aber gar nicht einsam, Valentinos! rief Herakleon. Hast du nicht eine große Schülerschar?«

»Gewiß, Herakleon,« antwortete Valentinos und drückte ihm die Hand, »Ihr habt, wie die Seevögel, eure Nester auf den Felsen gebaut. Aber ich bin nicht für die Menge geschaffen. Ihr ahnet nicht, was es mich heute Abend gekostet hat, meine Worte so zurechtzulegen, daß die Seelischen sie aufnehmen könnten. Aber es ist mir geglückt, nicht wahr? sie haben gelauscht. Ah! ähnliches hatten sie noch nicht gehört. Und dann! na, genug! Solche Kämpfe stehen in mir geprägt wie Risse in einem Stein. Du Theophilos! mit dir ist das etwas ganz anderes. Du bist eine versöhnliche, biegsame Natur. Ich sagte vorher, daß du nicht andauernd mein Schüler bleiben könntest, denn du wirst nicht an mir haften; du suchst, das weiß ich. Du suchst nach etwas Weitergreifendem, nach einem Standpunkt, der die Streitenden vereinen kann. Du bist eine sammelnde, eine mischende Natur. Ich gehöre zu denen, die säen und du zu denen, die ernten. Deshalb sage ich nochmals, daß Alexandria der rechte Ort für dich ist. Es ist der große Kessel der Ideen, in dem die ungeheure Mischung vor sich geht. Die Gedanken des Orients und Okzidents, Hellas' und Roms, die Ägyptens, Palästinas und Persiens werden unaufhörlich in seinen großen Schlund geworfen. Lege dein Ohr an seinen Rand und lausche seinem Sieden und Brausen: das ist das Dröhnen der ungeborenen Stürme! Betrachte den vielfarbigen Dampf, der aus der Kumme heraufwirbelt: das ist die Wolke, deren Niederschlag alle die Keime nährt, deren der geistige Boden schwanger ist.«

»Ich will deinen Rat befolgen,« antwortete Antigonos, der das Richtige in Valentinos' Worten fühlte. Vor einigen Jahren hielt ich mich in Alexandria auf, aber damals verkehrte ich mit den Isispriestern, deshalb wird man mich kaum wieder erkennen. Sollte ich dir geistig wirklich entfremdet werden, so werde ich mich doch stets in Liebe und Dankbarkeit meines großen Meisters erinnern.«

Sie waren jetzt innerhalb der Stadtmauern angelangt und trennten sich.


Als Antigonos nach Hause kam, fand er eine versiegelte Schreibtafel auf seinem Tisch. Das Blut stieg ihm zu Kopf, seine Hände zitterten, während er sie erbrach. Es war Erinna, die ihm mitteilte, daß sie einen Sohn geboren habe und meinte, schon eine Ähnlichkeit mit ihm zu erblicken. Sie sei gesund, aber noch sehr schwach, und die Sehnsucht nach ihm zehre an ihr.

Er stand einen Augenblick wie betäubt; denn so vollständig hatten ihn die letzten gewaltigen Eindrücke mit ganz anderen Gedanken erfüllt, daß er darüber die Trennung von Erinna vollständig vergessen hatte. Diese bedeutete eigentlich kein Hindernis, sie war im Gegenteil nur ein Grund mehr für ihn, Rom zu verlassen. Er durfte in diesem Verhältnis nicht verbleiben, dessen Sündhaftigkeit plötzlich in seiner ganzen beschämenden Klarheit vor ihm stand. Denn schon ehe er der Katechumen Valentinos' wurde, hätte seine ganze Denkweise sich gegen jenes Verhältnis sträuben müssen. Aber nur langsam und gradweise war sein Gefühlsleben davon durchdrungen und seine Leidenschaft untergraben worden. Bei dem Gedanken an all die Trauer, die er ihr hiermit verursachen mußte, ergriff ihn ein heftiger Schmerz. Es war jedoch notwendig. Er gedachte der Worte seines Meisters – laß dich nicht von alten Erinnerungen leiten, sie gehören dir nicht mehr an. Diese Verbindung war gleichsam der Nabelstrang zwischen dem alten Antigonos und dem neuen Theophilos, der durchschnitten werden mußte. Nur das Kind mußte er jetzt als ein schändendes Andenken von jenem übernehmen, als Mahnung daran, wie tiefer nicht allein in das Seelische, sondern auch in das Fleischliche gesunken war, ehe er sich – wiedergeboren in der Taufe – zur reinen Welt des Geistes erhoben hatte. Er nahm sich vor, den geistigen Keim des Kindes zu überwachen und seinen Wuchs zu beschützen, auf daß es zum Kämpfer des Geistes heranreife und sich von der Frucht der Sünde zu einem Gefäß der Berufung entwickle, das möglicherweise andre zur Erlösung führe.


Von solchen Gedanken erfüllt, lag er, die Arme kreuzförmig ausgebreitet, das Gesicht gegen die Steine gedrückt, noch am Boden, als schon die Morgendämmerung begann, das Zimmer zu erhellen.


 << zurück weiter >>