Karl Gjellerup
Antigonos
Karl Gjellerup

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Adonisfest in Byblos

Kurz nach Sonnenuntergang glitt ein zweimastiges Schiff vom Mittelmeer her in den Adonisfluß hinein, um bei der syrischen Stadt Byblos zu landen.

Am nördlichen Ufer des Flusses, an einer kegelförmigen Anhöhe, erhob sich die Stadt mit ihren weißen vielstöckigen Häusern, unterbrochen von den Fächerkronen der Palmen, den Zederalleen, den Sykomoren und Tamariskenbüscheln, zwischen denen die dunklen Linien der Straßen sich zeichneten, die breitesten wie regelmäßige Strahlen, die kleinen gleich schwarzen, geschlungenen Fäden die Anhöhe emporklimmend. Vor dieser streckten die Mauern sieh parallel hervor, bis sie bei einer Mole mit breiten Marmortreppen den Fluß erreichten. In dem großen Zwischenraum lagen Vorratshäuser, Magazine und Lagerplätze. Wie ausgebreitete Teppiche und Gürtel strahlten die Farben der Behälter und Rinnen der Purpurfärbereien. Die Schornsteine der Ziegeleien hoben sich Obelisken gleich vom dunklen Himmel ab. Eine Kupfermauer umschloß wie ein Diadem die Stirn des Hügels, und die Baumwipfel erhoben sich wie buschige Haarbündel darüber hinaus. Hoch oben, das Ganze beherrschend, stand der prächtige Tempel, eine Marmorterrasse von drei aufeinander ruhenden Zylindern, deren goldene Pforte und Dach, wie die Kupfermauer, in den letzten Strahlen der Sonne loderten.

Gerade vor und zu beiden Seiten stieg das Land mit üppigen Weinpflanzungen und waldbedeckten Höhenzügen aufwärts, bis die Felsen hervortraten und die Mauer Libanons mit ihren glühenden Schneezinnen sich in unregelmäßigen Pyramiden gegen das blaue Mittelmeer hinabsenkte. Sie ruderten vorwärts in einem Gewimmel von Booten und Schiffen. Ein feiner weißer Dampf begann über dem roten Wasser zu schweben. Vom lebhaften Treiben der Stadt vernahm man nichts, wohl aber wunderlich klagende Rufe und Klänge, die bisweilen von unheimlichem, langgezogenem Geheul übertäubt wurden, das vom Tempel zu stammen schien.

»Was ist das wohl?« fragte Antigonos den byblischen Schiffsführer, der neben ihm im Hintersteven stand und eben anfing zu jammern und sich mit geballten Fäusten die Brust zu schlagen. Auch die Matrosen brachen ihre Ruderlieder ab und begleiteten die Ruderschläge mit weithallenden Klagerufen.

»Dies, o Fremder,« lautete die Antwort, »ist unsere Klage über Adonis. Denn auf jenem Hügel, links vom äußersten Turm, wurde er vom Wildschwein getötet, und wir feiern sein Fest zu dieser Zeit.« »Zu Hilfe, werft einen Gurt hinaus – er ertrinkt,« rief Antigonos, indem er den Schiffer am Arm ergriff und auf einen Gegenstand an der Oberfläche des Wassers zeigte, der einem Kopf mit langen, nachschleppenden Haaren glich.

»Adonis, Adonis!« rief der Byblier mit freudigem Jubel; die Mannschaft stimmte ihm bei, die Rufe verpflanzten sich über die anderen Schiffe – ganz Byblos jubelte.

Ehe Antigonos Gehör für seine Fragen fand, hatten die Ruderer das Schiff gedreht und den Gegenstand aufgefischt, den der Schiffer ihm jetzt reichte. Es war ein menschlich geformter Kopf aus Papyrusbast, dessen lange Fasern Haaren ähnelten. »Solch ein Kopf kommt jedes Jahr hier an, es ist das Zeichen, daß Adonis auferstanden ist und daß wir das Freudenfest beginnen sollen. Du, Fremder, den die Götter dazu auserlesen, das Symbol zuerst zu erblicken, hast das Recht, es in den Tempel der byblischen Aphrodite hinaufzutragen.«


Am Flußufer, wo sie jetzt anlegten, hatte sich eine große Menge Volks angesammelt. Von allen Seiten kamen sie noch, Fackeln und Vasen mit Fenchel und Lattich tragend, herbeigeeilt, um alles in den Fluß hinabzuwerfen; man hatte sich das Haar kurz geschnitten und die Kleider über der Brust zerrissen, und in die Hände klatschend, riefen die einen »Adonis«, die andern »Osiris« und wurden am eifrigsten, als jetzt der Schiffer mit Antigonos hervortrat und, den Kopf in die Höhe haltend, verkündete, daß dieser Grieche, der von Alexandria käme, das Heiligtum gefunden habe.

»Wenn du aus Alexandria kommst, Fremder, dann wisse, daß dies alles nur die Lüge Unwissender ist – es ist nicht das Adonisfest – sondern das große Osirisfest der Ägypter, das wir feiern.« »Schneidet dem Verfluchten die Zunge 'raus, der Byblos seiner Götter berauben will,« rief ein anderer. »Wurde Adonis nicht auf unserer Stadtflur erschlagen?«

»Gewiß ist es Osiris,– jedes Kind weiß es ja, daß der Kopf aus Ägypten kommt und nur sieben Tage unterwegs ist; warum käme er denn aus Ägypten, wenn es das Fest für Adonis wäre?«

»Weil man dort die besten Pappköpfe macht,« rief ein mutwilliger Junge.

»Adonis wird jedes Frühjahr auf dem Libanon ermordet,« rief ein Dritter, »und sein Blut ist es, das den Fluß rot färbt, – das kann doch jeder sehen.« »Was die rote Färbung des Wasser anbetrifft – du griechischer Mann,« rief ein Vierter, indem er Antigonos am Mantel ergriff, »so wisse, daß die Frühjahrsstürme das Wasser mit Libanons rotem Staub trüben, was ich in meiner Schrift bewiesen habe.«

»Und ist denn nicht auch dieses Naturereignis ein Wahrzeichen der Vorsehung, du Kurzsichtiger!« rief Antigonos. »Ist nicht der Erde Staub und Wasser das eigentliche Fleisch und Blut des großen Gottes, den die Syrer Adonis und die Ägypter Osiris nennen; er, dessen Mysterien ich durchlebt habe und dessen priesterlicher Stempel auf meiner Stirn geprägt ist? – Oder bist du vielleicht einer jener Christen, die das Dasein der Götter leugnen?« »Ein Christ! Ein Atheist! Wo ist er? ... Reißt den Gottesfrevler entzwei! – Laßt ihn kosten, ob Staub oder Blut im Wasser ist! ... Adonis, Osiris, Osiris, Adonis!«

Unter betäubendem Lärmen wurde Antigonos auf den Schultern der halb wahnsinnigen Menge durch die Stadt getragen, die von Fackeln erglänzte und von Jubelrufen dröhnte, hinauf zum Tempel, durch die doppelte Ringmauer bis hinein auf den Tempelplatz. Ein blendender Schein, als ob die Stadt brenne, ein erstickender Gestank und entsetzlicher Lärm schlugen ihm entgegen. Eine ganze Hekatombe von Ochsen und Schafen waren auf einen Stapel von Zypressen, von der Höhe eines Hauses, getrieben worden, wo sie lebendig verbrannten. Der dicke Rauch, der sich mit dem rötlichen Fackelschein mischte und als weißer Dampf nach oben wirbelte, verbarg die Vorderseite des Tempels, – nur das Dach und die flammenvergoldeten Eingangstore strahlten dann und wann durch den faserigen Schleier. Über das wogende Rauchmeer ragten nur die Spitzen zweier mächtiger Phallossäulen, auf denen Antigonos zwei Männer sah, die laut riefen und gellende Kupferplatten aneinanderschlugen. Jetzt war man nahe am Tempel. Neues Drängen und ein Lärm, der selbst das Gebrüll der Ochsen übertäubte. Es waren Galler, fett und blaß anzusehen, die in bunten Frauenkleidern tanzten, wozu sie mit schneidenden Stimmen eine wilde syrische Hymne sangen, sie zerfleischten sich Brust und Arme mit langen blitzenden Messern, während sie auf ihren Flöten heulten und auf Pauken hämmerten. Plötzlich stürzte ein junger Mann laut schreiend unter sie, und kam dann ebenso plötzlich wieder herausgesprungen; man sah ihm das Blut an den Beinen herabrinnen und, ein blutiges Schwert schwingend, rief er mit einer Stimme voller Schmerz und wilder Begeisterung das Wort »Rhea«, das sich zwischen seinen schäumenden Lippen hervordrängte und von der Menge wiederholt wurde.

»Was hat denn der getan?« fragte Antigonos entsetzt.

»Sich zum Attes geheiligt,« war die Antwort.

Antigonos machte eine Gebärde, die seinen Widerwillen und seine Abscheu ausdrückte. Da sprangen die Flügeltüren des Tempels auf. Ein blendendes blaues Licht, ein bezaubernder Duft von allen Kräutern und Räuchergefäßen Indiens und Arabiens, ein brausender Klang von Flöten und Zithern schlug ihm entgegen. Dann bewegte der Zug sich weiter durch die Tore und zwei breite Säulengänge, in denen die Menge sich verteilte. Die Träger beugten sich herab – Antigonos stand plötzlich im innersten Heiligtum des Tempels unter dem dritten Zylinder. Unter seinen nackten Füßen fühlte er die goldenen Fliesen des Fußbodens, so blank wie Spiegel. Rund um ihn her stand ein Wald von Säulen – aber keine edlen griechischen Marmorbäume, so schlank wie Zedern, sondern gewunden und gekrümmt unter dem ungeheuren Gewicht der kostbaren Decke, vergoldet und überladen von Schnitzereien, wie alte Steineichen, die von Epheu überwachsen sind.

In der Mitte der Tempelzelle war die Decke offen, und man sah wie durch einen riesengroßen Turm in den Himmel hinauf, wo ein kleiner weißer Stern schimmerte. Hier gab es weder Lampen noch Wachskerzen, obgleich alles in einem blendenden Lichte strahlte, das vom Hintergrund des Tempels hervorströmte. Als er näher trat, sah er hier die große byblische Göttin, die aus vielen Göttergestalten zusammengesetzt zu sein schien: sie saß auf einem Wagen, der von Löwen gezogen wurde, wie Rhea und Dionysos. Der Here gleich zeigte sie ein Herrscherantlitz, in der rechten Hand hielt sie ein Szepter aus Lapislazuli mit einem Edelstein am oberen Ende, der wie eine Fackel leuchtete. In der Linken hatte sie eine Spindel wie die Parzen und um die Stirn einen Strahlenkranz wie Apollo; auch war sie mit einem Gürtel und einem Stern geschmückt, wie die himmlische Aphrodite. Ihre Haut war Silber, ihre Kleidung Gold, mit Perlen und Edelsteinen übersät. Topase, Sardonyxe, Hyazinten, Saphire, Smaragde und Rubine standen brennend und farbensprühend im Flammenlicht des großen Sterns, einem ungeheuren Diamanten in ihrer Stirn, von dem alles Licht im Tempel ausströmte, so daß er gleichsam von den Gedanken der Göttin erhellt zu werden schien. Da waren Strahlen, so klar wie Wasser und weiß wie Silber, blutrote, weinrote und feuerrote Strahlen, blaue, wie der Himmel im Zenith und wie die Pfauenbrust, grüne, wie Gras, wie die Meerestiefe, wie Patina –, harzgelbe, violette, rosa, lila und solche in unbeschreiblichen Farbentönen. Und diese Strahlen brachen hervor, verlängerten sich und flogen davon oder zogen sich zurück, schmolzen in Bündeln zusammen oder kreuzten sich, um ein feines und beinahe überirdisches Farbennetz lebender Maschen vor der Göttin zu spinnen. In dieses eingehüllt, stand Antigonos still. Aber die Göttin winkte mit dem Szepter, so daß der Diamant an dessen Spitze einen Bogen wie eine Sternschnuppe beschrieb, und gleichzeitig schwollen die Flöten- und Zitherklänge an, denen sich, wie ein brausender Strom, ein unsichtbarer Chor anschloß. Ein eisiges Frösteln überlief Antigonos. Priester schlugen das Gesicht gegen die Goldfliesen, während er langsam aufwärts ging und den Papyruskopf der Göttin zu Füßen legte. Als er sich erhob, kam aus einem Seitengang eine Schar weißgekleideter Priester, die einen Thron aus Sykomoreholz auf ihren Schultern trugen. Auf purpurnem Polster saß ein männliches Götzenbild aus demselben Metall wie die Göttin; das fing an zu taumeln, wie ein Trunkner. Die Träger standen still. Die Gestalt erhob sich und, ein für Antigonos unverständliches syrisches Orakel singend, verschwand sie langsam im Halbdunkel des Turmes. Ihre fern hinsterbenden Töne verklangen in dem unsichtbaren Chor, der jetzt verkündete, daß der auferstandene Adonis zum Himmel aufgefahren sei. Daraufhin umarmten die Priester einander unter lauten Jubeltönen, die sich bis unter die Volksmenge in den zwei äußersten Tempelrunden fortpflanzten. – – – Verwirrt, betäubt und mit allen Sinnen in einem fieberhaften Zustande war Antigonos in einen Seitengang hinausgetreten, als eine Hand seinen Arm berührte; es war der Schiffer. Er erbot sich, ihn umher zu führen und ihm alles zu erklären. Auf einen gegebenen Wink brachte der Tempeldiener einen goldenen Becher dessen duftender Inhalt wie Eis Antigonos' Glieder durchströmte.

»Ah,« rief er aus, »jetzt schmecke ich endlich den byblischen Wein, den schon Hesiodos und Theokritos besungen haben.«

»Ja, so bauen wir ihn in unsern Weinbergen, denn die Götter lieben uns,« erklärte der Byblier, indem er ihn unterm Arm faßte und im Weiterschreiten sein Gehör mit den wunderlichsten Sagen berauschte.

Sie waren auf der andern Seite zum Tempel hinausgetreten und gingen durch ein Wäldchen von riesengroßen, schwerfällig rauschenden Zedern. Es war jetzt Nacht geworden. Der Sternenhimmel funkelte wie die Edelsteine der byblischen Göttin. Vom Vorhofe her hörte man den gellenden Lärm von den Becken der Säulenheiligen. Aus der Stadt klang das Brausen der Menschenmenge, gleich dem eines fernen Meeres, aus den Bäumen das Geschrei der Pfauen und Affen und von den Seiten des Weges dann und wann leises Geflüster und unterdrücktes Gelächter.

Sie traten in einen rötlichen Lichtschimmer hinaus, der aus einer Laubhütte am Rande des Weges kam. Drinnen brannte eine silberne, wie eine Taube geformte Lampe, unter der auf einem Scharlachlager ein junges Mädchen ruhte. Wiederholt kreuzten diese Lichtschimmer einander über den Weg – und beständig derselbe Anblick. Ihre Brüste waren entblößt, ein durchsichtiger Silberschleier war um ihre Lenden und Beine gefaltet, die Arme mit Rosengirlanden zur Seite gebunden, Kränze von Veilchen und Lattich waren in das üppige Haar geschlungen. Einige hatten sich halb abgewendet und drückten das Gesicht in die Kissen, während eine feine Röte gleichwie hingehaucht war über den tätowierten Nacken. Andre hatten das Haar über die Brust geworfen und die Augen geschlossen. Mehrere lagen frei, durch die langen Augenwimpern lugend – lächelnd und leise atmend durch die halb geöffneten Purpurlippen. »Diese,« sagte sein Begleiter, »sind junge Mädchen, die aus frecher Eitelkeit ihr Haar nicht abschneiden wollten, um der Trauer über Adonis – oder Osiris willen –, wie du willst. Die leiden nun ihre Strafe, indem sie die Blüte ihrer Jugend der byblischen Aphrodite opfern müssen. Ob sie das Haar oder die Strafe am meisten lieben, weiß ich nicht.«

Antigonos stand still und betrachtete das eine der jungen Mädchen, das ihn mit einem scheuen Blick ansah. Dabei zog sie die festgebundenen bronzefarbenen Arme an sich, daß die Girlande zerriß. Wie ein goldglänzender Strom floß ihr Haar über ihre Büste hinab; sie erschien ihm, wie das Bild der Danae, die dort – noch vom olympischen Goldregen überströmt – vor ihm läge, und er vermochte es nicht, den Blick von ihr zu wenden. Seine sinnliche Natur, vom Festlärm, der Tempelpracht und der Mystik erregt, erhob sich mit fürchterlicher Macht in ihm. In diesem Augenblick war er nicht der Sohn des Priesters, sondern der der Hetäre. Und während das Geschrei der Affen seines Schamgefühls zu spotten schien – betäubten die gellenden Beckenklänge, die Paukenschläge und die Pfeifen die Stimme des Gewissens.

»Ei, das ist ja die schöne Stratonike!« rief sein Begleiter. »Wahrlich, Antigonos, mancher byblische Jüngling, und auch ich – der ich doch etwas bejahrt bin – möchte gern an deiner Statt sein. Denn ich will dir sagen, daß es nur Fremden erlaubt ist, Aphrodites Opferpriester zu sein. Ich rate dir also, die Göttin, die dir diese Gunst erweist, nicht zu erzürnen. Es kostet dich nur ein Opfer zweier Tauben.«

»Dies Opfer kann ich vielleicht bestreiten,« meinte Antigonos mit einem unsicheren Lächeln. »Und ich will indessen nach meiner Mannschaft und meinem alexandrinischen Korn sehen, Ich hoffe, daß du bei mir einkehrst, mein Haus liegt am westlichen Tore.«


 << zurück weiter >>