Karl Gjellerup
Antigonos
Karl Gjellerup

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Neues Leben

Es war schon heller Tag, als Antigonos erwachte. Sobald er sich angekleidet und etwas Frühstück zu sich genommen hatte, ging er in die Titusbäder.

Er bemerkte nicht, daß bei seinem Eintritt alle ihn neugierig betrachteten und einander zuflüsterten, sobald er vorübergegangen war. Denn hier war keiner, der nicht wußte, daß Antigonos bei Quartus' Gemahlin einen Dämon ausgetrieben habe und daß dieser bei seinem Austreten einen großen Kandelaber aus korinthischem Erz im Werte von zweitausend Sestertien umgestoßen hatte. Einige junge Männer, welche ungläubig das Bestehen von Dämonen leugneten, waren der Meinung, daß er selbst oder Erinna den Leuchter umgeworfen hätte, um in der Dunkelheit allein sein zu können, und bewunderten ihn deshalb um so mehr.

In einem der Lesesäle saß, den Rücken gegen Antigonos gekehrt, ein junger Mann und beugte seinen Kopf über ein Buch. Lange braune Locken fielen ihm über die Schultern herab. Als er einen Augenblick aufsah, erkannte Antigonos in den weiblichen Zügen und den großen schwärmerischen Augen den jungen Herakleon. Voller Freude näherte er sich ihm, berührte leicht seine Schulter und sagte:

»Sei gegrüßt, Herakleon! Führe mich zum Meister.« Herakleon heftete einen langen Blick auf ihn; dann erhob er sich, rollte die Schriften zusammen und legte sie in die Hüllen; trocknete seine Rohrfeder im Haar ab und steckte sie gleichzeitig mit einem silbernen Tintenfaß in den Gürtel.

»Folge mir,« antwortete er und ging eilig davon. Sie gingen schweigsam zur alten Stadtmauer hinaus und traten in der Nähe des Isis- und Serapistempels in ein ziemlich neues Haus am Fuße der Esquilinerhügel.

Im Atrium sah man weder Statuen noch Ahnenmasken; dagegen stand in dessen Mitte ein Ehebett aus Elfenbein, mit Purpurdecken belegt, vor dem auf einem silbernen Dreifuß ein Feuer brannte. Mehrere Männer verschiedenen Alters in der Toga oder im Philosophenkittel waren mit Lesen oder Abschreiben beschäftigt; sie betrachteten einen Augenblick lang den eben Angekommenen und beugten sich dann wieder über ihre Arbeiten.

Herakleon bedeutete Antigonos, stehen zu bleiben, während er mit lautlosen Schritten davonging und hinter einem bunten Teppich verschwand, der das Atrium vom Triklinium trennte, über dessen pylongeformter Wand eine beflügelte Sonne ihre langen vergoldeten Schwungfedern ausspannte. Gleich danach kam er zurück und flüsterte:

»Der Meister erwartet dich.«

Antigonos ging auf den Teppich zu, zog ihn zur Seite und trat in das Allerheiligste.

Sein Fuß betrat einen Mosaikfußboden, aus Dreiecken, Vierecken und Zirkeln zusammengesetzt. Auf einer niedrigen Ruhebank, längs der einen Wand, lag der Gnostiker und las; er war ebenso gekleidet, wie bei ihrer ersten Begegnung. Über ihm hing ein strahlendes Bild, mit Wachsfarben auf einer Holztafel gemalt. Krokus, Hyazinthen und Lotosblumen, träufelnd und perlend von Tau, erhoben ihre prachtvollen Farben in eine goldig strahlende Wolke, und unter diesem Nebel- und Pflanzenschleier umarmten sich zwei Liebende. Mit Verwunderung erkannte er die Szene aus dem vierzehnten Gesang der Iliade.

»Ich hatte dich erwartet, wenn auch nicht so bald, doch du bist willkommen,« sagte der Gnostiker lächelnd, indem er sich halb aufrichtete und mit einer Handbewegung ihn aufforderte, neben ihm Platz zu nehmen. Antigonos leistete Folge. Ihm gegenüber befand sich eine dreiteilige Wand, in welche Gemälde aus Stuck eingelassen waren. Das eine stellte einen Mann auf einem Felsen dar, der einem bis an die Knie im Wasser stehenden Jüngling die Hand reichte. Über beiden schwebte eine Taube. Auf dem nächsten Bild hing ein nackter Mann am Kreuz; sein Haupt lag rücklings, seine Züge waren schmerzerfüllt, sein Mund offen; darunter standen mit vergoldeten Buchstaben die Worte: Eli, lama sabachtani. Im dritten Abteil war es ein hirtengekleideter Jüngling, der ein Lamm auf der Schulter trug.

»Du betrachtest diese Bilder,« sagte sein Wirt. »Darin tust du recht. Denn sie sind nicht nur ein Schmuck für das Zimmer, sondern vielmehr ein Zeichen und eine Mahnung für den Geist. Die beiden äußersten stellen die großen Augenblicke in der geschichtlichen Erlösung dar. Du siehst dort den oberen Jesus, das Wort, in der Taufe sich auf den niederem Jesus – den Sohn des Baumeisters – herabsenken und sich mit ihm vereinigen. Und dort am Kreuz verläßt er ihn wieder; deshalb versagt der seelische Jesus und ruft: »Mein Gott, warum hast du mich verlassen!« Das dritte dagegen ist ein Symbol der ganzen Erlösung: das ist der obere Jesus, der Sophia Achamoth zur Äonenwelt zurückführt; denn sie war gleich dem verlorenen Lamm der Fülle. Die Erlösung besteht ja darin, daß das reinste der göttlichen Barmherzigkeit sich mit dem tiefest Gesunkenen verbindet und es heiligt... Hier nun, fuhr er fort und zeigte hinauf, »hier siehst du das große Geheimnis, welches ich neulich erwähnte, wofür du aber noch nicht reif warst, – jenes Geheimnis, von dem ich dir sagte, daß Basilides es unbeachtet lasse. Denn es bedeutet das Symbol der Äon-Ehe, die allerdings geistig und nicht im Begriff menschlicher Begierde verstanden werden darf, weil sie vom Satan und der Materie abstammt.«

Und er ließ sich herbei, ihm das paarweise Entströmen der Äonen und die Verbindung des männlichen und weiblichen zu erklären, die Vereinigung des gleichen und ungleichen im Urvater, indem er sich besonders weitläufig über das dritte Äonpaar, der Mensch und die Kirche, aussprach, welches den höchsten Götterkreis beschließe. Als er seinem Lehrling so viel göttliches Wissen mitgeteilt hatte, wie er für ihn bekömmlich hielt, fragte er Antigonos, was ihn wohl veranlaßt habe, ihn aufzusuchen.

Dieser erzählte ihm den ganzen Vorgang von der Austreibung des Dämons. Und weil es ihm unmöglich schien, diesem merkwürdigen Mann, dessen dunkler Blick im Innersten seiner Seele zu lesen schien, etwas verbergen zu können, berichtete er ihm von allem, von seinem Verhältnis mit Erinna, seinem Römerhaß und seinem Vertrauen auf die Weissagung des Apokalyptikers über den Sturz Babylons. Der Gnostiker lächelte:

»Auch hierin ähnelst du dem Baumeister. Denn auch er wurde zu dem geistigen Jesus geführt, weil er glaubte, daß dieser seinem Zwecke dienen könne. Aber du, mein Sohn, wirst diese Selbstsucht bald von dir abstreifen, wie die Schlange ihre alte faltige Haut von sich abstreift, und du wirst in Jesus nur die himmlische Reinheit der Äonwelt anbeten... Was die Austreibung betrifft, so gibt es ganz gewiß Dämonen, die durch die Gewalt des Teufels die Materie beherrschen und dem göttlichen Worte weichen. Jene Offenbarung aber, die dich ergriffen hat, ist ein geringes Werk, das vielleicht von Jesu Jünger, und zwar von dem seelischen Johannes, geschrieben wurde, der nur Blick für den niederen Jesu hatte und ganz wie die alten Propheten vom Gesetz des Baumeisters befangen war; diese kann also wohl Dämonen austreiben und die Seelischen erbauen, ist aber keineswegs eine dir genügende Nahrung... Herakleon!« rief er mit gehobener Stimme.

Sein Schüler trat herein.

»Bringe mir doch das Evangelium Johannes.« Herakleon brachte alsbald eine Schriftrolle aus feinem Pergament mit großen sorgfältig geschriebenen Buchstaben. »Lies das,« sagte der Gnostiker und reichte ihm das Schriftstück. »Das ist das rechte geistige Evangelium; es enthält die Weisheit, die den Geistigen von dem geistigen Johannes übergeben ward, von ihm, der an der Brust des Erlösers gelegen hat. Hier findest du nichts von der fleischlichen Abstammung Jesu, wie in gewissen anderen törichten Schriften, sondern es beginnt mit dem Wort in der Äonwelt und danach mit der Taufe, in der es sich mit dem niederem Jesus vereinigt. Daher kommt es, daß es unter den seelischen Christen nicht bekannt ist, weil sie es nicht würden fassen können. . . Sollte vieles darin dir noch unverständlich scheinen, dann frage mich. Auch wird es dir von Nutzen sein, mit diesem jungen Manne darüber zu sprechen; denn er hat sein Leben hauptsächlich diesem Studium geweiht und sich der rechten, überlieferten geistigen Erklärung des heiligen Buches gewidmet.« Herakleon lächelte errötend wie ein junger Liebhaber, dessen heimliche Leidenschaft verraten wird. Antigonos drückte ihnen die Hände und nahm Abschied von seinen neuen Freunden.


Als Antigonos an einem der folgenden Tage vom Besuche seines Meisters zurückkehrte, hielt vor seinem Haus ein Wagen, der mit zwei mausgrauen afrikanischen Maultieren bespannt war. Ein Nubier stützte sich, die Purpurzügel um den schwarzen Arm geschlungen, auf das Schulterjoch und peitschte den Staub mit der Geißel aus Flußpferdleder, als ob er schon lange gewartet hätte. Zweihenkelige, spitzbodige Weinkrüge, mit den Namen längst verstorbener Konsuln gezeichnet, lehnten sich an die Wagenwand, und hinter diesen waren Kandelaber aus Bronze, silberne Dreifüße, Stühle aus Ebenholz und aus Elfenbein geschnitzte Bücherstöcke und -kästen aufgestapelt; zuoberst in einem Korb aus Silberfiligran glänzten Goldspangen, Edelsteinagraffen, Kameen und Ringe.

Antigonos blieb verwundert stehen, um diese Herrlichkeiten zu betrachten.

»Bist du Antigonos von Larissa, und wohnst du in diesem Haus?« fragte der Kutscher.

»Ja,«

Der Sklave überreichte ihm, sich tief verneigend, eine versiegelte Schreibtafel: »Mein früherer Herr, Statius Quartus, grüßt dich, Herr, und läßt dich bitten, das zu lesen.«

Antigonos erbrach das Siegel. Der Senator bat ihn, diese Geschenke und seinen Dank für die Heilung Erinnas entgegenzunehmen. Antigonos zog den Griffel heraus und schrieb auf die andere Seite der Tafel:

»Antigonos von Larissa an T. Statius Quartus.

Gruß.

Meine Wundergabe, die ich für nichts empfangen habe, erteile ich auch für nichts. Ein so kostbares Geschenk kann ich nicht entgegennehmen, da meine Mittel mir nicht erlauben, es zu erwidern. Ich bin es, der dir dankbar sein muß, weil du mir Gelegenheit botest, eine Wohltat auszuüben. – Lebe wohl!« Als Quartus diesen Brief las, wunderte er sich höchlich und sagte: »Dieser Antigonos ist wahrlich ein heiliger Mann.« – Er hätte sich noch mehr gewundert, wenn er auch das Schreiben gelesen hätte, das der Sklave beim Weggehen Antigonos überreichte – demzufolge Erinnas Lieblingssklavin ihn noch am selbigen Abend in den kleinen Garten hinterm Haus einließ und ihn zu einer dichten, zwischen Mauern eingeklemmten Laubhütte geleitete, wo Erinna ihn erwartete.

»Du kommst ... ich wußte es, daß du kommen würdest,« rief sie aus, indem sie sich erhob und ihm beide Hände darreichte.

»Wie hätte ich säumen können, Erinna? ich wußte ja, daß wir uns wieder begegnen mußten, nachdem das Schicksal uns im Kolosseum und gleich danach an deinem Krankenlager so wunderbar zusammengeführt hatte –, hätten wir denn einander wieder verlieren sollen, ohne ein Wort miteinander zu wechseln, ohne uns gegenseitig zu stärken?«

»Wäre das geschehen, dann wäre ich wieder zurückgesunken unter die Dämonen und du hättest mich vergebens geheilt. Ich kann mich noch nicht allein aufrecht halten; ich muß mich an dich anklammern, wie die Weinranke an die Ulme... Ich war so schwach, und in all der Zeit, der langen, langen Zeit...«

»Hast du viel zu leiden gehabt, arme Erinna? Sage mir alles!«

»Nein, das nicht... Quartus ist sehr gut, er ist zärtlich besorgt um mich gewesen; aber darüber hinaus hat er mir gar nichts sein können... Nein, nein... keinerlei Böses, aber alles so leer, wie in einer trockenen, wasserlosen Wüstenei, wo nur Dämonen hausen, – die haben mich ja auch erfaßt. Dorthin war ich verpflanzt worden, herausgerissen aus der Erde meiner Heimat. Nicht einmal mein lieber Bruder –«

»Eukrates, mein Retter! was ist aus ihm geworden?«

»Ach, der ist in Pergamum; dort schneidet er unter der Aufsicht des großen Claudi Galenus an toten Affen herum,« antwortete sie mit einem plötzlich recht munteren aber etwas höhnischen Ton, den er so wohl an ihr kannte. – »Aber warum nennst du ihn deinen Retter?«

»Er fand mich bewußtlos auf einem großen Steine – am Ufer des Peneus, wo ich mich aus Verzweiflung von dem oberen Feldweg hinuntergestürzt hatte; ich war ja eben heimgekehrt und hatte gehört – daß du –«

»Armer Antigonos«, murmelte sie, indem sie ihre Lippen auf seine Stirn drückte. Dieser erste Kuß glühte wie ein Brandmal, und indem das Bewußtsein des jahrelangen Entbehrens ihn durchdrang, sank sein Kopf in ihren Schoß, und er brach in Tränen aus. »Wie konntest du auch, Erinna!... wie konntest du mich verlassen!«

»Man hat mich von dir weggerissen, man hat mich gezwungen,« flüsterte sie und beugte sich so tief herab, daß ihr Atem seine Locken durchdrang, und es schien, als ob ihre Worte sein Gehirn berührten; »weine nicht, um der Götter willen, ich vergehe vor Scham, wenn ich an meine Schwäche denke... Aber was bedeutet wohl die Selbständigkeit eines griechischen Mädchens? Wir erhielten die falsche Nachricht, daß du gefallen seiest – Quartus freite – und mein Vater drang in mich..... Nein, nein! wir wollen nicht mehr davon sprechen. Jetzt ist es vorüber, wie ein böser Traum. Die Götter seien gepriesen, daß diese Nachricht falsch war, und daß du lebst, daß du mächtig und weise und berühmt bist; ich lebe durch deine Macht, und wir wollen nur für einander leben –« »Und dein Mann?« stammelte Antigonos, indem er zu ihr aufsah; Erinna wandte sich ab:

»Ich will nicht, gleich den anderen römischen Matronen – lachen – wenn ihre Liebhaber ihrer Männer erwähnen. Aber ich gehöre dir an. Wärest du nicht gekommen oder verließest du mich jetzt, würden mich die Dämonen nach und nach in den Hades hinabzerren, – durch welche Macht würde er dann sein Recht behaupten können?... Und wenn ich tot wäre, und du stürbest, würden wir dann nicht einander in Elysiums Myrthenwäldern begegnen und zwischen den Asphodelen ausruhen?«

»Und vereint werden wie die Äonpaare und die Geistigen«, flüsterte Antigonos. Ihr Flüstern übertönte nicht das der Blätter, denn es war eintönig wie dieses und wie das leise Plätschern des Wassers. Die Nacht war dunkel, still und mild. Das Laub und die dichten Mauern hielten jeden kalten Luftstrom ab, während außerhalb der Wind durch die ewige Stadt brauste und ein eintöniges Spinnlied zur schnurrenden Spindel der Zeit sang, die nur allzu schnell den Stundenfaden der Nacht von sich abwinden ließ. In Antigonos' Herzen keimte jetzt eine doppelte Liebe, zur selbigen Zeit gesäet, die himmlische und die irdische. Und sie wuchsen zusammen auf wie zwei Sprößlinge, deren einer als Baum den anderen ersticken mußte; noch wuchsen sie friedlich auf demselben Boden, genähert und erquickt von derselben Wasserader, denselben Sonnenstrahlen, denselben Böen – und denselben Schatten. Des Morgens saß er zu Füßen des Gnostikers, am Abend lag er vor denen Erinnas.


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