Ludwig Ganghofer
Der laufende Berg
Ludwig Ganghofer

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2

Der ganze Grund, der das Haus des Simmerauer mit Garten und Scheune, mit einem abgeernteten Getreidefeld und einem schmalen Kartoffelacker trug, hatte sich im Umkreis von ein paar hundert Schritten vom höheren Berghang losgelöst und war der ›laufenden‹ Erde des tiefer liegenden, vom Wasser unterhöhlten Wiesengehänges nachgesunken. Das hatte sich nicht gewaltsam vollzogen, ganz allmählich, mit schleichender Bewegung. An der Abrißstelle, über die Purtscheller niederblickte, war oben die kahle Erde schon ausgetrocknet, während sie unten noch frisch und feucht war. Ein plump gefügter Verhau aus Baumstämmen und verflochtenem Astwerk stützte die Böschung und sollte ein Nachgleiten des höheren Bodens verhindern – ein Rettungsversuch, der anzusehen war, als wolle eine Kinderhand den tollen Lauf eines scheu gewordenen Pferdegespannes aufhalten.

Am Fuß der Böschung sickerte durch das Rutengeflecht ein schlammiges Wasser hervor, das den freundlich gepflegten Garten mit seinen Kohlbeeten und Blumenrabatten versumpfte, sich in breiten Pfützen um die Wurzeln der trauernden Obstbäume sammelte und den Hofraum, das Stoppelfeld und den Kartoffelacker, der die Früchte noch barg, in Morast verwandelte. Doch diese Verwüstung hatte ein lächelndes Gesicht. Der blaue Himmel spiegelte den nassen Schlamm. Wohl gefährdet, doch scheinbar noch unberührt von der schleichenden Zerstörung, erhob sich inmitten des leuchtenden Grundes das kleine, schmucke Haus. Die weißgetünchten Mauern schimmerten wie frische Leinwand, die Glasscheiben blitzten zwischen den grüngestrichenen Läden, rot blühten die Nelkenstöcke auf allen Fenstergesimsen, an der kleinen, schon altersgrauen Holzgalerie der Giebelstube glitzerten die angeflogenen Fäden, und auf der Höhe des Firstes glomm ihr Schein wie ein Elmsfeuer, das bei Tage brennt.

Diesem freundlichen Anblick widersprach das unruhige Leben, von dem das kleine Haus umgeben war. Die Hühner, die das Waten im Schlamme satt bekommen hatten, waren auf die Obstbäume geflogen, saßen gackernd im Gezweig oder putzten das durchnäßte Gefieder; zwei Ziegen, das zottige Fell mit Kot behangen, schleiften meckernd ihre langen Stricke durch die Pfützen, und eine braune Kuh, die neben der Scheune angebunden war, stand mit gespreizten Füßen, hielt den Schweif gestreckt und brüllte. Ahnte das Tier die Gefahr, die unter ihm in der sinkenden Erde drohte? Oder war es nur in scheue Unruhe geraten durch den Hall der wuchtigen Schläge, mit denen ein junger Bursch, der die blaue Soldatenhose trug, einen schweren, übermannshohen Pfahl in den Boden trieb?

Das war der Mathes, eine hager und sehnig aufgeschossene Gestalt, an der nichts weich und schmiegsam war, alles herb und eckig; kurzgeschnittenes Blondhaar umschimmerte den Kopf, und stille, blaue Augen glänzten in dem ernsten Gesicht, das glatt rasiert war, jetzt gerötet von der anstrengenden Arbeit. Stirne, Wangen und Hals waren überronnen von glitzernden Schweißperlen. Wie wenig er seiner Schwester glich! Niemand hätte ihn für den Bruder des Mädels gehalten, das vor einem Holzblock stand und mit Beilhieben einen hohen Pfahl zuspitzte. Ein Menschenkind von strotzender Gesundheit und kräftiger Jugendfrische; alle Formen gerundet und schier ungebärdig unter dem Zwang der zu knapp gewordenen Kleidung, die Lippen von heißem Rot, die Wangen brennend, die dunklen Augen von hellem Feuer, die Stirn umringelt von den wirren Härchen, die aus dem Nest der braunen Flechten herausgesprungen waren. Unermüdlich schwang sie das Beil, warf den gespitzten Pfahl beiseite und griff nach einem anderen. Sie stand mit nackten Füßen im Schlamm, hatte den dunkelgrünen Rock geschürzt und das gestrickte Leibchen geöffnet, dessen schwarze Wolle in Sonne und Regen zu einem bräunlichen Filz verwittert war. Der eine der beiden straff gespannten Hemdärmel war bei einem ungestümen Hieb entzweigegangen; zwischen den Leinwandfetzen schimmerte der Oberarm in reinem Weiß heraus, während die frei getragenen Unterarme dunkel gebräunt waren.

Wie Mathes dem Vater, so war Vroni der Mutter nachgeraten, die vor dreißig Jahren als das hübscheste Mädel des Dorfes gegolten hatte. Davon war nimmer viel an dem gealterten Weibl zu gewahren, das gebeugt vor dem Sägbock stand und frisch gefällte Stangen zu langen Pfählen entzweisägte. Die grauen Zöpfe hingen um das welk gewordene Gesicht, in dem nur die guten, dunklen Augen noch einen Schimmer vom Glanz der entschwundenen Jugend bewahrt hatten. Immer wieder seufzte Mutter Katherl, während sie die Säge zog. Die Arbeit ging ihr mühselig von der Hand. Wenn der abgesägte Pfahl zu Boden rollte, richtete sie sich auf, um den schmerzenden Rücken ein bißchen rasten zu lassen. Immer glitten dabei ihre Augen mit Sorge über das kleine Haus. Nun zog sie wieder geduldig die in einer Gabel hängende Säge hin und her und war so vertieft in die Arbeit, daß sie ihren Mann nicht kommen hörte. Er schob sie sanft beiseite, während er ihr die Säge aus der Hand nahm. »Geh, Katherl, setz dich a bißl nieder! Laß mich wieder schaffen!«

Sie wollte zur Hausbank gehen; auf halbem Wege kehrte sie wieder um und fragte: »Hast was gehört von die Stadtherrn?«

Michel schüttelte den Kopf und sägte: »Allweil studieren s' noch und graben dem Berg in die Darm umanand und wissen net, was s' sagen sollen.«

Seufzend ging Mutter Katherl zur Hausbank. Aus einem irdenen Krug füllte sie ein Glas mit Milch. Das war seit Tagen das einzige Getränk in der Simmerau. Bier ist teuer. Und das Wasser, das eine Woche lang im Brunnen versiegt war, stand wohl seit zwei Tagen wieder hoch im Schacht, war aber verschlammt und ungenießbar. Über einen der Balken, die kreuz und quer den aufgeweichten Grund durchzogen, ging Mutter Katherl zu Vroni hinüber und reichte ihr das Glas. »Da, Madl, trink, es muß dich ja dürsten.«

»Ah na! Es is net so arg.«

»No freilich, brennt dir ja 's ganze Gsicht! Geh, sei gscheit und trink!«

Vroni trieb mit festem Schwung das Beil in den Hackstock, um die Hand frei zu bekommen, und leerte das Glas. »Vergelts Gott, Mutter!«

Da hörten sie vom Verhau herüber ein Geraschel der Äste und das Fallen kollernder Erdbrocken. Purtscheller, der über die steile Böschung niedersteigen wollte, war fehlgetreten und hatte sich nur durch einen raschen Griff vor einem Sturz in den Schlamm bewahrt. Nun kam er lachend aus dem Garten hervorgewatet, in der einen Hand die Büchse, in der anderen den Bergstock.

Vroni und ihre Mutter boten ihm verwundert ein Grüß-Gott, und Michel, ohne die Säge rasten zu lassen, stotterte: »Jesses! Der Herr Purtscheller! Auf den hab ich ganz vergessen!« Nur Mathes schwieg. Ein jähes Erblassen war ihm über die heißen, erschöpften Züge gegangen. Niemand hatte das gewahrt außer der Mutter, die ihm das Glas hatte reichen wollen. »Mathes?« Wortlos schob er mit dem Ellenbogen das Glas von sich und arbeitete weiter.

Purtscheller und Michel redeten vom laufenden Berg und von der Gefahr, die dem kleinen Hause drohte. Dann ging Purtscheller zur Hausbank und spähte ins Tal hinunter: »Wahrhaftiger Gott! Vom Kirchturm sieht man kein Blinkerl nimmer!« Er warf einen besorgten Blick über die weiße Mauer des Hauses, schüttelte ernst den Kopf und machte sich's auf der Bank gemütlich. Seine Augen blieben an Vroni haften. Je länger er sie betrachtete, desto wärmer wurde sein Wohlgefallen. »Sapperlot, Michel! Dein Madel! Alle Achtung!«

Vroni überhörte das Lob, und der Simmerauer nickte hinter dem Sägbock: »Ja! Gelt!«

»Und Ihr liebs Frauerl, Herr Purtscheller?« fragte Mutter Katherl, die den Milchkrug in den Hausflur gestellt hatte. »Wie geht's ihr denn?«

»Dank der Nachfrag! Den Sommer über hat man z'frieden sein können. Sie hat sich wieder rausgemacht. Aber so viel still geht s' allweil umanand. Da muß ich mich oft ärgern. Ich hab gern lustige Leut um mich. Freilich, sie is halt net völlig gsund. Der Doktor sagt wohl, es fehlt ihr nix. A bißl nervios halt, und a schattigs Gmüt, meint er. Zum Lachen! Schatten! Im Purtschellerhof! Der Doktor is an Esel und versteht nix. Ich fürcht, sie hat's a bißl auf der Brust.«

Mathes taumelte – beim Rammen eines Pfahles hatte er mit der schweren Holzkeule danebengeschlagen, und die Wucht des Schwunges riß ihn fast zu Boden.

»Aber! Herr Purtscheller!« Michel ließ für ein paar Augenblicke die Säge rasten. »Wie können S' denn an so was denken! Die Frau Karlin hat schon als jungs Madl zu dieselbigen ghört, dö 's Leben a bißl ernster fassen.«

»Für was denn?« murrte Purtscheller. »Ich möcht a lustige Frau haben. Sie hätt allen Grund zum Lustigsein!«

»No ja! Aber d' Menschen sind halt net alle gleich. Den ein' macht 's Glück lebendig, den andern stad. Und gar a groß Glück! Dös muß ich selber sagen: Es is an außergwöhnlichs Glück gwesen, dös die Karlin gmacht hat.«

Diese Anerkennung schien Purtschellers üble Laune zu besänftigen. »Ja, Michel, da hast recht! A blutarms Madl ohne Familli. Und über Nacht die Frau im Purtschellerhof! So was kommt net oft. Da hätt sich mancher andre bsonnen an meiner Stell. Aber sie hat mir halt gfallen. Und wann ich was will, so will ich. Und da geschieht's auch.«

Dieses große Wort machte den Simmerauer schweigsam, und Mutter Katherl betrachtete den willensstarken Purtscheller mit scheuen Augen. Während dieses Schweigens flog ein Holzsplitter surrend bis zur Hausbank; Mathes hatte den schweren Schlägel mit solcher Wucht auf den Pfahl geschmettert, daß das Ende der dicken Stange zu einem fransigen Besen auseinandergefahren war. Mutter Katherl löste den Splitter von Purtschellers Samtjacke und fragte: »Aber 's Büberl ist doch wohlauf?«

»Kunnt besser ausschauen. Dös Bürscherl is a bißl gar z'fein graten. Mein' Buben hab ich mir anders denkt. Aber freilich, d' Mutter is allweil a schwaches Krisperl gwesen.«

Da wandte Mathes das Gesicht über die Schulter und musterte den Purtscheller mit funkelndem Blick. Es schien, als läge ihm ein Wort auf der Zunge, und kein freundliches; aber Vroni trat vor ihn hin und sagte leis: »Tu lieber schaffen, Mathes!« Er nickte, hob den Schlägel wieder, und Vroni watete zum Hackstock zurück.

Purtscheller saß an die sonnige Mauer gelehnt, hielt die Beine gestreckt und betrachtete die Arbeit, die man geleistet hatte. Überall ragten die Stümpfe eingerammter Pfähle aus dem Schlamm hervor, und zur Hälfte waren sie schon durch quer aufgesetzte Balken zu einem festen Rost miteinander verbunden.

»A guter Einfall!« sagte Purtscheller mit der Miene eines Sachverständigen. »Wer hat dir's graten, Michel?«

»Wer sonst als die heilige Kümmernis?« erwiderte der Alte. »So a Fachwerk, dös den ganzen Platz ums Haus ummi einfaßt, hab ich mir denkt, kunnt doch den Boden a bißl zammhalten, daß er net ausanandschlupft wie auf die Wiesen droben.« Er salbte mit einer Speckschwarte die heiß gewordene Säge. »Vor acht Tag schon hab ich angfangt. Aber wär der Mathes net heimkommen, wer weiß, ob ich's fertigbracht hätt? Der Bub hat in einer Nacht mehr vom Fleck bracht, als ich in den ganzen Woch.«

»Ja, ja, dös glaub ich!« Prüfend sah Purtscheller dem Mathes eine Weile bei der Arbeit zu. »Der schafft für drei. So ein' kunnt ich brauchen im Purtschellerhof. Der möcht mir mei' Sach schön sauber in Ordnung halten. Die Haderlumpen, meine Knecht, betrügen mich hint und vorn. Auf ein', wie der Mathes is, kunnt ich mich verlassen. So ein' möcht ich haben!« Weil beim Purtscheller, wie er selbst gesagt hatte, jeder Wille auch schon Tat war, fragte er gleich. »Was meinst, Mathes? Hättst net Lust?«

»Mich braucht der Vater!« antwortete der Bursch ruhig, ohne die Arbeit zu unterbrechen.

Michel, der bei Purtschellers Frage erschrocken war, atmete erleichtert auf.

»No ja, der Vater! Jetzt!« Purtscheller kam in Eifer. »Aber der unsinnige Berg wird doch wieder an Fried geben. Wann der Winter einfallt, is eh die ärgste Gfahr überstanden. Da bist wieder frei.«

»Für den Fall weiß ich mir an Platz, wie die letzten Jahr her, weit von daheim.«

»An Platz? Ja! Aber kein' wie im Purtschellerhof! Dreihundert Mark im Jahr, alles frei, zweimal im Jahr a neus Gwand, und a Weihnächten, wie's im ganzen Land kein Graf net gibt! Was meinst?« Da hallte ein Jauchzer über die Wiesen herunter, und undeutlich verstand man, daß dort oben einer den Namen Purtscheller schrie. Alle blickten hinauf. Über einem Wiesengrat gewahrten sie einen Menschen, dessen Figürchen sich schwarz vom leuchtenden Himmel abhob. Er fuchtelte mit beiden Armen und schrie wie ein Verrückter. »Was kann denn dös für einer sein?« fragte Purtscheller und holte das Fernrohr aus dem Rucksack.

Vroni hatte den dort oben schon erkannt. »Der Daxen-Schorschl!« Sie nahm die Arbeit wieder auf. Mit diesem Namen schien die Sache für sie erledigt zu sein. Doch eine Furche stand zwischen ihren Brauen, und finster blickten die braunen Augen. Diese halb grollende, halb verächtliche Miene war dem Mädel nicht zu verdenken. Selbst die Freunde des Daxen-Schorschl wußten nicht viel Rühmenswertes von ihm zu erzählen – höchstens, daß er eine gute Haut und ein anhänglicher Kerl wäre, dazu ein stramm gewachsener Bursch mit blitzenden Schwarzaugen im Gesicht, aus dem der gezwirbelte Schnurrbart hervorstach gleich einem Paar zu Schutz und Trutz gefällter Lanzenspitzen. Sonst aber schien es beim Daxen-Schorschl mit guten Eigenschaften schlimm bestellt. Sein Kardinalfehler, aus dem die anderen bösen Dinge hervorwuchsen wie die Schwämme aus einem moderigen Fleck Erde, war ein grenzenloser Leichtsinn, der dem Faß schon mehr als einmal den Boden ausgeschlagen hatte. Wenn ihn der moralische Katzenjammer anfiel, was selten geschah, pflegte er mit einem Seufzer zu sagen: »Ich hab halt Vater und Mutter z'früh verloren, hätt noch a paar Jahr lang zu jeder Morgensupp a gsunde Tracht Prügel braucht. Vielleicht hätt's was gholfen!«

Er hatte aber die Prügeljahre schon längst hinter sich, als seine Eltern starben und ihm in bester Lage des Dorfes ein hübsches Haus und die einträgliche Schmiede vererbten. Da war er ein neunzehnjähriger Bursch gewesen, gerade reif für den blauen Rock. Während der Soldatenjahre hielt ihm ein alter Vetter das Geschäft in Ordnung, und als der Schorschl mit einem großen Schnurrbart aus der Stadt heimkehrte, hatte es ein paar Wochen lang den Anschein, als begänne in der Schmiede ein neues, lustiges Arbeitsleben. Nur eines gab den Leuten gleich zu reden: daß Schorschl die beiden Kühe verkaufte und den Stall leerstehen ließ. Seine lachende Verantwortung lautete: »Erstens muß ich meine Schulden in der Stadt drin zahlen. Und zweitens: Was brauch denn ich so a feine Milli z'trinken? Ich bin mit Bier und Tiroler z'frieden.«

Dieses ›Schlauderwörtl‹ verziehen ihm die Leute wieder, als sie ihn in seiner Schmiede so wuchtig drauflos hämmern hörten, daß es übers ganze Dorf hinausklang, hell wie Glockenschlag. Aber die erste Arbeitswut dauerte nicht lang. Bald machte Schorschl untertags ein ›Plauscherl‹ beim Nachbar, bald wieder ein ›Sprüngerl‹ ins Wirtshaus, dann wieder mußte er sich auf den Bergen ›auslaufen‹. Das geschah immer häufiger, immer seltener traf man den Schorschl in der Schmiede, und schließlich überließ er das Geschäft dem Gesellen und ging seinen wechselnden Launen nach. Er war kein Faulpelz, im Gegenteil, bei Tag und Nacht hatte er alle Hände voll zu tun. Er half beim Flößen und Holzziehen, ohne sich bezahlen zu lassen. Wenn einer zu ihm sagte: »Geh, Schorschl, sei so gut und tu mir dös gschwind!« – so tat er es. In kurzer Zeit bildete er sich zu einem Virtuosen auf der C-Trompete aus und spielte ›per Rekrazion‹ bei allen Hochzeiten und Tanzmusiken mit. Seine Hauptleidenschaft war das Fischen und Krebsen. Da war er ein unerreichter Meister. Den Fang verschenkte er an die Kinder, die in Scharen herbeiliefen, wenn sie den Daxen-Schorschl am Wasser sahen. Das ging zwei Jahre so fort. Dann war die Schmiede auf der Gant.

Die Verwandten sprangen ein und halfen; ein paar Monate gab sich Schorschl alle Mühe, seinen Leichtsinn unterzukriegen. Dann ging das alte Schlenderleben wieder an. »Lüftig wie der Daxen-Schorschl!« Das war ein Sprichwort im Dorf geworden. Die paar geduldigen Leute, die ihm noch die Stange hielten, führten zu seinem Lobe an: Der Schorschl bekneipt sich zwar manchmal ganz gehörig, aber er ist doch kein Trinker, läßt die Hände von den Karten, und die Mädeln haben Ruh vor ihm! Sonst aber konnte man ihm alles nachsagen, was am Leichtsinn hängt. Zu den brotlosen Künsten, die er die Jahre her getrieben, hatte sich in der letzten Zeit noch eine neue gesellt. In seinen Adern rollte kein Jägerblut, er hatte kein Verlangen nach der Büchse, aber er liebte es, bei der Jagd zu ›gustieren‹. Einen besseren Treiber und Steiger gab es in den Bergen nicht. Sein höchstes Vergnügen war es: ›für d' Jager a guts Stückl ausmachen‹ – das heißt, den Standort eines selten starken Wildes zu erkunden. Während drunten im Dorf von Haus zu Haus erzählt wurde, daß die Daxenschmiede schon wieder ins Schwimmen käme und vor der zweiten Gant stünde, rannte Schorschl vergnügt bei Tag und Nacht auf den Bergen umher, um für den Purtscheller einen Kronenhirsch oder einen alten Gemsbock auszuspüren. Und als er nun dort oben das Hütl schwang und jodelte, kam Purtscheller gleich zu der Vermutung: ›Gwiß hat er mir wieder was Guts ausgmacht. Augen hat er wie a Luchs, der Kerl! Is schon möglich, daß er mich gsehen hat über d'Wiesen hergehn, derweil er droben gstanden is im Gwänd.‹ Purtscheller höhlte die Hände um den Mund und rief gegen die Höhe: »Huup!« Dann lachte er: »Hat mich schon ghört!«

Die Gestalt des Daxen-Schorschl glitt über den steilen Wiesengrat herunter, so hurtig wie eine ins Rollen geratene Scholle. Er wuchs mit jeder Sekunde, und man konnte schon gewahren, wie er bei diesem sinnlosen Lauf mit weiten Griffen den Bergstock einsetzte. Sprünge machte er, daß Mutter Katherl ein ums andere Mal erschrocken stotterte: »Jesses, jetzt wirft's ihn!«

»Tu dich net sorgen, Mutter!« brummte Vroni. »Unkraut verdirbt net.« Dabei bearbeitete sie den Pfahl, den sie auf dem Hackblock hatte, so unmutig mit dem blitzenden Beil, als trüge das arme Holz die Schuld, daß in der Daxenschmiede solch ein menschliches Unkraut gewachsen war.

Schorschl kam schon so nahe, daß man den plumpsenden Aufsprung seiner Füße hören konnte. »Um Gottes willen!« stammelte Michel in seiner ruhelosen Sorge. »Der macht mir am End mit seiner Springerei den Berg noch roglig!«

Mutter Kather schrie im gleichen Augenblick: »Mar' und Josef! Jetzt hat's ihn gworfen!«

Schorschl war in einer Staubwolke verschwunden. Ein Stück Wiese mußte unter seinen Füßen niedergebrochen sein.

»Hab ich's net gsagt!« jammerte der Simmerauer und sprang auf das Haus zu, als hätten ihn die Mauern zu Hilfe gerufen. Auch Mathes warf erschrocken den Schlägel beiseite, und auf dem Hackblock verstummten die Beilhiebe. Nur Purtscheller lachte.

Hatte der Schutt den Daxen-Schorschl begraben? Aber nein! Gleich einer wirbelnden Scheibe flog ein Hut aus dem sinkenden Staub heraus, man sah den Bergstock ein paar Räder schlagen, und hinter diesen beiden Vorboten kam Schorschl nachgerollt und kollerte über den steilen Hang herunter.

Da verging auch dem Purtscheller das Lachen. Die Sache mußte übel ausfallen. Doch während er und die andern sich noch besannen, war Vroni schon über den Grat der vom Erdrutsch gebildeten Böschung emporgerannt und breitete die Arme, gerade in dem Augenblick, in dem dieser rollende Klumpen Mensch in das Gezweig der Apfelbäume niederzustürzen drohte. Sie wankte unter der Wucht, mit welcher Schorschl gegen ihren Körper schlug, aber sie hielt sich auf den Füßen. Ein langer Silberfaden kam glitzernd durch die Luft geschwommen, haftete an der Schulter des Mädels und legte sich mit einer Schlinge um den Kopf des Burschen. Seine Arme hatten Vronis Hüften umklammert. Mit dem vom Sturz verwüsteten Gesicht zu ihr aufblickend, stammelte er: »Sakra, Madl! An dir kann man sich anhalten!«

Die Stirn von Zornesröte übergossen, riß Vroni sich von ihm los. Der silberne Faden dehnte sich, als wollte er die beiden nimmer aus seiner schimmernden Schlinge lassen; schließlich ging er aber doch entzwei.

Langsam hob sich Schorschl auf die Füße. »Sakra! Sakra!« Mit großen Augen blickte er dem Mädel nach. Er hatte sie in den vergangenen Jahren hundertmal gesehen; dennoch machte er Augen, als sähe er Vroni zum erstenmal. Aber da verging ihm das Schauen. Er mußte die Lider schließen. Vom Sande begannen seine Augen zu brennen. So stand er eine Weile und zupfte die Erdkrumen aus den Wimpern. Vroni schwang schon wieder das Beil vor dem Hackstock. Auch Mathes griff nach dem Schlägel, während der Simmerauer scheltend zu seiner Säge zurückkehrte. Mutter Katherl dankte allen Heiligen des Himmels, die den Hals und die Glieder des Daxen-Schorschl so gnädig behütet hatten. Und Purtscheller lachte wieder. Bei diesem Gelächter unterbrach Schorschl sein Zupfen und Reiben. Er lachte mit, und weil ihm der Umweg um den Saum der Böschung zu weit war, sprang er über den Verhau herunter, daß vom durchweichten Grund der Schlamm über ihn emporspritzte. »Herrgott! Da gibt's aber Soß!« Sonst hatte er kein Wort, keinen Gedanken für die Zerstörung, die rings um das kleine Haus her ihre schleichenden Wege ging. Vor allem mußte er die Nachricht loswerden, die er brachte. »Herr Purtscheller! Den starken Hirsch hab ich ausgmacht.«

»Hab mir's aber gleich denkt! Bist a Mordskerl!« Purtscheller begleitete dieses Lob mit einem Faustschlag auf Schorschls Rücken. »Wo hast ihn denn gfunden?«

»Droben im Seekar liegt er in die Latschen. Wann S' mit auffisteigen, treib ich Ihnen den Hirsch hin am Stand, nix Schöners gibt's net!«

»Jetzt?« Purtscheller rückte ärgerlich den Hut. »Eigentlich sollt ich nachschauen, was meine Leut auf die Felder machen.«

»Und den Hirsch auslassen? Jetzt, wo er sicher is? Kommen S' mit, sag ich! Der Hirsch is gschossen bis auf'n Abend. Da verwett ich mein' Kopf drauf.«

Beim Hackstock verstummten die Beilhiebe. »Wann du schon so einer bist«, rief Vroni sehr unfreundlich über die Schulter, »so halt doch wenigstens die andern Leut net von der Arbeit ab!«

»Arbeit? No ja!« sagte Purtscheller beschwichtigend. »Den Hirsch kann ich doch auch net verschenken. So a Hirsch gilt seine hundert Mark, 's Gweih gar net grechnet. Na, na, da muß ich schon auffi.« Er griff nach Büchse und Bergstock. »Komm, Schorschl!«

»Steigen S' nur derweil voraus! Ich muß mich a bißl sauber machen. Sonst kunnt der Hirsch a Grausen kriegen, wann er mich sieht.«

Purtscheller lachte, rief dem Simmerauer und der Bäuerin einen Gruß zu, warf noch einen Blick des Wohlgefallens auf Vroni und stieg gemächlich über die Böschung hinauf. Zwei heiß brennende Augen folgten ihm. Und als Purtscheller in einer Senkung der Wiese verschwand, atmete Mathes auf und hob den Schlägel wieder.

Schorschl wollte zum Brunnen; dabei mußte er am Hackstock vorüber. Ein wenig verlegen blieb er stehen und sagte lachend: »Wärst du net gwesen, da kunnt ich jetzt a paar gsunde Löcher im Kopf haben. An festen Sprung hast gmacht um meintwegen. Muß dir doch a Vergeltsgott sagen!«

Vroni übersah die Hand, die der Schorschl ihr bot. »Dös braucht's net.«

Der trockene Ton schien den Daxen-Schorschl zu belustigen. »So sag halt noch dazu: Is gern gschehen!«

»Gern? Na!«

»Ui jegerl! Am End reut's dich gar, daß d' mich den Hals net brechen hast lassen?«

Vroni schwieg. Über den Pfahl weg, auf den sie loshackte, streifte sie den Burschen mit einem finsteren Blick. Freilich, der Daxen-Schorschl bot in der Verfassung, in der er nach der Rutschpartie beim Haus des Simmerauer angelangt war, kein Bild, das einem Mädchenauge gefallen konnte: das Gewand beschmutzt, die nackten Knie, Gesicht und Hände grau von Staub, braune Erde im Haar und am zerzausten Schnurrbart. Aber er lachte: »Sakra, Madl! A Paar Augen kannst machen! Net schlecht!« Und nach einer geraumen Weile fügte er kleinlaut bei: »Viel Guts, mein' ich, mußt dir net denken von mir?«

»Da kannst recht haben.«

»Jetzt machst mich aber neugierig Sag, was denkst dir denn von mir?«

»Dös is gschwind gsagt.« Vroni ließ das Beil sinken und richtete ihre blitzenden Augen auf den Burschen.

»Schorschl, du bist a Lump!«

In der ersten Verblüffung machte der Daxen-Schorschl ein furchtbar dummes Gesicht. Dann fuhr ihm das Blut in die Stirn. Merkwürdig, daß so ein kurzes Wort den ›lüftigen‹ Schorschl so erregen konnte! Er hatte dieses Wörtl doch schon häufig genug zu hören bekommen, um sich an seinen Klang zu gewöhnen. Aber die anderen, drunten im Dorf, die hatten es immer lachend gesagt: »Ja, Schorschl, du bist a Lümperl!« Und immer hatte er mitgelacht. Jetzt zum erstenmal hatte er dieses Wort auf eine neue Art gehört, ernst, von einer zornigen Stimme gesprochen. Und von so roten Lippen! Er suchte nach einer Antwort. Da sagte Vroni: »Geh zum Brunnen und wasch dich! Steht dir ja 's Blut auf die Händ!« Ruhig wandte sie ihm den Rücken und schwang das Beil.

Schorschl stand noch eine Weile und betrachtete ratlos seine übel zugerichteten Hände; dann verzog er den Mund wie ein gescholtenes Kind, das nicht zu mucksen wagt, und ging auf den Brunnen zu. Während er sich wusch, unter Prusten und Plätschern, kam einer der Gemeinderäte, welche die Kommission begleitet hatten, am Haus vorüber. Als der Simmerauer ihn erblickte, fuhr ihm die Erregung in die Hände, daß er die Säge verbog. »Leitner! He!« rief er mit erstickter Stimme den Bauern an, humpelte auf ihn zu und faßte ihn am Joppenzipfel. »Seid's schon fertig droben? Wo gehst denn hin?«

»Ins Ort muß ich abi, 's Mittagessen b'stellen für die Kammissoni.«

Mutter Katherl trippelte auf einem Balken durch den Schlamm, Vroni verließ den Hackstock, das Beil in der Hand, und Mathes kam, mit dem Schlägel auf der Schulter. So standen sie alle viere um den Bauern her, mit scheuen Augen.

»Und –« Michel brachte die Frage kaum heraus, »was sagen s' denn, dö studierten Herrn?«

Der Bauer machte ein ernstes Gesicht. »Was sollen s' denn sagen? Helfen können s' net! Daß wir wissen, wie 's Unglück kommen is, dös macht uns auch net gscheiter.« Er sah gegen die Felswände hinauf. »Wie im Sommer droben im Seekar der Almsee gahlings ausglaufen is, ohne daß man gsehen hat, wo 's Wasser hinkommt – dös war der Anfang gwesen, sagen s', dö Herrn, 's Wasser hätt an unterirdischen Durchgang gfunden, und wie der Weg amal offen war in die Darm vom Berg eini, is dem Seewasser 's ganze Regen- und Schneewasser dö Zeit her nachgronnen. Und der Berghang tät auf schiefem Letten liegen, sagen s'. Den wascht 's versunkene Wasser schön langsam aus, und natürlich, wann dös Luderwasser unt drin a Loch ausgschwemmt hat, muß der obere Boden nachsinken. Verstehst?«

»Ja, ja!« Mit zitternden Händen strich der Simmerauer das weiße Haar in die Schläfe. »Ja, ja! Natürlich! Der Boden muß nachsinken, wann unt drin a Loch is.«

»So sagen s', dö Herrn! Wer weiß, ob s' recht haben? Einischauen in Boden können s' auch net.«

»Und sonst sagen s' gar nix, dö Herrn?«

»Na! Nix!«

»Gar nix, wie z'helfen wär?«

»Na! Nix! Drunt im Tal sollt man dem Wasser den Auslauf net verwehren. Eh net der ganze Letten unten drin schön sauber ausgschwabt is und d' Löcher wieder ausgfüllt sind mit feste Steiner, eh hört der Berg sein Laufen net auf und gibt kein' Fried. Oder es müßt 's untrische Wasser wieder in d' Höh steigen ans Licht. Verstehst?«

»Ja, ja!« Der Simmerauer wollte an seinem Hemd den Halskragen schließen und nestelte immer, ohne zu merken, daß der Knopf abgerissen war. »'s Wasser! Freilich! 's Wasser müßt wieder in d' Höh! Da tät er an Fried geben, der Berg!« Er blickte umher, als müßte er schon irgendwo das steigende Wasser sprudeln sehen. »Und sag? Was alles noch abi muß, eh 's Wasser wieder steigen kann? Da haben s' gar nix gsagt, dö Herrn?«

Langsam kam die Antwort. »Ja! Da haben s' schon a bißl ebbes gsagt. Der ganze Purtschellerwald, meinen s', müßt abi. Und 's Häusl vom Gaßner, der grad ausräumt. Und die ganzen Wiesen zwischendrin. Und –« Der Bauer stockte, und vier Menschen hielten in banger Sorge den Atem an. »Es wird mir hart, daß ich dir's sagen muß. Aber es is allweil besser, man weiß, wie man dran is. Dös ganze Gratl da, wo dein Häusl steht, wird abi müssen, haben s' gsagt, dö Herrn.«

»Abi? So? Abi müssen?« wiederholte der Simmerauer mit erloschenem Ton.

»Trag mir's net nach, Michel, daß ich dir so a harte Botschaft hab bringen müssen!« Der Bauer legte dem Simmerauer die Hand auf die Schulter. »Laß dir an guten Rat geben, schau! Räum aus, Michel! Räum aus, solang's noch Zeit is! Nimm Vernunft an!«

Sie waren mit dem Leitner ihrer fünfe beisammen gestanden. Als der Bauer den Hofraum verlassen hatte, waren es wieder fünfe, denn der Daxen-Schorschl war wortlos vom Brunnen gekommen. Er hatte das ›Saubermachen‹ nicht zu Ende gebracht. Die nassen Haare klebten ihm an Stirn und Schläfen, trauernd hing ihm der durchweichte Schnurrbart über den Mund, und in dicken Tropfen rann ihm das schlammige Wasser über den Hals und von den Händen. Sein Gesicht war bleich, nur die Wunde rot, die er sich beim Sturz in die Wange gerissen hatte.

Eine Weile wurde kein Laut gesprochen. Mutter Katherl streifte mit hilflosem Blick den Mathes und die Vroni, dann sahen sie alle drei den Vater an. Gerne hätten sie ihm den Rat des Leitners wiederholt: »Räum aus, so lang's noch Zeit is!« Aber sie hatten nicht das Herz, ihm das zu sagen. Mathes sprach das erste Wort. »Komm, Vater, schaffen wir wieder! Was dö Herrn sagen, glaub ich net!«

»Ja! Schaffen wir wieder!« fiel Vroni ein und ging zum Hackstock.

Michel faßte seinen Buben am Hemdärmel. »Mathes?«

»Was, Vater?«

»Dös viele Wasser schau an!« Der Simmerauer deutete auf die Pfützen in Hof und Garten. »Meinst net, es kommt von unt auffi?«

»Ja, Vater! Kunnt schon sein!« Die Stimme des Burschen klang ruhig; doch in Unruhe glitt sein Blick zum Verhau hinüber, aus dessen Flechtwerk lautlos die dünnen Wasserfäden rieselten.

»Wann's von unt auffi käm! So a Glück!« Der Simmerauer bückte sich und tauchte die Hand in eine der Pfützen, so ehrfürchtig, als stünde ein Weihwasserkessel vor seinen Füßen. »Also! Schaffen wir halt wieder!« Er trat zum Sägbock und suchte mit zitternden Händen das verkrüppelte Eisenband der Säge zu strecken. Dann plötzlich schlug er die Fäuste vors Gesicht.

Vroni war die erste bei ihm. »Aber Vater!« Sie legte ihm den Arm um die Schulter und stellte sich so, daß der Daxen-Schorschl, der noch immer wie angewurzelt stand und die Sprache verloren zu haben schien, den Alten nicht sehen konnte.

»Abi? So? Abi, sagen s'? Abi wird's müssen?« raunte Michel vor sich hin. »A rechtschaffener Mensch bin ich gwesen mein Leben lang. Und so sollt er mich auszahlen können? Der sell da droben?« Langsam hob er die Augen zum Himmel. »Na, Kinder! So ebbes glaub ich net von ihm. Schenieren müßt er sich! Wann ich auffikomm zu ihm und tät ihn fragen: ›Wo is denn mein Häusl, du?‹ Und er kunnt net sagen: ›Drunten steht's, wo's allweil gstanden is!‹ schenieren müßt er sich! Vor'm alten Michel müßt er sich schenieren!« Mit den Fäusten wischte er über die Backen und schüttelte den weißen Kopf. »Na, Kinder! Na! So ebbes tut er net. Der halt fest! Der sell da droben! Aber mithelfen müssen wir. Mithelfen! Komm her, Alte! Mathes, komm her! Und du, mein Madl! Gebts mir d' Hand drauf, daß wir unser Häusl halten bis zum letzten Schnaufer! Nur net auslassen, sag ich! Schaffen, allweil schaffen!«

Da klangen über die Wiese her in drolliger Disharmonie die Stimmchen der beiden Kinder, die sich zum Heimweg ein Liedl sangen, das sie von Vroni gelernt hatten:

»Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so hell!
Zwitschert Wald aus und ein,
Wo wird mein Schatzerl sein?
Vogerl im grünen Wald
Zwitschert so hell!«

Dem Simmerauer glitt ein Lächeln über die welken Züge. »Wie s' lustig sind! Und dö zwei Hascherln? 's einzige, was mir blieben is von meiner armen Zenz? Dö sollen's Dach verlieren müssen, unter dem s' ihr Ruhstatt haben? Du, Mathes, bist a gwachsener Mensch und weißt dir an Weg in die Welt. Du, Madl, findst schon ein', der dir gut is und a Heimatl hat für dich! Aber wohin denn mit die armen Wurzerln? Wann unser Häusl abi müßt? Ah na! So ebbes gibt's net. Nur net auslassen! Kommts, Kinder! Fangen wir wieder an! Und laßts um Gottes willen dö armen Hascherln nix merken von unserer Sorg!«

Der Simmerauer wollte zur Säge greifen. Da legte sich eine Hand auf seine Schulter, und eine würgende Stimme fragte: »Michel? Kannst mich net brauchen? Geh, laß mich mithelfen!«

Der Alte schien seinen Augen nicht zu trauen. »Schorschl! Du?«

»Schau, ich hab Zeit! Und verlang nix. In der Fruh komm ich, auf'n Abend geh ich wieder, und 's Essen bring ich mir mit. Schlag ein, Michel! Und ich fang gleich an.«

In der ersten Freude, einen Helfer gefunden zu haben, wollte der Simmerauer schon die Hand strecken. Vroni zog ihn zurück. »Na, Vater! Wann wir allein unser Häusl net halten können? Der da hilft 's uns gwiß net halten. Dem lauft ja 's eigene Haus davon! Was er anrührt, schwimmt. Der hat keine guten Händ. Bleiben wir lieber allein, Vater!«

»Wann d' meinst!« sagte der Simmerauer kleinlaut und warf einen scheuen Blick auf Schorschl. Und Mutter Katherl schien einen bösen Auftritt zu befürchten. Sie stotterte: »Aber Madl! Wie kannst denn so ebbes reden!« Ihre Sorge war überflüssig; der Daxen-Schorschl stand ruhig auf seinem Fleck; erst nach einer Weile, als die dunkle Röte, die ihm in die Stirn geschossen, schon wieder abzublassen begann, sagte er: »Vroni! Jetzt hast mir aber eini griffen! Daß ich für mich selber nix taug, hab ich schon lang glauben müssen. Aber daß ich auch für andere nix mehr wert bin, hätt ich mir doch net denkt. No ja, jetzt weiß ich's! Pfüe Gott!« Er schleuderte die letzten Wassertropfen von den Händen und verließ den Hofraum. Als er die Böschung überstiegen hatte und seinen Hut und Bergstock auflas, begegneten ihm die beiden Kinder, die ihr Lied zu Ende sangen:

»Vogerl am kühlen Bach
Zwitschert so süß!
Zwitschert Bach auf und ab,
Bis ich mein Schatzerl hab.
Vogerl am kühlen Bach
Zwitschert so süß!«

Als die Kinder das kleine Haus erreichten, zog der Simmerauer schon wieder die Säge, und Mathes drosch mit dem Schlägel auf einen Pfahl. Nur Vroni stand untätig. Ihr Blick irrte über den Berghang empor.

Die Stimme des Vaters weckte sie aus ihrem Sinnen. »Vronerl? Was hast denn?«

»Nix!«

Sie griff nach einer Stange und schwang das Beil, daß die Splitter flogen.

 


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