Karl Gjellerup
Antigonos
Karl Gjellerup

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Im Garten und im Tiber

Stratonike sah Antigonos jetzt nur selten, auch sprach er nur wenig mit ihr, wenn er zu Hause war und hörte zerstreut auf ihre Antworten. Des Nachts verzehrte sie sich im Gefühl der Einsamkeit; und die Trauer darüber, dem angebeteten Manne gleichgültig zu sein, nagte an ihrem leidenschaftlichen Gemüt und bleichte ihre Wangen. Er bemerkte es kaum, oder meinte, das käme von der heißen römischen Luft. Fragte er sie bisweilen wie es ihr ginge, antwortete sie niedergeschlagen und mit von Tränen gefüllten Augen, während er väterlich liebkosend seine Hand über ihr langes Haar gleiten ließ; und sie sagte dann zu sich selbst: »Wie sollte ich armes unwissendes Barbarenmädchen auf die Dauer den weisen Mann fesseln können?« Es waren ungefähr dreiviertel Jahr seit Lagos' Tode vergangen, als sie eines Abends ihrem ungestümen Verlangen nachgab, das sie trotz ihrer Unruhe bis jetzt unterdrückt hatte. Zitternd wie Psyche, als sie die Lampe anbrannte, um ihren Geliebten kennen zu lernen, schlich sie Antigonos nach, unterhalb der Palatiner-Höhe, bis sie plötzlich ratlos vor der Türe einer Gartenmauer stand, die er hinter sich abgeschlossen hatte. Ein Stück davon entfernt entdeckte sie eine Eiche, deren Zweige sich über die Mauer breiteten. Geschmeidig und lautlos wie eine Katze kletterte sie hinauf. Sie setzte sich auf die flache Kante einer Mauerecke; unter ihr breitete sich der Garten aus mit seinen leise säuselnden Bäumen und Sträuchern, und einer klaren, plätschernden Fontäne; sie spähte nach einer Stelle, wo sie möglicherweise hinunterspringen könnte, und lauschte. Da hörte sie gerade unter sich, hinter einem hervorspringenden Laubdach eine unbekannte Frauenstimme. Lauernd legte sie sich flach auf die breite Mauerkrone.

»Es tut mir so leid, daß du ebenso ungläubig und gottlos bist wie mein Bruder Eukrates – er glaubt nicht einmal an Dämonen.« »Geliebte Erinna,« antwortete die Stimme Antigonos', »wenn du doch begreifen möchtest, daß ich weder das eine noch das andere bin, weil sich meinem Blick die geistige Wahrheit offenbart hat, und ich nun weiß, daß der höchste Gott unaussprechlich ist wie das Schweigen, und in einem Lichte wohnt, das das leibliche Auge blendet und dessen Abglanz wir nur in Christus schauen können, der es uns offenbart hat. Was hat es dann auf sich, ob man den Urvater Zeus nennt? Und wer glaubt denn noch daran, daß er auf dem Olympos wohnt?«

»Wie?! Die Götter sollten nicht auf dem heiligen Berge wohnen, an dessen Fuß wir erzogen sind und an dessen Spitze schon unsere Kinderaugen sich hefteten, wenn wir vor ihm knieten, der da oben thront, – wolkenumhüllt – mit der Schicksalswage in der Hand?«

»Das sind kindische und fleischliche Vorstellungen, die ich schon abtat, als ich die Philosophenkutte anlegte. Alle Völker verbinden das Wesen der Götter mit solchen heimatlichen Orten. Die Juden, von denen die Erlösung kommt, meinten, daß der höchste Gott in Jerusalem angebetet werden müßte, und die Samaritaner heiligten ihn auf ihrem Berge Garizim. Der geistige Jesus aber sagte zu dem samaritanischen Weibe: ›Ihr sollt weder auf diesem Berge, noch auch in Jerusalem den Vater anbeten‹; aber die Stunde kommt und ist schon da, in der die wahren Gottesanbeter den Vater im Geiste und in der Wahrheit anbeten sollen, denn Gott ist ein Geist.«

»Ich friere bei all der Geistigkeit, und ich erzittere vor diesem geistigen Erlöser mit seinem Scheinkörper und seiner toten Lehre. Wie ganz anders war nicht Zeus, wenn er in einer Verkörperung die Töchter der Könige besuchte; dann wurden die herrlichen Heroen geboren, die in ihrer ambrosischen Schönheit und mit ihren olympischen Kräften den Hades überwanden und seine Gefangenen befreiten. Zur Zeit werden nur schmutzige Asketen geboren, abgemagert bis auf die Knochen, die sich in unterirdischen Grabstätten aufhalten, und Geister und Schatten anbeten.«

»Du siehst das alles so übertrieben und entstellt.«

»Ach nein – ich kenne das! Als Quartus und ich mit unserem Gefolge nach Thessalien reisten, wurden wir in einer Bergschlucht von einer Schar solcher lichtscheuer Christen aufgehalten, die sich um einen ihrer Heiligen versammelt hatten, der zu ihnen sprach; teils des Andranges wegen, teils aus Neugierde hielten wir an und hörten ihm zu. Dieser hatte es verschmäht, seinen elenden und widerwärtigen Körper mit einem Mantel zu bedecken; und mit wilden Gebärden und einer fürchterlichen Stimme sprach er davon, sich mit Christus zu begraben, das Fleisch und seine Gelüste zu kreuzigen, um den Heiligen gleich zu sein, die sich nie durch ein Weib befleckt haben, und dieser Welt nicht angehören; – ganz, als wären die Götter böse Dämonen, die nur eine Welt des Leidens geschaffen hätten.«

»Sicherlich ist diese Welt nicht vom höchsten Gott geschaffen, sondern von dem unvollkommenen Baumeister und durch den Sündenfall in der Äonwelt hervorgebracht.«

»Ja, ja, auch Du! Du bist ganz wie die anderen! Sünde, Leiden und Buße. Und jener Heilige zeigte auf Quartus und mich, indem er über die Reichen sprach, die in Herrlichkeit und Freuden dahinlebten; und er rief »Wehe« über uns, während die Christen sich abwandten und sich bekreuzten. Und jetzt bist auch du einer von diesen und wendest dich ab – und du – willst mich verlassen!«

»Was sagst du da, Erinna! Du versündigst dich an mir. – Ich Dich verlassen? Niemals!«

»Ach nein, nein, bleibe bei mir Antigonos! verlasse nicht mich und das lebende Pfand unserer Liebe unter meinem Herzen!«

Die Stimme Antigonos' wurde so flüsternd, daß sie Stratonike nicht mehr erreichte. Aber diese hatte genug gehört. Lautlos, wie sie gekommen war, glitt sie die Eichenäste hinab. Sie wußte, daß sein Herz von einer anderen erfüllt war, und daß diesem Weib die Gunst widerfuhr, um die sie vergeblich die Götter angefleht hatte; die andere würde ein Kind gebären, ein Kind von dem bewunderten Manne, das beide noch fester aneinander binden würde. Dieser Gedanke überwältigte sie vollständig; sie warf sich an die Erde, und ihre Tränen mischten sich mit dem Tau der Blumen. Dann erhob sie sich und streckte mit einem Fluche die geballten Hände gegen ihn aus, der sie verlassen hatte, gegen Erinna und ihr Kind. Nochmals kniete sie nieder, um ihren Fluch abzubitten. Dann sprang sie schnell in die Höhe und lief weg, ohne zu wissen, wohin – nur weg von ihm und der großen fremden Stadt, wo sich niemand um sie kümmerte, – mit von Tränen geblendeten Augen und von den langen Locken umwogt, deren Berührung sie daran erinnerte, daß gerade diese sie zuerst an Antigonos geknüpft hatten – in jener Nacht in Byblos. Byblos, ihre Geburtsstätte, dicht am blauen Mittelmeer; auf dem Hügel, dessen Fuß der Adonisfluß umspülte, dessen Wellen in der Glut des Mittags so oft ihre schönen Glieder umkost hatten – – oder in Mondscheinnächten, wenn seine Windungen, einer Silberlocke gleich, vom Scheitel des Libanon losgerissen, mit ihren Schilfen flüsternd die Jünglinge herbeiriefen, um ihnen Byblos' schönstes Mädchen als Flußnymphe zu zeigen. Wo war nun ihre Kindheitsstätte? Viele hundert Meilen hinter Pompejus' Portikus, an dem ihre gazellenleichten Füße sie soeben vorüberführten. Wie sollte sie sie je erreichen? und wenn sie es könnte! – Ihre alten Eltern, denen sie so viel Gram bereitet hatte, waren vielleicht gestorben, sie wäre dort ebenso verlassen, wie hier in der Weltstadt und überall sonst.

Sie war über das Marsfeld gelaufen, das sich öde und finster in der Dunkelheit ausstreckte. Sie stand jetzt Hadrians großem Mausoleum gegenüber auf der Triumphbrücke und starrte in den Tiber hinab, über den diese sich wölbte. Im niederdrückenden Gefühl ihrer Verlassenheit war sie gänzlich zusammengebrochen; ihre Selbstanklagen wendeten sich ihren Eltern zu und dann auch ihm, an den sie sich ihrer Meinung nach undankbar und anspruchsvoll anklammerte wie eine Fessel, die er mit sich herumschleppen mußte, weil er zu gütig war, sie von sich zu schleudern; in ihrer Seelenpein glaubte sie, daß er sie weit, weit hinwegwünschen müßte, von wo her sie niemals zu ihrem eigenen und andrer Unglück zurückkehren könnte, – und ihr verzweifelter Wunsch vereinigte sich mit dem seinigen. Als Antigonos an der Gartentüre Erinna zum Abschied umarmte, flossen die langen Locken der Byblierin wie Seegras auf den dunklen Stromwirbeln des Tibers.


Antigonos kehrte in einem bittersüßen Rausch heim. Das erste Gefühl nach Erinnas Mitteilung war eine reine Vaterfreude; als er jedoch allein war, begann das Bewußtsein von Sünde und Reue sich seiner Sinne zu bemächtigen. Alles, was Erinna über die strengen Forderungen des Christentums zu ihm gesagt hatte, drängte sich ihm auf, und des Apokalyptikers Worte: daß die Heiligen sich ihren Lebenslauf nie durch Weiber befleckt hatten, hallten in seinen Ohren wieder.

Er wunderte sich, Stratonike nicht daheim zu finden, da dies ihm noch nie vorgekommen war; und während er vergebens auf sie wartete, besann er sich, daß es ihm bisweilen gedäucht habe, leise Schritte hinter sich zu vernehmen, gleich einem schwachen Echo seiner eigenen. In der Annahme, daß es eine Libertine sei, hatte er sich nicht umgekehrt. Auch war Erinna, als er sie umarmt hatte, durch einige herabfallende Steine und abgeknickte Zweige erschreckt zusammengefahren.

Als aber auch der Morgen ohne Stratonikes Ankunft hereinbrach, wurde eine fürchterliche Ahnung des Zusammenhanges in ihm wach. Er ging aus, am Ufer des Tibers entlang und erreichte schließlich die Insel an der Fabricischen Brücke, wo er auf eine Menschenschar stieß. Er trat an sie heran – es war die Leiche Stratonikes, die ans Land getrieben war. –


Als der Abend die Stunde brachte, in der er Erinna zu besuchen pflegte, saß er in seinem kleinen Garten, ein paar Quadrate im Umfang, in dem er Stratonikes Grab geschichtet hatte. Er stand zögernd auf, um zu gehen; aber es schien ihm, als höre er ihre Stimme vom Grabe her, und es war ihm unmöglich, schon jetzt wieder den Weg zu betreten, den er mit ihrem Blut befleckt hatte.

An diesem Abend hätte er auf längere Zeit von Erinna Abschied nehmen wollen, weil sie nach gemeinsamer Bestimmung am nächsten Morgen für den Sommer nach Bajä reisen sollte, um dort ihre Niederkunft zu erwarten, während Quartus als Kurator in Asien beschäftigt war. So geschah es, daß er Erinna, bei der er sich mit Unwohlsein entschuldigt hatte, auf lange Zeit nicht mehr sah. Und es wunderte ihn, daß er sie nicht sonderlich vermißte. Sein religiöses Leben aber entwickelte sich jetzt voller und einheitlicher, wo er sich ihm ganz hingeben konnte, und er empfand es wie ein neues Behagen, die kühlen Abende für sich zu haben, um sie zu Studien und Betrachtungen verwenden zu können.

Nach der Vorschrift seines Lehrers las er in dieser Zeit die Briefe Pauli an die Römer, die Galater, die Korinther und Philipper und schätzte ganz besonders die letzte alles versöhnende Schrift, die wohl auf demselben Boden abgefaßt war, auf dem er jetzt lebte, auf dem sein neues geistiges Leben erstanden war.


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