Ludwig Ganghofer
Der laufende Berg
Ludwig Ganghofer

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10

Rings um das brennende Haus zuckte alles von grellroter Helle und schwarzen Schatten. Schreiende Menschen füllten den Garten; sie wollten helfen, doch Rauch und Flammen verwehrten ihnen den Eingang. Das Feuer mußte in der Backstube ausgebrochen sein, hatte schon alle ebenerdigen Räume ergriffen und war über die Treppe in den Dachstuhl hinaufgeklettert. Der Rauch hatte die alte Magd, die neben den Zimmern der Bäckin in einer Kammer schlief, aus dem Schlummer geweckt, und weil sie die Treppe schon vom Feuer ergriffen sah, war sie im ersten Schreck, ohne sich weiter um ihre Herrin zu kümmern, aus dem Fenster in den Garten gesprungen. Jetzt heulte sie um die arme Frau, die hilflos verbrennen mußte, und machte mit ihrem Geschrei die Leute noch konfuser, als sie schon waren. Während man ratlos durcheinander kreischte, kam die freiwillige Dorffeuerwehr mit Spritze und Schubleiter angerasselt, und Purtscheller, der als Kommandant eine funkelnde Uniform und einen blitzblanken Messinghelm trug, begann seine Befehle auszuteilen, von denen einer dem andern widersprach. Eine heillose Verwirrung entstand, und so hätte es der dicken Bäckin in ihrem Stubenkerker übel ergehen können, wenn nicht der Daxen-Schorschl mit seinem Schmiedhammer und einem fertigen Rettungsplan auf dem Brandplatz erschienen wäre.

Mit derbem Ellbogen stieß er den scheltenden Herrn Kommandanten beiseite, wälzte die Schubleiter vor die Firstmauer, und als er die Leiter bis zu einem Fenster aufgewunden hatte, kletterte er hurtig über die Sprossen hinauf. Mit einem einzigen Streich seines Hammers schlug er den ganzen Kreuzstock in die Stube hinein und begann auf die Mauer loszuarbeiten mit so wilder Kraft, daß jeder Hammerstreich die Öffnung in der Wand um eine ausgiebige Scharte erweiterte. Dicker Rauch quoll ihm entgegen, der ihm fast den Atem benahm, die Mauerbrocken fielen ihm auf Kopf und Schultern, doch er schlug und schlug, bis das Loch in der Wand schon breiter als eine Tür geworden war. Nun merkten die Leute, was er wollte, und gehorchten jedem Wort, das er aus Rauch und Staub zu ihnen hinunterrief.

Durch die weite Öffnung war der Qualm aus der Stube entwichen, und bei dem Flackerschein sah Schorschl die Bäckenmahm in weißer Nachtjacke und Schlafmütze bewußtlos auf den Dielen liegen. »Wasser! Wasser!« schrie er. Als der Spritzenmann mit dem Schlauch über die Leiter heraufgeklettert war, ließ Schorschl, um die Bewußtlose zu ermuntern und das Holzwerk gegen das eindringende Feuer zu sichern, den zischenden Wasserstrahl über den Fettberg der Bäckenmahm und durch die ganze Stube spielen. Dann sprang er in das klaffende Mauerloch. »D' Leiter in d' Höh bis unters Dach! Und den Flaschenzug abi!« befahl er. »Vierthalb Zentner Frauenzimmer tragt kein Goliath über d' Leiter. Wir müssen die Bäckin mit 'm Flaschenzug abilassen wie an Mehlsack! Aber flink! Mir scheint, es pressiert!«

Er wandte sich in die Stube, und weil ihm von dem geschluckten Rauch schon wirblig zu werden begann, griff er mit beiden Händen in das auf den Dielen stehende Wasser und wusch sich das Gesicht. Dabei merkte er nicht, daß seine Hände bluteten. Jetzt hatte er auf andere Dinge zu achten, weil jetzt das Schwerste kam, den ohnmächtigen Koloß der Bäckenmahm auf den Lehnstuhl zu heben! Vierthalb Zentner frei vom Boden emporzustemmen, das ist eine Arbeit. Sie gelang. Freilich war dem Schorschl einen Augenblick, als wollten ihm alle Sehnen reißen. Entkräftet taumelte er gegen den Tiscch, umwirbelt von dem rotleuchtenden Dampf, der von der brennenden Tür durch die Stube wallte. Da kletterte schon der Spritzenmann mit Stricken und dem Flaschenzug durch das Mauerloch. Die Bewußtlose wurde auf dem Lehnstuhl festgeschnürt und dann der Flaschenzug in die Stricke eingehakt. »Auf!« schrie Schorschl durch das Mauerloch hinunter.

Drunten begannen die Leute am Seil zu ziehen. Der Lehnstuhl mit der Bäckenmahm geriet ins Schweben. Jetzt schwankte er durch das Mauerloch heraus und baumelte frei in der Luft. Der Spritzenmann vermochte das Schaukeln und Drehen des Sessels nicht zu verhindern, und so fing der Lehnstuhl mit der weiß gekleideten Bäckin ein immer flinkeres Kreisen und Wiegen an, während er sich langsam zu Boden senkte. Das war bei aller Gefahr des Augenblicks ein Bild von so drastischer Komik, daß die Leute trotz des Erbarmens, das sie mit der armen Frau empfanden, den Ernst nicht völlig bewahren konnten. Allen Lärm übertönte eine kreischende Weiberstimme: »Wie der Heilige Geist schwebt s' abi!« Ein dumpfer Krach erstickte das Gelächter, das diesen Worten folgte. Es war höchste Zeit gewesen, daß der Lehnstuhl mit der Bäckenmahm den Boden erreichte. Der First des brennenden Hauses war entzweigeborsten, brennende Balken stürzten nieder, droben in der Stube war die Decke eingebrochen, und während ein Gewirbel von Rauch und Funken aus dem Mauerloch hervorquoll, sausten in dicken Garben die brennenden Flocken der auf dem Bodenraum explodierten Mehlsäcke in die Nacht hinaus und rieselten gleich einem feurigen Sprühregen über den ganzen Umkreis des Hauses. Erschrocken stoben die Leute auseinander, und nur wenigen fiel es auf, daß der Daxen-Schorschl nicht beim Lehnstuhl der Bäckenmahm zu sehen war.

»Mar' und Josef! Wo is denn der Schorschl?«

Halb besinnungslos saß er droben auf der Brüstung des Mauerloches und hielt den Kopf an die geschwärzten Steine gelehnt. Die Funken fielen auf ihn nieder, brannten ihm Löcher in das Gewand und versengten ihm die Haare. Als er seinen Namen schreien hörte, schaute er auf. Im gleichen Augenblick streifte ein fallender Glutstrunk seine Schulter. »No, no, no, a bißl langsam, ich geh ja gleich!« brummte er, während ihm alle Sinne taumelten. »So arg pressiert's net, daß der Teufel den Schorschl holt!« Gemächlich rutschte er von der Brüstung und ließ sich die sechs Meter in den Garten hinunterplumpsen. Ein paar Männer fingen ihn auf, aber der Sturz war doch so hart, daß Schorschl sich kaum wieder aufzurichten vermochte. »Unkraut verdirbt net!« sagte er und schüttelte die Funken von der Joppe. »Wo is denn die Mahm? Es is ihr doch hoffentlich nix passiert?«

Als er zum Lehnstuhl kam, von dem man gerade die Stricke löste, mußte er sich an den Knäufen der Lehne festhalten, um nicht umzusinken. Die kalte Nachtluft schien ihn langsam wieder zu ermuntern.

Die Bäckenmahm war aus der Ohnmacht erwacht; doch ihre versunkenen Äuglein blickten verständnislos, während sie mit zitternden Händen an ihrem triefenden Nachtgewand herumtastete.

»Macht nix, Mahmerl!« tröstete Schorschl. »Dei' Schlafhauben trücknet schon wieder! 's Wasser is weniger gfahrlich als wie 's Fuier!« Aufatmend wandte er sich an die Umstehenden. »Ich bitt schön, Leut, packts a bißl mit an! Wir müssen die Mahm zu mir heimbringen. Ich muß ihr halt in meiner Werkstatt aufbetten, wir bringen s' ja zu keiner Tür net eini!«

Ihrer sechse faßten den Lehnstuhl. Wie eine ›heilige Martrerin beim Umzug‹ wurde die Bäckenmahm in die Daxen-Schmiede getragen.

Auf dem Brandplatze war jetzt Purtscheller als Feuerwehrkommandant wieder Herr der Situation. Er dirigierte den puffenden Wasserstrahl bald durch die Fenster in die brennenden Räume, bald wieder in die rauschende Lohe des Daches. Als der Brunnen kein Wasser mehr geben wollte, organisierte Purtscheller zwischen der Feuerspritze und dem Bach eine dicht geschlossene Reihe, durch deren Hände die ledernen Wasserkübel auf und nieder wanderten. Die Leute, als sie sahen, daß an dem brennenden Hause nichts mehr zu retten war, erlahmten bald in ihrem Eifer. Nur eine kleine Schar hielt noch tapfer beim Wassertragen aus. Unter diesen rastlos arbeitenden befand sich Mathes und Vroni mit ihrem Vater. Die drei waren atemlos auf dem Brandplatz eingetroffen, als man die Bäckenmahm auf ihrem ledergepolsterten Speckthron davongetragen hatte. Der Anblick des Daxen-Schorschl, der in seinem von Brandlöchern und Mauerschutt verwüsteten Gewand und mit dem rauchgeschwärzten, blutfleckigen Gesichte kaum zu erkennen war, hatte Vroni stumm und bleich gemacht; während sie die schweren Wasserkübel schleppte, horchte sie unruhig auf jedes Wort, das in ihrer Nähe gesprochen wurde.

Eine erregt durcheinanderschwatzende Gruppe hatte sich um den Geschäftsführer der Bäckin gebildet, der die Schuld am Ausbruch des Feuers auf eine Fahrlässigkeit des Gesellen schob und seinen Verlust bejammerte; er war brotlos und hatte den Koffer mit seinen Habseligkeiten und seinem ersparten Geld verloren. »Wer macht mir denn mein' Schaden gut? Die Bäckin? Dö hat selber nix mehr. Dö hat 's ganze Vermögen in Pfandbrief droben im Kasten ghabt. Und ihr Gschäft is hin. Und ihr Haus brennt nieder bis auf'n Boden. Und kriegen tut s' nix dafür, weil s' allweil z'geizig gwesen is, als daß sie sich hätt versichern lassen.«

Diese Nachricht weckte in Purtscheller eine Erinnerung. Verstört blickte er zu dem Flug der durch die grell erleuchtete Nacht dahintreibenden Funken auf, rief stotternd dem Spritzenwart zu, das Kommando ›für ein paar Minuten‹ zu übernehmen, und rannte auf die Straße hinaus. In der Eile verlor er den blitzblanken Messinghelm und nahm sich nicht die Mühe, ihn wieder aufzuheben. Als er seinen Garten erreichte, kam ihm Karlin von der durch den Feuerschein erhellten Haustür entgegen. Sie trug ihr Bübchen auf den Armen, das sie zum Schutz gegen die Nachtkälte in eine Decke gehüllt hatte. »Gott sei Dank, Toni, daß d' heimkommst!« stammelte sie. »Ich weiß mir ja nimmer z'helfen! 'sTonerl bleibt net allein in der Stuben droben, und es muß doch wer herunten sein und aufpassen, ob nix passiert! Unsere Leut sind davongelaufen, und schau nur, wie d' Funken ummifliegen über unser Haus! Um Gotts willen, Toni! Ich bin so in Sorg!«

»Karlin«, keuchte Purtscheller, »hast net a bißl Geld bei der Hand?«

»Aber Toni! Wie soll denn ich Geld haben? Vertraust mir ja nie was an!«

»Du mußt was haben! Ich brauch's!«

Sein verstörtes Wesen mehrte die Sorge, »Toni, so sag mir doch, was hast denn?«

»Unglück überall! Grad heuer muß mir's passieren, daß ich net an d' Versicherung denk!«

»Jesus Maria!« Karlin umklammerte seinen Arm. »Wieviel brauchst denn? Dem Tonerl sein Sparbüchsel hab ich droben –«

»Her damit!«

Sie stürzten ins Haus und über die Treppe hinauf. In der Stube brannte die Hängelampe, die Schlafkammer war ohne Licht, nur matt erhellt durch den roten Feuerschein der Brandstätte; gleich tanzenden Sternen flogen vor den Fenstern die Funken vorüber.

»Sei stad, Herzerl!« tröstete Karlin das weinende Kind, während sie aus ihrem Wäschekasten die kleine Blechbüchse hervorsuchte, »'s Schlüsserl hab ich nimmer«, stammelte sie, »dös hab ich in der Kirch der heiligen Mutter Gottes in d' Hand glegt!«

Purtscheller packte die Blechbüchse, rannte in die Stube hinaus und riß das Vorhängeschloß von dem kleinen Schatzgut seines Kindes. Ein Dutzend Goldstücke kollerten über den Tisch. Purtscheller raffte sie zusammen und sprang davon. Zuerst suchte er den Buchbinder auf dem Brandplatz; hier fand er ihn nicht; der Mann war heimgelaufen, hatte seine Kinder und Gesellen zusammengerufen, um das von den fliegenden Funken bedrohte Schindeldach seiner Scheune mit Wasser zu überschütten, und stieg gerade, als Purtscheller kam, mit einer Gießkanne über die Leiter hinauf. »Du! Sei so gut, an Augenblick!« rief ihm Purtscheller zu.

Der Buchbinder schleppte ruhig die Gießkanne vollends über die Leiter hinauf und reichte sie einem seiner Buben. Dann erst kam er. »Was schaffen S', Herr Purtscheller?«

»Da! Nimm! Da bring ich dir 's Geld für die Polizzen! Sei gscheit und nimm's!« Purtscheller versuchte, ihm die Goldstücke in die Hand zu zwängen. Der Buchbinder hielt die Faust geschlossen und schüttelte den Kopf. »So nimm doch! Ob ich gestern zahlt hätt oder ob ich heut zahl, dös wird ja doch wurst sein!« Er wollte dem Mann das Geld in die Joppentasche stecken.

Der Buchbinder wehrte sich und trat zurück. »Na, Herr Purtscheller! Dös kunnt ich als Agent net verantwortigen vor der Gsellschaft. Ich hab Ihnen gmahnt, Sö haben net ghört drauf. Jetzt kann ich nix mehr machen. Morgen, wann alles wieder in Ruh is, meintwegen! Aber heut in der Nacht, wo 's Fuier umanandfliegt? Na! Dös geht net!«

In Purtscheller loderte der Jähzorn auf. »So einer bist du? Ganz recht, daß ich dich endlich amal kennenlern! Man muß sich ja net grad bei dir versichern lassen.«

»Vater!« klang vom grell beleuchteten Dach eine kreischende Knabenstimme. »Da geht schon wieder a Fuier in d' Höh!« Der Buchbinder sah hinter dem Dach des Purtschellerhofes eine Flamme emporsteigen, als wäre Stroh in Brand geraten. »Herr Purtscheller! Schauen S', daß S' heimkommen! Ich fürcht, Sö kriegen Arbeit daheim.«

Purtschellers Gesicht war entstellt; wortlos stürzte er davon, ohne zu merken, daß ihm die Goldstücke durch die schlaff gewordenen Finger glitten. Als er in die Nähe der Dorfstraße kam, sah er einen Haufen schreiender Leute. Er rannte, bis ihm der Atem versagte. Bei der Gartentreppe stieß er mit Karlin zusammen, die ihn nicht erkannte; in verzweifelter Angst hielt sie ihr Kind umklammert und lief über die Straße hinüber, um es im Haus des Nachbars in Sicherheit zu bringen.

Auf dem Kirchturm begann eine zweite Glocke anzuschlagen, und rasselnd kam die Feuerwehr, die das verlorene Haus der Bäckin verlassen hatte, zum Purtschellerhof gefahren. Mathes ritt auf einem der beiden Pferde, die vor die Spritze gespannt waren, und mit dem Leitseil peitschte er auf die vom Geschrei der Leute, vom Glockenschlag und vom Feuer scheu gemachten Tiere los, welche die hügelige Auffahrt in Purtschellers Hof nicht nehmen wollten. So wild sich die Pferde auch gebärdeten, Mathes zwang sie. Als er vor der brennenden Scheune, durch deren offenes Tor die Flugfunken einen Weg zu den Strohgarben gefunden hatten, vom Pferd gesprungen war und den Schlauch der Spritze auseinanderrollen half, klammerten sich zwei zitternde Hände um seinen Arm.

»Mathes!«

Er sah in Karlins abgehärmte, vom Feuerschein überflackerte Züge und brachte zuerst kein Wort heraus. Dann strich er mit der Hand über Karlins Wange, als wäre er noch der Bub von dreizehn und sie noch das Kind von neun Jahren. »Sorg dich net, Linerl! Hast doch dein Büberl in gute Hand geben?«

»Ja, Mathes! Bei der Nachbarin drüben!«

»No also! Und für 's Haus is kei' Gfahr. Den Stadel wird der Toni verschmerzen müssen. Na, Linerl! Tu dich net sorgen!«

Sie atmete auf.

»Und komm, Linerl, hilf mir!« Er riß einen Ledereimer vom Spritzenwagen. »Da hast an Kübel!«

Mit heller Stimme, daß es über den wirren Lärm hinausklang, schrie sie: »Leut! Da her! Da is Wasser!« Den anderen voraus eilte sie zum Garten, zwischen dessen Bäumen der Entenweiher lag. Vroni und der Simmerauer waren die ersten bei ihr. »Michel! Vronerl! Vergelts Gott!« Karlin warf sich am Rand des Weihers auf die Knie und hob den ersten vollen Eimer aus dem Wasser.

Mathes brauchte nur wenige Minuten, um zwischen Spritze und Teich eine Doppelreihe für die laufenden Eimer zu bilden. Während man schon zu pumpen begann, um das Wasser in den Schlauch zu treiben, rannte der Spritzenwart überall umher und schrie nach Purtscheller. Neben der Hintertür des Hauses fand er ihn an die Mauer gelehnt, ratlos vor Schreck und mit schlaffen Armen. Zäzil war bei ihm und redete tröstend auf ihn ein.

»He! Purtscheller!« Der Spritzenwart rüttelte ihn am Arm. »So rühren S' Ihnen! Es brennt ja doch net bei mir!«

»Lassen S' ihn doch in Ruh!« murrte Zäzil. »Sehen S' denn net, wie's ihm z'mut is, dem armen Herrn?«

Über das Rauschen der Flammen und über allen Lärm hinaus, der den Hof erfüllte, tönte die hallende Stimme, mit welcher Mathes der Spritze ein Kommando gab. Purtscheller blickte auf. »Der Mathes!« stammelte er. »Der Mathes soll reden für mich! Der versteht sich auf d' Arbeit!« Er machte eine Bewegung, als wären ihm die Knie schwach geworden.

»Was haben S' denn, Herr?« fragte Zäzil.

»Völlig übel is mir von der Aufregung. Geh, Madl, sei so gut und mach mir an schwarzen Kaffee!«

»Trinken S' lieber a Glasl Wein!«

»Ja, hast recht! Bist a guts Madl.« Purtscheller ließ sich von Zäzil, die ihn barmherzig unter den Arm genommen hatte, ins Haus und hinauf in die Wohnstube führen. Und während das Mädel für den ›armen Herrn‹ eine Flasche Tiroler holte, arbeiteten die anderen, um des Feuers Herr zu werden.

Die in Brand geratene Scheune mußte man verloren geben; es kostete schon Arbeit genug, um die umliegenden Wirtschaftsgebäude und die Ställe gegen die Flammen zu schützen. Als dieses Rettungswerk in Gang war, machte Mathes sich daran, das Vieh, das sich unter Gebrüll in den Ketten würgte, aus seiner Angst zu erlösen. Jedes einzelne Stück mußte gewaltsam aus dem Stall geführt und in einem entlegenen Teil des Gartens angepflöckt werden. Dann kehrte Mathes in den Hof zurück und stellte sich an die Pumpe. Die anderen, die den Spritzenschwengel zogen, ließen sich von Zeit zu Zeit ablösen, nur Mathes nicht.

Gegen die fünfte Morgenstunde, als der Tag zu grauen begann, war alle Gefahr überwunden und die Scheune in glimmende Kohlen zerfallen. Nun konnte die Spritze hinüberfahren zum Bäckenhaus, um auch dort die versinkenden Flammen vollends zu löschen.

Mit durchnäßten Kleidern, zitternd vor Erschöpfung und Kälte, stand Karlin unter dem Hoftor; jedem, der hinausging, reichte sie die Hand. »Vergelts Gott, Nachbar! Vergelts Gott, Bub! Vergelts Gott, Madl! Hast dich auch noch plagen müssen!« Jedes, dem sie ihr Vergelts Gott sagte, hatte ein freundliches Wort für sie. So deutlich, wie in dieser Stunde, hatte es Karlin noch nie gemerkt, wie gut ihr alle Leute waren. Diese Erkenntnis tat ihr wohl und hauchte ein bißchen Wärme auf ihre bleichen, erschöpften Wangen.

Der Hofraum leerte sich. Nur Purtschellers Dienstleute waren noch bei der Arbeit, um die Pferde und das Vieh in die Ställe zurückzuführen, und der alte Simmerauer mit seinen Kindern half ihnen dabei. Dann konnten auch diese letzten gehen.

Karlin reichte dem Alten die Hand. »Vergelts Gott, Michel! Hast selber die härteste Sorg daheim und bist trotzwegen kommen!«

»Wär net übel, Frau Purtschellerin, wann der Mensch kei' Zeit net übrig hätt für an bedrängten Nachber!« Der Alte streichelte Karlins Hand. »In der Not muß man zammhelfen. Der gute Herr Purtscheller hat mir auch sei' Hilf anboten! Wo is er denn, daß ich ihm d' Hand drucken kann?«

»Ich weiß net.« Es zuckte um Karlins Lippen. »Bei der Arbeit wird er sein.« Sie konnte nicht weitersprechen und wandte sich zu Vroni.

Schweigend legte das Mädel den Arm um Karlins Hals und schmiegte die Wange an das Gesicht der jungen Frau.

»Da kommt der Mathes auch!« sagte Karlin mit schwankender Stimme. Sie machte sich von den Armen des Mädels los, und während Vroni den Vater zum Hoftor hinauszog, ging Karlin auf Mathes zu und reichte ihm die Hand. »Vergelts Gott!«

Mathes erschrak, als er sie ansah. »Aber Linerl! Hast ja kein' trockenen Faden mehr am Leib! Mußt dir ja ebbes holen bei so einer Kälten! Ich bitt dich um Christi willen, geh auffi und tu dich gwanden!«

»Ja, Mathes! Bloß auf dich hab ich noch gwart, daß ich dir mein Vergelts Gott sagen kann, 's erste Wörtl nach soviel Jahr!« Sie sah ihm in die Augen.

»Aber geh, Linerl! A Vergelts Gott? Mir? Dös braucht's doch net! Schau nur an, wie der Wind herblast! Ich bitt dich, geh auffi! Schau, es pressiert mir selber, daß ich heimkomm! Pfüet dich, Linerl!«

Lächelnd und mit nassen Augen nickte sie zu ihm auf, strich die losen Härchen hinters Ohr und ging der Haustür zu. Auf halbem Wege wandte sie sich um und rief: »Mathes! Die heutige Nacht vergiß ich dir nimmer!«

Er stand schon unter dem Tor. »Aber geh!« Verlegen schob er die Hände in die Joppentaschen. Dann lächelte er und trat auf die Straße hinaus.

»Komm, Bub!« sagte der Simmerauer, der auf ihn gewartet hatte. »Schauen wir, daß wir heimkommen! Wie wird's wohl da droben ausschauen?«

»Gut, Vater!« Mathes stampfte mit dem Fuß, daß die harte Erde klang. »Der Boden is gfroren. Den taut sobald kei' Sonn nimmer auf! Heut noch, mein' ich, fallt der Schnee! Und da haben wir gute Zeit.«

»Ja, kannst recht haben!«

»Wo is denn d' Vroni?«

»Sie kommt gleich. A Sprüngerl hat s' in Ort einigmacht, nachschauen, wie's der armen Bäckin geht.«

»Der Bäckin? So so?« Mathes spähte zur Daxen-Schmiede hinüber.

Während sie dem Gehäng des laufenden Berges zustrebten, jammerte der Simmerauer: »Dös arme Weiberleut! Alles verlieren müssen! So a schöns Haus! Und was soll s' denn machen auf ihre alten Tag? Sie hat kein' Menschen net als den Luftikus, den Daxen-Schorschl, der sich selber net erhalten kann.«

Im oberen Stock des Purtschellerhofes, in der Wohnstube, hatten die Fenster noch roten Lichtschein. Jetzt verschwand er. Karlin hatte die Hängelampe ausgelöscht, die sie brennend vorgefunden. Erschöpft und zitternd stand die junge Frau am Tisch, starrte im Morgengrau die drei geleerten Weinflaschen an und sah in dem von Zigarrenqualm erfüllten Raum umher mit so verlorenem Blick, als wäre sie in einer fremden Stube und wüßte nicht, durch welchen Irrtum sie hierhergekommen. Ein Schauer befiel sie. Mit langsamen Händen strich sie an den nassen Kleidern hinunter, die ihr halb gefroren am Körper klebten, nickte vor sich hin und murmelte: »Ja, der Mathes hat recht, ich muß mich gwanden.« Sie trat in die Schlafkammer und sah ihren Mann in der Feuerwehruniform und mit den Stiefeln auf dem Bett liegen. Als die Türe ging, erwachte er halb aus seinem Dusel und drehte sich auf die Seite. Karlin faßte seine Hand. »Geh, laß mich schlafen!« brummte er. »Wie Blei liegt's mir in alle Glieder!« Dann richtete er halb den Kopf in die Höhe, sah sie mit steifen Augen an, und während er sprach, spürte Karlin den Geruch des Weines. »Wie schaut's denn aus drunten?«

»'s Feuer is glöscht.«

»Hast dich bedankt bei die Leut?«

»Ja.«

»Hast Wein oder Bier aufstellen lassen und Zigarren hergeben?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Du denkst aber auch an gar nix! Alles liegt auf mir! Alles!« Seufzend drückte er den schweren Kopf in die Kissen. »Mit dir is einer aufgricht, dös muß ich sagen!«

Wortlos wandte sich Karlin ab, ging zum Kasten und nahm heraus, was sie an Wäsche und Kleidern brauchte. Als sie zur Tür wollte, fragte Purtscheller unwillig: »Wohin denn schon wieder?«

»Zu meim Kind.«

Karlins Stimme klang verändert. Dieser fremde Klang schien auch ihrem Mann aufzufallen trotz seines Dusels; er stierte sie an, als stünde nicht seine Frau, sondern eine andere vor ihm, die er noch nie gesehen hatte. »Ich bitt dich, mach mir jetzt keine so narrischen Gschichten!« murrte er. »Was hast denn?«

Ohne zu antworten, verließ Karlin die Kammer. In der Stube kleidete sie sich um. Dann stieg sie die Treppe hinunter und verließ das Haus. Im Garten blieb sie stehen und atmete auf. Nun ging sie raschen Schrittes über die Straße und trat ins Nachbarhaus.

In einer niederen, warmen Stube, durch deren kleine Fenster schüchtern das erste Licht des Tages schimmerte, fand Karlin die alte Bäuerin in einem Lehnstuhl neben dem Ledersofa, auf dem für den kleinen Tonerl mit geblümten Kissen ein Bett gerichtet war. Das Kind hatte rote Wangen. »Schaun S' nur, wie gut er schlaft!« flüsterte die Bäuerin. »Und guter Schlaf is Kinderglück! Da übertaucht so a Hascherl alles und kann noch lachen dazu!« Sie erhob sich, um ihren Platz der Mutter einzuräumen.

»Vergelts Gott, Nachbarin!« sagte Karlin, während sie sich über die Kissen beugte. Die Bäuerin wollte von dem Unglück der Nacht zu reden beginnen, aber Karlin blickte flehend zu ihr auf: »'s Kindl kunnt aufwachen.« Sie ließ sich müde in den Lehnstuhl sinken. »Dös tut mir wohl! Gelt, ich kann a bißl bleiben?«

»Aber ja, Purtschellerin! Und was meinen S', wann ich an recht an guten Kaffee machen tät? Ja?«

»Ich bitt schön, Nachbarin! Aber sein muß 's net!«

Geschäftig humpelte die alte Frau zur Tür hinaus.

Karlin saß regungslos, den Kopf zurückgesunken in den Lehnenwinkel des Sessels. Vom nahen Ofen strömte die Wärme an ihren Körper. Das Frösteln ihrer Glieder löste sich, und nach aller Angst und Erschöpfung dieser Nacht fiel ihr der Schlummer über die Augen. Einmal lächelte sie im Traum.

Der kleine Vogel der Wanduhr rief die siebente Morgenstunde.

»Kuckuck!«

In der winterlichen Stube ein Frühlingsruf!

Weder das schlummernde Kind noch seine müde Mutter erwachten.

 


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