Karl Gjellerup
Antigonos
Karl Gjellerup

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Der Gnostiker

In den Titus-Bädern ging es am Vormittag recht lebhaft her. Im geräumigen Vorhof, unter dem Schatten der regelmäßig gepflanzten Lorbeerbäume, strömten die Menschen aus und ein. Bekannte trafen sich, grüßten einander und erzählten sich die letzten Neuigkeiten. Vom dunklen, gewölbten Auskleideraum her erschollen ab und zu laute Scheltworte, wenn einer der Sklaven das Handtuch oder die Badebürste unbeholfen handhabte. Jubel und übermütiger Spott begleitete den Lärm der Körperübungen in der hellen Säulenhalle des Gymnasiums, und vom Schwimmbassin her hörte man Planschen und Gelächter. Dann und wann drängte sich auch die Stimme eines eifrigen Disputators hervor aus der sonst stillen Abteilung der Bibliotheks- und Lesesäle.

In einem dieser Säle befand sich Antigonos mit seinen Schülern, beinahe nur vornehmen jungen Römern. Einer von ihnen las in einem aufgerollten Schriftstück, das auf seinen Knien lag.

»Aber alles Ursprüngliche, sagten wir weiter, muß notwendigerweise durch eine Ursache entstanden sein. Sicher ist es schwierig, den Schöpfer und Vater dieses Alls zu erkennen, und unmöglich ist es, zu allen über ihn zu sprechen, wenn man ihn gefunden hat. Aber das, was dann untersucht werden muß, ist wohl die Frage, nach welchem Urbild der Baumeister das All hervor –«

»Der Baumeister,« unterbrach Antigonos ihn, »wen könnten wir uns wohl bei diesem Ausdruck denken? ... Oder wo könnten wir ihn suchen, Quintus?«

»In der Ideenwelt,« antwortete der Jüngling nach einiger Überlegung.

»Richtig. Und in welcher Gegend der Ideenwelt? – ob unter den niedrigeren Ideen?«

»Nein, in der höchsten. Und die höchste ist die Idee des Guten.«

»Hier sind wir am Ziel. Was also Plato hier den Baumeister nennt, muß gleich sein mit der Idee des Guten – oder der Quelle alles Seins und Wissens.« In einem Winkel des Saales waren zwei Männer damit beschäftigt, einige Bücherrollen durchzusehen. Der eine war noch ganz jung, der andere ein Mann in den besten Jahren – mit hoher Stirn, scharfblickenden Augen, Habichtsnase, eingefallenen Wangen und magerem, eckigem Hals. Ein blauseidenes Tuch, das mit silbernen Sternen bestickt war, umhüllte seinen Kopf. Die ausgefransten Enden fielen herunter auf die Brust des schneeweißen Byssus-Kittels, der ihm bis an die Hände und Füße reichte. Als Antigonos anfing, seine Anschauungen über den Baumeister und die Idee des Guten zu entwickeln, bemerkte er, daß der Ältere sich herabbeugte und dem Jüngeren etwas zuflüsterte, was den Jüngling veranlaßte, in Lachen auszubrechen. Mit einem spöttischen Seitenblick sah er Antigonos an und antwortete mit einem Scherz. Diesem schoß das Blut in den Kopf, er wurde unruhig und stammelte; plötzlich erhob er sich und sagte mit einer vom Zorn etwas erregten Stimme:

»Wenn ihr weiser seid, Fremder, geziemte es euch mehr, uns zu belehren, als uns zum Gegenstand eurer Belustigung zu machen.«

Der junge Mann wurde rot, aber der Ältere blieb unbeirrt, und ihn fest anblickend, sagte er:

»Das hast du richtig erraten, Antigonos, – wir sprachen von dir, und ich finde es billig, daß du erfährst, was es war. Ich habe soeben zu diesem jungen Mann gesagt, daß deine Rede über den Baumeister mir nicht beweist, daß du ihn kennst, wohl aber, daß du ihm ähnelst. Denn der Baumeister bildete Himmel und Erde, ohne zu wissen, was sie waren, und die Menschen, ohne sie zu kennen. Und obschon er so wenig wußte, und weil er sich selbst nicht kannte, ließ er seine Propheten verkünden: ›Ich bin Gott und Keiner außer dem‹. Daß aber auch du dich nicht selbst kennst, ist offenbar; denn wenn du das tätest, würdest du es nicht versuchen, andere zu lehren, was du nicht selbst verstehst. Und weil du es nicht verstehst, läßt du deine Schüler verkünden: ›Ich bin der große Antigonos von Larissa, es gibt keinen besseren Lehrer als mich‹. Hierin finde ich die Ähnlichkeit mit dem Baumeister.«

Während dieser Anrede hatte Antigonos seine Ruhe wiedergewonnen. Als der Fremde seinen Namen aussprach, wurde er von der Lust, berühmt zu sein, durchströmt. Bei den letzten Worten stieg ihm das Blut wieder in den Kopf, und obgleich durch die gebietende Überlegenheit des anderen beunruhigt, antwortete er: »Es freut mich, einen Menschen getroffen zu haben, der so viel besser unterrichtet zu sein scheint, als ich; denn ich kann jetzt hoffen, über Dinge belehrt zu werden, nach denen ich stets eine unwiderstehliche Sehnsucht gefühlt habe.«

Der Fremde schien seinen spitzen Tonfall nicht bemerkt zu haben, sondern wandte sich mit einer fast aufreizenden Ruhe an seinen Begleiter: »Scheint es dir nicht, Herakleon, als ob wir auch hier wiederum eine höchst auffallende Ähnlichkeit zwischen Antigonos und dem Baumeister herausfühlten?«

Der junge Mann runzelte einige Augenblicke seine Stirn und sah dann fragend seinen Meister an. »Läge sie nicht etwa darin, Herakleon, daß Antigonos, wie auch er, sein Dasein von der Sehnsucht und dem Begehren zu erhalten scheint?«

Herakleon nickte lächelnd.

»Wenn der Baumeister von der Begierde geboren wurde, wovon wurden dann die anderen Dinge geboren?« fragte Antigonos.

»Die Seelen der Menschen und Tiere werden von der Furcht geboren, die körperlichen Elemente dagegen vom Schrecken und von der Verzweiflung.« »Von wessen Begierde, Furcht und Verzweiflung? Denn wo es Leidenschaften gibt, muß wohl auch ein Wesen sein?«

»Von wem sonst, als der Weisheit, der Sophia Achamoth, der niedrigsten der dreißig Äonen, die dem Urvater entströmen und von seinem Wesen sind, nur geringer und niedriger, wie auch der Fluß niedriger und weniger rein wird, je weiter er sich von der Quelle entfernt. Diese bilden die Fülle, das göttliche Reich. Und weil sie den niedrigsten Äonen angehörte, dabei aber noch göttlicher Natur war, fühlte sie ein rasendes Begehren und eine unbezähmbare Brunst und hätte sich in den Abgrund gestürzt, um den Urvater zu umarmen, wenn nicht Horos sie daran verhindert hätte.«

»Der Urvater?« rief Antigonos. »Dann ist der Baumeister also verschieden vom höchsten Gott, und wir sind unvermutet und gleichsam auf einem Umweg dorthin zurückgekommen, von wo wir ausgingen. Erzähle mir doch jetzt etwas vom Wesen des Urvaters, denn dies erscheint mir als das höchste Ziel für menschliches Wissen, und ich möchte, wie jene Sophia, mich ihm nach in den Abgrund stürzen, um die Weisheit zu erlangen.«

»Wenn ich jetzt deinen Wunsch erfüllen wollte,« antwortete der Fremde, würde ich dann nicht gerade das tun, woran die Verschwiegenheit den Alleingeborenen hinderte? Denn der Alleingeborene ist der Höchste der Äonen und gleicht dem Vater vollkommen, weshalb auch nur er allein seine Größe begreifen konnte. Von der Seligkeit dieses Wissens berauscht, wollte er es den andern Äonen mitteilen, doch daran hinderte ihn das Schweigen auf Befehl des Urvaters. Aber diese seine Absicht verpflanzte jene Begierde in die Sophia, welche der Fülle Störung verursachte und zur Erschaffung dieser sündhaften und vergänglichen Welt führte. So würde ich demnach etwas noch Verwerflicheres tun. Denn jene Äonen waren ja göttliche Wesen; aber von dir weiß ich noch nicht, ob du zu den geistigen, den seelischen oder den fleischlichen Menschen gehörst.«

»Aber du selbst kennst wohl also das Wesen des Urvaters, wie mir scheint?«

»Ich kenne es wahrlich so, wie die Äonen es kannten, nachdem Christus sie belehrt hatte. Denn Christus und der heilige Geist sind die Vollendung der Äonenpaare –«

»Ah, du bist also ein Christ!« rief Antigonos aus. »Glaubt ihm nicht,« rief plötzlich ein junger Mann von wildem Aussehen, der aus einem Nebenraum in die Türöffnung getreten war, »hört seine vermessene Rede nicht an, die den Namen des Erlösers mißbraucht. Denn er erdichtet einen Christus nach seinem eigenen Dünkel und betet den nicht an, der wahrhafter Mensch war und wie ein Sklave am Kreuze hing, um unserer Sünde willen. Auch fabelt er von einer Äonenwelt, erzählt Mythen und weibische Genealogien – – –.« »Ich verstehe dich nicht, junger Mann,« unterbrach ihn der Fremde ruhig, während er ihn mit überlegenem Blicke maß. »Wie verhält es sich eigentlich? Haltet ihr Römer nicht jenen Paulus von Tarsos gar für einen wahren Apostel?«

»Gewiß, wir verehren den heiligen Paulus, der unsere Stadt durch sein Märtyrerblut geheiligt hat. Und wir fluchen jenen vom Fleisch, die sich fälschlich Christen nennen, aber dennoch die Gesetze und die Beschneidung aufrechterhalten und die nur des Lammes zwölf Apostel kennen, indem sie die geistige Auswahl Pauli verwerfen.«

»Wohlan! Schreibt nicht der nämliche Paulus, daß Christus dem Menschen gleich und in der Gestalt gleich einem Menschen befunden wurde? dann war er doch wohl kein wahrer und wirklicher Mensch. Deutet er nicht offenbar auf jene Äonfabeln – wie du sie nennst – und auf Sophia hin, wenn er von Christus sagt, weil er von göttlicher Gestalt war, – was die Äonen wahrlich sind – würde er sich nicht vermessen, Gott gleich zu sein, was eben die Sophia wollte – –.«

»Von diesen Worten weiß ich nichts, obschon ich in den Schriften des Apostels wohl bewandert bin –.« »Wieso,« rief Herakleon aus und erhob sich, »du kennst seinen herrlichen Brief an Philipp! nicht?«

»Weder kenne ich ihn, noch erkennt irgendein rechtgläubiger Christ solche törichte Lehren an. Das muß ein falscher, untergeschobener Brief sein –.« »Ich will dir beweisen –.«

Während Herakleon jetzt seine Unterredung mit dem jungen Christen fortsetzte, und Antigonos in ihm den jugendlichen Begleiter Bischof Pius' im Colosseum wiedererkannt hatte, fuhr er fort: »Du bist also doch ein Christ? Wie soll ich mir aber das deuten, daß du den nicht anbetest, der als Mensch gekreuzigt wurde?«

»Was ich dir jetzt darlegen will, ist dunkel, und nur Eingeweihten verständlich,« antwortete der Fremde, und indem er der Deutlichkeit halber seine Finger abzählte, erklärte er: »Erstens ist es Christus, der mit dem heiligen Geist vereint das letzte Äonpaar bedeutet. Dann ist es Jesus, der Erlöser oder das Wort, der von allen Äonpaaren geboren ward und die Blüte der Fülle ist. Zuletzt ist es der niedrigere, seelische Jesus, der Sohn des Baumeisters, der von diesem zur Erlösung seines Volkes gesandt wurde, nachdem er ihn durch seine Propheten hatte verkündigen lassen. Er flutete durch Maria wie Wasser durch einen Kanal. Bei der Taufe senkte jener höhere Jesus sich auf ihn herab, verließ ihn aber wieder bei Golgatha, denn ein Äon vermag nicht zu leiden. Ihm folgten alle Geisteserfüllten, sich mit des Erlösers Engeln vereinigend, so wie er selbst mit der Sophia Achamoth. Jene seelischen Christen aber, die dem Sohne des Baumeisters anhangen, erreichen nur eine geringere Seligkeit in der Mitte, außerhalb der Fülle, während die Materie mit den Fleischgewordenen von ihrem eigenen Feuer verzehrt wird.«

»Ich entsinne mich, etwas Ähnliches von Basilides in Alexandria gehört zu haben.«

»Basilides!« erwiderte der Fremde mit einem höhnischen Tone. »Wer nennt jetzt Basilides? Was wußte der von göttlichen Dingen? Was wußte er von den Äon-Ehen, ohne welche man fast nichts von den großen Geheimnissen begreifen kann?« »Davon habe ich ja noch gar nichts gehört,« sagte Antigonos, – »ich bitte dich deshalb –«

»Ein andermal, Antigonos, – jetzt habe ich keine Zeit. Am besten geziemt es mir jetzt, mich zu entfernen, wie dem Landmann, wenn er die Saat auf das Feld ausgestreut hat. Es ahnt mir, daß du den geistigen Boden in dir hast, – da wird sie aufgehen, und du wirst mich suchen, damit ich dich belehre. – Komm, Herakleon. Warum willst du dein Wissen hier vergeuden? Der seelische Mensch empfängt nichts, was vom Geiste Gottes ist; denn das ist ihm Torheit, und er kann es nicht erfassen, weil es geistig zu beurteilen ist.«

»Verfluchter, der du Pauli Wort verdrehst!« – »Aber ich beschwöre dich beim Urvater,« rief Antigonos, »sage mir deinen Namen, wunderlicher Mensch!«

Der Fremde wandte sich am Ausgang um und betrachtete ihn mit einem spöttischen Blick:

»Auch du bist noch seelisch und kannst geistig noch nicht auffassen. Denn wenn du das könntest, würdest du mich weder nach meinem Namen, noch nach meiner fleischlichen Abstammung fragen.«

»Daß deine Stelle im Buche des Lebens namenlos werde,« rief der Christ und spuckte nach ihm.

Antigonos war allzusehr erfüllt von der Unterredung, um den Unterricht fortzusetzen und brach deshalb mit seinen Schülern auf.

»Er konnte nicht einmal rein attisch sprechen«, äußerte einer von ihnen höhnisch.


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