Ludwig Ganghofer
Der laufende Berg
Ludwig Ganghofer

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3

Die kühlen Schatten des Abends waren über das Tal gefallen. Droben auf den steilen Felswänden lag noch ein letzter Schein des versinkenden Tages. In der Tiefe spann sich schon ein bläuliches Zwielicht um das welke Laub der Bäume und um die Dächer, aus deren Kaminen der Rauch sich langsam hervorkräuselte. Von den Wiesen, die der breite Bach durchrann, kamen dünne Nebel gezogen; ihre Schleier mischten sich mit dem Rauch der Dächer und umwoben den Giebel des Purtschellerhofes, der, auf einer Anhöhe gelegen, alle Häuser des Dorfes stolz überragte.

Ein stattliches Gebäude! Von der Straße führte eine aus roten Steinen gemauerte Treppe durch einen Vorgarten zum Wohnhaus, dessen lange Front den Wirtschaftshof mit seinen Ställen und Scheunen verdeckte. Früher war der Purtschellerhof das richtige Bauernhaus gewesen, mit niederer Tür und kleinen Fenstern. Als der Toni nach seines Vaters Tod die Herrschaft übernommen und die Karlin heimgeführt hatte, waren ihm die alten Stuben nicht schön genug gewesen, um sein junges Glück zu beherbergen. Einen Sommer lang hatte man gebaut, hatte das Dach gehoben, alle Zimmer des oberen Stockes geräumiger gemacht, ihnen neue Türen mit geschnitzten Aufsätzen und große Fenster mit gewölbten Spiegelscheiben gegeben. In den Flur wurde eine neue Treppe eingebaut, und während Toni mit seiner Frau die neuen ›Herrenzimmer‹ bezog, wurden im unveränderten Erdgeschoß die kleinen Stuben, in denen Tonis Eltern sich wohlgefühlt hatten, dem Gesinde als Wohnräume überlassen.

Im Erdgeschoß waren kleine Fenster und im oberen Stock die großen. Das hatte so übel ausgesehen, als hätte man die Hälften zweier Häuser, eines neuen und eines alten, übereinandergeschachtelt. Um diesen Schönheitsfehler des Purtschellerhofes auszugleichen, hatte man auch im Erdgeschoß die kleinen Fenster in große verwandelt, nicht in wirkliche, nur in gemalte. Am Fuß der Mauer hatte man Spalierobst, Jerichorosen und wilde Reben angepflanzt, und die üppig aufgeschossenen Ranken, an denen jetzt die welken Blätter alle Farben spielten, waren der täuschenden Malerei zu Hilfe gekommen, so daß es wirklich den Anschein hatte, als wäre am Purtschellerhof kein Fehl und Schaden.

Neben der Haustür war eine steinerne Bank, überdacht von einem Laubengitter, von dessen Latten die Ranken des wilden Weins mit roten Blättern herunterhingen. Hier saß Frau Karlin, das junge Weib des Purtscheller-Toni, und vor ihr, auf dem Backsteinpflaster, trippelte ihr Knabe umher, ein vierjähriges Kind, bleich und schwächlich. Während das Büblein still ein hölzernes Pferd hinter sich herschleifte und sein Spielzeug, so oft es auch umkippte, geduldig wieder auf die mit Rollen versehenen Füße stellte, hatte die Mutter die Hände mit der Häkelarbeit im Schoß liegen und hielt den Kopf an die Mauer gelehnt. Sie war städtisch gekleidet, weil es ihr Mann so haben wollte. Die schmächtige, zart gegliederte Gestalt hätte die Herkunft aus dem Bauernhaus wohl verleugnen können. Sogar weiße Hände hatte sie bekommen. Der Purtscheller-Toni fand es unter der Würde seiner Frau, daß sie grobe Arbeit tat und in der Wirtschaft mithalf. Sie hatte, wie ihr Mann den Leuten zu erzählen liebte, ein Leben, um das eine Gräfin die Purtschellerin beneiden könnte. Dennoch fühlte sie an jedem Abend eine Müdigkeit in allen Gliedern, als hätte sie während des ganzen Tages schwer gearbeitet.

Im vergangenen Winter war sie dreiundzwanzig geworden. Man nahm sie für älter, für eine Dreißigjährige. Wohl hatte ihr schmales Gesicht noch jene sanfte Schönheit, die den Stolz des Purtschellers so klein gemacht hatte, daß er sich die Karlin aus der Gesindestube des Pfarrers holte. Und wie eine Krone lagen ihr noch immer die vollen braunen Flechten um die Stirn. Aber ein Zug des Leidens war um ihren stillen Mund gegraben, und eine zehrende Schwermut redete aus ihren Augen.

Auf der Straße ging eine Bäuerin vorüber und rief einen Gruß. Die junge Frau erwachte aus ihrem Sinnen. Langsam strich sie mit der Hand ein Büschel Haare von der Schläfe hinters Ohr; das war eine Gewohnheit von ihr. Dann nahm sie die Häkelarbeit auf, nestelte ein paar Maschen, und wieder lehnte sie den Kopf an die Mauer, tief atmend, als empfände sie erquickend die Kühle des Abends.

Wie still und schön dieser Abend war, mit seinem träumerisch ziehenden Nebel, mit dem verglimmenden Licht auf den Bergen! Aus der ebenerdigen Stube klangen die Stimmen der Dienstboten, die beim Abendessen saßen. Das Dorf war schon in halber Ruhe, nur manchmal ein lauter Ruf in den Gärten; irgendwo das Knarren eines Scheunentores, das geschlossen wurde, zuweilen auch der kurze Anschlag eines Hundes; dazu die Töne der Dorfmusik, die im Wirtshaus eine Probe hielt; die Sache hatte keinen rechten Klang, es fehlte die führende Stimme der C-Trompete, die der Daxen-Schorschl sonst zu blasen pflegte. Wenn der Abendwind ein wenig stärker zog, verschwammen die Geigen- und Klarinettentöne mit dem dumpfen Rauschen des Wassers, das im tieferen Tal aus dem unterhöhlten Berg hervorströmte.

Karlin lauschte dem fernen Rauschen und blickte über das Gehäng des laufenden Berges empor. »Die armen Leut!« Zu ihrem Mitgefühl gesellte sich eine schmerzliche Erinnerung. Dort oben stand auch das Haus, in dem sie ein fröhliches Kind gewesen war, als ihre Eltern noch gelebt hatten. Es war das Haus, das der Gaßner vor vierzehn Jahren gekauft hatte und das er jetzt räumen mußte.

Da hörte die junge Frau ein Klirren vor ihren Füßen. Das Bübchen hatte sein Pferdl umgeworfen und bückte sich, um es wieder aufzurichten. »Tonerl?« fragte die Mutter. »Magst net schlafen gehn? Schau, es wird schon finster! Bald wird der Sandmann klopfen. Da müssen brave Kinder im Bett sein. Geh, komm schlafen!«

Das Kind schüttelte das Köpfl. »Vaterl warten!«

Karlin spähte über die dämmerige Straße hinaus. In der Gesindestube wurden Bänke und Stühle gerückt, und die Dienstboten begannen mit monotonem Gehaspel den Abendsegen zu beten: »Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft.« Dann kamen die Knechte heraus mit den Pfeifen. Sie zogen den Hut, als sie an Frau Karlin vorübergingen. Hinter ihnen kam ein dralles, hübsches Mädel, das sich für den Abendplausch in den Nachbarhäusern schmuck aufgeputzt hatte. »Guten Abend!« Dabei zuckte ein merkwürdiges Lächeln um den vollen Mund.

»Guten Abend, Zäzil!« erwiderte die junge Frau; ihre Stimme klang ruhig, doch eine matte Röte stieg ihr in die Wangen.

Zäzil ging durch den Garten, pflückte eine der spätblühenden Nelken und steckte sie ans Mieder. Kaum hatte sie die Straße betreten, als ihre Stimme klang: »Jeh! Du? Seit wann bist denn wieder daheim? Recht schön guten Abend!« Sie hatte den Schritt verhalten, als sollte nun ein lustiges Geplauder beginnen. Doch der Bursch, dem ihr Gruß gegolten, sagte kurzen Dank und ließ sie stehen. Der Klang dieser Männerstimme machte Frau Karlin aufblicken. Auf der Straße sah sie einen vorübergehen, der mit Joppe und blauer Soldatenhose bekleidet war und zwei Äxte mit neuen weißen Holzstielen auf der Schulter trug; Frau Karlin erkannte ihn erst, als er schon hinter der Hecke verschwinden wollte. »Der Mathes!« Sie sprang auf, warf ihre Häkelarbeit auf die Bank und eilte die Treppe hinunter. »Mathes!«

Er schien sie nicht zu hören, beschleunigte seinen Schritt und bog hastig in den zum Gehäng des laufenden Berges führenden Weg ein.

Frau Karlin legte die Arme über den steinernen Treppenpfeiler und blickte ihm nach. Fünf Jahre hatte sie ihn nicht gesehen, seit sie die Frau des Purtscheller-Toni geworden. Wenige Tage vor ihrer Hochzeit hatte er das Dorf verlassen, weil ihm draußen im Unterland eine gute Stelle angeboten wurde. So hatte Vroni ihr damals gesagt. Und jetzt war er wieder daheim. Gewiß hatte ihn die Sorge, die seine Eltern um ihr Haus trugen, zurückgerufen. Da war es nicht schön von ihm, daß er so vorüberging wie ein Fremder. Er hätte doch zusprechen können, um dem Nachbarskinde von einst und der Schulkameradin ein Grüßgott zu bieten! Um ihr zu sagen, wie es da droben stünde in der Simmerau! Von den Leuten im Dorfe hörte sie wenig. Vor Wochen, als der Berg über Nacht das Laufen angefangen hatte, war freilich im Dorf ein großer Lärm gewesen. Doch schon nach wenigen Tagen, als die Dorfbewohner merkten, daß die Bewegung des laufenden Bodens das tiefere Tal nicht bedrohte, hatte ihre Sorge sich beschwichtigt. Ihre eigenen kostbaren Häuser waren sicher, nur die billigen Hütten da droben standen in Gefahr.

Die junge Frau blickte auf die von Dämmerung umwobenen Büsche, hinter denen Mathes verschwunden war. »Gott sei Dank für den alten Michel, weil der Mathes daheim ist! Der hat zwei feste Arm!« Sie strich die Härchen von der Schläfe hinters Ohr und atmete auf, als wäre ihr, seit sie den Mathes gesehen hatte, der Gedanke an den armen Simmerauer leichter geworden.

Während sie durch den Garten zurückkehrte, vernahm sie einen Schrei ihres Kindes. In Sorge begann sie zu laufen, und als sie die Steinbank erreichte, sah sie ein schattenhaftes Tier, wie eine kleine Fledermaus, mit Sumsen um den Kopf ihres Kindes flattern. Erschrocken schlug sie mit der Hand und traf. Das Tier fiel zu Boden, ein großer Nachtfalter. Karlin hob das weinende Bürschl auf ihre Arme und streichelte ihm Haar und Wange. »Geh, Tonerl, bist erschrocken! Schau, es is bloß a Schmetterling gwesen! Der tut dir nix.«

Schmetterling! Dieses Wort schien das Kind zu trösten; es blickte mit nassen Augen umher und streckte die Hände. »Den Meckerling haben möcht ich!«

»Ja, Herzerl! Wart, den such ich dir gleich! Schau, da is er schon!« Mit zitternden Schwingen kroch der Falter über die Pflastersteine. Karlin bückte sich. Von einer abergläubischen Regung erfaßt, zog sie die Hand zurück. Deutlich hatte sie auf dem dicken Leib des Falters die unheimliche Zeichnung erkannt. Es war ein Totenkopf. Sie wollte das Tier zertreten. Da hob sich der Falter mit einem zirpenden Ton von der Erde; schwirrend stieß er gegen eine Fensterscheibe und verschwand unter den roten Blättern der wilden Reben. Mit beiden Armen preßte Karlin ihr Kind an die Brust. »Komm, Schatzerl, laß dich schlafen bringen!«

Das Bürschl begann wieder zu weinen. »Meckerling haben möcht ich! Nitti schlafen! Vaterl warten!«

»Geh, sei z'frieden, Tonerl. Der Vater kommt schon. Droben im Betterl darfst warten auf ihn.«

»Tust mir Liedi singen?«

»Ja, liebs Herzerl!« Karlin faßte eine Weinranke und rüttelte an ihr. Surrend schoß der Falter aus dem Laub hervor und schwirrte davon. »Gott sei Dank!«

Als Karlin das Haus betrat, kam eine alte Magd aus der Küche und fragte: »Wie soll ich's denn mit dem Essen halten, Frau? Von Mittag is alles noch übrig, der Herr is net heimkommen, und Sie haben nix gessen. Soll ich die Sachen aufwärmen?«

»Für mich, ja! Für'n Herrn mußt frisch was machen, 's Aufgewärmte mag er net.«

»Was soll ich denn richten?«

»Fladlsuppen. Die ißt er gern. Und an ausgsuchts Stückl Wildbret bratst ihm ab. Wann alles fertig is, mußt es am Feuer halten, damit er sein Essen gleich haben kann, wann er heimkommt. Sonst muß er sich wieder ärgern.«

Frau Karlin stieg über die Treppe hinauf, mit dem Bürschl, das vom versiegenden Schluchzen noch ein bißchen gestoßen wurde. Im Flur des oberen Stockes herrschte schon tiefe Dämmerung. Die Blätter des Efeus, der die Wände übersponnen hatte, hingen wie kleine Schatten an der weißen Mauer und an den Stangen der Hirschgeweihe. Frau Karlin durchschritt das große Wohnzimmer. Ohne in der Schlafstube Licht zu machen, entkleidete sie unter zärtlichem Geplauder das Kind und wusch ihm das von Tränen nasse Gesicht. Das Bübl lag noch kaum in den Kissen, da mahnte es die Mutter schon an ihr Versprechen: »Liedi singen, Mammi!«

»Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so hell!
Zwitschert Wald aus und ein,
Wo mag mein Schatzerl sein?
Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so hell!«

Da mußte sie lächeln. Wie merkwürdig, daß ihr gerade dieses Lied, an das sie viele Jahre nicht mehr gedacht hatte, auf die Lippen kam? Das war wohl nur geschehen, weil sie den Mathes wieder gesehen hatte. Denn dieses Lied hatten sie miteinander gesungen unter den blühenden Hecken und im dunklen Purtschellerwald da droben, damals, als sie noch Kinder waren, sie, der Mathes und die Vroni.

Es war in der Stube dunkel. Doch Karlin sah einen sonnigen Berghang, über ihm die leuchtenden Felswände und über allem den blauen Himmel. Im Rauschen der silbernen Gießbäche, die damals noch nicht in den Berg versunken waren, hörte sie ihre eigene Stimme, hell und lustig, wie das Gezwitscher eines Vogels. Neben ihr saß der Mathes, der zwei Jahre älter war als sie, und schnitzte aus einem Weidenzweig eine Pfeife, um ihr die Weise des Liedes vorzublasen. Auf der andern Seite saß Vronerl und flocht aus Butterblumen einen schönen Kranz, den das Linerl aufsetzen mußte. Und da hatte der Mathes sie angestaunt und hatte ganz ernst gesagt: »Linerl! Du bist so schön wie d' Mutter Gottes in der Kirchen drunt!«

Langsam strich Frau Karlin die Härchen hinters Ohr und seufzte: »O du liebe Zeit!«

Nur der Winter war immer hart gewesen. Durch den hohen Schnee ging der weite Weg in die Schule! Da wäre sie oft stecken geblieben, wenn ihr der Mathes nicht geholfen und das schwere Ränzl getragen hätte. »So a guter Kerl!« Aber wenn der Föhn den Berghang vom Schnee gesäubert hatte und unter den Hecken das erste Veilchen blühte, war alle Not des Winters vergessen. Dann kam der Sommer und die Ferienzeit! Da waren sie unzertrennlich den ganzen Tag und lachten und tollten, bis am sinkenden Abend der Vater über die Wiesen herüberschrie: »Linerl! Komm!« Oder bis vom Haus des Simmerauer die Zenz gelaufen kam, um ihre zwei kleinen Geschwister heimzuholen. »Die arme Zenz!« Wie elend die zugrunde gegangen war! Hatte ihr Herz an einen leichtsinnigen Menschen gehängt und war gegen den Willen der Eltern mit ihm in die Stadt gezogen. Dort hatte der Lump sie sitzen gelassen mit ihren zwei Kindern. Gealtert in jungen Jahren, eine Sterbende, war sie ins Dorf zurückgekehrt. Aber das hatte sich später zugetragen. Damals, in jener schönen Kinderzeit, war die Zenz ein sechzehnjähriges, hübsches, lustiges Mädel gewesen.

Tonerl streckte sich in den Kissen und lallte im Halbschlaf: »Bitt schön, Mammi, Liedi singen!«

Karlin atmete tief und sang mit leiser Stimme:

»Vogerl am kühlen Bach
Zwitschert so süß!
Zwitschert Bach auf und ab,
Bis ich mein Schatzerl hab.
Vogerl am kühlen Bach
Zwitschert so süß!«

Sie fühlte, daß der Druck der kleinen Finger, die ihre Hand umschlossen hielten, sich löste. Eine Weile blieb Karlin noch sitzen, dann verließ sie auf den Fußspitzen die Schlafstube. Im Wohnzimmer zündete sie über dem Tisch die Hängelampe an. Eine richtige Herrenstube! Die Wände bis zu halber Höhe getäfelt, hübsche Möbel aus rötlichem Zirbenholz, ein altdeutsches Sofa und große, mit Leder gepolsterte Lehnstühle; überall Geweihe, ausgestopfte Vögel und hinter dem Ofen der mit Jagdgerät und Waffen behangene Gewehrrechen.

Karlin deckte den Tisch. Dann ging sie hinunter, stellte sich unter die Haustür und spähte über die dämmerige Straße hinaus, ob ihr Mann nicht käme.

Ein weicher Glockenton schwoll durch die dunstige Luft; man läutete den Abendsegen.

So weich und zerflossen, wie jetzt im Nebel, hatte sie die Glocke immer gehört, wenn sie am Abend dort oben unter der Haustür saß als Kind, die Ärmchen unter die Schürze eingehuschelt. Und genau so hatte es geklungen, als man ihrem Vater den Weg in den Himmel eingeläutet hatte. Im Steinbruch, beim Sprengen der Felsen, war ihm ein Brocken an die Stirn geflogen. Vier Jahre früher hatte sie schon die Mutter verloren. Damals war sie noch so klein gewesen, daß sie nicht begriff, was sterben heißt. Doch als sie den Vater liegen sah, stumm und starr, mit der blutenden Stirnwunde, verstand sie den Tod. Vom Abend bis zum Morgen blieben der Simmerauer und Mutter Katherl bei ihr und beteten, während sie weinend in einem Winkel kauerte, mit ihr der Mathes, der den Arm um ihren Nacken geschlungen hielt.

Dann wurde das Haus an den Gaßner verkauft. Schulden waren zu bezahlen – seit die Mutter gestorben, war dem Vater das Wirtschaften übel geraten – und für das neunjährige Kind blieben als Erbe kaum hundert Mark zurück. Der alte Pfarrer erbarmte sich der Waise und gönnte ihr im Stübchen seiner Haushälterin einen Platz. In dem großen schwermütigen Pfarrhof, der dicke Mauern hatte, wurde aus dem fröhlichen Linerl die stille, ernste Karlin. Oft stand sie da an einem vergitterten Fenster, blickte über den sonnigen Berghang empor, meinte manchmal, sie hätte auf einem beleuchteten Wiesengrat den Mathes erkannt, wie er grüßend gegen den Pfarrhof sein Hütl schwenkte.

Schritte hallten auf der Straße, und Frau Karlin hörte die Stimme ihres Mannes. »Gott sei Dank! Endlich kommt er!« Sie rief in den Flur: »Nannei! 's Essen für'n Herrn!« Dann ging sie durch den Garten hinunter.

Purtschellers Stimme ließ vermuten, daß der ›Herr‹ nicht in guter Laune nach Hause kam. Er hielt dem Jagdgehilfen, der ihn begleitete, eine mit Scheltworten gespickte Predigt über einen ›Kerl‹, der ihn geärgert haben mußte. Wäre Karlin nicht mitten auf der Treppe gestanden, er hätte sie in seinem Groll übersehen. »Grüß Gott!« sagte er so verdrießlich, als wäre sie mitschuldig an seinem Ärger.

»Guten Abend, Toni! Lang bist ausblieben. Schau, ich bin schon in Sorg gwesen.« Das sagte sie ruhig und herzlich ohne jeden Vorwurf.

Scheltend fuhr er auf: »Natürlich! Beim ersten Schritt ins Haus geht d' Nörglerei schon wieder an! Ich hab dir's hundertmal schon gsagt, daß man bei der Jagd 's Heimkommen net am Schnürl hat wie der Slowak sein' Affen. Und jedsmal machst mir wieder so a Metten her! Da kunnt der gmütlichste Mensch aus der Haut fahren.«

»Aber Toni!« mahnte sie leis. »Wir sind net allein.«

»Ah, was! Ich sag nix Unrechts. Was ich sag, kann jeder hören.« Er stieß mit dem Ellbogen die Büchse zurück und stieg durch den Garten hinauf, während ihm Karlin schweigend folgte. Vor der Haustür wandte er sich und sagte mit beschwichtigender Milde: »Aber schau, Linerl! In aller Früh bin ich schon am Heimweg gwesen. Und da kommt mir der Daxen-Schorschl nachgrennt, der Tagdieb, der verruckte! – Wo is er denn blieben?« Diese Frage war an den Jagdgehilfen gerichtet.

»Droben in der Simmerau is er weg von mir«, erwiderte der Jäger, »und hat uns nimmer eingholt.«

Purtscheller wandte sich wieder zu seiner Frau. »Kommt mir nachgrennt und sagt, er hätt den starken Hirsch am Schnürl. Was will ich machen? Hab ich halt die drei Stund wieder auffisteigen müssen. Beim besten Wind haben wir den Trieb eingstellt, und richtig is er drin gwesen, der Hirsch! Aber was der Schorschl heut ghabt hat, weiß ich net. Ganz verdraht is er gwesen. Der Hirsch is abgfahren, und ich, der gute Herr Purtscheller, natürlich, ich hab mich ärgern können, daß mir's den Magen schier umkehrt hat!« Er seufzte schwer und rief dem Jäger zu. »Gut Nacht, Sepp! Schau halt, daß den Hirschen kriegst!«

»Ja, Herr Purtscheller! Gut Nacht!«

Toni trat ins Haus. »Was macht denn mein Prinz?«

»Er schlaft schon. Und gut.«

»Schon wieder amal? So?« Purtscheller lachte. »In der Früh, wann ich fortgeh, schlaft er. Am Abend, wann ich heimkomm, schlaft er. A Vater hat viel von seim Buben, dös muß ich sagen!« Er wollte über die Treppe hinauf, doch Karlin hielt ihn am Ärmel zurück.

»Toni? Hast du's Gwehr ausgladen?«

»Aber natürlich!«

»Geh, ich bitt dich, schau nach!«

»No also, meintwegen, bloß daß ich an Fried hab!« Er nahm die Büchse herunter, klappte die Laufe auf und brummte: »Jetzt hab ich's heut richtig vergessen ghabt! Natürlich, im Ärger halt!« Während er über die Treppe hinaufstieg, zog er die beiden Patronen aus dem Gewehr und schob sie in die Hosentasche. Als er die helle, schöne Stube betrat, tat er einen tiefen Atemzug. »Aaah! Daherinn is halt gmütlich. Und daheim is gut sein.«

Mit stiller Geschäftigkeit nahm ihm Karlin die Büchse und den Rucksack ab, zog ihm den Samtflaus herunter, knöpfte ihm die Gamaschen auf und stellte ihm die Pantoffeln vor die Füße. Purtscheller schien sich wohlzufühlen. Die letzte Spur seines Ärgers verflog, als er auf dem gedeckten Tisch die Suppe dampfen und in der Glasflasche den roten Tiroler blinken sah. Zärtlich legte er den Arm um Karlins Schulter. »Bist a guter Kerl! Schaust halt doch auf mich! Und gern hast mich! Gelt? – Geh, lach a bißl!«

Sie lächelte, und warme Röte stieg ihr in die Wangen. So gingen sie zum Tisch. Karlin setzte ihrem Mann die Suppe vor. Er schnalzte mit der Zunge, als er gekostet hatte. »A nobles Süpperl!« Neugierig beugte er sich über den Teller seiner Frau. »Was hast denn du da?«

»A bißl was Kalts vom Mittag noch.«

Da wurde er bös. »Aber Linerl! Wie oft hab ich dir's gsagt? Dös is Sparsamkeit am falschen Fleck! Wie sollst denn gut ausschauen, wann dich net nähren tust? Und d' Frau soll's net schlechter haben wie der Mann. Ich bin einer von die Aufklärten, ich geh mit der Zeit.« Er schob den Teller mit dem kalten Fleisch in die Fensternische. »Weg da mit dem Schmarren!« Behäbigen Schrittes holte er einen Teller und ein Weinglas von der Kredenz, füllte den Teller mit Suppe, das Glas mit Rotwein! »So, Schnaberl! Jetzt iß und trink!«

Karlins Wangen brannten. »Vergelts Gott, lieber Toni!« Und wie sie sich freute, daß sie ihm nun auch eine freundliche Nachricht sagen konnte. »Du, Toni, rat, wen ich heut gsehen hab?«

»Wen denn?«

»Den Mathes! Der is wieder daheim.«

»Ich weiß schon. Hab ihm schon Grüß Gott gsagt droben in der Simmerau.«

»Geh? In der Simmerau bist gwesen? Wie schaut's denn aus droben?«

»Mein, schlecht! 's Häusl sinkt halt schön langsam ein.«

»Jesus Maria!« Karlin legte den Löffel fort. »Und laßt sich gar nimmer helfen?«

»Na! Da hat 's Helfen an End. Der Berg lauft halt, bis er drunt is.« Toni seufzte. »Und mein Wald lauft mit!«

Karlins Erbarmen für die Leute in der Simmerau verstummte vor der Sorge um ihren Mann. Sie rückte an seine Seite und legte schüchtern den Arm um seinen Hals. »Geh! Dein schöner Wald!« Kaum vermochte sie zu sprechen.

»Da verlier ich viel Geld, ja!« Purtscheller füllte seinen Teller wieder und zuckte in stolzer Resignation die Schultern. »Bei so was muß man zeigen, daß man anders is wie die andern. Da muß man dastehn wie der Baum und muß sagen in aller Ruh: ›Wie Gott will, jetzt nimmt er, an andersmal gibt er wieder.‹ Aber geh, laß mich essen!« Er richtete sich halb auf, so daß Karlins Arm, der ihm hinderlich war, von ihm niederglitt. »Der arme Michel droben erbarmt mich. Dem gönn ich's, daß der Mathes wieder daheim is. Wie der Bursch da droben schafft, so was muß man sehen!«

Karlin nickte. »Der Mathes, ja! So is er allweil gwesen, als kleins Bubi schon.«

»Und wie ich ihm so zugschaut hab, is mir a guter Einfall kommen. Und gleich hab ich zugriffen. A bißl Reden wird's halt noch kosten, und der Mathes kommt als Knecht zu mir. An bessern kann ich mir gar nimmer wünschen.«

»Ja, Toni, da hast an guten Einfall ghabt!« Karlin glühte vor Eifer. Sie strich ihrem Mann das Haar aus der Stirn und sah so froh zu ihm auf, als wüßte sie ihn jetzt geborgen vor einer großen Gefahr. »Schau, Toni, oft schon hätt ich gern a Wörtl drüber gredt, wie's zugeht bei uns in der Wirtschaft. A Schaffer wie der Mathes wär schon lang not gwesen im Purtschellerhof.« Sie stockte, wie in Sorge, daß dieses Wort ihn verletzt haben könnte.

Er löffelte ruhig seine Suppe. »Ja, ja! Natürlich, wann einer so anbunden is auf alle Seiten wie ich!«

»Gott sei Dank, jetzt kann ich aufschnaufen, Toni! Auf den Mathes kannst dich verlassen. Der bringt alles wieder auf guten Weg! Alles!« Karlin erschrak vor einem Gedanken, der sich wie eine schwarze Mauer vor ihre helle Freude stellte. »Aber? Toni? Wie können denn wir vom Michel den Mathes verlangen?«

»Ah so? Wegen droben meinst?«

»Der Mathes kann doch jetzt net fort von daheim.«

»Jetzt net! Na! Aber lang dauert die Gschicht da droben nimmer!« Purtscheller schluckte den letzten Löffel Suppe. »Ich hab dem Mathes an Anbot gmacht, verruckt müßt er sein, wann er net zugreifen tät! Aber was ich fragen will? Is mit der Post nix kommen?«

»Jesses ja!« Karlin erhob sich. »An eingschriebener Brief.«

»Aber, Linerl! Den hättst mir doch auf der Stell geben sollen. Es kunnt ja ebbes Wichtigs sein, was kein' Aufschub leidt.«

»Tu mir net zürnen! In der Freud, daß du so gut mit mir gwesen bist, hab ich ganz drauf vergessen.« Sie riß einen Wandschrank auf und brachte den Brief. »Wann nur für dich kei' Sorg net drinsteht!«

Verwundert betrachtete Purtscheller die dem Kuvert aufgedruckte Geschäftsadresse. »Vom Schloßbräu in der Stadt? Was will denn der? Am End will er gar mein' Bräunl kaufen, mit dem ich beim letzten Trabrennen sein' Amerikanerschimmel gschlagen hab?« Lachend öffnete er das Kuvert. »Aber na, Brüderl! Fünftausend Mark kannst mir hinlegen, und der Schnabel bleibt dir noch allweil sauber!«

Karlin wollte die leere Suppenschüssel vom Tisch tragen. Da sah sie, daß jähe Blässe über das Gesicht ihres Mannes rann. »Toni?« stammelte sie und setzte die Schüssel nieder.

»So a hinterlistiger Heiduck, so a gottverdammter!« schrie Purtscheller und schmetterte seine Faust auf die Tischplatte.

»Jesus Maria! Toni?«

»In Ruh laß mich!« Er stürzte ein Glas Wein hinunter, stieß den zerknüllten Brief in die Hosentasche und wanderte durch die Stube. Vor einem Fenster blieb er stehen, starrte hinaus in die sinkende Nacht und nagte an seinem Schnurrbart.

Es währte eine Weile, bis Karlin zu sprechen wagte. »Toni? Sag mir doch, über was dich kümmern mußt! Schau nur, wie ich mich sorgen tu!«

»Sorgen?« schrie er über die Schulter. »Misch dich net in alles, was dich nix angeht!«

Ein müdes Lächeln zuckte um ihren Mund. Sie wollte schweigen und suchte eine Beschäftigung am Tisch. Dann wieder blickte sie zu ihrem Mann hinüber und trat auf ihn zu. »Schau, Toni, ich red ja eh die ganze Zeit her kein Wörtl nimmer, wann's mir gleich oft 's Herz abdruckt, daß ich alles bei uns so laufen sehen soll, wie's lauft.«

»Was lauft denn bei uns? Da droben lauft der Berg. Bei uns lauft gar nix.«

»Sag so was net! Bei uns lauft viel ins Wasser abi.«

»Ah! Du gfallst mir!«

»Ich kann dir net sagen, wie hart ich's trag, daß ich als Frau im Haus net mit gsunde Arm zugreifen soll und diemal bei dir a Wörtl zum Guten reden.«

»So? Meinst vielleicht, daß ich an Schulmeister brauch? Dank schön für die Predigt!« Er schob sie mit dem Ellbogen von sich. »So was möcht ich mir verbitten!«

»Ich will dir ja im Gschäft nix dreinreden«, stammelte sie und suchte seine Hand zu haschen, »aber dös eine sollst mir doch net verwehren, daß ich dir als Frau deine Sorgen tragen hilf!«

»Der Purtscheller? Und Sorgen? Zum Lachen!«

»Aber Toni!« Sie umklammerte seine Hand. »Ich hab dir's ja doch vom Gsicht abglesen –«

»In Ruh laß mich!« Er befreite seine Hand mit jähem Ruck. »Und wann ich mir was aufgladen hab, so trag ich's selber. Da brauch ich dich net dazu.«

»Schau, Toni, 's Härteste tragt sich leichter, wann eins mittragen hilft. Und daß d' mir's verheimlichen willst, macht mir doppelt Angst. Ich bitt dich, sag mir, was in dem Brief steht.«

»Jetzt laß mir mein' Fried, oder –« Vom Hall seiner Stimme zitterten die Fensterscheiben.

»Um Gottes willen, Toni«, Karlins Worte erstickten fast, »so laß doch in Ruh mit dir reden und tu net so laut! In der Kammer schlaft unser Kind, und drunt hören dich alle Dienstboten. Die tragen's wieder um im ganzen Dorf.«

»Sollen mich umtragen, wie s' mögen!« schrie er. »Ich bin's ja gwöhnt! Fünf Jahr lang schon! Was schaust mich denn an? Meinst, ich schenier mich, daß ich dir's amal ins Gsicht sag? Selbigsmal, wie mir der verrückte Einfall kommen is, daß ich am Pfarr seiner Dienstbotenstub ans Fenster klopft hab – selbigsmal hat man dem guten Herrn Purtscheller sein' Namen 's erstemal umtragen in alle Körbln.«

Karlin griff an ihre Brust, als wäre ihr dieses Wort wie ein Stich ins Herz gegangen. »Toni! Tu mir net so weh!«

Diese Worte wirkten auf Purtscheller, als hätte ihm seine Frau den größten Schimpf ins Gesicht geschrien. Er ballte die Fäuste. »Ich tu dir was? Ich? So? Und was man mir tut? Dös is alles Wurst. Gelt? Alles Wurst!«

»Aber Toni!«

»Ruh will ich haben! Und wann ich mir im Guten mein' Fried net schaff, so weiß ich mir z' helfen.« Mit zornigem Griff umklammerte er Karlins Arm und zerrte sie zur Tür.

»Heiliger Jesus! Toni!«

»So!« Er hatte die Tür aufgerissen und schob seine Frau in den dunklen Flur hinaus. »Jetzt will ich sehen, ob ich mein' Fried net hab!« Er warf die Tür zu, daß hinter der Täfelung der Mörtel rieselte. Aufatmend, als hätte sein Jähzorn Erleichterung gefunden, fuhr er sich mit allen Fingern durch die Haare.

In der Schlafstube war das Kind erwacht und weinte.

Purtscheller hörte das klagende Stimmchen nicht. Er schleuderte die Pantoffeln in einen Winkel, fuhr mit den Füßen in die Schuhe und riß den Samtflaus vom Gewehrrechen. »So an Hausfrieden hab ich! Ins Wirtshaus muß ich laufen, wann ich a paar Minuten Ruh haben will. Kreuz Teufel noch amal! Is dös a Leben!« Wütend stülpte er den Hut übers Haar und stapfte zur Tür hinaus.

Von der finsteren Bodenstiege klang ihm ersticktes Schluchzen entgegen. Er tastete mit der Hand nach dem Treppengeländer, als überkäme ihn ein Schwindel. Dann fuhr er zornig auf: »So was! Und da soll man noch gut bleiben können! Hockt s' daher auf die Bodenstieg! Hörst du! Geh eini in d' Stuben!« Ohne abzuwarten, ob sein Befehl vollzogen würde, stieg er die Treppe hinunter. Im Hausflur begegnete ihm die alte Magd mit einer Schüssel in den Händen.

»Aber Herr? Wohin denn? Ich bring ja 's Wildbret.«

»Dös kann der Hund fressen! So hat er an guten Tag. und hat's besser als ich.« Purtscheller verließ das Haus, stürmte durch den Garten und hätte auf der Straße fast die Zäzil niedergerannt, die von ihrem Abendplausch nach Hause kam – freilich, sie hatte es nicht allzu eilig, ihrem Herrn den Weg frei zu geben. Mit dem Ellbogen schob er sie auf die Seite. »Geh weg da!«

Zäzil schien an solche Behandlung nicht gewöhnt, machte große Augen, sah ihm nach und lachte leis vor sich hin: »Ui jegerl! Heut hat er sich an der Frau wieder an Zahn ausbissen!«

Mit vorgebeugtem Kopf, die Hände in den Taschen, folgte Purtscheller der vom Nebel umflorten Straße. Einmal blieb er stehen und machte zwei Fäuste, fiel wieder in raschen Schritt und schob den Hut zurück, als wäre ihm schwül. ›Dös hat er mir bloß aus Bosheit tan, weil mein Bräunl sein' Schimmel gschlagen hat!‹ An diesen Gedanken schloß sich ein anderer, der das Quälendste seiner Sorge beschwichtigte: ›Ah was! Ich hab a Vierteljahr lang Zeit! Und wann der Schloßbräu 's Geld nimmer geben will, gibt's an andrer! Freilich, da wird's halt wieder heißen, a paar Tausender drauflegen!‹ Er seufzte, aber sein Schritt wurde ruhig.

Nun hatte er ein Ohr für den Gruß der Leute, die ihm ab und zu auf der stillen Straße begegneten. Und wenn er an Häusern vorüberkam, guckte er in die erleuchteten Fenster, deren Schein im Nebel zerfloß.

Der Weg zum Wirtshaus führte an der Daxenschmiede vorüber; alle Fenster waren schwarz, doch an Haus und Schmiede standen Tür und Tor geöffnet, und in der Tiefe der dunklen Werkstätte gloste das erlöschende Essenfeuer, von dessen Widerschein der polierte Amboß mit roten Lichtlinien umsäumt war. Purtscheller trat unter das Tor und rief in das stille Haus: »He, Schorschl!« Keine Antwort kam. »Er muß noch net daheim sein!« Purtscheller kehrte auf die Straße zurück. Aber der Gedanke an das unbewachte Haus ließ ihn wieder umkehren. »Na, so a Mensch wie der Schorschl! Strawanzt auf die Berg umanand! Und sein Gauner von Gsell, natürlich, der sitzt im Wirtshaus und sauft. Und da lassen sie 's Haus mit offenen Türen stehn, daß jeder davontragen kunnt, grad was er möcht!«

Unter diesem Selbstgespräche drückte Purtscheller die Haustür zu, schloß die beiden Flügel des Werkstattores, und im Bewußtsein, für den ›lüftigen‹ Schorschl ein gutes Werk getan zu haben, ging er seiner Wege.

 


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