Karl Gjellerup
Antigonos
Karl Gjellerup

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Der Mittag

Als sie in den Vorhof traten, begegnete ihnen eine Schar Römer. Mitten unter ihnen ging ein hochgewachsener Mann, den Antigonos von Ansehen kannte. Diese niedrige, gebuckelte Stirn, die scharfen herabhängenden Brauen, die hervortretenden Muskeln um die tiefliegenden Augen, die straff gespannte Haut über der Adlernase und die fetteren, weichlicheren Linien um Mund und Kinn, – das war er, der Mann Erinnas. – Antigonos errötete plötzlich und versprach sich, so daß einer seiner Schüler sich veranlaßt fühlte, ihn zu verbessern. Zu seinem Erstaunen trat gleichzeitig der Senator aus der Gruppe der Klienten und Freigelassenen heraus und näherte sich ihm ehrerbietig grüßend:

»Zürne mir nicht, wenn ich mich ohne besondere Einführung an dich wende, ich weiß sehr wohl, daß ich Antigonos von Larissa gegenüber stehe, einem der edelsten und berühmtesten Lehrer in den göttlichen Wissenschaften. Ich bin ein römischer Senator, und mein Name ist Titus Statius Quartus. Meine Gattin stammt aus Thessalien und ist, wie ich höre, von Jugend an mit dir bekannt. Es freut mich, daß ich hierdurch ein Anrecht darauf erhalte, die Bekanntschaft eines so ausgezeichneten Mannes zu machen. Wenn deine Zeit es dir erlaubt, erwarte ich dich heute bei der Caena.«

Antigonos stammelte einen Dank und versprach, sich einzufinden. Hierauf trennten sie sich, jeder von seinem Gefolge begleitet, von dem Antigonos sich verabschiedete, als sie aus den Bädern heraustraten. Er nahm den Weg am Colosseum vorüber, dessen festungsartigen Steingürtel mit den tausend Öffnungen er als Vertrauten und Freund begrüßte, selbst seine Grausamkeit verzieh er ihm um jenes unvergeßlichen Augenblicks willen, den er ihm vor wenigen Tagen geschenkt hatte. Als er das Palatium entlang wanderte, starrte er das Haus an, das sie in seinen Mauern barg, in das er alsbald aufgenommen werden würde.


Hinter dem Circus maximus, an dem Abhänge des Aventinerberges und nahe bei dem appischen Aquädukt, lag Antigonos' Haus, gerade noch am Übergang bevor man das eigentliche Armenviertel erreichte. Es war einfach und wenig geräumig, ohne einen armseligen Eindruck zu machen. Die Straßenseite nahm ein Barbierladen ein, und neben diesem führte ein geschlossener Gang nach dem Atrium. Seine Decke wurde von vier Holzsäulen getragen, die ungewöhnliche Größe der Lyra und des Regenfanges sowie die reizvolle Anordnung von Blumen und Lorbeerbäumen in großen Holzkübeln gab ihm eine große Ähnlichkeit mit dem griechischen Peristyl, und vereinigte sich mit dem Geschmack des Besitzers.

Neben dem Räucheraltar, hinter dem Regenfang, saß Stratonike und spann. Sie hielt den Rockenkopf in der linken Hand, Ein ganzer Berg von Wollfasern lag in einem Weidenkorb ihr zu Füßen, während die schnurrende Spindel, gleich einer arbeitenden Spinne, an einem feinen Faden von der Hand herunterhing.

Als sie Antigonos erblickte, warf sie ihre Arbeit weg, fiel ihm um den Hals und bot ihm ihre hübschen Lippen zum Kusse dar. – »Liebster Antigonos, wie schön, daß du jetzt kommst. Das Mahl ist fertig. Du bekommst einen prächtigen Kohl, und ich habe eine Melone gekauft, die vom Safte berstet.« »Ich esse nicht hier. Ich bin eingeladen.«

»Bist du eingeladen?« fragte sie enttäuscht und ließ die Arme sinken, denn sie fühlte, daß er nur kühl und widerstrebend ihre Umarmung erwiderte.

»Und bei wem?«

»Bei einem Römer – einem Senator.«

»Ah – ein Senator!« Ein unbestimmter Begriff von etwas Hohem und Furchtbarem erhob sich in ihrer Phantasie; »und dein Vater ist so krank.«

»Ich wollte dich eben danach fragen, – es ist also nicht besser geworden?«

»Nein, eher schlimmer. Ich fürchtete bisweilen, daß ihn der Husten ersticke.«

Antigonos ging in das Nebenzimmer, wo er den alten Goët auf seinem niedrigen Lager fand. Dieser hatte sich eine starke Erkältung zugezogen, während er in einer kalten und stürmischen Nacht auf dem Dache des Hauses die Sterne beobachtete, um ein Horoskop zu stellen.

Erfreut drückte er die Hand seines Sohnes; und als dieser beklagte, ihn wegen der zugesagten Einladung verlassen zu müssen, glitt ein zufriedenes Lächeln über die dicken Lippen des alten Mannes; er bewegte die Hände hin und her und zwang endlich das Wort »Cäsar« hervor. »Nein, nein, es ist nur ein Senator,« sagte Antigonos lächelnd.

»Ja, ich habe es gehört ... Aber das andere – kommt auch – noch ... Leb wohl! ... Er wird groß werden, sehr groß,« murmelte er vor sich hin, während sich der Sohn entfernte, und erlag aufs neue einem starken Hustenanfall, der ihn auf dem Lager zusammenkrümmte. Antigonos hörte, während er sich ankleidete, beständig den bellenden, trockenen Klang, es mutete ihn an, als wäre sein Vater einer jener ägyptischen Priester, die, einen sich streckenden Fuchs darstellend, in großen Mengen zwischen den Hieroglyphen eingestreut waren. Sie schmückten hier das Zimmer anstatt der Genien, die sonst die dunkle Einförmigkeit einer römischen Wand unterbrechen.


Das Haus des Senators lag an der Nordseite des Pallatiums. Es war ein einfaches Quadersteingebäude mit Pfeilern an den Türen und Fenstern des zweiten Stockwerks. Im Atrium, wo die Bildsäulen und Ahnenmasken früherer Angehöriger des Geschlechtes die Wände schmückten, wurde er von einigen Gästen und dem Wirt erwartet. Dieser begrüßte ihn herzlich, und seine beiden Hände ergreifend, führte er ihn zu Tisch im Prunksaal, der sich mit seinen kurzen Seiten nach dem säulenumgrenzten Hof hin erstreckte, dessen Mitte ein von blühenden Pflanzen eingehegtes Fischbassin bildete. Von da trat man in den üppigen, sorgfältig gepflegten Garten, wo Springbrunnen im Sonnenlichte glitzerten und weißgliederige Faune und Nymphen zwischen dem frischen Grün hervorlugten, während über seiner mit Weinranken bekleideten Mauer die Tempel des Kapitols ihre Marmorzinnen erhoben.

Der Aufforderung seines Wirtes folgend, legte sich Antigonos auf den Ehrenplatz neben einen alten dicken Senator, der sogleich seinen Gürtel lockerte und seinen Schatten, einen Freigelassenen, hinter sich aufstellte. Dieser befestigte ein goldgesticktes Purpurtuch unter dem Doppelkinn seines Herrn, das alsbald von Wein und Makrelkaviar übergossen war. Rechts von Antigonos, auf einer anderen Ruhebank, nahm Quartus Platz, und ihm gegenüber lagerte sich ein etwas schmutzig aussehender, schäbig gekleideter Stoiker von mittleren Jahren, dessen rot gesprenkeltes Gesicht zugunsten »des Gleichgültigen« zeugte –. Bei diesem wurde ein junger Ritter untergebracht, einer von den vielen, die mittels einer Kleinigkeit philosophischer Bildung ihre Liederlichkeit mit dem altehrwürdigen Namen Epikurs zudeckten. Er trug eine langärmliche seidene Tunika und war in eine Toga eingehüllt, so groß wie ein Rahsegel, als er diese der Wärme wegen zurücklegte, zeigte er seine enthaarten und blanken Beine, die er mit Bimsstein poliert hatte, Mit seinen von Ringen gänzlich vergoldeten Fingern fuhr er sich ununterbrochen durch sein gesalbtes, künstlich gekräuseltes Haar. Ihm gegenüber, zur Seite des Wirtes, lag eine bleiche, quabbelige Gestalt, in der man sofort den Schmarotzer erkannte, auch wenn er nicht gleich angefangen hätte, alles zu loben was er verschluckte, und vieles verschluckend, lobte er vieles.

»Es ist meine Gewohnheit, keine tierische Nahrung zu genießen,« sagte Antigonos, als ihm ein Sklave zum Vorimbiß, die Perle der Gerichte, frische Austern, sowie Muscheln, Seeigel und Schnecken reichte, nachdem sie bereits ihre Gaumen mit eingesalzenen venafrischen Oliven gereizt hatten.

»Ich ahnte dies und hoffe, dich auch hierin befriedigen zu können,« sagte Quartus. »Aber Traubenblut verschmähst du hoffentlich nicht,« fügte er hinzu, indem er eine Glasflasche aus der Hand eines anderen Sklaven nahm und deren Inhalt in Antigonos Becher goß.

»Opimianischer hundertjähriger Falerner,« bestätigte der Schmarotzer. Der Epikuräer schnalzte leise mit der Zunge, und der Stoiker seufzte.

»Wohl pflege ich eigentlich nicht davon zu trinken – –.«

»Sicher ist es, daß er den reinen Äther der Seele verdunkelt,« rief der Stoiker, »jedoch genügend mit dem reinen Element des Wassers vermischt ...«. »So will ich ihn versuchen,« sagte Antigonos, »damit du mich nicht als einen undankbaren Gast empfindest.«

Während Quartus ihm einschenkte, hatte ein Sklave eine Platte mit feinem Brot, eingebacknen Früchten und Gemüsen, alles in den Formen verschiedener Schalentiere, vor ihm aufgetragen. Gleichzeitig erschien ein riesenhafter Lusitaner; aufgeschürzt und als Fischer gekleidet, trat er mit einer langen Angelrute an den Fischteich und warf die Schnur aus. Der Kork bewegte sich alsbald, die Stange schnellte in die Höhe, beschrieb einen großen Bogen durch die Luft, und die Muräne fiel auf den Fliesenboden. »Es ist eine der größten,« rief der Sklave, »sie erreicht wohl ihre drei Fuß.« Triumphierend hielt er sie in die Höhe, während sie gewaltig mit dem Schwanze schlug und sich wie eine Schlange krümmte und wand. Feuerfarbene Argusaugen strahlten aus dem braunen Körper hervor, an dem das Wasser herunterspülte, ihr spitzer, goldgelber, mit scharfen Zähnen besetzter Rachen, den das hervorströmende Blut rötete, hieb bissig nach dem braunen Arm des Sklaven.

»Nein, hier wirst du nicht mit Sklaven gefüttert,« rief der Fischer, der sie jetzt mit dem Finger neckte und lachend seine weißen Zähne zeigte.

Dieser Spaß schien den alten Senator samt seinem Schatten höchlichst zu belustigen, denn sie konnten mit Lachen und Husten gar nicht wieder aufhören. Aber Antigonos' Nasenflügel zitterten, als ob er etwas Übelriechendes einatme, und Quartus zog seine Augenbrauen zusammen, – es war ihm peinlich, in Gegenwart seines hellenischen Gastes die römische Roheit hervortreten zu sehen.

Nach einem erstaunlich kurzen Zeitraum zeigte die Muräne sich auf einer silbernen Schüssel, wie der Schmarotzer nach dem ersten Bissen verkündete in italienischem Wein gekocht, dann aber mit Chier-Wein übergossen und mit einer Sauce aus den Fischeingeweiden und dem Saft von Schalentieren zubereitet, der Garnelen und kleine Krebse beigegeben waren. Gleichzeitig wurde ein indischer Pfau den Gästen vorgesetzt, der mit seinem vollen Federschmuck gebraten, den mächtigen Schwanz, seinen Farbenfächer, über den Tisch ausbreitete. Für Antigonos war ein wenig ähnelnder, aus Teig gebackener, zubereitet worden, mit einem Schwanz aus Blumen und in einem Nest von ausgesuchten Gemüsen sitzend.

Das Gespräch war inzwischen auf den letzten Gladiatorenkampf hinübergeglitten. Antigonos erwähnte die Bemerkung des christlichen Bischofs, der annahm, das nächste Mal der auserwählte Gegenstand für die Arena zu sein.

»Diese Christen klagen immer über Verfolgung, das ist reiner Wahnsinn bei ihnen,« sagte der Epikuräer. »Niemand tut ihnen etwas zuleide, wenn sie nicht gegen den Staat und die öffentliche Moral auftreten wollen. Die können ja, ebenso wie wir, Cäsar und den Göttern opfern, die wir ebenso ungläubig sind wie sie.«

»Es besteht wohl überhaupt gar nicht die Gefahr der Verfolgung?« fragte Antigonos. »Solche gehören weder unserer Zeit, noch unseren Sitten an,« antwortete Quartus mit überlegenem Achselzucken.

»Und abgesehen hiervon ist unser gnädiger Cäsar von Natur aus gegen harte Maßregeln,« fügte der Senator hinzu. »Er sagte noch gestern Abend zu mir – war ich nicht gestern zum Abendtisch bei Cäsar, Cajus?«

»Vorgestern, gnädiger Herr,« antwortete der Schatten, sich verbeugend, »gestern war es bei der Libertin –«

»Halt den Mund, vorlauter Schwätzer,« unterbrach ihn der Senator – doch der Epikuräer, in lautes Lachen ausbrechend, bemerkte: »Ich möchte wahrhaftig zu gern wissen, ob es bei einer meiner lockeren Freundinnen war.«

»Du hast wahrscheinlich alle, die in Rom zu haben sind!« fuhr ihn der Stoiker an.

»Und du kannst wohl keine mehr erhaschen? –«

Nach solchen Hin- und Widerreden, die mit Scheltworten endeten, fuhr der Senator fort: »Unser hoher Cäsar sagte also vorgestern zu mir: ›Ich möchte nicht allein als fromm gegen meinen Vater Marcus Celonius! – sondern auch gegen meine Kinder genannt werden,‹ und damit meinte er die römischen Bürger ... Übrigens muß ich doch bemerken, daß ein Unterschied besteht zwischen Freigeborenen – mögen sie noch so dumm und lächerlich sein – und Sklaven und Barbaren, welche für die Arena benutzt werden.«

»Welcher Art von Vereinigung sind eigentlich diese Christen?« fragte Quartus. »Man hat mir gesagt, – aber das können ja Fabeln sein –, daß sie einen Eselskopf anbeten, vermutlich um den Gottesdienst zu verspotten.«

»Bei ihren Liebesmahlen soll die Liebe besonders heiß aufflammen, wenn die Lichter ausgelöscht werden,« erzählte der Epikuräer mit einem schalkhaften Lächeln; »deswegen habe ich auch im Sinne, in die Gemeinde einzutreten, denn es gibt viel hübsche Weiber dort.«

»Meiner Meinung nach sind sie weniger schlecht als töricht und überspannt; auch kann man nur schwer mit Bestimmtheit erklären, worin ihre Lehre besteht, mit Ausnahme davon, daß ein gewisser Schwärmer, der unter Tiberius gekreuzigt wurde und um dessen willen sie eine alte, höchst ehrwürdige Volksreligion verlassen haben, bei ihnen als Gottes Sohn gilt, der wiederkommen wird, um ein großes Reich zu gründen, ganz wie der Pöbel das von Nero glaubt –« »Gottes Sohn?« sagte der Stoiker, – »aber man weiß doch, daß sie Atheisten sind und nicht an Götter glauben.«

»Gewissermaßen scheint dies doch der Fall zu sein, jedenfalls alle, mit denen ich hier und in Alexandria gesprochen habe; sie nennen sich Gnostiker und halten sich für die, welche die höchsten Kenntnisse besitzen. Trotzdem werden sie als Ungläubige von den übrigen Christen verflucht, und als Vergeltung bezeichnen diese sie mit »fleischlich«. Die Zersplitterung der Sekte ist überhaupt groß. Als ich mich in Judäa aufhielt, hörte ich die Judenchristen, die zu einem gewissen Paulus halten, sie schmähen und schelten, als ob sie Kinder des fürchterlichsten Dämons wären, den sie Satan nennen.«

»Man berichtet übrigens wunderbare Taten von diesem Jesus von Nazareth«, bemerkte Quartus.

»Über solche hört man von so vielen.«

»Es lohnt sich ebenso gut, Antigonos von Wundertaten zu berichten, als Nachteulen nach Athen zu bringen,« rief der Schmarotzer plötzlich aus, weil er schon lange hatte schweigen müssen.

Inzwischen hatte die Mahlzeit ihr Ende erreicht. Die Reste eines nubischen Hahnes und das Euter eines Schweines wurden hinausgetragen, die Sklaven reichten die Kränze herum und der Nachtisch wurde aufgetragen.

»Darüber darf man sich nicht wundern, weil er aus dem Lande der Zauberkünste, aus Thessalien stammt,« brummte der Senator.

»Ja – übrigens – ist es an dem, Antigonos,« fragte der Stoiker, dem der Saft eines Granatapfels aus dem vollgepfropften Munde lief, »daß du deine Weisheit dadurch erworben hast, daß du allnächtlich Platon und Apollonius von Tyana aus der Unterwelt heraufbeschwörst und dich von ihnen belehren lässest?«

»Das ist noch das wenigste,« fuhr der Epikuräer fort, »man erzählt noch ganz andere Dinge, wie daß du mit einem Wort oder Blick Blinde taub und Stumme lahm machen könnest.«

»Nein, das habe ich noch nicht versucht,« unterbrach ihn Antigonos lachend.

»Und was mir am allermerkwürdigsten erscheint,« rief der Schmarotzer, »man behauptet, daß du durch Aussprechen der einen oder anderen ägyptischen Formel einen Eimer dazu bewegen könntest, selbst das Wasser zu holen. Dieses Kunststück sähe ich gern ausgeführt und möchte es dir gern ablauschen,« ein starkes Schlucken unterbrach ihn hier, »besonders, wenn du mir auch zeigen könntest, wie man eine leere Amphora nach Wein schickt.«

»Ich war der Meinung, daß jeder Schmarotzer die Kunst verstände,« antwortete Antigonos.

Die Gesellschaft lachte.

Ein bunt gekleideter Zwerg, den Quartus hatte rufen lassen, um Antigonos vor weiteren Aufdringlichkeiten zu schützen, trat jetzt herein. Er warf sich sofort mit groben Anzüglichkeiten über den Schmarotzer her, der noch eben damit beschäftigt war, eine scharfe Antwort für Antigonos zu ersinnen, nun aber in die Höhe fuhr, um den Zwerg zu schelten. Unbeirrt hiervon, legte dieser es darauf an, den Stoiker und den Epikuräer in Streitigkeiten miteinander zu bringen, bis sie schließlich durcheinanderschrieen und sich gegenseitig die geballten Fäuste vor den Nasen schüttelten. Dann griff der Zwerg ebenfalls den Senator an, der, über diese Frechheit verblüfft und vom vielen Essen ganz vollgestopft, nur solche Ausdrücke, wie: »nanu« oder »na, aber Dickkopf!« hervorbrachte; zuletzt befahl er dem Schatten, für ihn zu antworten und zog es selbst vor, weiteres in sich hineinzustopfen, wie ein Imperator seinem Magister-Equitum Befehl erteilt, den Feind zu zerstreuen. In der Zwischenzeit hatte der sich unbeobachtet wähnende Schmarotzer die Brustfalten seiner Toga mit allerhand köstlichen Dingen gefüllt; der Zwerg aber hatte es bemerkt, und – ihm rücklings den Zipfel wegziehend, rollten Granatäpfel, Nüsse, Feigen und Pfirsiche am Boden dahin. Quartus und Antigonos mußten vor Lachen eine Unterredung über Larissa und Thessalien unterbrechen, in die sie sich vertieft hatten.

»Wenn du Lust hast,« sagte Quartus, indem er sich erhob, »können wir in den Garten gehen, um frische Luft zu schöpfen. Hier vermißt man uns nicht, und da unten können wir uns ungestört unterhalten.«

Sie wandelten einige Zeit hin und her in dem recht kleinen Garten, über den schon die Dunkelheit sich breitete. Angeregt vom Wein, hatte Quartus seine kurzangebundene römische Würdigkeit vollständig abgestreift. Er sprach lebhaft und bekrittelte seine Gäste, wobei nicht einmal der Senator geschont wurde. Plötzlich aber hielt er inne und legte die Hand auf Antigonos' Arm. »Ich hoffe nicht,« hub er an, »daß die Art, in welcher jene Menschen so aufdringlich deiner Wunder erwähnten, dich verdrossen hat; sie redeten irre vom Wein und spotteten dessen, was sie nicht verstehen,«

»Wie kannst du das glauben?«

»Was würdest du nun aber sagen, wenn auch ich, ob auch in andrer Form und nicht weil ich daran zweifle, dieser erwähnte, sondern weil ich glaube, daß du mir einen großen Dienst damit erweisen kannst –.«

»Wie? – ich muß gestehen, daß mich dies überrascht... Du bittest mich, zur Cäna zu kommen, und dann verlangst du –«

»Höre mich an, Antigonos! Meine einziggeliebte Gattin, die du ja selbst von deiner Kindheit her kennst, ist leider gefährlich erkrankt. Die Ärzte haben vergebens die Mittel der Wissenschaft versucht, denn ihre Krankheit ist ganz anderer Art. Es besteht kein Zweifel darüber, daß sie von einem Dämon besessen ist. Sie fühlt ihn oft wie eine Kugel, die ihr durch die Brust nach der Kehle hinaufrollt und sie zu ersticken droht. Dies scheint mir nun ein seltsamer Fall zu sein. Denn die Kugel ist doch, wie du weißt, und das besser als ich, die vollkommenste Form, und Jupiter ist ja eine Kugel... Dies dürfte ich nicht öffentlich sagen, denn es könnte mißverstanden werden – vom Pöbel... Aber unter uns, ich will dir hiermit anvertrauen, daß ich nicht unwissend in der Philosophie bin. Ich bin, sozusagen, mit der aristotelischen Lehre gesäugt. Mein Pädagog nämlich, der Peripatetiker war, – aber, wir kamen ja da ganz von der Kugel ab! Es ist also gar nicht so sonderbar, daß die Dämonen es versuchen, diese Gestalt anzunehmen, und daß dieser solches vermochte, scheint mir ein Zeichen dafür zu sein, daß er ein mächtiger und starker Geist sei. Vielleicht ist es auch ein Erdgeist, weil er die Kugelform annahm.« Der gesprächige Quartus gestikulierte eifrig und krümmte dabei die Hände, um Kugeln von verschiedenen Größen vorzustellen. Antigonos nickte gedankenlos vor sich hin bei diesem Erguß dämonologischer Metaphysik, während er mit allen seinen Gedanken bei Erinna war.

Quartus aber fuhr fort:

»Auch auf andere Art gab der Dämon sich deutlich zu erkennen. Denn es waren gleichsam zweierlei Gesinnungen in ihr. Der Dämon, der menschlichen Umgang scheut, trieb sie zur Einsamkeit; dann schloß sie sich monatelang ein und wollte niemanden sehen, nicht einmal mich. Aber bisweilen schien der Dämon die Ruhe zu fliehen, und dann wurde sie von ihrem griechischen lebensfrohen Sinn durchdrungen. Sie suchte dann Zerstreuungen und die Lebhaftigkeit des Gesellschaftslebens. Am deutlichsten jedoch zeigte sich sein übernatürliches Wesen an dem, was vor einem Jahr auf einer Reise in Thessalien sich ereignete. Damals hatte ich nämlich die wahre Beschaffenheit der Krankheit noch nicht erkannt, denn in dem Fall hätte ich mich wohl vor Thessalien gehütet, ich hielt es aber für Heimweh und meinte, es könnte wohltuend für sie sein, ihre Eltern und Heimat wiederzusehen. Als wir in Brundisium an Bord gingen, behauptete sie, ein gewaltiges Gewitter zu hören, das sich andauernd näherte, und bat den Schiffer, an dem Abend die Anker noch nicht zu lichten. Er aber, der wie wir anderen nichts hörte und auch trotz seiner Erfahrung kein drohendes Zeichen dafür wahrnahm, zuckte nur mit den Schultern. Als wir aber dann auf offene See kamen, konnten auch wir ein fernes Getöse hören, und bald danach wurden wir von einem fürchterlichen Unwetter mit Wirbelsturm und Donner überfallen. Das Schiff geriet in große Gefahr, und nur weil es das Zeichen der Zwillinge trug, die uns günstig sind, geschah uns kein Leid. Als wir dieser Gefahr entronnen waren, senkte sich ein dichter Nebel herab, der uns lange in Unsicherheit umhertreiben ließ. Plötzlich rief meine Gemahlin, daß sie Blumenduft rieche, und bald sah sie Land, was weder ich noch die Matrosen, die ihre Beschäftigung doch fernsichtig macht, vermochten. Eine halbe Stunde später klärte sich der Nebel – wir waren vor Epidamnus dicht an der Einfahrt des Hafens. – Dies hatte also der Dämon hierbei bewirkt. – Als wir aber nach Tempe kamen, wurde er geradezu rasend, und jetzt verdrehte er zum erstenmale ihre zarten Glieder in fürchterlichen Zuckungen und rief aus ihr heraus mit Geschrei und Gelächter. Dies geschah in der Nacht, da wir dir begegneten und du ihr durch eine Handbewegung Heilung brachtest. Er setzte es dann einige Wochen hindurch fort und gab schließlich die Anfälle auf. In Rom sonderte sie sich wieder ab und scheute den Umgang mit Menschen. Dann wurde sie auf kurze Zeit wieder lebhaft – ja sogar übermütig; sie suchte Zerstreuungen und wollte sich einen Gladiatorenkampf ansehen, wozu ich sie noch nie überreden konnte. Mochte nun der Blutgeruch den Dämon geweckt haben, denn wir wissen ja, daß sie sich davon ernähren, mögen es andere Ursachen gewesen sein – sie erlag plötzlich einem neuen Anfall, der mehrfach unterbrochen, aber noch nicht beseitigt wurde. – Als nun meine anwesenden Klienten im Colosseum mich auf dich aufmerksam machten, indem sie mir deinen Namen nannten, schien es mir ein Fingerzeig der Götter zu sein und ... kurzum ...«, Quartus schwieg.

Nach einiger Zeit sagte Antigonos: »Nach allem, was du sagst, bin ich nicht im Zweifel darüber, daß es sich so verhält, wie du vermutest, und daß diese Krankheit nicht aus der Welt des Körpers, sondern aus der des Geistes stammt und zwar aus der übernatürlichen Welt.«

»Und da ich nun weiß, daß die Dämonen dir Gehorsam leisten –«

»Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht. Ich hoffe, daß die Götter, die die Dämonen in der Gewalt haben, mir ebenso geneigt sind, wie bei verschiedenen anderen Gelegenheiten, obschon man wahrlich die Taten überschätzt, die ich vollbracht habe.«

»Wenn du es wünschest, werde ich sogleich –« »Ich muß mich erst darauf vorbereiten und durch Gebete sammeln; außerdem möchte ich einige heilige Schriften dafür auswählen.«

Quartus klatschte in die Hände und plötzlich stand ein Sklave hinter ihnen.

»Alexander, laß einen Tragsessel vor die Türe bringen – aber sofort.«

Antigonos drückte ihm die Hand und entfernte sich.


Als er in den Speisesaal trat, war schon Licht angezündet. Von einem großen silbernen Kandelaber, der einen Baumstamm mit gekrümmten, nach allen Seiten hin sich ausstreckenden Zweigen darstellte, hingen in goldenen Ketten Alabasterlampen in der Form von verschiedenen Früchten herab und beleuchteten jetzt die Widerwärtigkeiten der Verderbnis. Der alte Senator saß unbeweglich auf der Ruhebank, eine unverkennbare gelb-grüne Farbe im Gesicht. Vor ihm lag ein Haufen Drosseln in Stärkemehl, Äpfel, Kirschen und Trauben; auch stand vor ihm eine geschlossene Silberschale mit vergoldetem Basrelief, aus deren Hahn das warme Wasser herausströmte, platschend und alles überschwemmend, nachdem es schon längst den Weinbecher gefüllt hatte. Mit steifen Augen, die kaum geblinzelt hätten, wenn man mit einem Messer nach ihnen gestochen hätte, starrte er auf seine nassen Knie und die überspülten Mosaikfliesen; während er fluchend und stammelnd nach, einem Vomitiv verlangte; unter dessen Wirkung beugte sich in einer Ecke des Saales der Stoiker über ein Kupferbecken, das ein Sklave für ihn hielt, während ein anderer seine Stirn mit einem wohlriechenden Schweißtuch trocknete. Sogar der Schatten, der wie es schien, Trankopfer empfangen hatte, starrte nebelhaft in den leeren Raum, und die Hilferufe seines Herrn trafen taube Ohren. Antigonos wäre beinahe über den Schmarotzer gefallen, der in seiner ganzen Länge am Boden lag, und mußte behende seinen Kopf beugen, um nicht von einem Goldpokal getroffen zu werden, den der Epikuräer nach dem frechen Zwerg schleuderte, weil die ihm zugedachten Scheltworte den Weg vom umnebelten Gehirn bis zur Zunge nicht finden konnten. Sein schallendes Gelächter klang wie eine schmetternde Siegestrompete über den mit seinen Gegnern bedeckten Wahlplatz hin, denn jetzt war auch der Epikuräer in einer Stellung, die ihn baldigst an den Boden befördern mußte, ohnmächtig auf seinem Lagerplatz zusammengesunken.


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