Ludwig Ganghofer
Der laufende Berg
Ludwig Ganghofer

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8

Purtscheller trat in die Stube, lächelnd und in bester Laune.

Devot erhob sich Rufel und machte ein tiefe Verbeugung. »Seien Se so gefällig, anzunehmen den Ausdruck meiner Verehrung, Herr Purtscheller!«

Der Hausherr sah den Alten belustigt an. »Ihr Juden seid doch merkwürdige Kerle! Wann sich einer bei der Nasen kratzen will, greift er hint um den Kopf ummi, statt wie andre Leut grad ins Gsicht. An andersmal sagen S' kurz weg Grüß Gott! Ich kann söllene Spruch net leiden.«

Wieder verbeugte sich Rufel. »Um es Ihnen recht zu machen, erlauben Se gefälligst, daß ich in aller Kürz Ihnen sag: Grüß Gott!«

»Lassen Sie's gut sein! Sie lernen's net!« Lachend ging Purtscheller hinter den Ofen, um den Samtflaus gegen eine leichte Hausjacke zu vertauschen.

Dabei half ihm Karlin und fragte leis: »Was is denn mit'm Bräunl?«

»Ah was! Nix von Bedeutung! A bißl in Dampf is er halt kommen, 's Frottieren und der Kognak hat ihn schon wieder zammgricht. Ganz musper schaut er schon wieder drein. Da is mir a Stein vom Herzen.« In dieser erleichterten Stimmung reichte Purtscheller dem Juden gnädig die Hand. Freilich wischte er sie gleich wieder an der Hüfte ab. Die Magd brachte die dampfende Suppenschüssel und stellte sie auf den Tisch. »Was sagen S', Rufel? Wie bei mir alles am Schnürl geht? Kaum setzt der Herr an Fuß in d' Stuben, so heißt's schon: Tischerl deck dich! Da kunnt sich manche Wirtschaft a Beispiel dran nehmen.« Purtscheller klopfte seiner Frau auf die Wange. »Ja, Rufel, so a Frauerl hat net jeder.«

»Da haben Se recht, Herr Purtscheller!« Rufel zog die beiden Daumen ein. »Gott soll Ihnen die Frau erhalten bis zu hundert Jahr!«

Karlin errötete. Wie hübsch sie aussah in dieser Freude!

Da gewahrte Purtscheller die beiden Gedecke auf dem Tisch. »Aber Linerl! Hast schon wieder net Mittag gmacht? Und jetzt is halber viere. Wie oft muß ich dir sagen: Du sollst net warten auf mich! Es tut dir net gut.«

»Mir schmeckt's halt net, wann du net dabei bist.«

»No ja! Sein' Mann gern haben is ja recht. Aber unvernünftig muß man deswegen doch net sein. Und schau, jetzt kannst dich auch net hersetzen zu mir. Ich hab mit'm Rufel wichtige Sachen z'reden, und bei Gschäften hab ich d' Weiberleut net gern dabei.«

»Es eilt nix, Herr Purtscheller«, fiel Rufel ein, »ich kann warten, bis die liebe, gute Frau gegessen hat.«

»Na, na, um Gotts willen«, sagte Karlin, »laß dich net stören, Toni! Ich kann ja später essen, oder drunt in der Kuchl.« Sie ging zur Kammertür.

»Wohin denn? Da drin kannst doch net bleiben?«

»Ich will 's Tonerl nunter tragen, 's Büberl schlaft und kunnt aufwachen, wann a bißl laut gredt wird, und da müßt ich eh wieder eini in d' Stuben.« Karlin trat in die Kammer und brachte auf ihren Armen den kleinen Bursch getragen, der sich nur halb aus dem Schlaf ermuntert hatte.

»Geh, gib ihn a bißl her!« sagte Purtscheller.

Karlin zögerte. »Er hat net ausgschlafen, und da greint er leicht.«

»Soll ich denn gar nix von meim Buben haben? Seit in der Früh hab ich ihn nimmer gsehen. Her damit!« Purtscheller nahm den Kleinen, kitzelte ihn neckend am Hals, warf ihn in die Luft und fing ihn lachend wieder auf – ein Spiel, für das sich Tonerl mit Zetergeschrei bedankte. »Richtig! Da heult er schon wieder, kaum daß ich ihn angreif! Karlin, mein Bub is dös net. Dös ist der deinig. Da hast ihn, den Schreihals! Trag ihn davon!«

Schweigend nahm Karlin das Kind auf ihre Arme, schmiegte das vor Schluchzen zuckende Köpfl an ihre Brust und verließ die Stube.

»So!« sagte Purtscheller und schob sich hinter den Tisch. »Fangen wir gleich an. In Geschäftssachen hab ich 's lange Rumreden net gern. Wer sein Sach versteht, macht kurze Wörtln.« Er steckte die Serviette vor die Brust und füllte seinen Teller mit Suppe. »Mögen S' mitessen, Rufel?«

»Ich dank schön, Herr Purtscheller, ich eß nix.«

»Ah, richtig, Sö dürfen nur aus Ihre koschern Haferln schlecken!« Purtscheller lachte. »Hören S', Rufel, so was sollt im neunzehnten Jahrhundert doch an überwundener Standpunkt sein. Aber a Glaserl Wein?«

»Ich dank schön, Herr Purtscheller, ich trink nix.«

»So lassen Sie's bleiben!« Purtscheller leerte das Glas und begann zu essen. »Also! Daß wir zum Gschäft kommen! Ich will Ihnen was verdienen lassen.«

Rufel verbeugte sich, daß sein Kinn die auf dem Hakenstock ruhenden Hände berührte. »Soll mir e Vergnügen sein, wenn e Geschäft sich machen läßt.«

»Was der Berg da droben für Sachen aufführt, dös werden S' ja ghört haben?«

»Hab ich gehört und gesehen! Daß Gott erbarm! Die armen Leut da droben!«

»Ja! A Jammer! Und mein schöner Wald schaut aus, daß mir 's Herz bluten möcht. A paar hundert Stämm hat's mir schon gworfen. Und wann ich net im Frühjahr noch mehr verlieren will, muß man den ganzen Wald im Winter abtreiben. Drum hab ich Ihnen kommen lassen. Wissen S' mir kein' Holzhändler, der dö ganze Gschicht bei Butz und Stingel übernimmt und 's Geld auf'n Tisch zahlt? Sechzgtausend Mark kann einer leicht geben für so an Prachtwald. Die schlagt er aussi ohne Müh und hat noch sein' fetten Profit dabei. Also? Wissen S' mir net so an Kerl? Fünf Perzent kriegen S' Provision.«

Rufel schwieg.

»No also? Reden S'!«

»Zwei Perzent bin ich gewöhnt bei en ehrlichen Vermittlungsgeschäft. Nu wollen Se mir geben fünfe. Hätt ich dreitausend Mark von der Sach! Wär e schöns Geld für den alten Rufel. Nur schad! Die Sach wird sich nix machen lassen.«

Purtscheller schien nach diesem Einwand das höfliche ›Sie‹ für überflüssig zu halten. »Du alter Narr du! Warum denn net?«

»Alt bin ich«, sagte Rufel in Ruhe, »aber nix e Narr, sondern e vernünftiger Mensch, der Augen im Kopf hat und weiß, was e Geschäft is.«

»No also, warum soll sich denn so a Gschäft net machen lassen?«

»Weil sich nix e Holzhändler wird finden, der für e so en Wald sechzigtausend Mark gibt.«

»Ah, was d' net sagst!« Lachend leerte Purtscheller das Glas und füllte es wieder. »Da bin ich neugierig! Also? Wieviel meinst, daß einer geben möcht?«

»Für e funfzehntausend trau ich mir das Geschäft zu machen.«

Purtscheller wollte aufbrausen. Da kam die Magd mit der Bratenschüssel. Und bei der Musterung des duftenden Gerichtes verrauchte Purtschellers Ärger. Als die Magd wieder gegangen war, sagte er lachend: »Weißt, mein Lieber, da red ich gleich gar nimmer weiter. Wann du dös Gschäft net machst, so macht's an andrer.«

»Gott soll Ihnen so en andern finden helfen!«

»Und net an Knopf laß ich nach. Meine sechzgtausend Mark muß ich haben. Ich brauch s'!«

»Sechzigtausend brauchen Se?« fragte Rufel halb lächelnd und halb erschrocken. »Hab ich doch geglaubt, Se brauchen nur achtundvierzig?«

Purtscheller wurde rot über das ganze Gesicht; doch er spielte den Verwunderten. »Wieso?«

»Nu! Weil Se doch müssen löschen an Neujahr die Hypothek vom Schloßbräu.«

»Ja Herrgottsakra!« Purtscheller warf Gabel und Messer vor sich hin, daß von seinem Teller die Bratensoße über das Tischtuch spritzte. »Hat er sein' Bubenstreich schon austrommelt in der ganzen Gegend? In Verruf möcht er mich vielleicht auch noch bringen? Nach der Bosheit, die er mir antan hat aus lauter Wut, weil mein Bräunl sein' Schimmel gschlagen hat.«

»Regen Se sich nix auf, Herr Punscheller! Und reden Se, bitt ich, nix so laut! Ihre gute Frau da drunt und die Dienstleut brauchen nix zu hören, was für e Dischkurs wir haben. Und betrachten Se gefälligst, bitt ich, die Sach mit en ruhigen Aug. Der Schloßbräu hat Ihnen die Hypothek nix gekündigt aus Bosheit. Er hat se gekündigt aus Angst, weil er sein Geld zu verlieren fürcht.«

»Angst? Ah, da schau! Dös wär ja noch schöner!« Purtscheller schien sich wirklich nicht mehr aufzuregen. Er setzte Gabel, Messer und Zähne wieder in Bewegung und sagte mit Gemütsruhe: »Geh, zieh dein Schmierkappl aus'm Sack und fahr ab! Wir zwei haben ausgredt.«

Rufel lächelte und blieb sitzen. Nach einer stummen Weile sagte er mit seiner sanftesten Stimme: »Die Hypothek müssen Se löschen an Neujahr. Also müssen Se das Geld auftreiben. Und wenn Se von mir gefälligst anhören wollen e gut gemeints Wörtl, so versprech ich Ihnen, daß ich das Geld beschaffen will.«

»Aaah! Pfeifst jetzt aus an andern Klarinettl? Weil d' merkst, daß deine Schreckschüß net verfangen bei mir? Also! Red!«

»Sie brauchen zum Löschen, die Kosten eingerechnet, funfzigtausend Mark. Warum also wollen Se sechzig? Noch zehne auf den Hof laden?«

»Weil ich Verbesserungen einführen will in der Wirtschaft.« Purtscheller schwang die Gabel mit großer Armbewegung durch die Luft. »Mein Hof kunnt um d' Hälfte mehr tragen als die letzten Jahr!«

»Da haben Se recht.«

»Der alte Schlendrian muß aufhören.«

»Da haben Sie wieder recht. Freut mich, daß Se das einsehen.«

»Wann der Bauer net den Fortschritt mitmacht, is er gliefert. Er muß sich halt auch a bißl nach der neuen Zeit richten.«

Rufel sah den Großsprecher mit enttäuschten Augen an. »Ach so? Hab gedacht, daß Se das schöne Wörtl vom Schlendrian anders meinen.« Er schnitt eine schmerzliche Grimasse. »Und lassen Se mich, bitt ich, mit der neuen Zeit in Ruh! Wirtschaften Se lieber, wie Ihr Vater, Gott soll ihn selig haben, gewirtschaftet hat, und alles wird gut sein!«

»Mein Vater? So? Wer hat denn die Hypothek auffidruckt auf'n Hof?« Kaum hatte Purtscheller das gesagt, als er zu merken schien, daß er mit diesem Wort an die falsche Adresse geraten war. Er brummte was vor sich hin und nahm ein Stück Braten aus der Schüssel. Dann hob er verlegen die Augen. Was der stumme Blick des alten Mannes redete, trieb ihm das Blut ins Gesicht. »No ja!« Er stieß den Teller von sich, als wäre ihm der Appetit vergangen. »Reden wir lieber vom Geschäft.«

»Gut! Reden wir vom Geschäft. Und lassen Se mich jetzt in Ruh e bißl sagen, wie ich es mein'!«

»No also, reden S' halt!« Purtscheller erhob sich, grub die Hände in die Hosentaschen, trat zu einem der Fenster und starrte verdrießlich durch die von rotem Weinlaub umzitterten Scheiben hinaus.

»Das Geld brauchen Se! Aber denken Se dabei nix an den armen Wald da droben! Für den kriegen Se, wie heut die Sachen stehn, keine zwanzigtausend mehr.«

»Daß ich net lach!«

»Wer den Wald heut kaufen soll, schaut sich nur zur Hälft den Wald, zur anderen Hälft den meschuggenen Berg an. Was heut noch steht? Wer sagt ihm, daß es morgen noch stehen wird? Vor dem Winter, eh nix der Boden gefroren is, kann er nix anfangen zu schlagen. Bis zum Frühjahr kann er das ganze Holz nix herunterbringen ins Tal. Und da liegt nu das geschlagene Holz auf dem laufenden Boden. Wo steht's geschrieben und protokolliert, daß im Frühjahr, wenn Gott behüt, de großen Wasser kommen, der laufende Boden nix einschluckt die schönen Stämm und die fertigen Klaftern?«

Purtscheller drehte sich vom Fenster und warf die Jacke von der Brust zurück, als wäre ihm heiß geworden. »Jetzt hab ich's aber gnug! Möchtest mir den Wald gern abdrucken um an Pappenstiel? Da brennen S' Ihnen, mein verehrter Herr Jud! Ich brauch kein' Holzhandler nimmer. Jetzt treib ich den Wald selber ab. Bloß, daß ich beweisen kann, wieviel einer aus dem Wald noch aussibringt.«

Stolpernde Schritte kamen über die Treppe herauf. In die Stube trat ein alter Knecht, atemlos, das Gesicht mit Schweiß bedeckt. »Herr Purtscheller!«

»Um Gottes willen, was is denn?«

»Im Wald bin ich droben gwesen. D' Frau hat mich gschickt, a bißl nachschauen. Und schlecht schaut's aus. Schlecht, Herr! A paar Tagwerk Holz sind ins Laufen kommen. Ich schätz auf tausend Klafter, was der Boden im Nachrutschen zudeckt hat.«

Fahle Blässe rann über Purtschellers Gesicht. So stand er ein paar Sekunden ratlos. Dann schoß ihm das Blut in die Stirn, und mit aufbrausendem Zorn, als wäre der Bote an dem Unglück schuld, fuhr er auf den Knecht los und schrie ihn an: »Du Täpp, du gottverlorener! Wie kannst mir denn jetzt grad ins Haus fallen? Mit so einer Nachricht!«

»Aber Herr!«

»Naus, sag ich! Mein' Fried will ich haben!« Und als der Knecht erschrocken über die Schwelle zurückwich, packte Purtscheller die Tür und warf sie ins Schloß. »Alles kommt über mich! Alles! Alles!« Da war ihm nun plötzlich das Weinen näher als das Schelten. Zitternd an allen Gliedern ging er zu einem Lehnstuhl und ließ sich in die Polster fallen.

Rufel hatte sich erhoben. Zögernd schlich er gegen den Lehnstuhl und räusperte sich.

Purtscheller blickte auf. »Du? So? Du bist noch allweil da?«

»E harter Schlag, mein lieber Herr Purtscheller, der Sie da getroffen hat! Aber er soll nix ändern an dem, was ich Ihnen hab sagen wollen. Und nu erlauben Se gefälligst, daß ich Ihnen meinen Rat –«

»Ich brauch kein' Rat! Von gar keim Menschen net.« Purtscheller sprang auf. »Und wann alles über mich kommt, der Berg, der Schloßbräu und die ganze knoflige Judenschaft! Der Purtscheller macht an Ruck. Und grad steht er da, daß ihm keiner net ankann!«

Rufel verlor die Ruhe nicht. »Ja, Herr Purtscheller, machen Se den Ruck! Und lassen Se den Knofel in Fried! Knofel is en unschuldig Gewächs. Hören Se lieber an, was ich Ihnen sagen will.« Geduldig ging er Tritt um Tritt hinter Purtscheller her, der in kochendem Zorn durch die Stube wanderte. »Ich verschaff Ihnen die fünfzigtausend zu ehrlichen Zinsen, damit Se löschen können die Hypothek. Und was Se sonst noch schuldig sind, soll bezahlt werden. Aber den armen Wald da droben wollen wir lassen in Ruh. Was an Holz schon liegt, machen wir im Winter zu Geld und tragen e schöns Bröckl ab von der Hypothek. Was aber droben stehenbleibt, wollen wir lassen stehen. So schneiden Se nix ins Fleisch Ihr Kind und Ihre Kindeskinder. Die brauchen auch noch e bißl e Holz. Und nu passen Se emal auf! Aber, ich bitt, schreien Se nix gleich wieder e so! De Leut, von denen ich will beschaffen das Geld, verlangen e Sicherheit, daß der Hof, solang se drauf liegen haben ihr Hypothek, nix wird entwertet, und daß de Zinsen werden in der Ordnung bezahlt, nix e so, wie die letzten Jahr her, wo der Herr Schloßbräu gehabt hat en Verdruß um den andern – verzeihen Se gefälligst!«

»No ja! A bißl Stockung kann überall eintreten!«

»E Stockung kann eintreten. Da haben Se recht. Aber so e Stockung kann auch werden vermieden. Und nu weiß ich, Se sennen e feiner und vornehmer Mann, Herr Purtscheller!« Rufel lächelte zufrieden, als er die Wirkung dieses Komplimentes gewahrte. »Und so e feiner Mann kann sich nix abgeben mit der groben Bauernarbeit und soll lassen schwitzen de andern.«

»'s erste gscheite Wörtl, dös ich hör!« sagte Purtscheller besänftigt.

»Nu also! Und da können Se doch nix einwenden, wenn ich sag: Ich will en tüchtigen, verläßlichen Menschen besorgen, dem Se die Wirtschaft vertrauensvoll übergeben können.«

»Was! Soll ich mich gleich gar unter Kuratel stellen lassen?«

»Hab ich e Wörtl gesagt von Kuratel? Wir machen bei en Notar en stillen Vertrag unter uns, und ich hab das Vertrauen zu Ihnen, daß Se den halten. Se sennen e feiner, vornehmer Mann!«

»Ja, Rufel! Mein Wort is Eisen. Da gibt's nix! Und ganz offen: An so was hab ich selber schon denkt. Den Simmerauer-Mathes hätt ich gern ghabt.«

»Den Mathes?« Rufel kam in sprudelnden Eifer. »Herr Purtscheller! Da haben Se gehabt de feinste Idee, was man kann haben! Der Mathes is e Mensch wie Gold. Den halten Se fest! Lassen Se den Mathes nimmer aus! Der Mathes, sag ich Ihnen, wenn er gebracht hat de Wirtschaft e bißelche in Ordnung, bringt heraus aus dem schönen Hof unsere funfzehntausend Mark e Jahr!«

»Mehr, sag ich!«

»Sagen wir funfzehn! Is eh schon gnug. Und nun denken Se emal de schöne Rechnung: Mit siebentausend Mark bezahlen wir die Zinsen und amortisieren alle Jahr e Bröckelche vom Kapital. Da sennen se fertig in zehn, zwölf Jahr! Und wenn Se emal hinaufkommen in Ihren christlichen Himmel, können Se sagen zu Ihrem guten Vater: ›Vaterleben‹, können Se sagen, ›ich hab hinterlassen meinem Sohn en schuldenfreien Hof, wie ich ihn hab übernommen von dir!‹ Das können Se sagen! Und dabei haben Se gehabt das schönste Leben. Achttausend Mark e Jahr!«

Die Rührung, von welcher Purtscheller angeflogen schien, war beim Klang dieser Ziffer verschwunden. »Mensch! Was fallt dir denn ein? Wie soll denn ich mit achttausend Mark auskommen?«

»Mit achttausend Mark werden Se haben e Leben wie e Fürst! Und wollen Se nu gar leben wie e Kenich, so geben Se das Geld in die Hand Ihrer guten Frau! Die wird noch ersparen dabei.«

»So a Siemandl soll ich abgeben? Ah na, mein Lieber!«

»Herr Purtscheller! Se sennen nicht nur e feiner und e vornehmer Mann, Se sennen auch e gescheiter Mann!« Rufel haschte Purtschellers Hand und streichelte sie. »Und nu beweisen Se das emal, daß die Leut vor Staunen sollen Augen machen wie Wagenräder e so groß! Zeigen Se emal: E so e Mann bin ich! Machen Se den Ruck, den Se mer haben versprochen als e Mann von Wort! Mit achttausend Mark können Se leben wie e Kenich, hab ich gesagt. Und wie e Kaiser können Se leben, wenn Se wollen e bißl abstoßen von sich de unnötigen Geldfresser. Wozu brauchen Se zum Exempel e Jagd? Was rennen Se da umenander auf die steilen Berg, wo man sich kann brechen Hals und Füß? Bleiben Se lieber daheim bei Ihrer guten Frau, die Se lieb hat und Ihnen machen wird e schöns Leben. Und wozu wollen Se erschießen die unschuldigen Tier? Lassen Se de armen Viecher ihr bißl Leben! Schießen Se lieber auf die geduldige Scheib! Scheibenschießen is e Vergnügen, was sich paßt für so en feinen und en vornehmen Mann!«

Purtscheller lachte.

»Nu ja, lachen Se! Lachen im Haus is e schöne, gesunde Sach. Draußen auf der Jagd ruinieren Se sich die kostbare Gesundheit. Und so e Jagd hat e Maul wie e Walfisch und frißt alle Tag en Haufen Geld, wie e Pferd den Hafer.«

»Ja, Rufel, da haben S' recht! Es is mir selber schon oft z'viel worden. Kein Tag vergeht ohne Ärger, und 's Ärgern tut mir net gut. Ja, Rufel, da haben S' mein' Handschlag! D' Jagd gib ich auf.«

»Herr Purtscheller, Se sennen e Prachtkerl!« In Freude umklammerte Rufel mit seinen dürren Fingern die Hand Purtschellers. »Da haben Se gemacht en festen Ruck! En großen Ruck! Und wenn Se machen wollen noch e größern – schauen Se an, Herr Purtscheller, wozu brauchen Se zu halten e Rennpferd?«

Purtscheller, der lachend nach dem Wein gegriffen hatte, stellte das Glas wieder fort und wandte das Gesicht über die Schulter.

»Is e Sach, was Ihnen kostet e Heidegeld. Statt daß Se müssen bezahlen, können Se verdienen. Und wenn Se gleich haben wollen e schön Stück Geld auf die Hand, so verkaufen Se den Bräunl! Ich kann Ihnen machen e feins Gebot. Vor acht Tag hat mir gesagt der Schloßbräu, daß er für den Bräunl geben möcht viertausend Mark. Greifen Se zu, Herr Purtscheller! Und Se können wie e feiner Mann bezahlen de rückständigen Hypothekzinsen und de Feuerversicherung und de unschönen Spielschulden beim Wirt, was sich nix passen für so en vornehmen und feinen –« Erschrocken verstummte Rufel.

In aufflammendem Jähzorn hatte Purtscheller die Weinflasche gepackt und schlug sie gegen die Tischkante, daß die Scherben umherflogen und der Wein über Tisch und Diele rann. »Du Gauner, du gottverdammter! Jetzt kenn ich mich aus!« Er lachte in seinem Zorn. »So also is dö ganze Komödi gmeint? Du und der Schloßbräu mitanand?«

»Erlauben Se gefälligst«, stammelte Rufel, »wie können Se glauben –«

»In d' Hand möchts mich kriegen«, schrie Purtscheller, »und binden möchts mich am ganzen Leib, daß ich mir den Bräunl müßt abdrucken lassen um so a Schandgeld!«

»Gott der Gerechte!« Rufel wehrte mit beiden Händen. »Ich hab's ehrlich gemeint, aber ich will nix gesagt haben! In Gottes Namen, behalten Se das Roß!«

»Net um zehntausend Mark gib ich den Bräunl her!«

»Ja, ja, ja! Behalten Se das Roß! Fahren Se mit dem Roß spazieren bis zu hundert Jahr! Ich bin zufrieden, wenn Se de Jagd –«

»'s Maul halt, sag ich! Gelt, jetzt fahrt dir d' Angst in d' Nasen, weil ich so gscheit bin, daß ich hinter dein' ganzen Schwindel schau! Naus mit dir!«

»Aber Herr Purtscheller! So hören Se doch e vernünftig Wörtl. So e feiner und vornehmer –«

»Ja! A bißl gar z'fein für so ein', wie du einer bist!«

»Um Ihrer selbst willen und Ihrer guten Frau zulieb beschwör ich Ihnen –«

»Naus, sag ich, oder ich vergreif mich an dir, du Saujud, du miserabliger!«

Dunkle Röte schoß über das hagere Gesicht des Alten, und seine Stimme zitterte. »Beleidigen Se, bitt ich, den alten Rufel nix! Ich bin nix e Saujud. Ich bin e Jud. Ohne was dabei. Is heutigentags eh schon Unglück genug.«

»Naus! Naus zur Tür!«

»Ich bleib, Herr Purtscheller! Und will Ihnen wiederholen in aller Güt –«

»Daß ich mir vom Schloßbräu und dir 's Krawattl soll zuschnüren lassen, gelt? Gehst jetzt oder net? Kerl, ich bin imstand und schieß dich nieder auf der Stell!« Keuchend riß Purtscheller seine Büchse vom Gewehrrechen.

Das zu sehen, ging über Rufels guten Willen. Mit einem Sprung, daß seine Rockschöße flatterten, war er bei der Tür, mit dem nächsten draußen im Flur, Während er die Treppe hinunterstolperte, hörte er hinter sich einen Fluch und spürte einen Schlag auf dem Rücken. Purtscheller hatte ihm den Hakenstock nachgeschleudert. Taumelnd hob Rufel den Stecken auf. Als er seinen Zwerchsack unter der Treppe hervorgerissen hatte und zur Haustür kam, trat ihm Karlin entgegen, bleich und zitternd. »Rufel?«

»Verzeihen Se, meine liebe gute Frau!« Rufel vermochte kaum zu sprechen. »Verzeihen Se, aber mit Ihrem Mann is nix zu reden! E Mensch, der die Leut erschießen will, die 's ihm gut meinen? Dem is nix zu helfen. Der Rufel bedankt sich schön. Mit e Schießgewehr is nix e Spaß zu machen.« Scheu blickte er über die Treppe hinauf. »Aber nehmen Se noch en Rat vom Rufel! Sehen Se zu mit aller Gewalt, daß Se bekommen das Regiment in Ihre Hand! Oder Ihr schönes Haus fangt zu laufen an, wie da droben der meschuggene Berg, und lauft bis hinunter ins Wasser. Ihnen zulieb, meine gute Frau, Ihnen zulieb will ich –« Da hörte er droben im Flur die Schritte Purtschellers und sprang erschrocken zur Haustür hinaus.

»Rufel!« stammelte Karlin und wollte ihn zurückhalten.

Ohne das Gesicht zu wenden, eilte Rufel durch den Garten. Als er von der Steintreppe auf die Straße sprang, warf er in seiner blinden Hast ein kleines Mädel zu Boden, das einen irdenen Topf zwischen den Händen trug. »Nix für ungut, Kinderl!« stotterte Rufel und rannte davon.

Vor der Haustür stand Karlin und sah ihm mit nassen Augen nach. Tonerl hatte sich an ihre Schürze gehängt. Zitternd preßte sie das Kind in ihren Schoß. Da kam der Altknecht von den Ställen gelaufen. »Frau Purtschellerin!«

Sie hörte kaum. »Was?«

»Ich trau mir's schier gar net sagen.«

Langsam blickte sie auf und strich die Zaushärchen hinters Ohr. »Was bringst?«

»Mit dem Bräunl is ebbes passiert,«

»Jesus Maria!«

Im gleichen Augenblick trat Purtscheller aus der Haustür, für die Jagd gekleidet, mit der Büchse auf dem Rücken. Er sah die beiden zusammen stehen, verzagt und wortlos. »Was gibt's denn da?« Er bekam keine Antwort. Und Karlin schob den Knaben hinter sich, als hätte sie Angst für ihn. »No? Was is denn? Krieg ich bald Antwort oder net? Ich leid keine Tuschlereien im Haus. Von meiner Frau net und noch viel weniger von eim Dienstboten!«

Da sagte es ihm der Knecht kurz und grob. »Den Bräunl hat der Schlag troffen. Im Stall liegt er.«

Purtscheller erbleichte und tastete mit der Hand nach einer Stütze.

»Toni! Toni!«

Er schob den Arm seiner Frau zurück. »Ah na! So was gibt's net!« lallte er und rannte zum Wirtschaftshof. Keuchend stellte er die Büchse an die Mauer und trat in den Stall. Da lag das schöne Tier auf dem Stroh, regungslos, mit eingekrampften Beinen. In einem Winkel stand Zäzil wispernd mit zwei Knechten beisammen. Purtschellers Gesicht verzerrte sich. »Den hat mir der Jud verwunschen!« Dann schoß ihm das Wasser in die Augen. »Bräunl! Mein Herzbinkerl!« Er warf sich auf die Knie und versuchte, den Kopf des Pferdes emporzuheben. Der Hals des Tieres war starr, und ein grauer Schleier lag über den Augen, die am Morgen noch feurig geblickt hatten.

In seinem hilflosen Kummer fing Purtscheller zu weinen an wie ein Kind.

Die Tür verfinsterte sich. Karlin war auf die Schwelle getreten, mit ihrem Knaben an der Hand.

Purtscheller richtete sich auf. Das Gesicht mit den Händen bedeckend, lehnte er sich schluchzend an den Barren.

»Mammi?« fragte Tonerl. »Tut 's Rösserl schlafen?«

»Ja, mein Herzl!« flüsterte Karlin mit versagender Stimme. Dann ging sie zu ihrem Mann, legte ihm den Arm um die Schultern und bat: »Geh, komm mit eini ins Haus! Dös kann ich gar net anschauen, daß dich unsere Leut so sehen müssen. Toni! Geh, komm, laß dich einiführen ins Haus!«

Er schob sie von sich. Während ihm die Tränen über die Wangen kollerte, deutete er auf das verendete Pferd. »So meint's der Himmel mit mir! Alles kommt über mich. Und 's Liebste muß ich hergeben, 's Allerliebste, was ich hab!«

Sie sah ihn erschrocken an. »Toni! Tu dich net versündigen!« In verstörter Hast hob sie den Knaben vom Boden auf und hielt ihn dem Vater hin. »Toni!« Tränen erstickten ihre Stimme. »Geh, nimm dein Kindl! 's Allerliebste, was d' haben kannst! Schau, Toni, wie's dich anlacht und d' Armerln streckt! Geh, Toni, nimm dein Kind!«

»Ja, is schon recht!« Purtscheller fuhr mit der Faust über die Augen. »Mach mir vor die Leut kei' so Komödi her!«

»Toni!«

Reizte ihn der schmerzliche Vorwurf, der aus diesem Worte klang? Oder wurde der erst halb ausgekochte Jähzorn wieder lebendig in ihm? »In Ruh laß mich!« schrie er. »Heut vertrag ich nix. Oder ich kunnt dir ebbes sagen, dir, was mich reut!«

Karlin wollte schweigend den Stall verlassen; aber Tonerl streckte zappelnd die Händchen: »Vaterl! Bitti, laß mi Rösseli reiten!«

»Ja! Schnecken! Da is ausgritten. Gut schaut's aus im Purtschellerhof! Alles krepiert. Alles geht z'grund umanand. Aber recht gschieht mir!« Purtscheller schlug sich mit der Faust an die Stirn. »So an Esel, der den Bettel einiheirat ins Haus, kann sich net beschweren, wann sich der Jammer einifrißt in alle Wänd wie der Rost ins beste Eisen. Ja, mein Büberl, ja, bedank dich bei deiner Mutter!«

Karlin mußte den Knaben zu Boden stellen, ihre Arme waren so schwach geworden, daß sie das Kind nicht mehr zu tragen vermochte. Mit fahlem Gesicht stand sie an die Mauer gelehnt, als wäre eine Lebensfaser ihres Herzens entzweigerissen.

Die beiden Knechte und Zäzil drückten sich wortlos zur Stalltür hinaus, und Purtscheller gewahrte noch das Lächeln der Magd. »Ja, hast recht, daß d' mich auslachst!« Es fiel ihm ein, daß er versprochen hatte, der Magd zu kündigen. »Ah na! Gscheiter, wer anderer ging! Da möcht der Sonnschein bald wieder einkehren im Purtschellerhof.« Tief atmend, als wäre ihm jetzt leichter geworden, trat er ins Freie und packte die Büchse. »Heut nacht komm ich net heim, ich bleib in der Jagdhütten«, rief er über die Schulter zurück, »endlich muß ich mich doch wieder amal in Ruh ausschlafen können und a friedsame Stund haben.« Er nahm die Büchse auf den Rücken und wanderte müd davon. Im Garten blickte er unschlüssig gegen das Haus zurück. Nach dem blinden Zorn befiel ihn eine Regung von Vernunft und Reue. Doch unwillig rückte er den Hut. »Ah was! Sie muß doch wissen, daß ich's net so mein'!« Da hörte er von der Straße das bitterliche Weinen eines Kindes. »O jegerl! Was is denn?« Er stieg über die Treppe hinunter und sah neben dem Straßengraben ein kleines Mädel stehen, in hilflosem Kummer. Vor dem Kind lagen die Scherben eines irdenen Kruges. »Maderl? Was is denn? Hast dein Haferl fallen lassen?«

»Der Jud«, schluchzte das Kind, »der Jud hat mich umgrennt und hat mir 's Haferl derstößen.«

»Natürlich! Wieder der Jud! Aber geh, Butzerl, da mußt net weinen!« Purtscheller zog sein Taschentuch hervor, trocknete dem Kind die Tränen von den Augen und schenkte ihm einen Taler. »So, Schatzerl, da hast ebbes! Da kaufst dir a neus Haferl, und was übrigbleibt, dös legst in dein Sparbüchserl, gelt?« Lachend gab er dem getrösteten Kind einen Klaps und ging seiner Wege.

Als er beim Krämer vorüberkam, wollte Rufel gerade aus der Haustür treten; erschrocken fuhr der Alte bei Purtschellers Anblick zurück und verbarg sich hinter der Tür, bis das gefürchtete ›Schießgewehr‹ um die Ecke verschwunden war. Dann trat er auf die Straße und schüttelte kummervoll den Kopf. »E so e Mensch! Und de arme Frau!« Während er der Straße folgte, klangen ihm aus der Daxenschmiede die Hammerschläge entgegen. Sie tönten nicht hell und gleichmäßig; es war etwas Gereiztes in der unruhigen Hast, mit der sie aufeinander folgten; nun endeten sie mit einem dröhnenden Schlag, als hätte Schorschl seinen Ingrimm über irgendeine böse Sache den schuldlosen Amboß entgelten lassen.

Als Rufel zur Schmiede kam, sah er, daß ein Bauer einen wackligen Schubkarren, der noch mit mancherlei anderem der Reparatur bedürftigem Eisengerät beladen war, vor dem Tor der Werkstätte niedersetzte. Es war der Bauer, dem der Leiterwagen gehört hatte. Er guckte in die leere Werkstätte. »He! Schmied!« Nichts rührte sich, keine Antwort ließ sich hören. Der Bauer ging zur Haustür, stieß sie auf und rief: »He! Schorschl! Wo bist denn?« Alles blieb still. »Natürlich! Ich hab mir's eh gleich denkt. Jetzt kann ich wieder abfahren.« Brummend schob der Bauer seinen Karren davon.

Mit den Armen über den Zaun gelehnt, hatte Rufel diesen Vorgang beobachtet. »Nu? Wo is er jetzt, der Herr Dax? Könnt Arbeit haben. Und wo steckt er nu wieder?«

Da klangen aus dem Garten der Schmiede schmachtend gezogene Trompetentöne:

»Du, du liegst mir im Herzen,
Du, du liegst mir im Sinn.«

Wie rein und schön das klang! Es paßte so recht zu diesem klaren, von der scheidenden Sonne goldig angehauchten Herbstabend. Doch Rufel schien für poetische Naturstimmungen und musikalische Genüsse nicht das richtige Verständnis zu besitzen. Er schnitt eine säuerliche Grimasse. »Trumpeten blost 'r! Und blost m'r wieder e Loch in mein' Sack! Nu will ich ihm aber doch e Wörtche sagen!« Er trat in den Hof, kehrte aber wieder um. »Ich hab's versprochen. Ich will heut nix mehr zu ihm mahnen gehen.«

Mit inbrünstigem Krescendo klang es aus dem Garten der Schmiede:

»Du, du machst mir viel Schmerzen,
Weißt nicht, wie gut ich dir bin!
Jaaa, jaaa, aaah,
We-we-we-we-weißt nicht, wie gut ich dir bin!
Tütüüüh!«

Die Sehnsuchtsklage des Einsamen schloß mit einem so schmetternden hohen C, daß von den Bergen das Echo viermal zurücktönte: tütüüüh – zuletzt noch einmal ganz leise, wie aus meilenweiter Ferne: didiiih! Und dieser letzte Klang kam über die Simmerau herunter.

Schorschl, der hinter dem Haus zu Füßen eines Apfelbaumes saß, hatte die Trompete in den Schoß gelegt und blickte melancholisch vor sich hin.

Bei seinem Brüten und Sinnen griff er nach einem der überreifen Äpfel, die vom Baum gefallen waren. Während er Stück um Stück von dem Apfel abbiß, suchte er grübelnd nach einem Ausweg aus seiner ›Schlemastik‹.

Er hatte Angst. Bei den Sorgen, die ihn drückten, bei dem vergeblichen Warten auf Arbeit drohte der alte ungeduldige Schorschl in ihm die Oberhand zu gewinnen. Die ›Lüftigkeit‹ zuckte ihm in allen Gliedern, zog ihn vom Amboß fort hinüber ins Wirtshaus, hinunter zum Bach, hinauf in die bucklige Gegend der Simmerau. Er sah es deutlich ein, daß er diesem prickelnden Zug auf die Dauer nicht widerstehen könnte. Ja, er wollte ein ordentlicher Kerl werden, ganz ehrlich wollte er das. Aber er merkte, daß er das ›Bravsein‹ aus sich allein nicht fertigbrächte. Er brauchte die Hilfe der andern. Die wollten nicht kommen, wollten ihm die Hand nicht reichen. »Hol s' der Teufel alle mitanand, dö mißtrauischen Geizkrägen!«

Wenn nur wenigstens eine ihm die stützende Hand reichen möchte! Wenn die an ihn glauben könnte! Wenn die zu ihm sagen möchte: »Ich bin net wie die andern, ich hab Vertrauen, ich möcht's riskieren! Aber dös siehst doch ein, ich kann kein' Lumpen heiraten, der bis über d' Ohrwascheln in Schulden steckt! Ich bin doch an ordentlichs Madl!«

»Ja, Vroni, da fehlt sich nix!« würde er dann sagen. »A brävers Madl wie du gibt's in der ganzen Welt nimmer!«

»No also, schau«, müßt dann die Vroni wieder sagen, »da mußt dich halt danach aufführen! Fest antauchen mußt! Mit dem richtigen Willen laßt sich alles machen in der Welt. Hast ja gsunde Fäust, und 's gscheite Köpfl fehlt dir doch auch net. Und hab ich mich überzeugt, daß d' an andrer worden bist, so frag halt an bei mir! Und unter der Zeit därfst dich schon diemal an meim Fensterl anschauen lassen, daß ich dir a bißl Mut zusprich. So, und jetzt geh, Schorschl, pack's an!«

Ja! Wenn die da droben so zu ihm sprechen möchte, wäre ihm gleich geholfen. Dann wüßte er doch, wofür er sich schinden und gedulden sollte! Und dann hätte er auch das Recht, für die harte Zeit sich eine Wegstärkung mitzunehmen, und würde seinem Schätzl ›eins auffidrucken aufs Göscherl, a ghörigs Bussel‹, eines, das ausgab für ein halbes Jahr! »Herrgott sakra, ich spring auffi und probier's!«

Lachend setzte er die Trompete an den Mund und blies mit schmetternden Klängen:

»Maderl, Maderl, laß dich fragen,
Tut für mich dein Herzerl schlagen?
Geh, mußt net so heimlich sein,
Maderl, Maderl, gsteh mir's ein!«

Wieder schloß er mit einem hohen C, spähte gegen die Simmerau hinauf und lauschte dem Echo. Von neugestärkter Hoffnung erfüllt, kehrte er in die Werkstätte zurück und schmiedete mit lustigem Eifer noch ein paar überflüssige Hufeisen, bis der Abend sank. Mit einer Sorgfalt, wie er sie seit Jahren nicht geübt hatte, räumte er die Werkstätte auf, schloß das Tor und versperrte die Haustür. Die Trompete unter der Joppe, wanderte er durch die Dämmerung bergan und pfiff in hoffnungsreichem Seelenvergnügen eine heitere Weise vor sich hin.

Der Wind hatte umgeschlagen. Wohl funkelten in der Höhe des Himmels freundliche Sterne aus dem tiefen Blau, und die Bergspitzen waren angehaucht vom Silberglanz des steigenden Mondes; doch eine schwarze Wolkenschicht hob sich hinter den Felswänden empor und verschlang einen leuchtenden Stern um den andern.

 


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