Karl Gjellerup
Antigonos
Karl Gjellerup

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Stratonike

»Haben alle Hellenen solch schönes langes Haar, wie du?« fragte Stratonike, als sie ein paar Stunden später im Tempelwäldchen wandelten, und ließ ihre kleinen Finger bewundernd durch eine seiner schwarzen Locken gleiten. »Die Athleten sind kurz geschoren, wie deine Landsleute es jetzt sind,« antwortete Antigonos, »aber die, welche sich mit Weisheit beschäftigen, tragen lange Locken.«

»Erzähle mir etwas über Hellas!« bat sie ihn. Da erzählte er ihr von den olympischen Spielen und von Athen, der Stadt der Künste und des Wissens, wo Pallas Athene auf der Akropolis steht und wie ein Seezeichen die Schiffe in das geschäftige Piräos hereinleitet, – weithin über die Salamisbucht schauend, in der sie die unübersehbare Flotte des Barbarenkönigs schlug, – und vom Berge Hymettos, von dem sie den feinen Honig für ihre Feste bekamen.

»Und der attische Salzfelsen, liegt der auch am Meere?«

Antigonos brach in ein lautes Gelächter aus. Sie beugte sich verschämt, indes sie den hellen Klang seiner Stimme bewunderte. Ihre Unwissenheit rührte ihn, und er drückte das kleine Barbarenmädchen fester an sich, während er ihr von Thessalien und Tempe erzählte und von seiner Heimat, ganz dicht am berühmten Berge der Götter. Seine Stimme klang dabei so weich und wehmütig, daß sich ihre Augen mit Tränen füllten.

»Was ist das?« fragte er plötzlich, als ihnen eine wunderliche Gestalt in der Finsternis schwerfällig entgegenkam. »Ist es ein Asket, der auf allen Vieren geht?«

»Das ist ein Bär.«

»Bin Bär!« rief er aus, und sprang zurück, sie mit sich reißend.

»Der tut nichts, der ist heilig. Hier sind alle Tiere heilig, und es gibt viele hier. Sahst du nicht den Tiger, der vorhin über den Weg lief?«

»Ich glaubte, es sei ein großer Hund,« antwortete er mit einem leisen Schauder.

Jetzt war die Reihe zu lachen an ihr. Sie kamen an einen See, der war von einem Marmorrand eingefaßt und mit Fackeln umstellt. Ihr Licht und das der Sterne flimmerte über die gekräuselte, dunkle Fläche, die hier und dort von weißen Streifen durchschnitten war, als ob Körper darauf schwämmen, die ein leises Plätschern verursachten. In der Mitte erhob sich ein dunkler Gegenstand, wie ein kleiner Berg. Auf den Marmortreppen, die zum Wasser hinunterführten, waren viele Menschen.

»Hier sind die heiligen Fische,« erklärte Stratonike ihm, »und draußen ist der schwimmende Altar, zu dem diese Menschen hinausschwimmen, um ihn zu bekränzen.«

Er ging die Treppe hinunter und starrte in das dunkle Wasser. Einige byblische Männer und Frauen, die große Kränze im Munde trugen, warfen sich in die Fluten. Hinter sich hörte er die Pauken und das Geheul der Galler. Plötzlich schien es ihm, daß er Stratonike schreien höre. Er sah sich um: sie war nicht zu sehen. Mit einigen Sprüngen war er oben an der Treppe. Ein großer Menschenschwarm umringte die Galler, deren Pauken lärmten, während ihre Fackeln Feuerbogen in der Luft beschrieben. Von dort klang wiederholt Stratonikes angstvolle Stimme, seinen Namen rufend.

Er drängte sich durch den Schwarm und sah sie in den Armen eines Gallers in einem goldgewirkten Frauenkleid; sie bog den Oberkörper zurück und hielt sein feistes Gesicht von sich ab, indem sie mit ihrer Hand sein Ohr festhielt, gleichsam als den einzigen Henkel, den sie erfassen konnte.

»Laß sie los, elender Eunuch!« Ein Faustschlag warf den Exgaller mehrere Schritte zurück, während Antigonos das Mädchen an sich zog.

Ein fürchterlicher Lärm entstand. Die Galler heulten wie Tiere, die man ihrer Beute beraubt hat, und die Menge, besonders die Frauen, stimmte mit ein.

»Was, er schlägt den Priester der großen Rhea! Er lästert die heilige Liebe!«

»Was du nicht selbst bist, kannst du werden,« rief der vor Zorn schäumende Exgaller. Mit einem Schwung hatte er das Messer erhoben und einen langen Schlitz an seiner Brust heruntergeschnitten, um sich noch stärker zu erregen.

»Nein, er muß sterben,« riefen die anderen und erhoben die Fackeln, während die Menge Platz machte.

Antigonos sah sich nicht um, denn seine Augen waren plötzlich wie festgebannt von zwei rollenden Feuerkugeln, die aus dem Laube eines Therebintenbusches an seiner Seite hervorflammten. Indem er sie anstarrte und seine Hände emporhob, rief er: »Isis und Osiris! Schützt euren Priester gegen diesen verstümmelten Barbaren.«

Der Exgaller machte einen Schritt vorwärts.

Gebrüll, – Sausen, – ein schwerer Sturz, – ein blitzendes Messer, das in einer dunklen, gelbgestreiften Masse verschwand, die sich beim Fackelschein an der Erde herumwälzte – ein Krachen, wie das einer ungeheuren Eierschale, – und das Gehirn des Archigallers floß unter der Pfote eines Königstigers hervor, dessen Wildheit beim Anblick des blanken Messers und der blutigen Brust geweckt worden war. Mit einem Sprung war er mit seiner Beute wieder im Dickicht verschwunden.

Die Galler waren geflohen. Die entsetzte Menge hatte sich verteilt. Antigonos stand unbeweglich da, glücklich über die Gunst der Götter und seine eigene geheimnisvolle Macht. Stratonike war niedergesunken und umfaßte seine Kniee. Er erschien ihr wie ein Gott, oder allenfalls wie ein Sohn Zeus', gleich dem Apollonius. Er beugte sich herab und nahm sie in seine Arme:

»Komm! folge mir!«

»Darf ich dir folgen? und wohin?«

»Nach Hellas, nach Thessalien.«

Sie küßte seine Hand, die von ihren Tränen genetzt wurde, – ganz sprachlos vor Freude. Dann ergriff er sie am Arme und führte sie hinweg. Überall, wo sie gingen, strömten Menschen herbei – die sich in ehrerbietiger Entfernung hielten.

»Das ist Apollonius von Tyana, der vom Grabe erstanden ist,« sagten einige, als er durch den Vorhof des Tempels schritt.

»Apollonius kannte aber keine Weiberliebe,« bemerkte der Schiffer, der zurückgekommen war, um seinen Gastfreund aufzusuchen.


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