Ludwig Ganghofer
Der laufende Berg
Ludwig Ganghofer

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12

Ein Morgen von schneidender Kälte. Die Raben waren aus den Wäldern bis in die Dorfgärten geflogen, und mit aufgeblähtem Gefieder saßen die Meisen und Sperlinge in den verschneiten Hecken. Laut krachte der Schnee bei jedem Tritt, als Mathes gegen neun Uhr morgens in den Vorgarten des Purtschellerhofes trat. Er trug die Soldatenhose, die blaue Mütze und seine Sonntagsjoppe. Sorgfältig klopfte er den Schnee von den Beinkleidern und kratzte ihn mit einem Reis von den Schuhen; in der warmen Stube wäre der Schnee geschmolzen; so was ist immer ein Kummer für eine junge Frau, die auf Sauberkeit in ihrem Hause hält.

Mathes sah jünger aus als sonst; der Niederstieg über den verschneiten Berghang hatte sein Gesicht gerötet. Als er die Haustür öffnete, zitterte seine Hand. In der Küche sah er die Magd beim Herd. »Is der Herr Purtscheller daheim?«

»Ja. Geh nur auffi!«

Während er die weißgescheuerte Treppe hinaufstieg, vernahm er aus der Wohnstube das Kichern einer Mädchenstimme. Die Tür wurde aufgerissen, und mit zerzaustem Haar kam Zäzil über die Schwelle gestolpert. Eine Münze fiel ihr aus der Hand und rollte über den Treppenflur bis zu Mathes' Füßen – ein Goldstück. Er wollte es aufheben. Zäzil raffte hurtig die Münze vom Boden. Das zerzauste Haar glättend, huschte sie über die Treppe hinunter. Mathes sah ihr nach; alle Farbe schwand aus seinem Gesicht. Dann ging er zögernd zur Tür und pochte.

»Herein!«

Purtscheller saß in Hemdärmeln hinter dem Tisch, mit der qualmenden Zigarre. In der Fensternische hatte er eine Flasche Tiroler stehen. Der Tisch war mit Banknoten und Goldstücken bedeckt, die zu kleinen Stößen geordnet waren. »Mathes? Du? Ah, schau!« Purtscheller lehnte sich behaglich zurück. »Hast dir mein' Antrag überlegt?«

»Ja, Herr Purtscheller. Wann S'mich brauchen können?«

»Was brauchen?« Purtscheller blies eine Rauchwolke vor sich hin. »Einer wie ich, der alle haben kann, steht auf an einzigen net an. Aber ich weiß, was ich krieg an dir. Die Sach is abgmacht. Ich hab an harten Winter vor mir und muß viel außer Haus sein. Da is mir's lieb, daß ich ein' daheim weiß, auf den Verlaß is.«

»Wollen S' d' Arbeit im Holzschlag droben selber überwachen?«

Purtscheller lachte. »Ah na! Den Schmarren hab ich verkauft bei Butz und Stingel. Aber a Winter wie der heurige treibt 's Hochwild auf d' Felder. Da muß fleißig abgschossen werden, wann uns der Wildschaden net übern Kopf wachsen soll. Die halbe Woch geht mit die Jagden drauf. Und gestern in der Stadt hab ich an neuen Traber kauft. Morgen kommt er. Den tauf ich auf den Namen Lüftikus. Gleich beim ersten Versuchsfahren wär er durchgangen, wann net der Herr Purtscheller am Bockschlitten sitzt. A narrischer Kerl! Aber ich gewöhn ihm seine Mucken ab. Bei mir lernt er was. Mein Herzbinkerl selig is gwiß an erstklassiger Traber gwesen, aber aus'm Lüftikus bring ich noch was Bessers aussi. Freilich, den Winter wird's kosten. Aber spitzen sollen s', die gwissen Herrn, beim Frühjahrsmeeting! Geh, setz dich a bißl! Sonst trägst mir am End den Fried aus'm Haus, wie 's Sprichwort sagt.«

»Auf mich paßt's net!« erwiderte Mathes ernst. »Was an mir liegt, will ich beitragen, daß der Fried daheim is in Ihrem Haus.« In einiger Entfernung vom Tische setzte er sich auf die Wandbank.

»No also, wann kannst einstehn?«

»Heut noch. Aber an Fürhalt muß ich machen. Im Frühjahr, wann der Berg 's Laufen wieder anfangt, da müssen S' mich freigeben.«

»Für ganz?« fragte Purtscheller enttäuscht.

»Solang mich der Vater braucht.«

»No ja, meintwegen. Lang dauert's net im Frühjahr, wann 's Wasser amal stark wird. Da wird bald alles drunt liegen im Bach.« Purtscheller steckte eine frische Zigarre in Brand. »Red dem alten Trotzkopf zu, daß er abizieht, eh der Winter ausgeht. Sonst passiert an Unglück.«

Mathes schwieg.

»Also, und so wären wir in Ordnung! Magst an Vorschuß haben? Geld liegt da wie Heu!«

»Z'erst will ich arbeiten. Mit'm Lohn hat's Zeit.« Mathes erhob sich. »Jetzt weisen S' mich halt in d' Arbeit ein!«

»Dös pressiert net. Z'erst muß ich dös Geld da überzählen.« Purtscheller begann, die Banknoten abzublättern und die Geldstücke zu sortieren. »Was meinst, wieviel da liegt am Tisch?«

»Aufs Geldschätzen versteh ich mich net.«

»Ganze zehntausend Mark! Ja, mein Lieber, so was kannst öfters bei mir sehen! Erst gestern hab ich in der Stadt drin dem Schloßbräu fufzgtausend blank auf'n Tisch hin gstrichen. Der hat Augen gmacht. Beim nächsten Rennen soll er noch ganz anders dreinschauen! Der!« Purtscheller zählte: »Dreihundert, vierhundert, fünfe, sechse, siebne, achte, neune, viertausend.«

Vom Treppenflur ließ sich ein leichter Schritt vernehmen. Fester schloß Mathes seine Hände um die Mütze. Karlin trat ein. Auf der Schwelle nahm sie ihrem Bübchen die Pelzmütze ab und löste das wollene Tuch, das dem Kind um den Hals geschlungen war. »So! Sag dem Vater schön Grüß Gott!« Als sie sich aufrichtete, sah sie das Geld auf dem Tisch. Ihre Lippen zitterten. Mathes erhob sich. Jetzt erst gewahrte ihn Karlin. »Mathes!« Die Freude leuchtete aus ihren Augen.

»Ja, der Mathes steht bei uns ein!« sagte Purtscheller. »Sechse, siebne, achte, neune, fünftausend.«

Wortlos ging Karlin auf Mathes zu und streckte ihm die Hand hin. Er nahm sie. »Grüß Gott, Frau Purtschellerin!«

Sie lächelte. »Purtschellerin? Was fallt dir denn ein! Sag Linerl! Ich bin's doch seit der Kinderzeit net anders gwöhnt von dir.«

»Dös sind andere Zeiten gwesen, Frau Purtschellerin.«

Sie sah ihn verwundert an. »Geh, was hast denn?«

»Recht hat er!« fiel Purtscheller ein. »Der Knecht muß Respekt haben vor der Frau im Haus. Siebne, achte, neune, sechstausend.«

Tonerl schien seine Verpflichtung, den Vater zu grüßen, beim Anblick der blauen Soldatenhose vergessen zu haben. Flink wackelte der kleine Kerl auf Mathes zu und griff nach dem roten Hosenstreif. Da bückte sich Mathes, hob den Knaben auf seinen Arm und sagte leis: »Ganz die Ihrigen Augen hat er, Frau Purtschellerin!«

»Aber geh«, schmollte Karlin, »jetzt tust gar noch Sie sagen zu mir! Gelt, Toni, dös muß net sein?«

»Achte, neune, siebentausend!« brummte Purtscheller. »Dös kann er halten, wie er mag. Lieber is mir's, er sagt Sie. Wegen die andern Dienstboten.«

Tonerl streckte die Hände nach der Soldatenmütze.

»So? 's Kapperl willst haben?« Mathes setzte dem Knaben die blaue Mütze auf, die ihm bis über die Ohren fiel. »Jetzt bist a kleins Soldätl! Da hätt der Herr General sei' Freud dran.«

Das Bürschl lachte der Mutter zu: »Tonele Soldati, Mammi!« Die Freude des Kindes verscheuchte die drückende Stimmung, von welcher Karlin befallen schien. Sie setzte sich neben Mathes auf die Bank. »Sonst is er allweil so viel scheu gegen fremde Leut. Und mit dir is er, als ob er dich lang schon kennen tät!«

»Neuntausendneunhundertachtzg!« Mit dieser Ziffer schloß Purtscheller seine Zählarbeit und schloß das Geld in einen Wandschrank. »So, Mathes, komm!« Er zog den Samtflaus an und setzte den Hut auf.

Mathes hob den Knaben auf den Schoß der Mutter. »Gelt«, sagte Karlin, »wann dich eingwöhnt hast bei uns, mußt mir amal erzählen, wie's dir in der Fremd allweil gangen hat die langen fünf Jahr her.«

»Wann ich Zeit hab amal!« Mathes vermied den Blick der jungen Frau. »Pfüe Gott!«

Sie sah ihn mit großen Augen an.

Purtscheller kam hinter dem Ofen hervor und knöpfte den Samtflaus zu. »Du, Linerl, richt mir mein Jagdzeug her, ich möcht a bißl auffischauen auf an Gamsbock.« Er wollte sie gnädig in die Wange kneifen. Sie bog den Kopf zurück. »No, no, no? Was hast denn schon wieder?« fuhr er geärgert auf. »Du mußt dich rein verkühlt haben, selbigsmal beim Fuier. Froschblut hast eh schon allweil ghabt. Jetzt hast dich ganz in an Eiszapfen verwandelt. So was vertrag ich net.«

Brennende Röte schlug über Karlins Wangen, und mit erschrockenem Blick suchte sie die Tür. Mathes hatte die Stube schon verlassen. Aufatmend erhob sie sich und trug ihren Buben in die Kammer. Verblüfft sah ihr Purtscheller nach. »Da hört sich doch alles auf!« Im Zorn verließ er die Stube und warf die Tür zu, daß es durch das ganze Haus dröhnte. »Da, Mathes, nimm dir a Beispiel dran! Und schlag dir 's Heiraten aus'm Kopf! Nix wie Ärger hat man mit die Weibsbilder. Die meinig is die reine Sulz. Wo man s' anrührt, zittert s'!«

»Herr Purtscheller!« sagte Mathes heiser, »'s Ehglück is ebbes Heiligs. Da sollt man in andrer Weis drüber reden.«

Purtscheller schien nicht recht zu wissen, wie er diese Worte nehmen sollte. »Geh, du Narr, du!« brummte er und stieg die Treppe hinunter. Im Freien fand er seine behagliche Laune wieder. Die Zigarre im Mund, die eine Hand in der Flaustasche, deutete er mit der andern auf die verschneite Brandruine. »Den Stadel bauen wir im Frühjahr wieder auf. Aber nimmer aus Holz. Feste Mauern will ich haben!« Dann ließ er die Knechte und Mägde zusammenrufen. »Schauts her! Dös is der Simmerauer-Mathes. Der steht als Meier bei mir in der Wirtschaft ein. Wann ich net daheim bin, gilt sein Wort wie 's meinig. Wer net pariert, kann abfahren. Jetzt muß amal an andrer Zug in d' Arbeit kommen!«

Die Leute guckten den Mathes prüfend an. Zäzil lachte. Weil Mathes den üblen Eindruck, den Purtschellers Worte gemacht hatten, verwischen wollte, redete er freundlich zu den Leuten und reichte jedem die Hand; nur Zäzil übersah er. Dann sagte er: »Wir kommen schon gut mitanander aus. Ich verlang nur, was recht is, und 's Gröbste mach ich selber. So helfen wir zamm, daß der Purtschellerhof dasteht, wie er's verdient! Gelt ja, Leut?«

»Ja!« sagte der Altknecht, und die anderen nickten. »Auf mich kannst dich verlassen.«

Purtscheller schmunzelte; die Art, wie Mathes die Leute für sich gewonnen hatte, gefiel ihm. »Ich merk schon, du packst die Sach beim richtigen Zipfel an.« Er zeigte ihm den noch leerstehenden ›Sportstall‹, in dem das Messingschildchen mit dem Namen ›Herzbinkerl‹ schon vertauscht war gegen ein neues, das in schöner Gravierung den Namen ›Lüftikus‹ trug. Dann war Purtscheller der schweren Arbeit müd. »Jetzt muß ich schauen, daß ich zu meine Gamsböck auffikomm!«

Mathes blieb allein unter der Stalltür stehen und sah dem Purtscheller-Toni bekümmert nach. Dann rief er den Altknecht und ließ sich durch alle Ställe und Scheunen führen. Mit wachsender Sorge erkannte er die erschreckende Verwahrlosung der Wirtschaft. Er sah es gleich: Hier kostete es entweder einen groben Brocken Geld oder ein Jahr gedoppelter Arbeit, um den verfahrenen Karren wieder ins Geleis zu bringen und an der stockenden Maschine dieser weitläufigen Wirtschaft alle Schrauben wieder einzusetzen. Auch das wußte er, daß er trotz der zehntausend Mark, die er droben auf dem Tisch hatte liegen sehen, einen schweren Stand haben würde, wenn er zu Purtscheller käme, um Geld für die Wirtschaft zu verlangen. Also blieb ihm zur Hilfe nur eines, seine Arbeit!

Der Altknecht, der sich vor Mathes der verlotterten Wirtschaft zu schämen begann, wollte alle Schuld auf den ›Herrn‹ schieben. Das wies Mathes ruhig zurück. »Wann der Herr viel abghalten is, müssen sich d' Ehhalten doppelt fest zu Deichsel stellen.«

Vom ersten Stock war die in Jähzorn schreiende Stimme Purtschellers zu hören. »Da! Jetzt schimpft er wieder mit der Frau!« brummte der Altknecht. »Die hat an unguts Leben. Und wär doch eine, wie man s' sobald net wieder findt. Wann die was z'reden hätt, möcht's anders ausschauen.«

Schweigend blickte Mathes zu den Fenstern hinauf. Dann sagte er: »Jetzt hol ich mein' Kufer. Essen tu ich daheim. Bis Futterzeit im Stall is, bin ich schon wieder da.« Durch das Hoftor trat er auf die Straße. Dabei sah er die Stelle an, wo Karlin am Morgen nach der Brandnacht zu ihm gesagt hatte: »Vergelts Gott, Mathes!«

Um zwei Uhr brachte er seinen Koffer, war schon im Arbeitsgewand und ging gleich in den Stall.

Als Karlin im Lauf des Nachmittags über den Hof ging, vernahm sie seine Stimme. Sie trat unter die Stalltür und hörte, wie er die Leute mahnte, beim Auslegen des Futters nicht soviel zu verstreuen. Die Kühe, meinte er, müßten am Barren näher aneinander gerückt werden, damit sie durch Wühlen und Schleudern nicht soviel Futter verderben könnten. Diese Umstellung begann er gleich ins Werk zu setzen. Karlin sah sein flinkes Schaffen eine Weile mit an, und als seine Augen einmal den ihren begegneten, nickte sie ihm lächelnd zu. Dann kehrte sie ins Haus zurück, atmete auf und strich die losen Härchen hinters Ohr. Droben in der Stube setzte sie sich ans Fenster, um Wäsche durchzusehen und auszubessern. Sie arbeitete bis zum Abend und bei der Lampe noch bis spät in die Nacht. So gut wie heute war ihr die Arbeit noch selten von der Hand gegangen.

Alle anderen im Hause lagen um zehn Uhr abends schon in den Federn. Nur Mathes saß noch wach in seiner dunklen Kammer, rauchte sein Pfeifl, überlegte die Arbeit des kommenden Tages und blickte auf den Schnee hinaus, über den aus einem Fenster des oberen Stockes die rötliche Helle der Lampe fiel.

Am folgenden Mittag kam Purtscheller von der Jagd zurück, in guter Laune. Er hatte eine Doublette auf Gemsböcke gemacht; auch stand ihm für heut noch eine weitere Freude bevor, sein neuer Traber sollte im Purtschellerhof Einzug halten. Persönlich überwachte Toni die Säuberung des Raumes, der an Stelle des verewigten ›Herzbinkerl‹ den edlen ›Lüftikus‹ beherbergen durfte. Als Purtscheller auch den großen Stall der Milchkühe betrat, bemerkte er die praktische Änderung. »Schau, dös hab ich selber schon allweil machen wollen! Dazukommen bin ich halt net.«

Bei Einbruch der Dämmerung wurde ›Lüftikus‹ von einem Stallknecht des Händlers aus der Stadt gebracht. Der Bursch hatte eine blutige Hand, und vor Ermüdung vermochte er sich kaum aufrecht zu halten, so übel hatte das Pferd ihm während der Wanderung mitgespielt. Dazu lachte Purtscheller. »Für an richtigen Gaul ghört halt 's richtige Mannsbild.« Stolz, mit strahlendem Gesicht, musterte er das Tier. Es war ein Rappe von edlem Blut und strammer Schönheit; aber ein scheues Feuer glomm in den schillernden Augen des Pferdes; wenn ihm jemand nahe kam, begann es zu tänzeln oder zitterte an allen Gliedern. Seinen Einstand in ›Herzbinkerls‹ Stall feierte ›Lüftikus‹ mit einem wilden Aushieb, der die Holzrampe zertrümmerte. Mathes mußte kommen, um das Tier zu bändigen. Als er ihm den Halfter angelegt und die Decke umgeschnallt hatte, sagte er: »Herr Purtscheller! Ich möcht Ihnen raten, daß S' den Gaul wieder weggeben. Und wann's mit Schaden wär.«

Purtscheller lachte. »Ah na! Daß ich so an Wildling zwing, dös prickelt mich grad!«

Die erste Bändigungsprobe, die Purtscheller am nächsten Morgen unternahm, fiel glücklich aus. Er hatte nun doppelte Freude an seinem ›Lüftikus‹ und widmete dem Training des Pferdes jeden Tag, den ihm nicht die Jagd oder ein Zimmerstutzen-Schießen wegnahm. Wenn er, selten, einen Blick in die Wirtschaft warf, mußte er mit Staunen das Neue und Gute gewahren, das Mathes mit rastlosem Fleiß geschaffen hatte. Von Woche zu Woche wuchsen die Beträge, die Purtscheller für Milch und Butter verrechnet erhielt. Mathes verlangte selten Geld, und so kam Purtscheller mit seinem neuen Meier leidlich aus. Bei Tonis reizbarem Naturell und bei seiner Gewohnheit, zur Unzeit den Herrn herauszukehren, ging es ganz ohne Reibereien nicht ab. Es wäre manchmal zu bösen Szenen gekommen, hätte Mathes nicht die Überwindung gefunden, Purtschellers aufbrausende Grobheit schweigend hinzunehmen. Höchstens sagte er: »Sie wissen net, was S' reden, Herr Purtscheller!«

In diesen Wochen fand Karlin nur selten Gelegenheit, mit Mathes ein paar Worte zu wechseln. Er war vor dem Morgen auf und hatte bis spät in die Nacht zu schaffen. Fast immer fehlte er beim Mittagstisch und ließ sich, wenn er grade Zeit hatte, in der Küche einen Bissen reichen. Da glaubte Karlin zu bemerken, daß er geflissentlich jede Begegnung mit ihr zu vermeiden suchte. Weshalb? Das verstand sie nicht. Eines Tages sprach sie ihn deshalb an. »Warum tust du so fremd? Ich hab doch nie a Wörtl gsagt, dös dich verdrießen hätt können?«

»Gwiß net!«

»No also! Und wie stellst dich denn zu mir?«

»Wie der Knecht zur Bäurin!« sagte er ruhig.

Sein Wort machte sie fast böse. »Der Toni und ich, wir wissen doch, was wir haben an dir. Du bist doch mehr wie der Knecht im Haus.«

Er schüttelte den Kopf. »Mehr will ich net sein. Und jetzt muß ich zur Arbeit.«

Karlin sah ihm nach. »Möcht nur wissen, was er hat?«

Seit diesem Tag war Mathes noch seltener im Hause sichtbar. Die paar freien Stunden, die er sich an Feiertagen gönnte, brachte er bei den Eltern zu. Auch am Heiligen Abend stieg er durch den Schnee in die Simmerau hinauf. Karlin, die ihn vergebens suchte, mußte ihm sein ›Weihnächten‹ in die Kammer legen. Purtscheller schimpfte über die ›Flegelei‹. Weil Karlin den Wunsch eines Sohnes, das Weihnachtsfest bei den Eltern zu verbringen, berechtigt fand, machte Purtscheller eine Szene, die damit endete, daß er wütend vom brennenden Baum davonging und sich im Wirtshaus schwer bekneipte.

Der Januar brachte linde Zeit. Häufig war es in den Sonnenstunden so warm, daß Mathes, wenn es eine Besorgung im Dorfe gab, diese Gänge ohne Hut und in Hemdärmeln machte. Früher hatte er immer einen Knecht zum Wagner oder zu den Handwerksleuten geschickt. Jetzt machte er selbst jeden Weg, der außer Haus zu erledigen war, und mit Vorliebe griff er nach jedem Geschäft, das ihn zur Daxenschmiede führte. Daß Schorschl die Arbeit aus dem großen Hof bekam, das hatte Mathes bei Purtscheller mit den zwei schlagenden Gründen durchgesetzt: Der Weg zur Schmiede des Nachbardorfes kostet zu viel Zeit, und der Daxen-Schorschl arbeitet besser und billiger als jeder andere Schmied.

Die viele Arbeit, die Schorschl für den Purtschellerhof zu liefern hatte, war Ursache, daß er zu dem Gesellen, den er schon anfangs Dezember angeworben hatte, nach Neujahr noch einen zweiten nehmen mußte. Wenn die drei Schmiede bei der Arbeit standen, hörte man den Taktschlag ihrer Hämmer durch das ganze Dorf: klingeling kling, klingeling kling. Den festen Nachschlag in diesem Takt gab immer der Hammer des jungen Meisters. Diese lustige Musik lockte ein schönes Geld in die Schmiede. Schorschl brauchte keinen Pfennig mehr schuldig zu bleiben, und pünktlich am Ersten eines jeden Monats konnte er die fällige Rate an Rufel bezahlen. Bei der rastlosen Arbeit ging ihm der Brustkorb auseinander wie eine Tonne, aber sein Gesicht verlor immer mehr jene heitere Frische, die dem ›lüftigen Schorschl‹ einst aus den Augen gelacht hatte. Als Mathes wieder einmal Purtschellers Pferde zum Hufbeschlag in die Schmiede brachte, fragte er: »Schorschl! Bist krank?«

»Es muß schon so was sein!« brummte Schorschl.

Mathes lächelte. »Was fehlt dir denn?«

»So a Fieber hab ich, so a gspassigs! Net krank bin ich und net gsund!« Schnaufend betrachtete er den Rücken seiner rechten Hand. Das war ihm zur Gewohnheit geworden, nachdenklich die Narben jener Kratzwunden zu studieren. Die Schrunden, die in der Brandnacht die Mauerbrocken in sein Gesicht gerissen hatten, waren spurlos verheilt; nur diese drei feinen weißen Linien auf seiner Hand wollten nicht verschwinden.

Als die Pferde beschlagen waren und Mathes sie aus der Werkstatt führte, sagte er: »An die Sonntagnachmittag bin ich allweil droben bei meine Leut. Magst net amal auffikommen auf an Plausch?«

»Na! Ich dank schön. Da droben geht mir der Wind z'kalt!« Schorschl winkte gegen die Esse. »Ich bin's warme Fuier gwöhnt. Die schneidigen Lüftln vertrag ich net.«

Draußen im Hof blieb Mathes wieder stehen. »Du? Schorschl? Is wahr, was d' Leut reden?«

»Was reden s' denn?«

»Daß dir der Zillerlenz sei' Tochter hat antragen lassen?«

»Da weiß ich nix davon.« Geärgert kehrte Schorschl in die Werkstatt zurück und nahm die Arbeit wieder auf. Daß er gelogen hatte, schien sein Gewissen nicht sonderlich zu drücken. Es verhielt sich wirklich so: Der Zillerlenz, dem das aufblühende Geschäft in die Augen stach, hatte den alten Rufel als ›Hochzeitsschmuser‹ in die Schmiede geschickt. Schorschls Antwort war kurz und bündig gewesen. »Von die Weibsbilder mag ich nix wissen. Da hab ich meine Erfahrungen gmacht.« Er hatte seine Hand betrachtet und mit der Zunge über die weißen Narben gestrichen. »Die einzig, mit der ich auskomm, is die Bäckenmahm. Mit der bin ich z'frieden.«

Zu dieser Zufriedenheit hatte er Ursache. Kurz vor den Weihnachtstagen hatte sich die Bäckin vom Krankenbett erhoben, hatte ihre Gesundheit wiedergewonnen und fast einen Zentner an Fett verloren. Als Schorschl, um dieses magere Wunder zu konstatieren, die Mahm in der Werkstatt auf die große Eisenwaage setzte, wog sie nur zweihundertsechzig Pfund. In der Freude über diese körperliche Erleichterung verschmerzte sie gern den schweren Verlust, den die Brandnacht ihr gebracht hatte. »Wie a Federl komm ich mir für«, sagte sie mit Lachen, »wie a Federl so leicht!« Es wurde für sie eine Art von Sport, die engsten Türen aufzusuchen und sich schief durchzuschmiegen, ohne mit der Jacke an den Pfosten anzustreifen. Bei dieser ›Federleichtigkeit‹ konnte sie ihrem Neffen danken, was er für sie getan hatte. Emsig wackelte sie zwischen Stube, Werkstatt und Küche hin und her, überwachte die Zubereitung aller Mahlzeiten und begann ihr ›Schorscherl‹ auf eine Weise zu verhätscheln, daß die Gesellen darüber ihre Späße machten. Aber nicht nur für das ›Schnaberl‹ des Daxenschmiedes sorgte die Bäckenmahm. Sie kassierte für ihn die Gelder ein, führte Buch über Einnahmen und Ausgaben, brachte alle Räume des Hauses in freundlichen Stand, hielt Schorschls Kleider in Ordnung und füllte durch fleißige Näharbeit alle Lücken des gähnenden Wäschekastens. Am Morgen des Lichtmeßtages konnte sie Schorschl vor den Schrank führen, in dem die weißen Leinwandstöße mit blauen Mascherln gebunden und so eng aneinandergerückt waren, daß kein Stück mehr Platz gefunden hätte. »Schau dir's an, dein Kasterl! Fix und fertig liegt alles da. Gleich morgen kannst heiraten!«

»Geh, laß mich aus!« brummte Schorschl in der ersten Verblüffung. »Für was denn söllene Sacherln? Ich bin doch kein Madl net. Zwei Hemeder, eins zum Anziehen und eins zum Waschen, dös wär gnug für mich gwesen. Und vom Heiraten red mir gleich gar net!« Ärgerlich ging er zur Tür, kehrte wieder um und drückte seiner mager gewordenen Bäckin die Hand. »No ja, ich dank dir halt schön! Aber mit'm Heiraten laß mich aus!«

Das versprach sie. Aber schon nach wenigen Tagen begann sie, ihm die Mitgift zu rühmen, welche die Tochter des Berghofbauern zu erwarten hätte.

»Hörst net auf!« schimpfte Schorschl. »So a Putzgredl, so a schieche! Zahnlücken hat s' wie Ofenlöcher!«

In der Woche darauf konnte die Mahm ihrem Schorschl nicht genug erzählen, wie gut ihr das Bürgermeistermädel gefiele.

»Was? Dös Krisperl, dös dürre! An der ihre Knöcherln soll sich an andrer die Zähn ausbeißen! Jetzt hab ich dich allweil angschaut, jetzt bin ich ans Runde gwohnt.«

Trotz dieser Mißerfolge schmiedete die Bäckenmahm neue Pläne. Sie war so ehrlich für das Wohl ihres ›Schorscherl‹ bedacht, daß sie ihr eigenes Schicksal in zweite Reihe setzte. Auch hatte sie für diesen Fall schon ihr Plänchen fertig. Wohl war sie durch den Brand um ihre schönen, vierprozentigen Pfandbriefe gekommen. Aber es war ihr doch der Bauplatz geblieben, der große Garten und die Lizenz für das Bäckergeschäft, die als Recht auf dem Grundstück lag. Dafür hatte man ihr dreitausendfünfhundert Mark geboten; sie wollte viertausend haben und hatte Zeit, zu warten, bis der richtige Käufer kam. Dann konnte sie sich im Garten der Daxenschmiede, um ihrem ›Schorscherl‹ recht nah zu sein, ein Häuschen mit zwei Stuben und einer Küche bauen. Durch Verbriefung dieser Erbschaft wollte sie sich in Schorschls Hausstand für freie Verpflegung einkaufen bis an ihr seliges Lebensende. Gott verhüt's noch lang!

Als im März der Talschnee zu schmelzen begann und linde Tage kamen, ließ sich die Bäckenmahm in warmen Stunden den Lehnstuhl unter das offene Tor der Werkstätte stellen, und wenn sie nicht für ihr ›Schorscherl‹ zu flicken hatte, nähte sie an den Leinwandvorhängen für die Fenster ihres Häuschens, zu dessen Bau die Ziegel noch gar nicht gebrannt waren. Und da sah sie eines Tages die Simmerauer-Vroni mit dem Henkelkorb vom Krämer kommen. »He! Du!« rief die Bäckenmahm. »Geh, kehr a bißl ein auf a Plauscherl!«

Vroni schien wie mit Taubheit geschlagen, machte flinke Schritte und verschwand um die Straßenecke.

Prüfend hatte die Bäckenmahm ihr nachgesehen. »Sapperlot! Is dös Madl aber sauber! Dahermarschiert s', als hätt s' Federn unter die Schuh! A Gsicht wie der Apfel an Michäli! Die Zöpf liegen ihr droben wie a Krönl! Feingwachsen wie a Zwiefelröhrl und doch schön rund, wie er's gwöhnt is jetzt!« Sie beugte sich vor und lugte in die Schmiede, aus welcher der Taktschlag der drei Hämmer tönte: klingeling kling, klingeling kling! »Vielleicht tät ihm die gefallen?« Lächelnd rief sie: »Schorscherl!« Sie mußte ein paarmal rufen, bis er den Hammer niederlegte und kam. »Du? Was tätst denn zur Simmerauer-Vroni sagen?«

»Himmel sakra!« fuhr Schorschl auf, als hätte ihm die Bäckenmahm ihre Nähnadel ins Herz gebohrt. »Wirst mir net bald mei' Ruh lassen?«

Die Mahm schmunzelte. »No? Was tätst denn sagen zu der?«

»Zu der sag ich gleich gar nix!« Vor Ärger über die Schwelle stolpernd, kehrte er in die Werkstatt zurück.

Studierend zog die Bäckenmahm den Nähfaden über die Lippen. »So so so soooo?« Schmunzelnd guckte sie in die Schmiede. »Wart, Schorscherl! Da kriegst mir jeden Tag a Pülverl! Schön langsam! Aber sicher!« Hätte die Mahm auf die Musik der Schmiede gelauscht, so hätte sie merken müssen, daß schon das erste ›Pülverl‹ im Herzen des Daxen-Schorschl zu rumoren begann. Im taktmäßigen ›Klingeling kling‹ des Hammertrios tönte der Nachschlag des jungen Meisters so ungestüm, daß neben diesem Schmetterklang die Hammerschläge der Gesellen sanft erschienen wie Grillengesang.

 


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