Ludwig Ganghofer
Der laufende Berg
Ludwig Ganghofer

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7

In der Schmiede klangen die Hammerschläge. Schorschl stand vor dem Amboß und hämmerte wütend auf ein glühendes Hufeisen los. Dann tauchte er das rote Eisen in den Kühlbottich, daß zischend der Dampf aufging, und ließ es aus der Zange zu Boden fallen, wo schon ein paar Dutzend auf einem Häufl beisammen lagen. Nun besann er sich, als wüßte er nicht, was er weiter beginnen sollte. Noch ein Hufeisen schmieden? Er mußte die Eisenstangen sparen; gar viele hatte er nimmer in der Ecke stehen, und der Vorrat an Hufeisen, der da am Boden lag, reichte für einen Monat und drüber. Früh am Tage hatte er begonnen, hatte Hufeisen um Hufeisen geschmiedet, nur um die Zeit hinzubringen, bis andere Arbeit käme. Die ließ auf sich warten. Nur der Schneider war gekommen, um seine vierunddreißig Mark zu fordern, und Schorschl hatte seine ganze Überredungskunst aufwenden müssen, um den Ungeduldigen zu vertrösten. »Herrgott! 's Bravsein macht ein' schwitzen!« brummte er, als der Meister Schneider glücklich wieder zum Tor draußen war.

Ein paar Leute waren unter das Tor getreten und hatten dem Daxenschmied eine Weile ungläubig bei der Arbeit zugesehen, um lachend wieder davonzustapfen. Niemand hatte Arbeit gebracht. Auch der Bauer, dessen Leiterwagen Schorschl tags zuvor beschlagen hatte, war ausgeblieben. »Der Tropf! Und so fest hat er mir Arbeit zugsagt!«

Auf dem Amboßblock lag noch ein Stück Eisenstange, das knapp für ein Hufeisen reichen konnte. Das nahm er in die Zange. »Machen wir halt noch eins!« Er bohrte das Eisen in die Essenglut. Ingrimmig begann er den Blasbalg zu treten. Da lachte er und griff in die Hosentasche. Achtsam rollte er ein geschwärztes Stück Zeitungspapier auseinander, in das die dreißig Pfennige eingewickelt waren, die ihm Vroni auf den Amboß gelegt hatte. Immer wieder schob er mit dem rußigen Finger die paar Nickel durcheinander und blinzelte sie mit vergnügten Augen an. »Die heb ich mir auf. Wart nur, du!« Sorgfältig rollte er das Papier wieder zusammen. Da trat Mathes in die Werkstätte, schwer atmend und wortlos. Schorschl fragte verwundert: »Du, Mathes? Was willst denn?«

»Pressante Arbeit hätt ich.«

»Arbeit bringst mir?« Schorschl lachte, daß in seinem rußfleckigen Gesicht die Zähne blinkten. »Gestern d' Vroni und heut wieder du! Ah, da schau! Jetzt sind gar die Simmerauer Leut mei' beste Kundschaft.« Flink nahm er die Zange aus der Esse und ging auf Mathes zu. »Was brauchst?«

»Schlaudern. Die Schrauben mit feste Muttern!« Mathes nannte die Maße.

»Schlaudern?« Schorschl erschrak. »Is am Häusl ebbes passiert?«

»Ah na!«

»Aber red doch a bißl! Wie steht's droben?«

»Net schlechter, als wie's sein kann. Dem Vater z'lieb denk ich, daß wir uns durchschlagen über'n Winter.«

»Aber im Fruhjahr?«

»Da wird er harte Zeit haben, der Vater. Aber fang lieber d' Arbeit an! Es pressiert.«

Schorschl holte von seinem kleinen Eisenvorrat nach langem Wählen aus der Ecke hervor, was er nötig hatte. Mathes prüfte die Stangen. »Vergelts Gott! Ich merk: 's beste Eisen hast ausgsucht.«

Rührig begann Schorschl die Arbeit, und Mathes, der nicht müßig stehen konnte, half mit. Während sie, um die Gewinde in die Eisenstangen zu schneiden, am Schraubstock standen und zu zweit an den langen Hebeln der Schneidkluppe zogen, versuchte Schorschl die Rede auf Vroni zu bringen. Aber da wußte Mathes, der sonst mit Worten so sparsam war, immer von anderen Dingen zu schwatzen. Schließlich stellte Schorschl verdrossen das Fragen ein und ließ den heißen Unmut, der in ihm rumorte, an der Arbeit verdampfen.

Als die Mittagsglocke geläutet wurde, fragte Mathes: »Mußt Mahlzeit halten?«

Schorschl schüttelte den Kopf. »Mich hungert net.«

Zwei Stunden später war die Arbeit fertig. Die Schrauben hatten Muttern wie Fäuste so groß.

»Bist z'frieden, Mathes?«

»Besser hätt's keiner gmacht. Wieviel bin ich schuldig?«

Schorschl wollte keinen Preis sagen. »Was meinst denn, daß ich verdient hab?«

»No, mit'm Eisen schätz ich acht Mark.«

»Sagen wir fünfe! Is eh schon viel.«

»Geh, da zahlst ja drauf.«

»Gott bewahr, da verdien ich.«

»No also, vergelts Gott halt! Aber zahlen muß ich an andersmal. Ich bin gahlings droben fortgrennt und hab nix bei mir.«

»Bist mir ja gut. Pfüet dich Gott! Und grüß mir –« Schorschl stockte. »Grüß mir deine Leut!«

»Ja.« Mathes lud die schweren Stangen auf seine Schultern und verließ die Werkstätte.

Langsam trat Schorschl unter das Tor und sah ihm nach. »Gleich gar net reden hat er mögen von der Vroni. Schorscherl, Schorscherl! Da schaut's schlecht aus.« Mit diesem Stoßseufzer ging er ins Haus, um das versäumte Mittagsmahl nachzuholen. Bei seinen sorgenvollen Gedanken hatte er wenig acht auf die Kocherei und ließ den Schmarren anbrennen. Weil er ein zweites Mal nicht kochen wollte, mußte er sich mit einem Rinken Brot begnügen. »Wann net bald Arbeit kommt, muß ich mich eh ans Brotbeißen gewöhnen.« Er kehrte in die Werkstatt zurück. »Herrgott! Herrgott! Wo nimm ich denn 's Geld her?«

Da schien ihm der Zufall – oder war's der liebe Gott, den er angerufen hatte? – einen Fingerzeig zu geben. Er hörte Hufschlag, und als er unter das Tor sprang, gewahrte er den Purtscheller, der seinen Traber am Zügel in den Hof der Schmiede führte. »Der Purtscheller! Meiner Seel! Den hau ich drum an. Ich glaub, der gibt mir's.« In diese freudige Hoffnung mischte sich gerechtes Staunen über den Anblick, den Purtscheller mit seinem Traberzeugl bot. Um zehn Uhr vormittags war der flotte Herr gar stolz und hoheitsvoll auf seinem rot lackierten Gig zum Dorf hinaus geradelt. Und wie kam er zurück! Auf Schustersrappen, den Bräunl am Zügel führend. Mann, Pferd und Wagen über und über mit grauem Kot bespritzt! Galliger Ärger redete aus Purtschellers gerötetem Gesicht, während er den Bräunl gegen die Schmiede zerrte. Es war ein schönes, edles Tier. Jetzt ließ es trauernd den Kopf hängen, hinkte mit einem Vorderfuß, und immer wieder schauerte ihm das Fell, dessen brauner Metallglanz unter Kot und eingetrockneten Schaumflocken erloschen war. Bei dem Mitleid, das Schorschl mit dem übel zugerichteten Tier empfand, vergaß er den Gedanken, der bei Purtschellers Anblick in ihm aufgestiegen war. »Um Gotts willen? Was hat denn der Bräunl?«

»Hol's der Teufel, ich weiß selber net!« murrte Purtscheller. »A halbs Stündl vorm Ort draußen hat er auf amal auslassen. Alteriert hab ich mich, daß mir völlig schlecht is. Bei mir schlagt sich alles gleich auf'n Magen.« Er trat einen Schritt zurück und betrachtete das Pferd. »Wann mir dö Lumpen den Gaul ruiniert haben, weiß ich nimmer, was ich anfang. Der Gaul is mir lieber wie alles, was ich hab.«

»Aber! Geh! So was sollten S' doch net sagen!«

Wieder musterte Purtscheller das Pferd. »Ich kann mir nix anders denken, als daß der Gaul in der Stadt vernagelt worden is, wie ich ihn bschlagen hab lassen.«

»In der Stadt waren S'? Mit 'm Bräunl? Seit zehne vormittags?«

Trotz Ärger und Sorge erwachte in Purtscheller der Stolz. »Ja! Und hab mich noch anderthalb Stunden drin aufghalten.«

»Sechzg Kilometer bergauf und ab! In dritthalb Stund!«

Der Vorwurf, der aus Schorschls Worten klang, trieb dem Purtscheller-Toni das Blut noch dunkler ins Gesicht. »Du Narr!« schrie er. »Was versteht denn so einer wie du von der Sportssach! Hast denn du an Idee, was a richtiger Traber hergeben kann, wann er in guter Kondition is? Statt daß so dalket daherredst, schau lieber nach, wo der falsche Nagel steckt!«

»Ich weiß eh schon, wo's fehlt!« brummte Schorschl, streichelte das Pferd an den Nüstern und hob ihm den Huf des lahmen Fußes auf.

Draußen auf der Straße ging der Buchbinder vorüber, der neben seinem Geschäft im Dorf auch die Agentur der Lebens- und Feuerversicherung führte. Als er den Purtscheller sah, kam er näher und zog höflich den Hut. »A Wörtl, Herr Purtscheller!«

»Was is denn schon wieder?« fuhr Purtscheller auf. »Hab dir's doch neulich schon gsagt: Ich laß mein Leben net versichern. So bald denk ich noch net ans Sterben.«

»Gott behüt's! Aber nix für ungut, ich hab Ihnen bloß erinnern wollen: Am ersten Oktober haben S' auf d' Feuerbolizzen vergessen.«

»Was? Ich? Der Purtscheller? Vergessen? Der Purtscheller vergißt nix. Aber z'dumm wird's mir endlich. Die ganze Ausrauberei! So viel Jahr zahl ich den schauderhaften Brocken hin, und nie hat man was davon.« Nun schien er doch zu merken, daß er im Zorn ein paar unverständige Worte gesagt hatte. »Meinetwegen also, bloß daß ich an Fried hab, ich schick dir morgen den Bettel ummi.« Ohne sich weiter um den Mann zu kümmern, wandte sich Purtscheller zu Schorschl. »No also, wo fehlts?«

»Der Gaul is in Ordnung bschlagen«, erwiderte Schorschl, während er dem Pferde den Nacken tätschelte, »aber z'viel verlangt haben S' vom Bräunl.«

An Purtschellers Schläfen schwollen die Adern. »Du bist wohl verruckt?«

»Na!« sagte Schorschl ruhig. »Schauen S', daß der arme Gaul heim in Stall kommt und in warme Decken! Der is knapp am Lungenschlag vorbeigrutscht. Oder er kriegt noch an Treff.«

»Was? Verstehn tust nix! Und verrufen willst mir mein' Gaul auch noch?« schrie Purtscheller. Ein Unwetter von Schimpfworten hagelte über den Kopf des Daxen-Schorschl nieder. Der suchte den Jähzornigen zu beschwichtigen. Als Purtscheller die Sache gar zu grob machte, rührte sich in Schorschl das Blut. »Sie, Herr Purtscheller!« Seine Stimme klang noch immer ruhig, aber es blitzte drohend in seinen Augen. »Jetzt hab ich's gnug. Söllene Sachen laß ich mir net sagen. Halten S' a bißl zruck, oder –«

»Oder was?«

»Oder ich kunnt mein Hausrecht brauchen.«

Purtscheller bekam bleiche Lippen. »So traust dich du mit mir z' reden? Paß auf! Eh ich dir wieder an Arbeit gib, kannst dir d' Finger abschlecken!«

»Dö sind mir net süß gnug.«

Purtscheller packte den Zaum seines Pferdes. »Komm, Bräunl, oder die Gall bringt mich um!«

Breitspurig, mit den Fäusten auf dem Rücken, stand Schorschl inmitten seines Hofes und blickte dem Abziehenden nach. Sein Groll über Purtschellers böse Worte war schon wieder verraucht, vergessen über dem Erbarmen, das er für das mühsam schleichende Tier empfand. »Arms Rösserl!« Dann dachte er wieder an sich selbst. »O du heiliger Schnupftabak! Dös Gsicht hätt ich sehen mögen, wann ich den jetzt anpumpt hätt!«

Purtscheller war schon um die Ecke herum, aber noch immer schalt er vor sich hin, während er den Bräunl, dessen hinkender Gang immer langsamer wurde, am Zügel hinter sich herzog. »Es is wahr, a bißl viel hab ich verlangt von ihm.« Bei diesem Zugeständnis erwachte in Purtscheller die Sorge. Seufzend betrachtete er das Pferd. »Es is net so arg. Ich glaub's net. So a kerngsunds Roß! Ah na, so was gibt's net.« Da fiel ihm der Schloßbräu in der Stadt ein, der ihm aus Sportneid die Hypothek gekündigt hatte. »Wie der lachen möcht, wann der Bräunl beim nächsten Rennen net starten kunnt!« Schmeichelnd legte Purtscheller die Wange an den Kopf des Pferdes. »Gelt, na, Bräunerl? So ebbes tust deim Herrerl net an! Komm, schauen wir, daß wir ins Stallerl heimfinden! Da sollst es schön warm kriegen! Und a guts Schnapserl aufs Naserl!«

Als er das Pferd endlich in den Hof brachte, mußten die Knechte alle Arbeit liegen lassen, um sich dem Bräunl zu widmen.

»Wo bleibt denn der Altknecht?«

Den hätte die Purtschellerin fortgeschickt, hieß es.

»Natürlich! Wieder amal! So geht's allweil! Wann ich meine Leut brauch, müssen s' Gott weiß wo umanand rennen und Weiberbotschaften austragen.« Als Purtscheller das sagte, ging Zäzil über den Hof. »He! Zäzil! Komm her und hilf mit, den Bräunl frottieren!«

Getrennt von den anderen Pferden, hatte der Bräunl einen eigenen, sportmäßig eingerichteten Stall, über dessen Raufe auf einem Messingschild der Name prangte: ›Herzbinkerl‹.

Während Zäzil und die Knechte das Frottieren begannen, eilte Purtscheller zum Haus, um für Bräunl das ›Schnapserl‹ zu holen. Unter der Tür trat ihm Karlin entgegen, erregt, mit blassem Gesicht. »Grüß dich Gott, Toni!«

Er wollte an ihr vorüber.

Sie haschte seine Hand. »Sei net bös, Toni, daß ich dir was Unguts sagen muß! In unserem Wald droben –«

»Jesses! Laß mich in Ruh! Mir brummt eh der Schädel! Mein Bräunl hat an kalten Schnaufer erwischt. Wo is denn die Kognakflaschen? Mach weiter, hol mir s' abi!« Er eilte in den Stall zurück. Schmeichelnd kraute er dem zitternden Pferd die Ohren. »Ja, mein Herzbinkerl, gleich sollst dein Schnapserl kriegen!« Als Karlin nach einer Minute nicht da war, wurde er ärgerlich. »Wo bleibt denn dös Weiberleut?« Er rannte wieder aus dem Stall. Da kam ihm Karlin mit der Flasche entgegen, ganz atemlos. Nun fiel ihm doch ihr verstörtes Gesicht auf. »Meinetwegen, so red halt! Was is denn mit'm Wald?«

»Vom Mathes hab ich's ghört«, stammelte sie, »der Berg soll sich wieder grührt haben, und da hab ich gleich den Altknecht auffigschickt zum nachschauen.«

»No also! Da is ja eh alles in Ordnung.«

»Aber Toni! Drei Stund, und der Knecht is noch allweil net daheim!«

»Weil er an alter Trenzer is! Was soll denn passiert sein? A paar Bäum wird's halt wieder gworfen haben. Braucht man s' nimmer umschlagen.«

Purtscheller wollte im Stall verschwinden, als ihm Karlin zögernd nachrief: »Toni! Der alte Rufel is da. Er wartet schon seit Mittag und sagt, du hättest ihn bestellt.«

»Was? Mit dem soll ich heut auch noch reden? Himmelkreuzteufel, heut kommt mir aber schon alles über'n Hals! Warten soll er! Der hat Zeit. Wann ihm 's Hosenschnorren lieber is, als daß er mit mir a Gschäft macht, meintwegen, so soll er wieder abfahren!«

Purtscheller trat in den Stall, und weil ihm Zäzil im Wege stand, schob er sie beiseite und kniff sie so derb in den runden, nackten Arm, daß sie kichernd aufkreischte: »Aber Herr! Glauben S', mein Arm is a Brotwecken? Lassen S' mich in Ruh! Zwicken S' Ihr Frau!«

Das hörte Karlin, und Zornröte flammte über ihre abgehärmten Züge. Sie machte einen Schritt, als wollte sie in den Stall treten. Dann schüttelte sie den Kopf, strich die losen Härchen hinters Ohr und ging ins Haus. Als sie droben die Wohnstube betrat, hatte sie ihre Ruhe wiedergefunden. Der Tisch war gedeckt, die offene Weinflasche stand bereit. Auf einem Sessel, mitten im Zimmer, saß der alte Rufel, mit dem Hakenstock zwischen den Knien; aus der einen Tasche seines Rockes, der bis zum Boden reichte, hing ein Zipfel seines roten Sacktuches heraus, aus der anderen die abgegriffene Schlappmütze; seinen Zwerchsack hatte er drunten im Flur unter die Treppe geschoben. Als die junge Frau eintrat, strich er mit der runzeligen Hand über sein glattrasiertes Faltengesicht, aus welchem gutmütige Offenheit und mißtrauische Vorsicht, ruhiger Ernst und wachsame Schlauheit in seltsamer Mischung redeten.

»Jetzt is er heimkommen!« sagte Karlin leise, weil im Nebenzimmer der kleine Tonerl sein Mittagsschläfchen hielt. »Gedulden S' Ihnen noch a bißl, er wird gleich da sein!«

»Es eilt nix, meine liebe Frau Purtschellerin.«

Auch in Rufels Art zu reden lag ein Widerspruch; er gab sich Mühe, den Dialekt der Bauern zu sprechen, doch der jüdische Jargon schlug immer durch.

Karlin nahm ihre Häkelarbeit aus der Fensternische und setzte sich an den Tisch. Nach einer Weile fragte sie: »Haben S' allweil gute Gschäften gmacht in der letzten Zeit?«

»Es geht. Aber ich weiß Zeiten, die besser waren. Und nix für ungut, Sie sind e Bäuerin, liebe Frau, aber mit die Bauern is hart Geschäft machen!« Rufel lachte. »Püh! Die sennen schlauer wie der Jud!«

Das hatte er so drollig gesagt, daß auch Karlin lächeln mußte. »Aber Rufel! Wann dös die Bauern hören möchten.«

»Hab ich's ihnen doch schon oft genug ins Gesicht gesagt! Hat der Bauer en Handel gemacht, und der Vorteil is auf seiner Seit, so laßt er mich reden, was ich mag, und lacht mich aus. Hab ich aber e bißl was verdient, und der Bauer merkt's? Nu, so schimpft er: Jud, Jud!« Rufel wiegte den Kopf und hob die Schultern. »Ich geh meinen Weg und laß mir nix verdrießen. Sollen se schimpfen, wenn ich hab verdient!«

»Geh, Rufel! Sie haben Ihr richtiges Grüß Gott noch allweil von jedem kriegt. Mit Ihnen handelt jeder gern im Ort.«

Der Alte machte forschende Augen, als wäre ihm die Wärme auffällig, mit der die junge Frau zu ihm redete.

»Und schauen S', Rufel, wann diemal einer im Zorn so 'rausschreit: Jud, Jud! – da meint er ja Ihnen gar net!«

»Soll er's dem andern sagen, den er meint!«

»Es is halt so in der Welt, daß der Unschuldig für den Schuldigen leiden muß. So, wie Sie sind, so sind net alle Juden, die zu uns ins Dorf kommen. Denken S' nur an denselbigen, der unsere Nachbarsleut um Haus und Hof bracht hat! So a Krawattlschnürer! Da kann man's den Leuten net verdenken, wann s' in ihrem Zorn und Elend dös Wörtl haben: Jud, Jud! Sagen S' selber: Kann man's ihnen verdenken?«

Rufel schwieg.

»Gelt? Da reden S' nix!«

Der Alte seufzte: »Meine liebe, gute Frau Purtschellerin! Was wollen Se, daß ich sagen soll? Nu? Soll ich auf en Juden schimpfen? Das können Se doch nix von mir verlangen. Ich bin doch e Jud. Oder soll ich widersprechen und soll ihn loben? Ich kenn den Jüden doch! Nu also? Schweig ich doch lieber! Aber weil wir schon reden, meine liebe Frau Purtschellerin, wollen mir machen e glattes Geschäft und sagen: Die Menschen sind, wie der Herr sie gemacht hat. Die Hälft hat er geschaffen im Zorn, die ander Hälft in der Lieb. Ich denk mir, das kommt aufs gleiche hinaus, ob ich sag: Jüden, Christen oder Terken! Überall gibt's gute Menschen. Hab ich recht? Und überall schlechte. Gott verzeih's ihnen.«

»Ja, Rufel, so denk ich selber!«

Rufel zog das rote Tuch hervor und wischte sich die Stirn ab. Dann stieß er seinen Hakenstock auf die Dielen. »Nu ja! Ich für mein Teil komm gut aus mit die Leut. Hab ich aber wirklich emal en Verdruß im Dorf, woher kommt's? Von dem gottvermaledeiten Geldgeschäft. Drum will ich nix wissen von die Geldgeschäfter. En richtigen Handel mach ich gern. E schöner Handel is was Schöns. Mit die Geldgeschäfter sollen se mich in Ruh lassen! Hab ich e Geld? Ich hab doch nix! Aber da wirtschaften se schlecht, und dann brauchen se Geld und Geld und Geld. Und da heißt es: Rufele, leih mir! Rufele borg mir! Rufele, gib mir e Geld! Rufele hint und Rufele vorn! Und richtig, der Rufele läßt sich beschwatzen und lauft sich die alten Füß krumm und treibt das Geld auf. Als en ehrlicher Mann muß ich doch sorgen dafür, daß die Leut, die mir geschenkt haben ihr Vertrauen, zur richtigen Zeit mit Zinsen ihr Geld wiederkriegen. Aber komm ich mahnen, so machen se mir Grobheiten. Und wollen se nix zahlen, und ich muß Gott behüt zu Gericht gehen, so schreien se: Jud, Jud! Und nehmen mir's übel, daß e paar dumme Jüden vor achtzehnhundert Jahr mitgeholfen haben, den christlichen Heiland kreuzigen. Ich bin doch nix dabei gewesen. Und warum schimpfen se nix auf die Italiener? Der Ponzipilatus und seine Kriegsknecht sennen doch Italiener gewesen. Und ich sag Ihnen, Frau Purtschellerin: Hätten de Juden von damals sich denken können, was für e Geserres draus entsteht, sie wären gescheit gewesen und hätten's gehn gelassen. Nu ja! Das war doch den Christen auch wieder nix recht gewesen. Nix e so und nix e so. Is e harts Leben, Frau Purtschellerin!« Wieder fuhr sich Rufel mit dem roten Tuch über das erregte Gesicht. Dann sagte er ruhiger: »Grobheiten! Ja! Schauen Se mich an, meine liebe, gute Frau Purtschellerin: Wie ich da weg geh, weiß ich im voraus, daß ich wieder en Sack voll Grobheiten einzustecken bekomm. Und warum? Weil ich nach Recht und Pflicht e bißl mahnen muß!«

»O mein Gott! Bei wem denn?«

»Beim Herrn Dax in der Schmieden! Wieder emal!«

»Ach, Jesus! Mit dem armen Schorschl is a Kreuz!«

»Wem sagen Se das? E wahrer Jammer is mit dem Menschen! E Kerl, gewachsen wie e Baum! Könnt sitzen in Glück und Wohlstand, wie der Kern im süßen Pfersich! Aber nein! Da verjuckt er das schöne Geld, laßt sich die Sonn auf'n Buckel scheinen und macht für die Bauern den meschuggenen Fisch. Es wird e schlechts End mit ihm nehmen, fürcht ich.«

»Aber schauen S', Rufel! Jetzt is ihm der Gsell davon, wie d' Leut sagen, jetzt tut er sich doppelt hart. Seit zwei Tag hör ich ihn allweil fleißig hammern.« Karlin öffnete das Fenster, damit Rufel die Hammerschläge, die von der Schmiede herüberklangen, besser hören sollte.

»Nu ja! Wenn ich en ernsten Willen bei ihm sehen möcht, so möcht ich mit mir reden lassen. Möcht ihm noch helfen! Es is mir weiß Gott doch selber lieber, ich krieg mein Geld mit gesetzlichen Zinsen zurück, als daß ich den Menschen zugrund gehen seh, und daß wieder einer hinter mir herschreit: Jud, Jud! Aber ich hab nix mehr en Glauben auf ihn. Oder es müßt e Wunder geschehen. Aber Wunder sennen e seltene Sach. Und glauben Se mir, Frau Purtschellerin: Wenn der Leichtsinn bei de Menschen emal durchgefressen hat durch de Haut, so kann der beste Schneider von der Welt so e Loch nix mehr flicken. Da werden se blind, da graben se Loch in Loch, schieben die Schuld auf alle Sachen, nur nix auf sich selber, machen e groß Maul und schimpfen auf alle Leut, malträtieren de Menschen, die's ehrlich mit ihnen meinen –«. Rufel verstummte und sah erschrocken auf. »Was haben Se, Frau Purtschellerin?«

Karlin hatte sich erhoben; Tränen standen ihr in den Augen.

»Meine liebe Frau Purtschellerin! Sie haben e gut Herz! Und in Gottes Namen: Wenn Se schon so viel Mitleid haben mit dem Herrn Dax – Ihnen zulieb tu ich's – so will ich heut nix mehr mahnen gehen zu ihm und will noch e Weilchen zuschauen. Aber nu lachen Se mer wieder!« Rufel wurde unruhig, als er sah, daß sich die Erregung der jungen Frau nicht beschwichtigen wollte. »Was haben Se, Frau Purtschellerin?«

Karlin ließ die Häkelarbeit fallen und klammerte die Hand an die Tischkante. »Ich glaub, ich hab drunt den Toni reden hören.« Unsicher blickte sie in Rufels Gesicht, trat scheu auf ihn zu und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Rufel! Ich hätt was aufm Herzen!«

»Heraus! Mit dem Rufel können Se reden.«

»Ja, gelt? Schauen S', wir kennen uns doch seit fufzehn Jahr schon! Wie ich noch a kleins Maderl gwesen bin, sind S' allweil auffikommen zu uns und haben dem Vater die Lampelfell abghandelt.«

»Hab immer e guts Geschäft mit ihm gemacht. Is e braver Mann gewesen.«

»Und wissen S' noch? Wann der Handel fertig war, haben S' Ihnen allweil auf 's Hausbankl gsetzt und haben plauscht mit mir. Schauen S', Rufel, schon selbigsmal hab ich Zutrauen zu Ihnen ghabt. Jetzt hab ich's wieder. Ich weiß, Sie sind an ehrlicher, gradsinniger Mensch.«

»Nu ja!« Rufel schnitt eine schmerzliche Grimasse, als hätte ihm Karlin kein sonderliches Kompliment gesagt. »Drum hab ich doch nix und bin e Schnorrer. Aber nu regen Se sich nix auf und sagen Se heraus, was los is!«

Sie vermochte kaum zu sprechen. »Rufel! Ich glaub, mein Toni hat Sorgen.« Die Tränen kollerten ihr über die Wangen.

Rufel fühlte einen heißen Tropfen auf seiner Hand und zuckte zusammen. Karlin halb von sich schiebend, erhob er sich und sagte mit abgewandtem Gesicht: »Machen Se mir nix solche Sachen vor, Frau Purtschellerin! Ich kann so e junge Frau nix weinen sehen. Und will Ihnen sagen, warum! Ich hab e Tochter gehabt, e brav Kind. Is dem Rufel sei Freud gewesen! Und wie se gehabt hat e paar Jährche über de zwanzig, hat sie sterben müssen. Hat nix e Freud gehabt in der Welt, nix e Genuß vom Leben. Und jung hat sie sterben müssen. Mit Geduld hat se getragen die lange, kranke Zeit. Und emal, wie ich vom Dorfgang heimkommen bin auf'n Abend, da bin ich wieder zu ihr gegangen ans Bett, hab sie bei der Hand genommen und hab gefragt: Veigele, mein Leben, geht's dir besser e bißl? Nix e Wörtl hat se gesagt, hat mir die Hand gedrückt, e so wie Sie jetzt – lassen Se aus, Frau Purtschellerin! – und die Tröpfelche sennen ihr übers Gesicht gelaufen, e so wie Ihnen!« Er befreite die Hand. Mit Ärger seine Bewegung verbergend, greinte er: »Machen Se mir nix solche Sachen vor!«

Stille war im Zimmer; nur die Wanduhr tickte, und vom Hof herauf hörte man undeutlich die scheltende Stimme Purtschellers. Langsam fuhr sich Rufel mit dem roten Sacktuch rings um den Hals. Bitter den welken Mund verziehend, blickte er von der Seite zu Karlin auf. »Er braucht e Geld?«

Sie brachte kein Wort über die Lippen und schüttelte den Kopf.

Rufel hob die Schultern und seufzte: »Ich will Ihnen was sagen, liebe Frau! Wie der große Herr Purtscheller mir angetan hat die Ehr, mich zu bestellen in sein schönes Haus, da hat der Rufel schon mehr gewußt, als der Herr Purtscheller ihm jetzt wird sagen wollen. Ich denk doch: Er braucht e Geld!«

»Na! Na!« stammelte Karlin, während ihr das Blut in die Stirne schoß. »Aber Sorgen hat er. Es muß ihm die letzten Jahr net ganz so nausgangen sein, wie er grechnet hat. Und da denk ich mir, er möcht an Rat von Ihnen haben.«

»En Rat?« Rufel wiegte lächelnd den Kopf. »Nu, den will ich ihm geben als en ehrlicher Mann.«

Karlin drückte ihm die Hand. »Vergelts Gott, lieber Rufel! Und ich bitt schön, lassen Sie's Ihnen net gleich verdrießen, wann er a bißl hitzig redt. Er is einwendig a guter Mensch. Aber so viel gache Hitzen hat er im Blut. Bös meint er's net, bloß schreien tut er halt allweil gleich a bißl.«

Rufel streichelte die Hand der jungen Frau. »Machen Se sich nix e Sorg, Frau Purtschellerin! Soll er schreien! 's Anschreien is der Rufel gewöhnt. Und nu machen Se e schöns Gesicht für ihn! Da kommt er, ich hör ihn auf der Trepp. Lassen Se ihn nix merken, daß Se was geredet haben mit'm Rufel! Ich schweig wie e Grab.« Er schob das rote Tuch in die Tasche, setzte sich und nahm den Hakenstock zwischen die Knie.

 


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