Ludwig Ganghofer
Der laufende Berg
Ludwig Ganghofer

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5

Der Morgen graute, als der Daxen-Schorschl aus einem unruhigen, von ganz absonderlichen Träumen gequälten Schlaf erwachte. Melancholisch setzte er sich auf. Das erste, was er sah, war nicht die unfreundliche Stube mit dem verschlampten Gerät und den grauen Dielen, die schon lange kein Wasser und keine Bürste mehr gespürt hatten – nein, das erste, was der Schorschl sah, war ein rundes, vor Erregung und Arbeit gerötetes Mädchengesicht, dessen blitzende Augen ihn verächtlich musterten und dessen rote Lippen in Ruhe zu ihm sagten: »Schorschl! Du bist a Lump!«

Wütend schrie er vor sich hin: »Kreuzhimmelsternsakra! Laßt's mich denn gar nimmer aus?« Mit gleichen Füßen sprang er aus dem Bett, kleidete sich an, nahm sein Handtuch über den Arm und ging in den Hof, um sich am Brunnen zu waschen.

Es war schon lebendig im Dorf; überall das Geräusch der Arbeit, nur die Daxen-Schmiede lag still und friedlich; da brüllte kein Rind im Stall, da tummelte sich keine singende Magd, die Esse rauchte nicht, und an der Werkstätte war das Tor noch geschlossen. Das Bild dieses Friedens schien dem Schorschl nicht zu gefallen: »Pfui Teufel! Wie schaut's bei mir aus! Und der ander schlaft natürlich noch. Recht hat er! Wie der Meister, so der Gsell!« Er rannte ins Haus und zur Gesellenstube. Die Faust auf die Klinke schlagend, stieß er mit einem Fußtritt die Tür auf. »Raus, du! D' Arbeit wartet!«

Schlaftrunken richtete Steffel sich auf und machte zwei Augen, als hätte sich das unerhörteste Wunder ereignet. Den Kopf schüttelnd, kroch er aus den Federn. Er schien Haarweh zu haben; man sah es an der Art, wie er die Brauen zusammenzog.

Als der Gesell nach einer Weile das Tor der Werkstätte auftat und gähnend in der Esse das Feuer anschürte, stand Schorschl am Brunnen und wusch und rieb, als hätte er den Schmutz eines ganzen Jahres von sich abzufegen. Und während er mit dem Handtuch Gesicht und Hände trocknete, spähte er fuchsteufelswild über das Gehäng des laufenden Berges hinauf. »Wart nur, du!« Um flink an die Arbeit zu kommen, nahm er sich nicht mehr die Zeit, das Handtuch ins Haus zurückzutragen, sondern warf es über die Brunnenröhre. Als er zur Werkstätte ging, mahnte ihn sein knurrender Magen, daß er zuerst für sich und Steffel die Morgensuppe kochen mußte.

In der Küche ging ihm alles hurtig von der Hand, und sobald die Suppe brodelte, lief er in die Stube, um die Teller aufzulegen. Erschrocken sah er in dem verwahrlosten Raum umher. Jahr und Tag hatte er hier gelebt, das heißt, alltäglich ein paar Minuten zwischen diesen Wänden zugebracht, und niemals hatte ihm die graue Verwilderung eine Mahlzeit verdorben. Jetzt dachte er: ›Kreuz Teufel! Da packt ein' ja's Grausen an! Wann da a Madl einischaut? Ich dank! Da müßt ich ja Schand und Spott erleben!‹

Mit so heißem Eifer, als stünde bereits die gefürchtete Reinlichkeitskommission vor der Tür, rannte er davon, kam mit einem Schaff voll Wasser zurück und goß es über die Dielen aus. Dann begann er mit Besen und Putzlumpen, mit Seife und Bürste drauflos zu arbeiten, als hätte er zeit seines Lebens nichts anders getrieben, als Dielen gescheuert und Bänke weißgefegt. Mitten in allem Ernst der Arbeit überfiel ihn plötzlich eine komische Vorstellung seiner selbst: der ›lüftige‹ Daxen-Schorschl mit Besen und Bürste! »Wann mich jetzt einer sieht, der lacht sich bucklet an mir! Und dö da droben? Was dö sich alles einbilden möcht.« Wütend schleuderte er die Bürste in einen Winkel. Aber auf den Dielen stand das Wasser, auf der Tischplatte der graue Seifenschaum. Ob Schorschl wollte oder nicht, er mußte die begonnene Arbeit zu Ende bringen. Fluchend holte er die Bürste hinter dem Ofen hervor und fing wieder zu fegen an. Dabei kamen ihm ernste Gedanken: ›Keine Schulden sollt ich net haben! Da ging's leicht!‹

Er begann einen Überschlag zu machen. Was er beim Wirt im Buch stehen hatte, konnte er nur beiläufig schätzen: »Hundert Markln? Da wird net viel fehlen.« Und beim Krämer waren es vierundsechzig; das wußte er genau, denn die Krämerin hatte ihm vor ein paar Tagen den Kredit gekündigt. Dazu noch Schuster und Schneider! Und was er sich da und dort zuweilen ausgeborgt hatte, wenn er mit leerer Tasche vor einer Tanzmusik gestanden. Vierhundertfünzig Mark, alles in allem! Er sann und sann. Immer kam noch ein Brocken dazu. Endlich fiel ihm nichts mehr ein. Rund fünfhundert.

Er atmete auf. »Gar so arg is's ja doch net!« Im gleichen Augenblick fuhr ihm ein kalter Schreck in die Haare. Draußen auf der Straße sah er einen alten jüdischen Händler vorübergehen, ein gebeugtes, eingeschrumpftes Männchen in langem, abgeschabtem Rock, einen Kleidersack auf dem Rücken, ein paar Lammfelle über dem Arm. »Mar' und Josef! Der Rufel! Auf den hab ich ganz vergessen!« Bei dem hatte er seit Fasching einen Schuldschein über vierhundert Mark stehen, die an Neujahr zu bezahlen waren. Also im ganzen neunhundert! Da stiegen dem Daxen-Schorschl doch die ›Grausbirnen‹ auf.

Aber war er nicht vor zwei Jahren, als der Daxen-Schmiede die Gant gedroht hatte, noch übler dran gewesen? Dennoch hatten ihn seine Verwandten aus dem Wasser gezogen. Und jetzt war doch der ehrliche Wille in ihm, ein ordentlicher Mensch zu werden. Vielleicht halfen sie ihm ein zweites Mal! Während er fegte und bürstete, dachte er sich die Worte aus, mit denen er seinen Verwandten, dem Berghofbauer, dem Zillerlenz und der dicken ›Bäckenmahm‹ sein Anliegen vorbringen wollte. Dabei erwachte in ihm ein Funke von Hoffnung.

Endlich war die Stube sauber. Als er den Gesellen zum Frühstück rief, brummte Steffel: »So? Hab schon gmeint, daß ich heut verhungern muß!« Beim Eintritt in die frisch gescheuerte Stube machte der Gesell ein verblüfftes Gesicht; dann brach er in ein Gelächter aus, daß Schorschl ihm vor Wut und Verlegenheit am liebsten eine gesunde Tachtel hinter die Ohren gepflanzt hätte. »Lach net! Und iß!« Der zornige Blick, mit dem der Daxen-Schmied diese Aufforderung begleitete, machte den Gesellen stumm.

Schweigend schmausten sie die Brennsuppe. Als Schorschl den Löffel niederlegte, fragte er bedächtig wie ein alter Meister: »Was is denn für Arbeit da?«

Die Augen des Gesellen wurden immer größer. »An Leiterwagen muß ich bschlagen.«

»Der muß fertig sein bis auf'n Abend.«

»Was? Ich kann doch net hexen.«

»Nacher lern ich dir's, wann ich heimkomm. Jetzt hab ich a paar Weg z'machen. Marsch, an d' Arbeit!«

Als Steffel bei der Tür war, fragte Schorschl etwas unsicher, während er den Tisch abräumte: »Is die letzten Tag her kein Geld net eingangen?«

Der Gesell wurde verlegen. »Ja, a bißl was. Aber dös hab ich selber braucht, auf Essen und Trinken.«

»Sooo? Von heut an sollst dein Essen und Trinken in der Ordnung kriegen. Aber's Geld wird abgeliefert. Verstehst!«

Kopfschüttelnd zog Steffel hinter sich die Tür zu und murmelte sorgenvoll: »Der is übergschnappt von gestern auf heut!« Dabei schien auch die Befürchtung in ihm aufzutauchen, als wären seine guten Zeiten vorüber. »Gfallt's mir nimmer, so geh ich halt!«

In der Stube stand Schorschl vor dem offenen Kasten und holte seine neue Lederhose und die Sonntagsjoppe hervor. »Aber – aufgeputzt wie zu einer Hochzeit – und Geld borgen? Dös schaut sich net gut an!« In Hemdärmeln, das lederne Schurzfell umgebunden, verließ er das Haus. Wie schmuck er aussah! Der richtige Schmied! Kraftvoll und hoch gewachsen! Nur der Ruß an den Händen fehlte.

Auch den Leuten, die dem Daxen-Schorschl begegneten, schien es so vorzukommen, als wäre an seiner Erscheinung irgendwas nicht in Richtigkeit. Sie blieben stehen und sahen ihm lachend nach, als wäre ›Fasnacht‹ und als hätte sich der Daxen-Schorschl ›vermaschkeriert‹. Er merkte das Aufsehen, das er machte, und brummte einen Fluch. Am liebsten wäre er wieder umgekehrt. Aber er hatte nun einmal den Schuß in den Beinen. Und da stand er auch schon vor dem Haus des Zillerlenz. Zu dem hatte er seinen ersten Weg genommen, weil vor zwei Jahren der Zillerlenz den größten Brocken für den Schorschl gezahlt hatte, ganze sechshundert Mark. Da würden ihm doch jetzt die dreihundertfünfzig auch nicht zuviel sein? So hatte sich der Schorschl das eingeteilt: dreihundertfünfzig der Zillerlenz, ebensoviel der Berghofbauer, ebensoviel die dicke Bäckenmahm. Da konnte er seine Schulden zahlen und behielt auf der Hand noch ein Sümmchen für eine geregelte Wirtschaft während der nächsten Zeit.

»Schorschl? Wie schaust denn aus?« rief ihn der Vetter lachend an. »Als ob d' von der Arbeit kämst?«

»Von der Arbeit? Na! Aber zur Arbeit will ich schauen! Und dös ghörig!« Mit dieser Beteuerung leitete Schorschl sein Anliegen ein, wobei der Vetter immer wieder unter Lachen seine kleinen Späße machte. Je ernster Schorschl redete, desto lustiger wurde der Zillerlenz, und schließlich klopfte er dem langen Burschen lachend auf die Schulter: »Schau, Schorschl, eher beiß ich mir d' Nasen ab, eh ich auf dich noch an lucketen Heller verwend. Alles, was d' willst! Bloß kein Geld nimmer!« Schorschl verlegte sich aufs Bitten, wurde aber vom Vetter mit so lustigen Späßen abgefertigt, daß er schließlich selbst mitlachen mußte, obwohl ihm Ärger und Beschämung die Kehle zuschnürten. Als er draußen auf der Straße stand, blies er die heißen Backen auf. Der Hoffnungsfunke, der noch in ihm glomm, schrumpfte zusammen wie eine Zwetschge im Dörrofen. Jetzt trafen fünfhundert auf den Berghofbauer und ebensoviel auf die Bäckenmahm. Die beiden, das wußte er vom letztenmal, hatten ein zähes Leder, besonders die Mahm. Obwohl doch die Weiberleut eigentlich das zartere Häutl haben sollten. Also zuerst zum Berghofbauer! Den traf er nicht zu Hause, sondern mußte ihn auf dem Feld aufsuchen, weit drunten im Tal.

Bei der Kirche überholte ihn der Purtscheller-Toni, der auf flottem Gig eine Trainingsfahrt mit seinem Traber machte. »Was, Schorschl? der greift aus!« Mehr zu sagen hatte Purtscheller nicht Zeit; so flink trabte der siegreiche Bräunl an dem Fußgänger vorüber.

»Der tät den Tausender auch net spüren!« seufzte Schorschl, während er dem Purtscheller nachblickte.

Er hatte sich den ›Dischkurs‹ mit dem Berghofbauer durchaus nicht in rosigen Farben ausgemalt. Aber die Sache kam weit schlimmer. Der Bauer schrie, als hätte Schorschl einen Raubüberfall auf ihn versucht. Eine Weile ließ sich Schorschl das gefallen. Dann rührte sich der Zorn in ihm. Mit einem groben Wort drehte er seinem Vetter den Rücken und stapfte quer durch eine sumpfige Wiese der Straße zu. Schwer atmend wischte er sich den Schweiß von der Stirn und machte zwei Fäuste. »Jetzt möcht ich brav sein, jetzt lassen s' mich net!«

Die Straße war überschwemmt. Bis an die Knöchel mußte Schorschl in dem schlammigen Wasser waten, das mit dumpfem Rauschen aus den unterirdischen Klüften des laufenden Berges hervorströmte. Er sah den Rasenbrocken nach, die auf dem schießenden Wasser schwammen, und blickte über das Gehäng empor. »Arms Madl! Arme Leut!« Da fiel ihm die eigene Sorge wieder ein. »Ich bin einer! Kann mir selber net helfen und denk an andere! In mir muß der Teufel alles verwechselt haben! Wo ich den Verstand haben sollt, hat er mir 's Herz eini gschustert!« Den Kopf auf der Seite, die Hände hinter dem Rücken, stapfte er aus dem schlammigen Wasser hervor.

Ein paar Monate konnte er sich noch weiter fretten. Dann würden es seine Gläubiger genau so machen wie vor zwei Jahren, würden ihre Forderungen an den Rufel verkaufen, und der würde die Daxen-Schmiede wieder auf die Gant bringen. Wer sollte ihm noch helfen? Die Bäckenmahm? Bekümmert schüttelte Schorschl den Kopf. Ein paar hundert Mark? Das wäre vielleicht noch gegangen. Aber aus der dicken Mahm einen ganzen Tausender herausfischen? »Na! Da trau ich mir lieber aus dem Bachl da an Walfisch ziehen!« Zerstreut guckte er in die gleitenden Wellen nieder, während er dem Ufer des schmalen Baches folgte. Zahlreiche Forellen, die aus den verschlammten Gründen heraufgezogen waren, standen in dem klaren Wasser umher. »Herrgott! Da kunnt einer heut an guten Fang machen.« Das hatte er noch kaum gedacht, da erwachte der alte Schorschl in ihm, und der Fang begann. Er krempelte die Hemdärmel auf. Mit sicher gezielten Steinwürfen scheuchte er eine Forelle, bis sie sich in seichtem Wasser unter dem Ufer verbarg. Hurtig ließ er sich auf die Knie nieder, ein gewandter Griff ins Wasser, und lachend hob Schorschl den zappelnden Fisch an die Luft. »Soll mir's einer nachmachen!« Eine halbe Stunde trieb er das so weiter. Dann war sein blaues Schnupftuch bis an die Zipfel mit Forellen angefüllt. Es fiel ihm ein, daß Forellen ein Lieblingsgericht der Bäckenmahm waren. Wenn er ihr die Fische brächte? Ob sie in der Freude über die leckere Mahlzeit nicht mit sich reden ließe? »Probieren wir's halt. Mehr als na sagen kann s' net.« Raschen Ganges erreichte er das Dorf und eilte am Purtschellerhof vorüber, mit geducktem Kopf, weil er auf der Steinbank neben der Haustür den alten Rufel sitzen sah.

Gleich das nächste Anwesen war das Haus der Bäckenmahm, ein zweistöckiger Bau, der zwischen Apfelbäumen stand, an denen noch die rotbackenen Früchte hingen. Garten und Haus boten ein etwas verwildertes Ansehen. Als der Meister Back noch gelebt hatte, war das Haus in schmuckem Stand gewesen. Seine Wittib konnte schon seit Jahren das Zimmer, das sie im oberen Stock bewohnte, nicht mehr verlassen und hatte das Bäckergeschäft an einen Gesellen verpachtet, der keine Veranlassung fühlte, sich um das Ansehen des Hauses zu kümmern. Der Grund, weshalb die Bäckenmahm das Zimmer hüten mußte, war ein merkwürdiger. Nicht Krankheit war die Ursache. Im Gegenteil, sie war zu gesund. Schon bei Lebzeiten ihres Mannes hatte sie nah an drei Zentner gewogen und hatte sich, wenn sie zur Tür aus und ein ging, hart zwischen den Pfosten hindurchzwängen müssen. Einige Zeit nach ihres Mannes Tod passierte ihr das Unglück, daß sie sich in der Stube den Fuß übertrat und eine Sehne verzerrte. Zwei Monate mußte sie liegen. Statt in dieser Leidenszeit ein wenig abzumagern, legte sie Woche um Woche ihrem Gewicht ein paar schwere Pfunde zu. Als der Fuß endlich geheilt war, hatte die Bäckenmahm an Breite so erschrecklich zugenommen, daß sie nicht mehr zur Tür hinaus konnte. Zwischen Stube und Schlafzimmer wurde ein geräumiger Durchgang ausgebrochen; die in den Flur führende Tür blieb, wie sie war; sie zu erweitern, hätte keinen Zweck gehabt; auf die Hoffnung, jemals wieder den schmalen Flurgang und die noch schmälere Treppe passieren zu können, mußte die Bäckenmahm für alle Zeit ihres Lebens verzichten. In seufzender Geduld und mit Beihilfe eines umfangreichen Nachtstuhls ertrug sie dieses Kerkerlos, lebte sich schön langsam zwischen ihren vier Wänden ein, ließ sich Essen und Trinken schmecken und wurde bei dem behaglich schleichenden Wohlleben, das sie führte, zeitweise nur von der einen Sorge gequält, wie man sie nach ihrem seligen Ende aus dem Haus bringen würde.

Der Weg zwischen dem ungetümen Bett in der Schlafkammer und dem weitarmigen Lehnstuhl in der Wohnstube, dazu manchmal ein Gang an das Fenster, das war die einzige Bewegung, die sie machte.

Eben jetzt, als Schorschl mit seinem nassen Bündel die Straße einherkam, lag die Bäckenmahm im offenen Fenster, mit einem Gesicht, so rund und groß wie drei Gesichter mit sechs Hälsen. Langsam den mühsamen Atem vor sich hinblasend, blickte sie einem Mehlsack nach, den die Bäckergesellen an einem unter dem Dachgiebel angebrachten Kran in die Höhe zogen, um ihn auf dem Speicher einzulagern.

»Grüß dich Gott, Schorschl!« rief die Mahm mit ihrer fetten, asthmatischen Stimme. »Kommst net a bisserl auffi zu mir?«

»Ja, Mahm!« Der freundliche Gruß hatte den Daxen-Schorschl wie eine gute Vorbedeutung angeheimelt. »Und ich bring dir ebbes! Ganz ebbes Feins!« Er sprang in das Haus, in dem es appetitlich nach frischen Brezeln duftete. Mit drei Sätzen nahm Schorschl die Treppe, und als er unter Herzklopfen vor der Stubenschwelle zögerte, fühlte er die Dielen schwanken: Drin in der Stube ging die Bäckenmahm vom Fenster zum Lehnstuhl; da spürte immer das ganze Haus ihr Gewicht.

Das Hütl ziehend, trat Schorschl ein, eben als die Mahm sich in den Sessel niederließ ähnlich einem Elefanten bei der Dressurvorstellung im Zirkus. Nur, daß die Bäckenmahm hinten kein Schwänzl hatte. Von der Anstrengung des vier Schritte langen Weges war sie so erschöpft, daß sie kein Wort sprechen konnte, während Schorschl in erzwungener Lustigkeit auf dem Tisch sein Bündel aufknüpfte. Endlich fand sie die Sprache wieder. »Ah, ah, ah!« staunte sie beim Anblick der Fische, fuhr mit der Zunge über die Lippen und faltete wie in andächtigem Gebet die Hände mit den gespreizten Fingern, die so kugeldick waren, daß sie sich nicht mehr aneinanderlegten. »Und so viel große dabei! Ah, ah, ah! Vergelts Gott, Schorscherl! Tausendmal Vergelts Gott!« Dankbar blickten die versunkenen Äuglein aus der Fettsuppe der großen Hängebacken zu ihm auf. »Jetzt kriegst aber gleich a Schalerl Kaffee!«

»Aber Mahm! An Kaffee! Jetzt, um zehne vormittags! Geh weiter!«

»Kaffee is ebbes Guts! Kaffee kann der Mensch allweil trinken. Und Kaffee magert ab, ja!«

Trotz seines Sträubens mußte Schorschl die Magd rufen, welche die Forellen davontrug, um nach einiger Zeit mit der dampfenden Kaffeekanne und einem großen Gugelhupf wieder zu erscheinen. Schorschl begann allerlei Anekdoten und lustige Geschichten zu erzählen, um die Mahm in noch bessere Laune zu bringen. Das Lachen machte ihr freilich schwere Atemnot; dennoch lachte sie gern und war in ihrer Einsamkeit für heitere Gesellschaft dankbar. Das ging ein Viertelstündchen so fort; dann fiel dem Daxen-Schorschl keine Anekdote mehr ein; er strich sich mit schwerer Hand das Haar in die Stirn und seufzte tief.

»Schorscherl? Was hast denn?«

»Sorgen, liebe Mahm! Arge Sorgen!«

»Geh, du armer Kerl! Was is denn passiert?«

»Nix und alles. D' Augen sind mir aufgangen über mich und mein lüftigs Leben! Amal muß der Mensch doch gscheit werden. Jetzt weiß ich's, daß ich die ganzen Jahr her a richtiger Lump gwesen bin. Jetzt laßt's mir kein' Fried nimmer. Völlig treiben tut's mich zur Arbeit. Und schaffen will ich Tag und Nacht, daß d' Fetzen umanand fliegen. Auf Ehr und Seligkeit, liebe Mahm, seit gestern hat sich alles gwendt in mir, und 's Gute is z'öberst kommen. Jetzt bin ich an andrer.« Das hatte Schorschl so ehrlich herausgesagt, daß auch ein eingefleischter Zweifler ihm hätte glauben müssen.

»Schorscherl!« Die gute, dicke Mahm war tief gerührt. »Mein liebs Schorscherl! Daß ich so viel Freud erleben soll! Du? Und a braver Mensch!«

»Glaubst es, Mahm?« fragte Schorschl zwischen Hoffen und Bangen.

»Ja, Schorscherl, ich glaub dir's! Und wann ich amal auffikomm in Himmel, sag ich's gleich meiner guten Schwester selig: Annamierl, sag ich, freu dich, Annamierl, dein Schorschl is a braver Mensch worden!« Kichernd wischte sich die Mahm das Wasser aus den Augen. »Komm, Schorschl, jetzt kriegst noch a Schalerl Kaffee!«

Schorschl schluckte den ganzen Inhalt der Tasse auf einmal.

»Aber gar net begreifen tu ich dich! So an guten Vorsatz hast gfaßt! Wie kannst denn da traurig sein? Da mußt doch lachen vor lauter Freud!«

»Lachen? Ja! Freilich kunnt ich lachen! Wann ich keine Schulden net hätt!«

»Schulden? Ah ja! Schulden! Freilich, so was behindert ein' im besten Lauf!« versicherte die Mahm bedächtig. »Schulden? Ja, ja!«

»Die müßten halt zahlt werden, daß ich an sauberen Weg hab.«

»Freilich! Eh können d' Leut kein richtigs Zutrauen net fassen zu dir. D' Schulden müssen zahlt werden. A guts Anzeichen, daß d' es einsiehst! Aber sag, Schorscherl? Wie willst denn dös machen?«

Schorschl platzte los: »Wann ich's wüßt, wär ich net zu dir kommen!«

»So, so, so, so? Und wieviel tätst denn brauchen?«

Einen Tausender? Das wagte Schorschl nicht herauszusagen. Schnell überschlug er in Gedanken: Vielleicht wär es billiger zu machen; vor allem mußten die Schulden im Dorf bezahlt werden, wenn er die verlorenen Kunden, die in den benachbarten Dörfern arbeiten ließen, wieder in seine Schmiede ziehen wollte; der Schuldschein beim alten Rufel hatte noch Zeit bis Neujahr, dritthalb Monate, inzwischen konnte er arbeiten und verdienen; für sich selbst brauchte er eigentlich auch nichts auf die Hand zu bekommen, er konnte sich von einem Tag auf den anderen weiterfretten; wenn nur der Gesell das Seinige bekam; er selbst konnte hungern, wenn's nicht anders ging. Nur das Nötigste mußte er haben. »Es is eigentlich gar net viel. Fünfhundert Markln halt.«

»Fünf-hun-« Die Mahm brachte das Wort nicht zu Ende und schlug vor Schreck die Hände zusammen, daß ihr ganzes Gewicht in zitternde Bewegung kam. »Um Gotts willen, Schorscherl! Wie willst denn so viel Geld auftreiben?«

»Da hätt ich halt gmeint, du sollst mir's geben?«

»Aber, Schorscherl!« Bei der Mahm war aller Schreck verflogen, alle Rührung erloschen. Ganz ruhig sagte sie: »Na, mein Schorscherl, mein liebs! Da wird nix draus!«

»Mahm! Schau, mir is Ernst!« Er war bleich, und die Lippen zuckten ihm.

»Mir is auch net lustig z'mut.« Seufzend hob sie sich im Lehnstuhl ein bißchen in die Höhe, um bequemer zu sitzen. »Vor zwei Jahr hab ich dir gholfen und hab dir gsagt: Es is 's erste und 's letzte Mal! Was ich gsagt hab, is gsagt.«

Er nahm ihre Hand. »Geh, Mahm, sei gut zu mir! Mach mir 's Bravwerden net gar so hart! Hilf mir a bißl! Oder glaubst mir net, daß ich's ehrlich mein'?«

»Ja, Schorscherl, glauben tu ich dir alles! Aber Geld gib ich dir keins. Lassen wir dö Sach in Ruh! Sorgen vertrag ich net. Dö machen mich fett. Aber 's Lachen zehrt. Sei lustig, Schorscherl! Verzähl mir noch ebbes! Und magst noch a Schalerl Kaffee? Dich hab ich gern, dir vergunn ich's!« Mühsam erhob sie sich, beugte sich wackelnd über den Tisch, füllte die Tasse und legte ein großes Stück Gugelhupf daneben.

Schorschl erhob sich. Wortlos, mit zitternden Händen, legte er das nasse Taschentuch, in dem er die Forellen gebracht hatte, fein säuberlich zusammen, griff nach seinem Hut und ging zur Tür.

»Schorscherl, was hast denn?«

»Geh, Mahm, tu mich net spotten! Du bist mir die letzte Hilf gwesen. Dö andern zwei haben mir eh schon an Tritt geben. No also, muß ich halt schauen, daß ich mich selber durchbeiß. Daß d' mich so in der Bredull sitzen laßt, hätt ich mir doch net denkt von dir. Ich trag dir's net nach. Aber daß ich zu dir noch an Schritt in d' Stuben setz? Na, Mahm! Wir zwei haben ausgschorschelt mitanand. Pfüet dich Gott!« Er stolperte über die Treppe hinunter. Auf der Straße stand er ratlos. Der Kopf brummte ihm, daß er kaum einen Gedanken fassen konnte. Woher jetzt Geld nehmen? Vor allem mußte der Krämer bezahlt werden; bei dem mußte er wieder Kredit haben, wenn er für den Gesellen die Mahlzeiten kochen wollte.

Halt, der Grundhofer! Der ließ in der Schmiede auf Jahresrechnung arbeiten, seit Neujahr machte das immerhin schon an die fünfzig oder sechzig Mark aus! Wenn er dem ein freundliches Wort gäbe? »Der zahlt schon!« Schorschl bekam bei diesem Gedanken einen heiligen Respekt vor einem Menschen, der prompt bezahlt.

Er rannte, daß er in Schweiß geriet. Beim Grundhofer erwartete ihn eine Überraschung, die ihn vor Zorn und Verlegenheit sprachlos machte. »Du bist mir a Feiner!« schalt der Bauer. »Vor acht Tagen hast dein' Gsellen um 's Geld gschickt. Den hab ich zahlt. Und jetzt kommst selber und forderst mich a zweitsmal an! Ah! Dös wär mir die richtige Mod!« Schorschl stotterte eine Ausrede, die dümmste, die ihm einfiel; ohne den Gesellen gehört zu haben, wollte er ihn nicht der Unterschlagung beschuldigen. Daheim aber, in der Werkstätte, brauchte er nur zu sagen: »Steffel, ich komm vom Grundhofer!« Und da wußte er genau, wie sich die Sache verhielt. Das Gesicht des Gesellen redete deutlich. »Um Gotts willen, Steffel, was hast denn mit dem vielen Geld angfangt?« jammerte Schorschl, als wäre das Geld bei ihm zeitlebens eine ernste Sache gewesen.

Steffel versuchte der bösen Geschichte eine heitere Wendung zu geben und lachte. »Schön langsam braucht hab ich's halt. Du hast es gut. Mir pumpen s' nix.«

Dem Daxen-Schorschl verging die Geduld. Er wurde dunkelrot im Gesicht und schrie: »Jetzt packst dich aber! An Lumpen hab ich dulden müssen neben meiner, denn ich bin selber einer gwesen. Für an Spitzbuben is mir mein Haus a bißl z'gut!«

»Oho!« Steffel faßte den Schmiedhammer; aber da kam er übel an.

»Glaubst, ich fürcht dich, du Laubfrosch, du!« Mit der Faust schlug Schorschl dem Gesellen das Eisen aus der Hand, packte ihn an der Brust und schüttelte ihn, daß ihm die Zähne klapperten. »So! Und jetzt fahr ab! Und bist in einer Stund mit deim Ranzen net draußen zum Haus, so mach ich dir Füß!«

Als Schorschl allein war und sein Zorn verrauchte, überkam ihn eine Niedergeschlagenheit, daß er am liebsten geheult hätte. Ein Schritt weckte ihn. Es war der Bauer, dessen Leiterwagen in der Werkstätte auf das Beschlag wartete. »Wann krieg ich denn mein' Wagen?«

Schorschl erhob sich, um nachzusehen, wie weit der Gesell die Arbeit schon gebracht hätte. »Komm halt am Abend wieder! Ich mein', daß ich ihn fertig bring.«

»No, da bin ich neugierig! Da mußt deim Gsellen fleißig helfen!«

»So? Meinst?«

»Ja!« Der Bauer ging.

Man läutete die Elfuhrglocke, als Schorschl die Arbeit begann. In seinem Eifer übersah er den Gesellen, der mit seinem Ranzen über den Hof spazierte.

Steffel verließ seinen Dienst, ohne dem Meister einen letzten Gruß zu sagen. Drüben im Wirtshaus trank er sein ›Abschiedsmaßerl‹ und erzählte, daß ihm die ›Lumpenwirtschaft‹ in der Daxenschmiede endlich zu dick geworden und daß er dem Schorschl aufgesagt hätte, um bei einem ›repadierlichen‹ Meister Arbeit zu suchen.

»Ui jegerl«, meinte der Wirt mit halbem Erbarmen, »jetzt hat er kein' Gsellen nimmer, der d' Arbeit für ihn macht! Da schwimmt er bald, der Schorschl!«

Das hörte der alte Rufel, der hinter dem Ofen saß und den Gebetriemen um die Hand legte. Er seufzte und wiegte den grauen Kopf zwischen den Schultern.

Dazu tönte es immer von der nahen Schmiede herüber: kling, kling, kling, kling! Und wenn die Hammerschläge für kurze Weile aussetzten, wirbelte dicker Rauch aus dem Schornstein der Esse.

Zur Mittagszeit schwieg der Lärm im Dorf, und auf der Straße rasselte kein Wagen mehr; nur in der Schmiede wollten die Hammerschläge nicht ruhen: kling, kling, kling, kling!

Als gegen sechs Uhr abends der Bauer um seinen Wagen kam, war die Arbeit schon seit einer Stunde fertig, und Schorschl schmiedete ein paar Hufeisen auf Vorrat.

»Was bin ich schuldig?« fragte der Bauer.

Schorschl stieß die Zange in die Glut und zog den Blasbalg. »Z'erst schau dir d' Arbeit an, ob z'frieden bist.«

Bedächtig schritt der Bauer rings um den Wagen, untersuchte die Eisenreifen der Räder und prüfte das Beschläg der Deichsel. »Sauber is alles gmacht. Respekt! Wann er mag, dein Gsell, versteht er sei' Sach.«

»Den Gsellen hab ich davongjagt in der Fruh.«

»Was?« Der Bauer riß Mund und Augen auf. »Schorschl! Is der Heilig Geist niedergflogen über dich? No also, was bin ich schuldig?« Er zog den ledernen Beutel hervor.

»Die ganze Zeit hast im andern Dorf arbeiten lassen. Oder net?«

»Dös hat seine guten Gründ ghabt.«

»Freilich! Wann 's dir net pressiert hätt mit deim Wagen, wärst eh net zu mir kommen, gelt?«

»Na!«

»Was hast denn drüben zahlt?«

»Vierundzwanzg Mark für an Wagen.«

»So zahl mir zwanzg. Wann ich d' Leut wieder einizügeln will zu mir, muß ich besser arbeiten wie die andern und billiger.«

Schmunzelnd suchte der Bauer aus seinem Beutel zwei Zehnmarkstücke hervor und legte sie auf den rußigen Werktisch. »Ich hätt schon noch a bißl Arbeit für dich.«

»Sei so gut und bring mir's!«

»Ja, morgen! Hilfst mir den Wagen aussischieben?«

Der Bauer faßte die Deichsel und Schorschl ein Rad. Mit Rasseln und Holpern rollte der Wagen über die Torschwelle in den Hof hinaus. Draußen hatte der Bauer ein leichtes Ziehen, die Straße ging bergab.

Als Schorschl in die Werkstätte zurückkam, wog er die beiden Goldstücke ehrfürchtig auf der Hand. »Die müssen fort! und gleich! Sonst reißt's mich am Abend ins Wirtshaus ummi. Ich kenn mich.« Die Faust mit dem Geld in die Hosentasche grabend, lief er zum Krämer hinüber. Es war ein verschämter Stolz in seinem Blick, als er die zwei Goldstücke mit festem Daumendruck auf die Ladenbudel legte und zur Krämerin sagte: »Da! Mehr hab ich net. Mit dem andern mußt halt noch a bißl zuschauen.«

Die Frau wurde vor Überraschung rot im Gesicht. »No, no, gar so pressieren tut's doch net. Bist mir ja gut! Sonst nix gfällig?«

Schorschl zögerte. »Mehl und Schmalz zum Kochen tät ich brauchen. Schreibst mir denn noch was auf?«

»Wer zahlt, hat Kredit. Sonst brauchst nix? Kein' Tabak?«

»Na!« Das Wort hatte den Daxen-Schorschl Überwindung gekostet. An einem Pfeifl hing ihm das Herz. Deshalb fügte er kleinlaut bei: »Meinetwegen! Kannst mir a Packerl geben. Aber bloß an einzigs.«

»Vom guten?«

»Na, vom Stinkadores. Der tut's schon für mich.«

Als Schorschl mit der großen Papiertüte, in die ihm die Krämerin alles eingepackt hatte, über die Straße schritt, bekam er einen Anfall von Reue. »Wann ich ihr bloß d' Hälfte zahlt hätt, wär's fürs erstemal auch gnug gwesen. Und ich hätt a bißl ebbes auf der Hand bhalten.« Dann lachte er und schüttelte den Kopf. »Ah was! Gott sei Dank! Zahlt is zahlt!« In seiner Werkstätte legte er den Pack in eine Fensternische. Es begann schon zu dämmern; aber eine halbe Stunde konnte er immer noch arbeiten; er hatte in den Fäusten ein so merkwürdiges Zucken, das ihm keine Ruhe ließ. ›D' Arbeit muß a Krankheit sein‹, meinte er, ›wann die amal ein' packt, so laßt s' nimmer aus.‹

Während er den Blasbalg trat, um die eingesunkene Glut wieder zu beleben, verfinsterte sich das Tor, und eine Mädchenstimme klang: »Guten Abend!«

Schorschl fuhr auf, als hätte er sich den Ellbogen angestoßen und das Mäuschen geweckt.

Auch Vroni, die auf der Schwelle stand, einen Spaten über der linken Schulter und das Beil in der rechten Hand, schien ihren Augen nicht zu trauen und glühte über das ganze Gesicht. Oder war's nur der Widerschein der Essenglut? Denn sie sagte ruhig: »Ah, da schau! Du? Hab gmeint, dein Gsell is bei der Arbeit. An dich hätt ich net denkt.«

»Sonst wärst am End gar net eini? Was?« Schorschls Fuß, der den Blasbalg trat, kam in rascheres Tempo.

Vroni nahm den Spaten ab. »Unser Grabscheit is verbogen und hat die richtig Härten nimmer. Und am Beil hab ich mir die halbe Schneid ausgsplittert. Kannst mir's heut noch machen?«

»Ja!« Er verließ die Esse.

»Ich hab noch an Weg«, sagte sie, »zum Kramer, ja, und komm wieder vorbei.«

»Magst net lieber warten?« fragte Schorschl hastig.

»Na!«

Er lachte merkwürdig. »Fürchtst dich vor mir?«

Da sah sie ihn groß an. »Ich? Warum denn?« Mit dem Fuß stülpte sie einen Wasserzuber um und setzte sich. »Wann d' meinst, kann ich auch warten.«

»Ja, es is besser! Ich kunnt davonlaufen und zusperren.« Seine Stimme bekam einen Ton, als hätte er was Bitteres geschluckt. »So a Lump, wie ich einer bin, halt's net lang bei der Arbeit aus.«

»Ich glaub's.«

»Gelt?« Er trat mit dem Beil zum Fenster und besah den Schaden. »Da mußt aber grob zughaut haben?«

»Es braucht's halt.«

»Freilich!« Seine Stimme klang wieder freundlich. »Wie steht's denn droben?«

»Allweil im gleichen. Es hat sich nix g'ändert über Nacht.«

Da guckte er langsam über die Schulter. »No, wer weiß, vielleicht doch a bißl ebbes.« Er löste vom Beil den Stiel ab, nahm das Eisen zwischen die Backen einer großen Zange, wühlte sie unter die Glut hinein und versetzte dem Blasbalg einen so ausgiebigen Tritt, daß eine Sprühgarbe von Funken in den Kamin hinaufloderte.

Vroni runzelte ernst die Brauen; sie mußte aus Schorschls letzten Worten etwas Ungemütliches herausgehört haben, und es spielte um ihren Mund, als müßte sich dieser Ärger entladen. Ihre Augen schossen einen spöttischen Blick zur Esse hinüber. Unter leisem Lachen fragte sie: »Bist gut heimkommen?«

Schorschl schob eine kleinere Zange mit einem fingerlangen Stahlstäbchen in die Glut. »Heimkommen? Wann denn?«

»Heut nacht.«

»Ah so? Ja, ja, ganz gut! Siehst es ja, an Haxen hab ich mir net brochen.«

»Da kannst von Glück sagen. So a Weg in der Nacht is hail.«

»Fest hintreten muß man, nacher rutscht man net.« Mit raschem Schwung hob Schorschl die beiden Zangen aus der Esse und faßte den schweren Hammer, um die neue Stahlschneide an das ausgesplitterte Beil zu schweißen. Wie ein zerdrücktes rotes Herz lag das glühende Eisenstück zwischen dem Griff der Zange. Der Amboß tönte wie eine Glocke, und sternhell flogen bei jedem Hammerschlag die Funken in den großen dämmrigen Raum; sie leuchteten nur und brannten nicht; sie flogen dem Schmied ins Gesicht, in die Haare, an die nackten Arme, an die offene Brust und sprühten hinüber bis in den Schoß des Mädels. Vroni rückte immer weiter zurück; die Funken flogen ihr nach. Das gewahrte Schorschl, und immer emsiger drosch er mit dem Hammer, so daß an seinem kräftigen Arm alle Muskeln spielten.

Die Glut des geschweißten Eisens drohte zu erlöschen, und Schorschl zwang die Zange wieder in die Esse hinüber. Während er den Blasbalg trat, umsäumte der Feuerschein seine ganze Gestalt, sein Haar und sein Gesicht mit roten Linien. Draußen vor dem Bogen des Tores dunkelte es immer mehr, und am fahlen Himmel zitterte schon mit blassem Schein der Abendstern.

Ob Schorschl die brennende Röte auf Vronis Wangen und den Glanz ihrer staunenden Augen richtig deutete? Oder ob es ihm die eigene Arbeitsfreude auf die Lippen legte? »Gelt«, sagte er, »in der Schmieden is schön?«

»Ja, da gfallt's mir.«

»Möchtest net hausen herin?« Das fragte Schorschl lachend, in jener Art, in der man vom Wetter zu reden pflegt.

Im gleichen Ton antwortete Vroni: »Warum denn net? Der Schmied müßt halt an andrer sein.«

»No, wer weiß, vielleicht wird noch amal an andrer aus mir.«

»Wer's glaubt!«

»Du vielleicht net?«

»Na! Und so hab ich's net gmeint.«

»Ah so? An ganz andern meinst?« Schorschl hob die Zange auf den Amboß. »Freilich, ich weiß, viel halten tust net von mir!« sagte er, immer ein paar Worte nach jedem Hammerschlag einschiebend. »Kannst auch recht haben, daß die beste Schneid an mir schon Fransen kriegt hat. Grad so wie dein Beil! Aber der richtige Schmied, mein' ich, kunnt den Schaden vielleicht doch wieder ausgleichen.« Mit der Zange hielt er dem Mädel das rotglühende Eisen hin. »Schau! Da hat's wieder die schönste Schneid, dein Beil! Bloß härten muß ich's noch.« Er schob die Zange wieder in die Glut und zog den Blasbalg. »Ja, Vroni! Über mich müßt die richtige Schmiedin kommen.«

»Such dir s' halt!«

Er lachte. »Dann fang ich mit'm Suchen gleich an. Tätst es net riskieren mit mir?«

»Na! Ich dank schön!«

»Geh, probier's!«

»Aufs Probieren laß ich mich net gern ein. Ich geh lieber sicher.«

»So heirat mich halt! Dös wär 's Allersicherste. Von dir ließ ich mir ebbes sagen.«

»Da weiß ich mir was Bessers.«

»Du bist aber heikel!«

»Für gewöhnlich net. Beim Heiraten schon.«

»Ja, hast recht! An neuen Hut, wann er ein' druckt, kann man fürs halbe Geld der Nachbarin aufhängen. Aber a Mann bleibt eim. Dös muß von Anfang gleich der Richtige sein.«

»Hätt gar net glaubt, daß d' so gscheit bist!«

»Freilich, mancher schaut dümmer aus, als er is.«

Da lachten sie alle beide, als wäre ihnen der harmlose Spaß nach Wunsch geraten. Dann schwiegen sie; und während Vroni, die von der strahlenden Wärme des Essenfeuers belästigt schien, mit der Hand über Stirn und Wangen fuhr, haschte Schorschl den Schnurrbart zwischen die Zähne und trat mit ungestümem Fuß die Stange des Blasbalges. Plötzlich riß er die Zange aus der Glut. »Herrgott, jetzt hätt ich den Stahl bald überhitzt!«

Vroni hatte die Ellbogen auf die Knie gelegt und blickte finster zum verlöschenden Glanz des Himmels und zu dem zitternden Gefunkel des immer heller brennenden Sternes auf. Schorschl stand vor dem Amboß; weil es in der Werkstatt schon dunkel war, mußte er Vroni den Rücken kehren, um die Helle des Essenfeuers für die Arbeit zu nützen. Grau zeichnete sich seine hohe, breitschulterige Mannsgestalt in den roten Schein. Unter achtsamen Schlägen gab er der Schneide des Beils mit einem kleinen Hammer die glatte Form. Dann tauchte er den glühenden Stahl in den mit schwarzem Wasser gefüllten Löschbottich, rasch und kurz, so daß es kaum zischte und nur ein kleines, rot beleuchtetes Dampfwölkchen aufstieg. Und als der nun äußerlich abgekühlte Stahl von innen heraus wieder matt zu glühen begann, versenkte Schorschl die Schneide langsam in das Ölbad. Er schien das Bedürfnis zu fühlen, dem Mädel diese Hantierung zu erklären. »Wann einer z'grob mit'm kalten Wasser kommt, dös kann den besten Stahl verderben.« Seine Stimme klang anders als früher. »Aber je feiner einer 's Öl braucht, so besser wird d' Schneid!« Vroni blickte auf und sah wieder zum Tor hinaus.

Der Spaten machte geringe Arbeit, eine kurze Glut und ein paar Streiche mit dem Hammer. Schorschl erledigte das, ohne ein Wort zu sagen. Diese Stille schien Vroni unbehaglich zu berühren; plötzlich fragte sie: »Daß du heut arbeitst? Wo is denn dein Gsell?«

»Den hab ich davongjagt in der Früh.«

»Was? Warum denn?«

»Weil er a Lump is.«

Vroni wollte lachen. Bei dem funkelnden Blick, der sie aus Schorschls Augen traf, blieb ihr die Heiterkeit in der Kehle stecken. Nach einer Weile fragte sie gereizt: »Daß einer a Lump is, seit wann gfallt dir denn so ebbes nimmer?«

»Gar lang is's noch net her. Gestern, mein' ich, war's noch anders gwesen.« Ruhig lehnte er den Spaten an den Türpfosten. »Soll ich dir 's Beil schleifen?«

Jähe Röte war über Vronis Wangen geflogen; nun schüttelte sie den Kopf und griff in die Tasche; sie mußte sich räuspern, ehe sie fragen konnte: »Was bin ich schuldig?«

»Nix. Is gern gschehen.«

Da fuhr sie auf, so grob, als hätte er ein böses Wort gesagt. »Du! Schenken laß ich mir nix!«

»Und ich verlang nix. Arbeit nach Feierabend mach ich bloß zur Rekrazion. Dös is kein Geschäft nimmer.«

»Und ich will nix gschenkt haben. Wann mir net sagst, was verdient hast, muß ich halt selber schätzen. Vier Mark kriegt einer, der ordentlich arbeit den ganzen Tag. Macht vierzg Pfennig d' Stund. Und dös halbe Stündl da? Bin ich dir halt zwanzg Pfennig schuldig.«

Daß sie so genau rechnete, ärgerte ihn. »Billig machst es! Da kunnt a Schmied auskommen bei deiner Rechnerei! Der Stahl, meinst, kostet gleich gar nix?«

»Mehr als zwei Fünferl wird dös Bröckl net wert sein! Da hast deine dreißg Pfennig!« Vroni legte das Geld auf den Amboß, packte das Beil und den Spaten und schritt ohne Gruß zum Tor hinaus.

»So? So?« schrie Schorschl mit einer Stimme, die ihm kaum aus der Kehle wollte. »Da kauf ich mir jetzt grad an Schnaps dafür. Grad mit Fleiß!« Zornig nahm er das Geld und schob es in die Tasche. »Dürsten tut mich eh, daß mir einwendig alles wie Fuier is!« Wütend faßte er den Wasserzuber, füllte ihn aus dem Bottich und löschte mit einem Guß die Glut der Esse. Dann wusch er Gesicht und Hände. Darüber schien er seinen durstigen Vorsatz vergessen zu haben; aus einem Wandschrank nahm er seine C-Trompete und ging hinters Haus in den Garten. Hier saß er und spähte erwartungsvoll nach dem Weg, der zum Gehäng des laufenden Berges führte. Plötzlich hob er die Trompete an den Mund; aber sei es, daß ihm von der Kühle des Abends die Finger steif geworden, oder sei es, daß er die richtige ›Amboschur‹ nicht hatte – er mußte ein paarmal ansetzen, bevor er einen klaren, schönen Ton zuwege brachte. Und da blies er nun mit schmachtenden Klängen:

»Du, du liegst mir im Herzen,
Du, du liegst mir im Sinn,
Du, du machst mir viel Schmerzen,
Weißt nicht, wie gut ich dir bin.
    Jaaa, jaaa . . .«

Ohne das Lied bis ans Ende zu blasen, setzte Schorschl die Trompete ab und ließ sie zwischen den Knien baumeln. »Mir scheint gar, ich bin in dös Madl verliebt!« Er hatte in seinem ganzen Leben noch kein so dummes Gesicht gemacht wie jetzt, da diese Erkenntnis in ihm auftauchte. »Sakra! Da bin ich schön angrumpelt!« Langsam erhob er sich, kraute sich hinter den Ohren und seufzte tief. »Da schaut nix Guts net aussi!« Es befiel ihn die Versuchung, über sich selbst zu lachen. »Schorscherl, Schorscherl«, sagte er mit der Stimme der Bäckenmahm, »du bist a närrisches Luder!«

Langsam trat er ins Haus, kochte das Nachtmahl, und, auf dem Herd sitzend, löffelte er den Schmarren aus der Pfanne. Nachdem er im Hof an der Brunnenröhre getrunken hatte, schloß er Werkstatt und Haustür, zündete sein Pfeifl an und setzte sich in der dunklen Stube auf die Ofenbank. Bei jedem Paffer, den er vor sich hinblies, krabbelte ihm eine Sorge über den Rücken. Doch einem, der sich am Tage müd gearbeitet, erscheinen alle Sorgen um so leichter, je schwerer ihm die Glieder werden. Als die Glut in der Pfeife erloschen war, erhob sich der müde Daxenschmied, um sein Lager zu suchen. Kaum hatte er sich ausgestreckt, da fiel ihm der Schlaf über die Augen.

 


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