Ludwig Ganghofer
Der laufende Berg
Ludwig Ganghofer

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13

Mit den letzten Tagen des März war der Schnee im Tal so weit geschwunden, daß man die Arbeit auf den Feldern beginnen konnte. Die Lenden mit der weißen Samenschürze umgürtet, schritt Mathes einen Tag um den anderen vom Morgen bis zum Abend durch die frischgebrochenen Ackerfurchen und streute den Samen in Purtschellers Erde.

Das Säen ist eine Kunst. Manch ein Bauer wird alt, ohne sie zu lernen. Es gehört eine ruhige und achtsame Hand dazu, um für jeden Wurf das richtige Quantum Körner aus der Schürze zu fassen, nicht zu groß und nicht zu klein. Und gleichmäßig muß der gestreute Same über die lockere Krume fallen, nicht zu spärlich, da sonst die Ernte mager wird, und nicht zu dicht, da sonst die Halme sich drücken und taube Ähren treiben.

Mathes verstand sich auf diese Kunst. Häufig hielten die Bauern auf den Nachbarfeldern in der Arbeit inne, um dem jungen Sämann nachzuschauen, wie ruhig er einen Schritt vor den anderen setzte und wie schön zerteilt von seiner streuenden Hand der Same rieselte.

Als er wieder einmal das Ende des langen Feldes erreichte, nickte ihm ein alter Bauer freundlich zu: »Heuer wird er lachen können, der Herr Purtscheller, wann er im Sommer seine Felder anschaut!«

Mathes füllte aus dem großen Sack, der am Rain des Ackers stand, die leergewordene Schürze. Zog das Gewicht des Samens an seinen Schultern? Mathes ging gebeugt. Sein Körper richtete sich auch nicht auf, als die Schürze wieder leicht und leer wurde.

Doppelte Sorge bedrückte ihn.

Wohl lagen die Halden der Simmerau noch halb im Schnee, aber der gefrorene Boden begann schon aufzutauen, das rieselnde Schneewasser verschwand in allen Schrunden des zerklüfteten Berghanges, und deutlich konnte Mathes das Rauschen der aus dem Innern des Berges hervorströmenden Bäche hören, deren Wassermenge mit jeder Sonne wuchs. Vor drei Tagen, als Mathes zu den Seinen in die Simmerau hinaufgestiegen war, hatte der Vater gesagt: »Heut in der Nacht hab ich gspürt, wie 's ganze Häusl zittert hat. Jetzt fangt er wieder an, der Berg.«

»Tu dich net sorgen, Vater! In drei Tagen bin ich mit'm Haberbau fertig und komm, daß ich helfen kann.«

»Ja, Bub! Vergelts Gott! Soviel Angst hab ich vor'm Frühjahr! 's Wasser sollt halt in d' Höh steigen aus die untrischen Gäng! Eh kriegen wir kein' Fried. Gelt, tu dich bei der Saat a bißl tummeln.«

»Richtige Saat braucht Zeit!«

»Ja, ja! Is wahr! Aber meinst net, daß d' länger brauchst als drei Tag?«

»Na, Vater!«

»Gott sei Lob und Dank!«

Nun waren die drei Tage vergangen, und Mathes streute den Samen über das letzte Feld. Als die Elfuhrglocke läutete, gingen die Bauern, die auf den anderen Äckern bei der Arbeit waren, zur Mahlzeit heim. Mathes blieb. Wenn er diese Stunde verlor, konnte er bis zum Abend mit der Saat nicht fertig werden. Sinnend sah er, während er durch die Furche schritt, dem lautlosen Fall der Körner zu. ›Für wen würde aus dieser Saat die Ähre wachsen? Für wen die Ernte reifen?‹

Daß er auf diese Frage keine Antwort fand, das war die andere Sorge, die ihn drückte.

Er hatte sich krumm gearbeitet in diesem Winter. Was half es? Wohl nahm die Wirtschaft ihren geregelten Gang, und die Einkünfte wuchsen mit jedem Monat. Aber was Mathes mühsam aufbaute, warf Purtschellers Leichtsinn wieder über den Haufen. Man wußte schon im ganzen Dorf von dem Geschäft, das Purtscheller im November abgeschlossen hatte: Die alte Hypothek war getilgt worden, zehntausend hatte er bar auf die Hand bekommen, und jetzt lag eine Hypothek von achtzigtausend auf dem Purtschellerhof. Und jene zehntausend, von denen Zäzil die ersten zwanzig Mark davongetragen hatte? Fast die Hälfte war für den Ankauf des neuen Trabers aufgegangen, der Rest war lustig durch Purtschellers Finger gerollt. Seit dem Fasching war er schon wieder in der Klemme, ließ sich Vorschüsse von den Händlern geben und suchte Geld aufzutreiben. Daß es bei diesen Bohrversuchen nicht immer sprudelte, das steigerte seine jähzornige Reizbarkeit in solchem Grad, daß Karlin und die Leute im Haus kaum mehr ein Auskommen mit ihm fanden. Wer die junge Frau betrachtete, dem mußte der Anblick ihres abgehärmten Gesichtes ins Herz schneiden. Ihre schlimmste Zeit war jene Woche gewesen, in welcher Purtscheller mit verbundenem Kopf das Zimmer hatte hüten müssen. Bei einer Trainingsfahrt hatte ›Lüftikus‹ den Gig mitsamt dem Trainer über die Straßenböschung in den Bach hinuntergeworfen. Purtscheller war, wenn es um seinen heiligen Leib ging, sehr wehleidiger Natur. Das ganze Haus atmete auf, als er den ersten Ausgang machte. Nun hatte auch Karlin wieder ruhigere Tage; vom Morgen bis zum Abend war Purtscheller unsichtbar; freilich, wenn er in später Nacht bekneipt nach Hause kam, weckte seine jähzornige Stimme alle Schläfer im Haus. Nur bei einem war das Wecken überflüssig. Der schlief nicht. Und als die junge Frau nach solch einer Nacht am Morgen in den Hof kam, sah Mathes ein bläuliches Mal an ihrer Schläfe.

Er wurde bleich. »Karlin?« Zum erstenmal hatte er die gewohnte Anrede vergessen. Dann fragte er: »Is Ihnen was passiert, Frau Purtschellerin?«

Heiße Röte huschte über ihre vergrämten Züge. »A bißl angstoßen hab ich mich, am Kasten, in der Finsternis.« Noch während sie sprach, hatte sie sich abgewandt und war ins Haus getreten.

Nach ein paar Tagen war das häßliche Zeichen vergangen. Aber wenn Mathes bei der Arbeit an Karlin dachte, konnte er sich ihr Gesicht nicht mehr anders vorstellen als immer mit diesem Mal. So sah er sie auch jetzt, während er durch die Furche schritt und sich bei jedem Samenwurf fragte: Was soll aus ihr werden? Aus ihr und ihrem Kind? Wenn kommt, was kommen muß: Purtschellers Ruin und die Gant seines Hofes?

Von Süden wehte ein linder Hauch über die kahlen Samenfelder, warm und befruchtend. Mathes fühlte ihn und blickte auf, als hätte er Sorge, daß der Föhn käme. Doch der Himmel war sonnig und blau. Am Saum des nahen Wäldchens schlug eine Drossel, und in das eintönige Rauschen der Bäche, die aus den Höhlen des laufenden Berges rannen, klang vom Dorf herüber das Hammertrio der Daxenschmiede.

Die Sonne begann zu sinken. Ein Abend, lau und windstill, leuchtend in allen Farben. Gegen fünf Uhr wurde Mathes fertig mit der Saat. Am Rain des Ackers stehend nahm er den Hut ab und drückte ihn an die Brust: »Lieber Herrgott, leg dein' Segen drauf!« Dann hob er den Sack mit dem Rest des Samens auf die Schulter und trat den Heimweg an. Als er bei einer Hecke vorbeikam, spürte er den Duft der ersten Veilchen. Er pflückte die kleinen Blüten, die halb noch Knospen waren, und steckte sie hinter das Hutband.

Auf der Straße vor dem Purtschellerhof begegnete ihm Karlin, die den Tonerl an der Hand führte, damit das Kind den schönen Frühlingsabend und die linde Luft genießen möchte.

»Guten Abend, Frau Purtschellerin!« sagte Mathes, ohne den Schritt zu verhalten.

Da fiel ihr seine gebeugte Haltung auf. Als er schon vorüber war, fragte sie beklommen: »Mathes? Tragst denn so schwer?«

Er blieb stehen und schüttelte den Kopf. »Bloß an halben Metzen. Den hab ich sparen können bei der Saat.«

In Sorge betrachtete sie sein Gesicht. »Tust net a bißl gar z'viel schaffen? So viel müd schaust aus!«

»Ah na! Dös hab ich so im Frühjahr. Die ganzen Jahr her hab ich's allweil so ghabt. Dös vergeht schon wieder.« Er hatte den Sack zu Boden gestellt und die Veilchen vom Hut genommen. Sich niederbeugend, gab er dem Kind die Blumen, roch an ihnen und stellte sich, als müßte er von der Stärke ihres Duftes niesen. »Hazzi!«

Das gefiel dem Bürschl; eifrig grub es sein Näschen in die Blumen und machte: »Hazzi!«

Lächelnd nahm Mathes den Sack wieder auf. »Pfüe Gott, Frau Purtschellerin!« Er ging davon.

Karlin strich die losen Härchen hinter das Ohr und sah ihm nach.

Als Mathes in den Hof trat, stand Purtscheller, für die Jagd gekleidet und die Schrotflinte auf dem Rücken, vor einer Stalltür und schwatzte mit Zäzil. Die Magd schien ihren Herrn auf die Heimkehr des Knechtes aufmerksam zu machen; er blickte über die Schulter; dann sagte er dem Mädel ein leises Wort und ging auf das Tor zu.

Mathes vertrat ihm den Weg. »Grüß Gott!«

»Bist fertig mit der Saat? Lang gnug hast braucht.«

»Gute Saat will Weil haben.«

»Solche Sprüche haben die Langsamen flink bei der Hand. Pfüe Gott!«

»Ich hätt was z'reden, Herr Purtscheller.«

»An anders Mal!«

»Es muß heut sein.«

»Oho! Soll ich mir leicht Fürschriften von dir machen lassen? Heut is der erste schöne Abend. Da muß ich schauen, ob net der Schnepf schon am Strich is. Wann ich Glück hab, schieß ich heut den ersten.« Er stelzte zum Tor hinaus und brummte: »Hoffentlich begegnet mir kein alts Weib net.« Als er auf der Straße seine Frau gewahrte, machte er ärgerlich einen Umweg.

Er hatte nicht weit zu gehen. Gleich bei den aus dem laufenden Berg hervorströmenden Bächen, in den mit Buschwerk durchsetzten Moorwiesen, war seit Jahren der beste Schnepfenstrich. Als Purtscheller seinen Stand gewählt hatte und die Flinte schußbereit machen wollte, merkte er, daß er die Patronen vergessen hatte. Mit einem Fluch begann er zu schimpfen: »Natürlich! Weil mir dös Weibsbild allweil die Patronen aus'm Gwehr und aus der Joppen nimmt! Als ob was passieren kunnt, wann 's Gwehr am Rechen hängt!« Aber da half nun kein Schelten, er mußte nach Hause marschieren.

Es begann schon zu dämmern, als er seinen Hof erreichte. Droben in der Stube schob er zwei Patronen in die Flinte und steckte ein paar andere in die Tasche, während Karlin im Schlafzimmer dem Tonerl ein Schlummerlied sang:

»Vogerl am kühlen Bach
Zwitschert so süß!
Zwitschert Bach auf und ab,
Bis ich mein Schatzerl hab!
Vogerl am kühlen Bach
Zwitschert so süß!«

Als Purtscheller die Treppe hinunterstolperte, hörte er aus einer Gesindekammer Zäzils kreischende Stimme: »Und wann ich's gsagt hab? Geht's dich was an? Bist du für d' Frau im Haus als Hüter aufgstellt?«

»Pack ein!« fiel ihr Mathes ins Wort.

»Is schon gut! Einpacken tu ich. Aber auf der Straß laß ich den Kufer stehn und wart, bis der Herr heimkommt. Nacher paß auf, du! Ob dös gar so leicht is, die Zäzil aus'm Haus jagen!«

Purtscheller stellte die Flinte an die Mauer und trat in die Kammer. »Was is denn da? Muß denn allweil der Spektakel im Haus sein.«

Zäzil schwieg verlegen, während Mathes sagte: »Dös Madl hab ich aus'm Dienst schaffen müssen. Und hab ihr boten, sie soll ihren Kufer packen auf der Stell.«

»Oho!« fuhr Purtscheller auf. »Du nimmst dir a bißl viel raus.«

»Ich kunnt Ihnen an den Tag erinnern, wo S' gsagt haben, daß mein Wort im Haus gelten soll wie 's Ihrig!« erwiderte Mathes mit mühsam bewahrter Ruhe. »Aber dös braucht's wohl net. Dös Madl muß fort aus'm Haus. Vor alle Dienstboten hat s' unghörig gredt von der Frau.«

Purtscheller wurde rot. »Was hat s' denn gsagt?«

»So was redt man net nach. Es muß Ihnen gnug sein, wann ich sag: In Ihrem Haus is kein Platz mehr für an Dienstboten, der so von der Frau redt.«

Zäzil hatte sich auf den halb gepackten Koffer gesetzt, nahm die Schürze vors Gesicht und fing zu heulen an.

»No no no! Es wird net so arg gwesen sein!« meinte Purtscheller begütigend. »Geh weiter, Mathes! Laß mich mit dem narrischen Frauenzimmer reden! Ich will ihr den Dickschädel ordentlich waschen.«

Mathes ging wortlos aus der Kammer.

Purtscheller schloß das offenstehende Fenster und puffte die Magd mit der Faust an die Schulter: »Du Gans, du grupfte, was hast denn gsagt?«

»Was wahr is!« Zäzils Tränen waren plötzlich versiegt. »Daß für an Herrn, wie Sie einer sind, jede andere Frau besser passen möcht als so a verschmaachts Millihaferl.«

In Wirklichkeit hatte die freche Rede anders geklungen; aber Purtscheller verspürte nicht die geringste Lust, den Untersuchungsrichter zu spielen. »So was sagt man net!« brummte er. »An anders Mal halt dein' Schnabel vor die Leut!«

»Es is mir halt in der Wut aussigfahren. D' Frau soll mich in Ruh lassen, so tu ich ihr auch nix. Aber dös laß ich mir nimmer gfallen, allweil so über ein' wegschauen, als ob man Luft wär!«

»Jetzt pack den Kufer wieder aus!« fiel ihr Purtscheller ins Wort. »Mit'm Mathes red ich schon. Fang mit dem keine Reibereien an! Der schafft wie a Roß. Den brauch ich. Und jetzt gib an Fried! Den Schnepfenstrich hab ich eh versäumt mit deiner Dalkerei!« In gereizter Laune ging er aus der Kammer, nahm die geladene Flinte, die an der Mauer stand, trug sie in die Stube hinauf und hängte sie an den Gewehrrechen. Wütend schleuderte er den Hut in den Ofenwinkel und ging zum Tisch, um die Hängelampe anzuzünden. Als er sich nach einer Wanderung durch die Stube auf das Sofa werfen wollte, trat Mathes ein.

»Herr Purtscheller? Grad kommt dös Madl in Hof aussi, lacht vor alle Leut und sagt, sie bleibt. Is dös wahr, Herr Purtscheller?«

»No ja! 's Madl hat mich derbarmt. Man kann doch a Weibsbild net so bei Nacht und Nebel auf d' Straß aussijagen. Ich mach dir kein' Fürwurf. Du hast es gut gmeint. Aber jetzt sei halt gscheit! Du tust mir an Gfallen damit. Also! Willst noch was?«

»Ja!« sagte Mathes mit veränderter Stimme. »Der Vater braucht mich, weil der Berg wieder anfangt. Ich muß heut noch heim.«

»Was? Jetzt im Frühjahr?« fuhr Purtscheller auf. »Wie soll ich denn auf an grünen Zweig kommen, wann mir d' Leut davonlaufen, sobald d' Arbeit richtig anfangt? Für was zahl ich mir denn an Knecht?« Er schien zu vergessen, daß er seinem Meier an Lichtmeß den Lohn schuldig geblieben war. »Nix da! Du bleibst!«

»Tut mir leid, Herr Purtscheller, ich muß heim!« erwiderte Mathes ruhig. »Den Fürhalt hab ich gmacht, wie ich eingstanden bin.«

Ärgerlich überlegte Purtscheller. »Steht's denn gar so schlecht da droben?«

»Wann noch was z'helfen is, muß gholfen werden, eh 's Wasser wachst.«

»Also, meinetwegen! Wann meinst denn, daß d' wieder kommen kannst?«

»In der ersten Stund, wo mich der Vater graten kann.« Mathes zerknüllte mit zitternden Händen den Hut. »Aber eins muß ich bitten!«

Purtscheller schien die Geduld zu verlieren. »Was denn schon wieder?«

»Daß der Zäzil aufkündt wird, bis ich wiederkomm.«

»Ja Himmel Kreuz Teufel!«

»Dös muß ich verlangen. Soll ich d' Leut fest in der Hand halten, so müssen s' Respekt vor mir haben. Mein Wort muß gelten.«

»So? Und ich? Ich soll vielleicht der ›gar Niemand‹ sein im Haus?« Purtscheller schlug mit der Faust auf den Tisch.

Da erschien Karlin mit blassem Gesicht auf der Schwelle der Schlafkammer und zog hinter sich die Tür zu. »Toni! 's Kindl schlaft. Gib doch a bißl acht.«

»So? Achtgeben? Auf alle Leut im Haus soll ich achtgeben! Aber auf mich gibt gar keiner acht. Und aller Verdruß fallt allweil auf mich.« In wachsendem Jähzorn wandte sich Purtscheller an Mathes. »Mach dich net gar so wichtig! Du!«

»Tun S' Ihnen beruhigen, Herr Purtscheller!« stammelte Mathes. »Wir können die Sach an anders Mal ausreden.«

»Hättst die ganze Dummheit net aufgrührt. An anders Mal misch dich net in Sachen, die dich an Pfifferling angehn!«

»Aber Toni!« fiel Karlin ein. »So tu doch net so mit'm Mathes reden! Dös hat er doch net verdient um uns.«

»Natürlich! Den soll ich noch extra in Baumwoll wickeln, weil er mir den ganzen Ärger da hergmacht hat? Und wer is im Grund wieder schuld dran? Du! Schau mich net so an, sag ich dir! Dös kalte Gschau vertrag ich net.«

»Herr Purtscheller!« bettelte Mathes, dem die Stimme kaum gehorchte. »Tun S' mir doch den einzigen Gfallen und ziehn S' net d' Frau noch in den Handel eini! Es kann ja sein, daß ich unrecht hab. Lassen wir's gut sein! Pfüet Ihnen Gott, Herr Purtscheller!« Er wollte zur Tür.

»Nix da!« schrie Purtscheller in Zorn. »Meinst vielleicht, ich trau mich vor meiner Frau net Farb bekennen? So steh ich gottlob noch lang net da!« Mit zuckenden Fäusten riß er an seiner Weste und trat auf Karlin zu. »Net gnug, daß ich den Unfried hab im Haus! Jetzt mußt mir noch die ganzen Dienstboten durchanandbringen! Weil d' net weißt, wie man d' Leut behandeln muß.«

»Herr Purtscheller, um Gottes willen!« wehrte Mathes. »Kommen S'! Reden wir drunt mitanand!«

Purtscheller hörte nicht und schrie seiner Frau ins Gesicht: »Dö armen Leut arbeiten den ganzen Tag und haben a Recht drauf, daß ihnen d' Frau a freundliche Red gibt.«

»Aber Toni«, erwiderte Karlin ruhig, »a guts Wörtl hab ich jedem von unsere Leut noch allweil von Herzen geben.«

»So? Und wie machst es denn mit der Zäzil? Gelt, jetzt schlagt dir 's Blut übers Gsicht! Warum is denn dös Madl allweil Luft für dich? Meinst vielleicht, du bist was Bessers?«

Mathes zuckte, als wäre ihm ein Rutenschlag ins Gesicht gefahren.

»So geht man net um mit die Leut! Verstehst mich?« schrie Purtscheller auf Karlin ein. »Und wann dem Madl im Zorn amal a Dummheit aussirutscht, kann man's ihr net verargen. Schließlich hat 's Madl nix anders gsagt als die traurige Wahrheit, daß jede andere besser für mich taugen möcht wie du! Aber dös is mei' Malör. Was braucht denn der da mit seine groben Pratzen einigreifen und s' Madl gleich aussischmeißen aus'm Haus? So was könnt mir taugen! Dös Madl is eh noch die einzig, von der ich a lustigs Wörtl –« Purtscheller verstummte und sah seine Frau in maßloser Verblüffung an.

Karlin war auf Mathes zugegangen und hatte ihm die Hand gereicht. »Vergelts Gott, Mathes! Ich hab mir nimmer denkt, daß noch wer auf der Welt is, der sich um mich a bißl annimmt.«

»Frau Purtschellerin! Mar' und Josef! Ich bitt Ihnen –« stammelte Mathes und gab ihre Hand frei.

Sie nickte zu ihm auf und wollte die Stube verlassen. Purtscheller vertrat ihr den Weg. »Du! Söllene Gschichten verbitt ich mir! Wann d' nimmer weißt, an wen dich z'halten hast, so muß ich dir wieder amal an Deut geben, den acht Tag lang umanand trägst im Gsicht!« Der ernste Blick, mit dem Karlin zu ihm aufsah, reizte noch seinen Zorn. »Schau mich net so an! Oder es kann dir gleich passieren –« Er stürzte auf Karlin zu und hob die Faust.

Eine eiserne Hand klammerte sich um seinen Arm. »Bub, du! Den Knochen brich ich dir ausanand!«

Purtscheller stöhnte vor Schmerz.

Ein paar Sekunden war Schweigen in der Stube. Dann sagte Karlin: »Laß ihn, Mathes! Er weiß net, was er tut.«

Mathes gab den Arm frei, den seine Faust gefangenhielt.

»So? So?« lallte Purtscheller, halb aus seinem Jähzorn ernüchtert. »So was traust dich du gegen dein' Herrn? Paß auf! Mit dir will ich Rechnung halten, wann's an der Zeit is!« Er packte seinen Hut und rief der Frau über die Schulter: »Und du kannst warten auf mich! Lang!« Den schmerzenden Arm reibend, verließ er die Stube und warf die Türe zu.

Wortlos standen Mathes und Karlin voreinander. Keines regte sich. Mathes brauchte nicht zu sprechen; der Schmerz, der um seinen Mund gegraben lag, und der heiße Glanz seiner Augen sagten ihr auch ohne Worte, was er gelitten hatte und was er fühlte für sie. »Mathes? Um Christi willen?« hauchte sie tonlos und sah ihn erschrocken an.

Er nickte. »Ja, Linerl! Ich hab dich gern ghabt, seit ich denk.«

»Jesus!« Sie bedeckte das Gesicht mit den Händen.

So standen sie schweigend.

Dann sagte er: »Gelt, Linerl, dös siehst ein, daß ich nimmer bleiben kann?«

»Ja, Mathes!« Sie ließ die Arme sinken. »Jetzt mußt fort!«

»Für ganz.«

»Ja, Mathes! Für ganz!«

Zögernd bot er ihr die Hand.

Ihre Finger waren kalt und zitterten. »Grüß mir deine guten Leut daheim!«

»Ich dank schön, ja!« Er hob den Hut auf, der ihm entfallen war, und verließ die Stube.

Karlin, als die Tür sich geschlossen hatte, griff mit beiden Händen an ihre Brust. Sie fühlte den Irrtum ihres Lebens und erkannte das Glück, an dem sie blind vorübergegangen war. Diese Erkenntnis wurde in ihr zu jäher Sehnsucht. Mit Freude empfand sie das und dennoch mit einem Schreck, der sie halb von Sinnen brachte. Die Hände ineinanderklammernd, fiel sie auf die Knie und stammelte in Angst: »Herrgott! Herrgott! Tu mich wahren vor der Sünd!« Auf der Erde liegend, grub sie das Gesicht in die Arme.

Als sie müd und gebrochen sich aufrichtete, hörte sie aus der Kammer das Weinen ihres Kindes. Sie wankte in den dunklen Raum und umschlang das Kind wie ein Sinkender die Rettung. Zuerst erschrak der Kleine, ließ sich aber von der Mutter bald beruhigen. »Bitt schön, Mammi«, bat er mit schläfrigem Stimmchen. »Tu mir Liedi singen!«

»Ja, mein Herzl!« lispelte Karlin und sang mit erloschenem Ton:

»Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so lieb!
Zwitschert Wald aus und ein,
Wo mag mein Schatzerl sein?
Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so lieb!
Vogerl am kühlen Bach
Zwitschert so süß!
Zwitschert Bach auf und ab,
Bis ich mein –«

Sie konnte nicht zu Ende singen. Zitternd preßte sie das Gesicht in die Kissen.

Aus dem Raum unter der Schlafstube klang der gedämpfte Hall von Schritten herauf, die langsam hin und her gingen. Dort unten lag die Kammer, in welcher Mathes gewohnt hatte. Beim flackernden Schein einer Kerze ging er zwischen Kasten und Koffer hin und her und packte ein, was er vor fünf Monaten in den Purtschellerhof mitgebracht hatte. Als er fertig war, räumte er die Kammer auf und löschte das Licht. Weil er sich aus Purtschellers Wirtschaft einen Karren nicht borgen wollte, nahm er den Koffer auf die Schulter. Niemand sah ihn das Haus verlassen. Draußen auf der Straße blieb er stehen und blickte zu den dunklen Fenstern hinauf.

Die Nacht war lau. Nur wenn der Wind ein wenig schärfer über die Berggehänge herunterzog, spürte man den kühlen Hauch des Winters, der noch in den Felsenkaren verbissen hing. Die wachsenden Bäche rauschten, und zahllos funkelten am stahlblauen Himmel die Sterne.

Als der Weg steiler wurde, mußte Mathes alle paar hundert Schritte rasten. In der Nähe der Simmerau führte der Pfad über Stellen, auf denen der Schnee noch in großen Flecken lag; rings um seine Ränder war ein leises Rieseln. Von der Höhe des Gehänges leuchtete ein rötlicher Schein. »Sie schaffen beim Licht!« murmelte Mathes. Als er rascheren Ganges weiterstieg, kam er zu einer breiten Kluft, die den Pfad durchriß. Am vergangenen Sonntag hatte er diese Schrunde noch nicht gesehen. »Jetzt macht er flinke Arbeit, der Berg!« Während Mathes die Kluft umging, sah er in Sorge zum Himmel auf, dessen sternhelle Klarheit einen sonnigen Tag versprach. »Morgen wird's Wasser geben. Und harte Zeit für'n Vater!«

In der Nähe des elterlichen Hauses, dessen Dach sich schwarz von der roten, den Garten erfüllenden Fackelhelle abhob, klang ihm eine Stimme entgegen: »Bub? Bist du's?«

»Ja, Vater!«

»Gott sei Lob und Dank!«

Der Alte kam in Hemdärmeln über den Bühel heruntergehumpelt und fragte verwundert: »Warum bringst denn dein' Kufer mit?«

»Man kann net wissen, wie lang ich bleib.«

»Je länger, so lieber! Geh, laß dir helfen!«

Selbander trugen sie den Koffer in den Hof.

»Wo is denn d' Mutter und d' Schwester?«

»Hint draußen am Verhau flechten s' die Ruten ein.«

»Da kann sich d' Mutter schlafen legen. Ich fang gleich an. Wie steht's denn sonst?«

»Arg treibt er's, der Berg! Komm her, ich zeig dir gleich was!« Michel faßte den Sohn am Arm und zog ihn in den Flur. »Da stell dich her an d' Wand!« sagte er mit schwankender Stimme. »Und schau am Türpfosten vorbei, gegen den Stadel aussi!«

Mathes legte die Wange an die Mauer und visierte über den Türbalken gegen die schwarze Scheune.

»Merkst was?« fragte Michel beklommen.

»Um a Ruckerl schauen die Kanten ausanand.«

»Gelt? Schon gestern hab ich's gmerkt, daß d' Haustür hin geht und der Stadel her! Eins muß schief stehen, 's Häusl, meinst?«

»Gott bewahr! Der Stadel halt. So a grings Holzwerk verschiebt sich leicht. Da tu dich net sorgen, Vater! So a Stadel laßt sich leicht wieder aufpölzen. Komm, schaun wir aussi zur Mutter! Die Kinder schlafen schon?«

»Ja, Gott sei Dank!« Sie gingen in den Garten, in dem drei flackernde Kienfackeln an die Bäume gebunden waren. Vroni stand am Fuß der Böschung und flocht zwischen das neue Pfahlwerk die Ruten ein, welche die Mutter ihr reichte. »Katherl, da schau her!« rief Michel. »Unser Bub is da!«

Mutter Katherl humpelte den beiden entgegen. Als sie beim Fackelschein das Gesicht ihres Buben sah, erschrak sie. »Was hast denn so rennen müssen über'n Berg auffi?« Mit der Schürze trocknete sie ihm den Schweiß vom Gesicht. »So viel müd schaust aus!«

»Na, na, Mutter! Es is net so arg.« Mathes wandte sich zur Schwester. »Grüß dich Gott, Madl!«

Vroni reichte ihm wortlos die Hand. Sie sah es ihm an den Augen an, daß etwas geschehen war; vor den Eltern wagte sie nicht zu fragen.

Nun tat es Mathes nicht anders: Die Mutter mußte sich niederlegen. »Dös hol ich schon ein, was du versäumst!« sagte er und begann die Arbeit.

Er und die Schwester flochten am Verhau die Weiden ein, während sie dem Vater die leichtere Arbeit ließen, die Ruten zu holen und mit dem Messer abzuästen. Als Michel sich entfernte, um ein Bündel herbeizutragen, flüsterte Vroni: »Is was passiert?«

Er nickte. »Schlagen hat er s' wollen. Dös hab ich wehren müssen. Da hat sie's gmerkt.«

Vroni schwieg erschrocken. Und Mathes ging dem Vater entgegen, um ihm das schwere Rutenbündel von der Schulter zu nehmen.

 


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